Protocol of the Session on January 28, 2005

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Ein weiteres Problem ist die Anrechnung beim ALG II von Geldern, die Personen aus dem Verkauf der Obdachlosenzeitung, in Schleswig-Holstein „Hempels“, erhalten. Grundsätzlich sind Zuwendungen von Trägern der Wohlfahrtspflege ausdrücklich von einer Anrechnung beim Arbeitslosengeld II ausgenommen. In Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen werden die Gelder aus dem Verkauf von Obdachlosenzeitungen als Spenden in diesem Sinne angesehen und werden deshalb den Verkäufern von Obdachlosenzeitungen nicht angerechnet. Deshalb sollte es auch in Schleswig-Holstein eine derartige Regelung geben. Denn für viele wird der Start in ein anderes Leben durch diese Eigenleistung, den Verkauf der Zeitung, erleichtert. Auch die Käufer der Obdachlosenzeitungen wissen, dass sie einen Teil der Zahlung direkt an den Verkäufer spenden.

Aus Sicht des SSW zeigen diese Beispiele weiterhin, dass das Gesetz mit einer heißen Nadel genäht ist und bisher nicht hält, was es verspricht.

Der Kollege Dr. Garg hat vorhin gesagt, es wäre sinnvoller gewesen, mindestens zu warten, um all die Widrigkeiten und Unstimmigkeiten zwischen SGB II und SGB XII auszugleichen. Sie führen jetzt zu tatsächlichen Problemen. Zwar bemühen sich alle zu helfen, aber es können leider nicht alle helfen, weil das dann contra legem wäre. Das bedauere ich sehr.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW], Klaus-Peter Puls [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Trutz Graf Kerssenbrock das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Minister hat Hartz IV einen Beitrag zur Wahrheit und Klarheit genannt. Das wollen wir gern unterschreiben. Die Wahrheit und Klarheit dürfte insbesondere zur Monatswende kommen, wenn die Arbeitslosenzahlen bekannt werden. Sie haben da schon ein bisschen vorgebaut. Sie liegen in Schleswig-Holstein bei knapp 150.000 Arbeitslosen per Dezember 2004. Das werden zum Monatswechsel wohl deutlich mehr werden.

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

Dann werden wir einen Beitrag zur Wahrheit und Klarheit haben, wo wir nach 17 Jahren sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik in Schleswig-Holstein stehen

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

und wie hoch die wirklichen Arbeitslosenzahlen sind, die bisher immer geschönt worden sind.

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben sich den seichten Start von Hartz IV ja auch teuer erkauft, nämlich durch die Doppelzahlungen zum Jahreswechsel, nämlich die Zahlung der Sozialhilfe zum Jahreswechsel und des ALG II gleich zu Beginn.

Das ist natürlich ein bequemer und seichter Start, weil viele derjenigen, die nicht mehr anspruchsberechtigt sind, das erst zum nächsten Monatswechsel richtig merken. Erst dann wird es ein bitteres Erwachen geben. Darauf müssen wir uns wohl einstellen. Das ist ein ziemlich billiger Trick, um die Klagen in Grenzen zu halten. Wir können jetzt lesen: Die Zahl der Klagen bei den Sozialgerichten ist sprunghaft angestiegen. Wir sind inzwischen bei deutlich mehr als 1.000 Klagen bei den Sozialgerichten. Die Sozialgerichte mahnen schon neues Personal an. Das kommt auf Frau Kollegin Trauernicht zu, so sie dann noch im Amt ist.

(Zuruf von Minister Dr. Ralf Stegner)

- Das stimmt nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

- Wir haben nur über die Frage geredet, wer für die Sozialrichter zuständig ist, ob das Justizministerium oder das Sozialministerium. Das war der Fehler. Der Regierungswechsel wird gleichwohl stattfinden, seien Sie getrost.

Die Fallmanager von Hartz IV sind nach meinem Eindruck, soweit ich das beurteilen kann, mit ihrem Job deutlich überfordert. Hier kommen wir zu dem Bereich, den der Minister bereits angesprochen hat, nämlich die Vermittlungsleistung. Es muss sich erst noch beweisen, dass diese Leistung überhaupt kommt. Sie findet bisher überhaupt noch nicht statt. Im Moment ist es nichts anderes als die Verwaltung der bisherigen Arbeitslosigkeit, an der auch die Bundesagentur beziehungsweise die Bundesanstalt für Arbeit gescheitert ist.

Auf einen Punkt muss vielleicht doch noch hingewiesen werden. Sie haben groß angekündigt, dass Sie die

Ein-Euro-Jobs ausweiten wollen. Das ist ein weiterer Bilanztrick, um die Arbeitslosenzahlen in diesem Land zu schönen. Vor allen Dingen ist es ein ordnungspolitisch außerordentlich bedenklicher Schritt. Denn zahlreiche mittelständische Firmen werden erneut in große Schwierigkeiten gebracht, wenn die Ein-Euro-Jobs so ausgebaut werden, wie Sie sich dazu anschicken.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Das muss in der Tat unterbunden werden. Die EinEuro-Jobs passen ordnungspolitisch überhaupt nicht in die Landschaft. Ich sage ganz offen: Ich wäre nicht böse, wenn sie ganz gestrichen würden. Jedenfalls bahnt sich ein zigtausendfacher Missbrauch der EinEuro-Jobs an, der in der Tat völlig kontraproduktiv ist und nur den alten Irrweg der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der vergangenen Jahre, die alle ins Nirwana geführt haben, fortsetzen würde. Ich kann nur sagen: Wir stehen mit Hartz IV in der Tat am Anfang eines großen Projektes. Entscheidend wird die Vermittlungsleistung sein. Von ihr ist bisher noch nichts zu sehen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Auch wenn es mitunter sehr reizt: Ich bitte darum, sich auf der Regierungsbank vom Redner nicht provozieren zu lassen. Kommentare von der Regierungsbank sind nicht gestattet.

