Protocol of the Session on January 28, 2005

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- Lieber Wolfgang Baasch, vielleicht sind wir einer Meinung, dass die Kommunikation über eine Reform, die im Grundsatz richtig ist und die wir im Grundsatz auch immer als richtig angesehen haben - -

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Herr Hentschel, es wäre manchmal gut, Sie würden zuhören. Wir sind uns vielleicht im Grundsatz darin einig, dass die Kommunikation, die man dazu braucht, eine solche Reform umzusetzen, das Schlechteste an diesem ganzen Prozess war. Ohne die Betroffenen ist dies nicht zu schaffen. Auf Bundesebene wurde eine Sprache gewählt, die die Menschen mehr verwirrt, als dass sie Aufklärung gebracht hat. Es wurde eine Sprache gewählt und es wurden - zumindest anfänglich - Informationen betrieben, die die Menschen verunsichert haben und die genau das Gegenteil dessen bewirkt haben, was eigentlich notwendig gewesen wäre, nämlich den Menschen zu zeigen, dass diese Reform ihnen eine neue Chance bieten soll.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

- Das Gegenteil ist passiert, lieber Wolfgang Baasch. Genau das Gegenteil ist passiert!

(Beifall bei der FDP)

(Dr. Heiner Garg)

Die Menschen waren verunsichert und sie fühlten sich für einen Zustand, für den die meisten überhaupt nichts können, nämlich dass sie arbeitslos geworden sind, zusätzlich noch bestraft. Wenn wir aus der Umsetzung von Hartz IV lernen, dass man mit Menschen eine Sprache sprechen muss, die diese auch verstehen, damit sie wissen, warum wir diese Politik machen und warum bestimmte Reformen auf den Weg gebracht werden, dann ist das schon jede Menge. Ich wünsche mir, dass in der Tat viele Menschen wieder eine Chance haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt in Lohn und Brot zu kommen. Wir werden gleich darüber diskutieren: Wir haben viel zu viele Arbeitslose in diesem Land.

(Beifall bei FDP und CDU)

Auf der Tribüne begrüße ich die Bürgerbeauftragte, Frau Wille-Handels. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Frau Abgeordnete Birk hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die erste Feuerprobe von Hartz IV ist bestanden. All denjenigen, die heute - wie die FDP - ganz leise Töne haben, möchte ich sagen: Was haben Sie nicht geunkt und wie oft haben Sie nicht gesagt, das alles würde gar nicht funktionieren und am liebsten würden Sie die Bundesagentur für Arbeit auf einen Schlag zerschlagen!

(Beifall bei der FDP - Günther Hildebrand [FDP]: Das ist auch richtig!)

Dass auch wir andere Vorstellungen von der Bundesagentur für Arbeit haben, daraus mache ich kein Geheimnis. Plötzlich hören Sie sich ganz leise an und sagen, Sie seien immer schon für die Reformen gewesen. So ist es immer! Das Mäntelchen hängt gut im Wind.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Lassen Sie uns aber zur Sache kommen. Das gefürchtete Chaos bei der Einführung von Hartz IV ist ausgeblieben, und zwar dank hochkonzentrierter Anstrengungen aller Beteiligten. Beigetragen haben hierzu aber nicht nur die schon von meinen Vorrednern genannten zuständigen Verwaltungen, sondern vor allem auch die Beratungseinrichtungen der Wohlfahrtsverbände sowie viele alte und neue ehrenamtliche Arbeitslosen- und Sozialhilfeinitiativen. Zum Teil

wurden sie hierfür in der Presse gewürdigt. Ihnen allen sei auch gedankt.

Ihre Arbeit wird durch Hartz IV keineswegs überflüssig. Auch zukünftig wollen jedenfalls wir von den Grünen die Initiativen der Selbsthilfe bewegen, Bedürftige finanziell unterstützen, nicht mit Reichtümern, aber mit Mietzuschüssen und Ähnlichem, damit sie ihre freiwillige Arbeit für bürgerschaftliches Engagement weitermachen können. Bürgerschaftliches Engagement ist nicht nur eine Sache der Schönen und der Reichen, sondern es ist eine Sache aller Menschen. Das muss hier gewürdigt werden.

Ich ziehe meinen Hut vor all dem, was hier geleistet worden ist, aber ich komme auf eine Reihe von Problemen, die im Augenblick noch gelöst werden müssen. Sie waren auch Gegenstand der Beratungen im Ausschuss. An dieser Stelle einer Bilanz sollten wir uns noch einmal vergegenwärtigen, was zu tun ist. Es ist natürlich noch eine Menge zu tun. Die grundsätzlich in Nürnberg gefertigten Leistungsbescheide weisen am Anfang vielfach noch rechtliche Mängel auf. Aus ihnen sind die Einzelberechnungen auf den Individualfall nicht immer gut nachzuvollziehen. Außerdem gibt es auch erhebliche Datenschutzprobleme. Das ist auch verschiedentlich in Landtagsausschüssen thematisiert worden. Zu diesen beiden ersten Punkten hat die Bundesagentur für Arbeit in ihrem Vermerk durch die Regionaldirektion an den Landtag Verbesserungen angekündigt. Wir werden dies beobachten.

