Protocol of the Session on January 27, 2005

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Der Bericht macht deutlich, dass in Deutschland 8 % der 5- bis 6-Jährigen keine Kindertagesstätte und nur 64 % der Kinder aus sozial schwächeren Familien eine Kindertagesstätte besuchen. Diese Zahl ist viel zu gering. Hieran ist auch ganz deutlich zu erkennen, dass Chancengleichheit überhaupt nicht mehr gegeben ist. Daran muss deutlich gearbeitet werden. Wenn die Eltern nicht selbst erkennen können oder wollen, dass ein großer Chancenverlust für ihre Kinder besteht, müssen wir uns fragen, ob wir nicht über eine Kindertagesstättenpflicht nachdenken sollten. Denn es kann nicht sein, dass die Herkunft der Kinder über ihren nachfolgenden Bildungsweg entscheidet.

Wir wollen in Schleswig-Holstein Bildung noch verbessern, obwohl dies bereits angeschoben ist. Frau Ministerin Erdsiek-Rave hat auch die bislang ungenutzte Personalressource der Männer angesprochen. Wir halten es auch für wichtig, diese Frage noch einmal zu diskutieren.

Der Länderbericht zeigt wichtige Felder auf, die zeitnah bearbeitet werden müssen. Ich denke, wir brauchen für unsere Kinder eine optimale Betreuung, Bildung und Erziehung, damit sie einen besseren Start in die Schule haben und in ein lebenslanges Lernen einsteigen können.

(Beifall bei der SPD)

Ich höre jetzt auf, weil ich meine Redezeit schon lange überschritten habe, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Nach der Fraktion, die den Antrag auf Bericht der Landesregierung gestellt hat, erteile ich jetzt für den Antragsteller zu Tagesordnungspunkt 53 Herrn Abgeordneten Dr. Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bildung beginnt in Familie und Kindergarten. Die vorschulische Bildung ist das Fundament unseres Bildungswesens und dessen erste öffentliche Institution ist die Kindertagesstätte. Sie darf deshalb nicht bloß ein Betreuungsort sein, sondern sie muss viel stärker als in der Vergangenheit zu einer Bildungseinrichtung werden.

(Beifall bei der FDP)

Die Neubewertung der Kitas hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Bildung der Kinder - nach und neben der Förderung der Familie - ist die vielleicht wichtigste Veränderung in unserer deutschen Bildungslandschaft. Vom Denken her kommt das geradezu einer Umwälzung gleich in einem Land, wo bislang Studienplätze kostenlos zu haben gewesen sind, wo aber für Kindergartenplätze den Eltern sehr viel Geld abverlangt worden ist, nämlich doppelt so viel wie im Durchschnitt der Länder der OECD, sagt uns der Länderbericht der Organisation OECD. Der eigene Beitrag der Eltern zu den Kita-Plätzen ist doppelt so hoch wie im OECD-Durchschnitt, und das bei einem schlechteren Angebot - wenn man auf die Gruppengrößen in Deutschland schaut, die wesentlich höher liegen als in anderen europäischen Nachbarländern. Das Angebot ist schlechter, es ist aber für die Eltern wesentlich teurer. Meine Damen und Herren, Frau Höfs, liebe Kollegen von der SPD, eigentlich müssten wir uns dafür einsetzen, ein kostenloses Kindergartenangebot zu erreichen. Das muss kommen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Natürlich muss man hier aber auch sagen, dass die Länder und Kommunen dazu derzeit nicht in der Lage sind. Dafür bedarf es einer gesamtnationalen Kraftanstrengung und natürlich einer Änderung der Finanz

(Dr. Ekkehard Klug)

verteilung für diesen Zweck. Aber darauf hinzuarbeiten, ist das Gebot der Stunde.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] und Günter Neugebauer [SPD])

Die SPD kämpft jedenfalls nach wie vor lieber für die Kostenfreiheit von Studienplätzen. So viel vielleicht noch einmal als Anmerkung zu diesem Thema.

(Beifall des Abgeordneten Jost de Jager [CDU] - Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten zehn Jahre, vor allem der Neurowissenschaften - ich habe das schon in der Debatte zu unserem Antrag zum Thema Hochschulstudium für Erzieherinnen zitiert -, ergeben ganz klar, welche Bedeutung die ersten Lebensjahre für die Entwicklung der Kinder haben. Das sind wissenschaftliche Grunddaten, die auch die Neubewertung der Vorschulbildung ganz wesentlich begründen. Die sprachliche Ausdrucksfähigkeit, Bewegungskompetenz, die Fähigkeit, sich auf den anderen einzulassen, also auch das soziale Verhalten, die Annahme des Gesollten als letztlich freiwillige Handlungsnorm, all dies wird bereits im Kindergartenalter angelegt. Was hier unterbleibt, konfrontiert Schule und Gesellschaft mit einer Vielzahl von später nur schwer auszugleichenden Entwicklungsdefiziten.