Es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit die Beratung. Der Berichtsantrag hat durch die Erstattung und Diskussion des Berichts seine Erledigung gefunden. Der Tagesordnungspunkt ist damit erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Langzeitarbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/3911

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Schade, ich habe gehofft oder zumindest angenommen, dass bei diesem zentralen Thema die Ministerpräsidentin kurz zuhört. Aber vielleicht tut sie das woanders. Denn schließlich geht es unter anderem um ihre Versprechen.

(Dr. Heiner Garg)

Ich zitiere das Regierungsprogramm der SPD zur Landtagswahl 2000, Seite 9:

„In Schleswig-Holstein soll kein Arbeitswilliger länger als sechs Monate arbeitslos sein.“

Das Versprechen Teil 2, Koalitionspapier von RotGrün, Seite 15:

„Im Rahmen des Arbeitsförderungsrechtes wollen wir am Ende der Legislaturperiode erreichen, dass kein Arbeitsuchender länger als sechs Monate arbeitslos ist.“

„Die Konjunktur, eine aktive Arbeitsmarktpolitik und eine Flexibilisierung starrer Vorschriften sind für uns die Schlüssel, um es bis zum Ende der Legislaturperiode zu schaffen, dass möglichst kein Arbeitsuchender länger als sechs Monate arbeitslos ist.“

So weit die Versprechen. Nun kommen wir zu den Tatsachen. Von Dezember 1999 bis Dezember 2004 stieg die Zahl der offiziellen Arbeitslosen um 24.978. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Es waren im Dezember 1999 121.606 Männer und Frauen in Schleswig-Holstein arbeitslos. Im Dezember 2004 waren es 146.584. Das ist eine Zunahme um 20,8 % innerhalb der zurückliegenden Legislaturperiode. Ich kann nur sagen: Versprochen, gebrochen, Frau Ministerpräsidentin, wo immer Sie auch zuhören mögen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Entscheidend für mich ist und bleibt das Versprechen, es sollte bis Anfang 2005 keine Langzeitarbeitslosen mehr geben, keine. Erinnern Sie sich? Die Ministerpräsidentin hat versprochen: Keiner soll länger als sechs Monate in Schleswig-Holstein arbeitslos sein. Im Dezember 2004 waren 50.865 Menschen in Schleswig-Holstein langzeitarbeitslos, das heißt länger als zwölf Monate ohne Arbeitsplatz. Das heißt: Versprochen, gebrochen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Natürlich ist für die konjunkturelle und für die finanzpolitische Entwicklung auf Bundes- und auf Landesebene nicht ausschließlich diese Landesregierung verantwortlich. Aber Sie tragen Mitverantwortung, Herr Finanzminister Dr. Stegner. Sie tragen für diese Entwicklung mit die Verantwortung. Wenn Sie

der Auffassung sind, Sie könnten die Rahmenbedingungen für neue Arbeitsplätze nicht allein schaffen, dann dürfen Sie so etwas am Anfang einer Legislaturperiode den Menschen nicht versprechen, die darauf warten, endlich wieder eine Perspektive zu bekommen, in Lohn und Brot zu stehen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das ist das, was ich Ihnen heute zum zentralen Vorwurf mache. Für mich ist eine Regierungserklärung, gleich, wer sie hält, nicht die Fortsetzung des vorangegangenen Wahlkampfes. Wenn man aber hier Versprechungen macht, von denen man sofort weiß, dass man sie nicht einhalten kann, dann darf man diese Versprechungen nicht machen. Man darf die Leute nicht für dumm verkaufen.

(Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU)

Die Regierungsfraktionen fragen bei diesen zentralen Themen immer sehr gern: Wo sind die Alternativen der Opposition? Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, die vielen Anträge der CDU-Fraktion zu diesem Thema herauszusuchen. Ich habe mir aber die Mühe gemacht, die FDP-Initiativen auszudrucken. Es gab insgesamt 36 Initiativen zum Arbeitsmarkt in der abgelaufenen Legislaturperiode.

(Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Liebe Frau Birk, an Ihrer Stelle würde ich den Ball wirklich flach halten. Wer wie Sie auf jeder Wahlveranstaltung, die wir auch gemeinsam bestreiten dürfen, wo es beispielsweise um Hartz IV geht, erzählt, dass die Grünen wacker für viel mehr ALG II eintreten, dass die Menschen viel mehr Geld bekommen sollen, dass sie viel mehr hinzuverdienen sollen, dass das alles an den bösen Sozialdemokraten gescheitert ist, der sollte den Ball an dieser Stelle wirklich ganz flach halten.

(Glocke der Präsidentin)

- Liebe Frau Präsidentin, ich komme zu meinem letzten Satz. - Wir haben in der abgelaufenen Legislaturperiode Anträge zur Neuordnung der Bundesagentur für Arbeit eingebracht. Die Kollegin AschmoneitLücke hat unser Kombilohnmodell seit 1996 immer wieder eingebracht und vorgetragen. Der Wirtschaftsminister erzählt, es sei seit einem halben Jahr auf dem Weg. Da kann ich nur sagen: Wunderbar. Ich hoffe, dass nicht alles so lange dauert. Sie jedenfalls haben in diesem zentralen Politikfeld für SchleswigHolstein versagt.