Das Thema Krankenversicherung für nicht verheiratete Partnerinnen und Partner, bei denen einer der beiden als Erwerbsloser aufgrund des Einkommens des anderen kein ALG II erhält, soll jetzt zwar gelöst werden - dazu gibt es ja Vorschläge, die auch durch die Presse gingen -, die bisherige Regelung hierzu hilft aber noch nicht in allen Fällen. Das zeigt einmal mehr, dass sich die Hartz-Gesetzgebung - wie viele Gesetze in unserem Staat - immer noch an der überholten Norm des Haushaltsvorstands orientiert. In der Realität trifft diese Regelung vor allem Frauen, denen eine ökonomisch eigenständige Existenz nicht zugestanden wird. Hier sehen wir erheblichen Nachbesserungsbedarf.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist kein Geheimnis, das haben wir vor der Reform gesagt und das sagen wir auch nach der Reform.

Offen geblieben ist in der bisherigen Landtagsanhörung die Höhe der Fördermittel der Bundesagentur 2004 und 2005. Herr Rohwer, Sie haben ja auch darauf hingewiesen: Jetzt muss das Fördern losgehen. Vom Zahlenverhältnis her ist die Infrastruktur der

(Angelika Birk)

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschaffen. Das ist gut so. Das hatte ich - ehrlich gesagt - in diesem Tempo nicht erwartet. Ich bin positiv überrascht. Aber jetzt kommt es natürlich darauf an, dass auch wirklich alle einen Ansprechpartner finden. Dazu gehören für uns auch die Berufsrückkehrerinnen und erwerbslose Frauen, die wegen des Partnereinkommens kein ALG II erhalten, denn auch sie wollen natürlich beraten und gefördert werden. Sie wollen den Einstieg in den Arbeitsmarkt schaffen. Sie sind ja nicht weniger motiviert als andere, die ALG II erhalten.

Vielerorts werden Schuldner- und Suchtberatungen jetzt ebenfalls neu strukturiert. Wir begrüßen, wenn im Bedarfsfall die neuen, für die ALG IIEmpfängerinnen zuständigen Stellen den Weg zur Sucht- und Schuldnerberatung ebnen. Das war ja ein Ziel: Hilfe aus einer Hand.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir warnen allerdings davor, jetzt unbesehen die Leistungen der örtlichen Drogen- und Suchtberatungen alle auszuschreiben und damit das bisherige Beratungsangebot für alle Hilfeempfänger und überhaupt alle Ratsuchenden, also auch für diejenigen, die nicht arbeitslos sind, infrage zu stellen. Es ist klar, dass es nicht in jedem Ort fünf Suchtberatungen gibt - welche für Arbeitslose, welche für Erwerbstätige und welche für Junge und für Alte -, sondern das natürlich meistens in den Händen der Wohlfahrtsverbände liegt.

Ich komme zu meinen beiden letzten Anmerkungen: Die Ein-Euro-Jobs - ein unglücklicher Name, wie wir alle finden - sollten nach unserer Ansicht nicht auf die Wirtschaft ausgedehnt werden, sondern es gibt eine gute Initiative der Wohlfahrtsverbände, hier Rahmenbedingungen zu schaffen. Da müssen wir auch öffentlich im Gespräch bleiben, denn auch diese Menschen sollen ein Minimum an Arbeitsrechten haben.

Die demokratische Kontrolle der durch die Sozialgesetzgebung neu geschaffenen Institutionen muss auch vor Ort geschehen. Wir ermutigen die Kommunen deswegen nachdrücklich, hierfür Beiräte aus Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und kommunalen Abgeordneten vorzusehen, wie es auf unsere Initiative in Berlin hin in dem Gesetz ermöglicht worden ist.