Deshalb ist es die Aufgabe der Kitas mit einem erweiterten Bildungsauftrag, solche Bildungsbremsen gar nicht erst entstehen zu lassen.

Selbstverständlich bedeutet das nicht die Vorverlegung der Schule im Sinne von Vorverlegung von Unterricht in den Kindergartenbereich hinein. Das ist es nicht. Es geht hier um eine altersgerechte frühkindliche Pädagogik, wie sie auch von den Fachleuten in den letzten Jahren mit zunehmender konkreter Unterfütterung entwickelt worden ist. Übrigens sind Länder wie Bayern - das darf man vielleicht hier auch einmal anmerken - in diesem Bereich führend. SchleswigHolstein hat sich mit den Bildungsstandards für den Kindergartenbereich im Grunde einer Entwicklung angeschlossen, die anderswo schon weiter ist.

Es geht also darum, für die anspruchsvolle Bildungsarbeit in Kitas auch entsprechend qualifiziertes Personal aus- und fortzubilden. Dazu müssen wir uns - da teile ich die Auffassung, die hier schon vertreten worden ist - weiter auf die Fachkräfte, die Erzieherinnen und Erzieher aus den Fachschulen, stützen und ihre Kompetenzen durch Verbesserung im Ausbildungsbereich erhöhen.

Daneben ist aber in Zukunft auch ein Hochschulstudium - wie es in fast allen anderen europäischen Ländern üblich ist - nötig. Wir freuen uns, dass die SPD sich da inzwischen, seit Mai letzten Jahres, umorientiert hat. Anfang November hat Frau Ministerpräsidentin Simonis zwar auf dem Erzieherinnentag der GEW die Ablehnung unseres Antrages auf ein Hochschulstudium für Erzieher noch einmal wiederholt. Ein paar Tage später war der OECD-Länderbericht, das so genannte Baby-PISA, auf dem Markt. Die SPD hat sich dann erfreulicherweise umorientiert. Willkommen an Bord, liebe Genossen! Ich freue mich, dass Sie sich da eines Besseren besonnen haben. Und wir lassen auf der Ruderbank auch noch Platz für die Freunde von der Union.

(Beifall bei der FDP)

Eine letzte Anmerkung, ganz kurz. Natürlich gibt es viele Punkte, die man auch noch kritisch anmerken muss. Einer davon ist, dass seit Hartz IV ehemalige Sozialhilfeempfänger wegen höherer Kita-Beiträge ihre Kinder aus Kindertagesstätten abmelden. Das ist die Berichterstattung in den „Lübecker Nachrichten“. Das ist ein Manko, ein Missstand, eigentlich eine bildungspolitische Katastrophe, die dringend einer Korrektur bedarf.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Wolfgang Kubicki [FDP])

Hier geht es darum, nachzusteuern, anstatt sich nur mit rot-grünem Eigenlob zu beweihräuchern nach dem Motto: Hartz IV ist etwas ganz Tolles. Wenn Sie da einen Fehler gemacht haben, geben Sie das zu und korrigieren Sie das!

(Beifall bei der FDP - Zuruf des Abgeordne- ten Lothar Hay [SPD])

Ich erteile Herrn Abgeordneten de Jager das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über einen OECD-Länderbericht zur frühkindlichen Erziehung, der in der Presse auch als Baby-PISA bezeichnet wurde. Ich mag diesen Begriff Baby-PISA, weil er ein bisschen das karrikiert, was wir zum Teil bei der OECD erleben, dass nämlich mit sehr stark internationalisierten pauschalen Ratschlägen in die doch sehr unterschiedlich gewachsene Bildungslandschaft der Länder hineinregiert wird. Deshalb finde ich es richtig, wie das die Ministerin auch getan hat, dass man zu Anfang noch einmal darauf hinweist, dass wir in Deutschland und

(Jost de Jager)

auch in Schleswig-Holstein eine sehr, sehr lange Tradition von gut ausgebauten Kindertagesstätten und eben auch eine Trägervielfalt im Bereich der Kindertagesstätten haben, hinter die wir uns ausdrücklich stellen und die uns sehr, sehr viel wert ist.