Die Dokumentation der Finanzströme - das war ja auch ein Argument des Ministers - ist tatsächlich ein heißes Eisen. Sie ist wichtig und sie ist genau zu machen. Dazu gehört für uns auch die Dokumentation des Bedarfs an Kinderbetreuung. Denn es ist natürlich klar, wenn man Gesetze wie das Kindertagesbetreu

ungsgesetz auf den Weg bringen will, wenn man das Recht Erwerbssuchender auf Kinderbetreuung ernst nimmt, dann muss man natürlich auch hierzu genau dokumentieren.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal das Kombilohnmodell der Landesregierung in ASH loben. Das ist eine gute Alternative zu anderen Instrumenten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Ich erteile der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits in der letzten Sitzung des Sozialausschusses haben wir uns mit der Problematik der Umsetzung von Hartz IV auseinander gesetzt. Die Arbeitsagentur, nämlich die Regionaldirektion Nord, die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Landesverbände und die Landesregierung haben hierzu vorgetragen. Es sind zwischenzeitlich alle Vereinbarungen bei den Arbeitsgemeinschaften geschlossen worden und es gibt 1.280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich mit den Anträgen beschäftigen. Zumindest für den Bereich der Jugendlichen und jungen Erwachsenen - das hat der Herr Minister auch schon genannt - wurde die angestrebte Besetzung der Stellen mit 1:75 erreicht. Für den Bereich der Erwachsenen wird seitens der Arbeitsagentur gehofft, dass man im Laufe des Jahres Verbesserungen erreicht.

Die Dimension der Besetzungsmängel zeigt sich an den tatsächlichen Zahlen: Es gibt in SchleswigHolstein circa 12.700 Jugendliche, die zu betreuen sind, aber circa 117.000 erwachsene Personen. Es gibt Sachbearbeiter, die bis zu 700 Arbeitssuchende in ihrer Kartei haben.

Unter dieser Voraussetzung kann der einzelne Arbeitslose von der Arbeitsagentur nicht vernünftig und zielführend betreut werden. So verkommt die Arbeitsagentur wieder zur reinen Arbeitsverwaltung und wird ihrem Auftrag zur Arbeitsvermittlung nicht gerecht.

Bevor man Hartz IV in Kraft gesetzt hat, hätte man dafür sorgen müssen, dass ausreichend Vermittlungsmitarbeiter bei den Zentren zur Verfügung stehen.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

(Silke Hinrichsen)

Alles andere ist ein Hohn für die Betroffenen und deshalb wird Hartz IV weiterhin als reiner Sozialabbau und nicht als Hilfe für die Arbeitslosen angesehen.

Ich möchte kurz auf einige weitere Probleme bei der Umsetzung von Hartz IV eingehen. Eine von den kommunalen Landesverbänden angesprochene Leistung ist die Krankenversicherung, die im Moment für einige Menschen zu einem Problem geworden ist. Darauf sind meine Vorredner zum Teil schon eingegangen und der Kollege Kalinka hat zu diesem Thema netterweise auch noch eine Kleine Anfrage gestellt.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Es hätte mich auch gewundert, wenn nicht!)

Die scharfe Abgrenzung zwischen SGB II und SGB XII führt dazu, dass Menschen hier möglicherweise durch das Raster fallen. Jemand ist arbeitsfähig und hat einen Antrag auf Leistung auf ALG II gestellt. Im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft wird festgestellt, dass kein Anspruch auf ALG II besteht. Aber durch die dann erforderliche eigene Zahlung des Krankenversicherungsbeitrages entsteht eine nach den bisherigen Maßstäben vorhandene Hilfebedürftigkeit, die jedoch nicht geleistet werden kann, da die Leistung auf Krankenhilfe nach dem SGB XII nicht gewährt werden darf. Hier muss unbedingt nachgebessert werden. Auch die kommunalen Landesverbände haben hier schon viel getan, Verwaltungskunst ausgeübt - wie Sie sagten -, um den Betroffenen zu helfen. Ich finde es gut, dass jeder hier das Problem sieht. Hier muss dringend eine ordentliche Lösung herbeigeführt werden.

(Anke Spoorendonk [SSW]: So ist das!)

Ein weiteres Problem ist der Kindertagesstättenbesuch. Jeder Kreis und jede kreisfreie Stadt hat eine Sozialstaffel beschlossen, wie Geringverdienende gegebenenfalls von der Zahlung von Kindergartenbeiträgen freigestellt werden können. Hier hat der Landtag ein Ausführungsgesetz zum SGB II beschlossen, welches als Freistellung von der Zuzahlung die Grenze nennt: 85 % gleich bisherigem Sozialhilfesatz.

In der damaligen Debatte hat der SSW ausgeführt, dass diese Grenze für die Freistellung zu niedrig ist. Es gibt nämlich heute keine einmaligen Beihilfen mehr für ALG II-Bezieher nach dem bisherigen BSHG. Dies führt dazu, dass der Betrag, der oberhalb des bisherigen Sozialhilfesatzes liegt, dazu dient, Einkäufe und Ansparungen vorzunehmen. Dieses Geld kann jedoch durch die Beiträge für den Kindergartenplatz aufgebraucht werden. Diese Regelung soll

nach dem 30. Juni 2005 evaluiert werden. Wir hätten uns gern eine umgekehrte Regelung gewünscht.