Lassen Sie mich drei Anmerkungen zum Thema des OECD-Berichtes, zur frühkindlichen Förderung, machen. Ich glaube, der Schlüssel für die frühkindliche Förderung ist die Schnittstelle zwischen Kindertagesstätte und Schule. Aus dem Grund muss man Kindertagesstätten sehr viel stärker als Bildungseinrichtungen begreifen, als wir das alle zusammen in der Vergangenheit getan haben. Kindertagesstätten sind natürlich Betreuungseinrichtungen, aber sie werden in einem immer stärkeren Maße auch Bildungseinrichtung. Deshalb gilt es, den Bildungsauftrag der Kindertagesstätten zu stärken, zu konkretisieren und mit Leben zu erfüllen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Dazu gehören auch einige organisatorische Maßnahmen, die einen inhaltlichen Bezug haben, etwa die Bildung von Jahrgangsgruppen in dem Jahr vor der Schule, um schon auf die Schule vorzubereiten, etwa der institutionalisierte Kontakt zwischen Kindertagesstätten und den Grundschulen, was zum Teil schon auf den Weg gebracht worden ist. Ich könnte mir das noch ein bisschen verbindlicher vorstellen.

Ich glaube aber, dass ein ganz entscheidender Punkt der frühkindlichen Förderung - ein sehr schweres Wort - darin liegt, dass man die Schuleingangsprüfung um ein Jahr nach vorn zieht. Es ist notwendig, die Prüfung der motorischen, der sprachlichen und der anderen Fähigkeiten ein Jahr vor der Einschulung zu machen, damit man dann in dem letzten Jahr im Kindergarten tatsächlich die Zeit und die Gelegenheit hat, das durch Förderung abzustellen, was sonst in der Schule als Problem auftritt. Ich glaube, insofern ist dieser Punkt ein ganz wesentlicher, wenn wir über die frühkindliche Förderung reden.

Der andere Punkt, über den wir heute zu reden haben, ist die Akademisierung der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern im Kindergarten. Wir als Union sind in diesem Punkt anderer Auffassung als eigentlich alle anderen Fraktionen. Wir glauben, dass man sehr wohl die Qualitätsmaßstäbe an die Erzieherinnenausbildung hoch halten und noch verbessern muss. Es ist richtig, dass gerade im Bereich der Diagnose von Förderbedarf von Kindern im Vorschulalter in der Ausbildung noch sehr viel geschehen muss und geschehen kann.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, Entschuldigung. - Das Haus muss sich ein bisschen mehr konzentrieren.

Vielen Dank für die Unterstützung, Herr Präsident. - Wir glauben aber nicht, dass dafür eine Akademisierung der Ausbildung notwendig ist.

(Beifall des Abgeordneten Manfred Ritzek [CDU])

Ich glaube, dass eine Akademisierung der Erzieherinnenausbildung auch dazu führen würde, dass weitere Bevölkerungsanteile von dem Beruf ausgeschlossen würden. Das würden wir für falsch halten. Ferner werden wir als Ergebnis, selbst wenn das als ein schrittweiser Einstieg geplant ist, erleben, dass die Personalkosten für die Träger - bei der beschriebenen Trägervielfalt - steigen werden. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eines sagen: Ich bin schon der Auffassung, dass wir beim Ausbau und bei der Verbesserung des frühkindlichen Bildungsangebots sehr große Anstrengungen unternehmen sollten. Wir dürften aber die Kosten und die Lasten dafür nicht den Kommunen aufbürden, die das allein nicht schultern können.

(Beifall des Abgeordneten Manfred Ritzek [CDU])

Wir müssen bei diesen ganzen Diskussionen über Kindertagesstätten, über Bildungsauftrag und so weiter aufpassen, dass wir als Landespolitiker nicht ständig dabei sind, das Geld anderer Leute auszugeben, das Geld der Kommunen, das diese nicht haben.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Deshalb bin ich dagegen, dass wir hier so stark formalisieren.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Anmerkung machen. Die passt zu den Belastungen der Kommunen. Zu dem Angebot der Betreuungsplätze für die unter 3-Jährigen gibt es eine Initiative der Bundesregierung, das zu machen. Ich glaube, man wird es für diejenigen machen müssen, die tatsächlich einen Bedarf haben. Ich bin aufgrund der Kostensituation der Kommunen aber auch der Auffassung, dass wir sehr flexible Angebote finden müssen.

(Beifall der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Aus dem Grund glaube ich, wir dürfen nicht nur starr

(Jost de Jager)

in Krippenplätzen denken, sondern müssen sehr viel stärker auch in Tagesmüttermodellen denken.