Protokoll der Sitzung vom 21.03.2001

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das wäre schon mal ganz gut!)

Hierbei werfen Sie einen weiteren Widerspruch auf. Sie sprechen sich gegen eine Spezialisierung in der Oberstufe aus, fordern aber eine effektivere Verzahnung von Gymnasien und Hochschulen. „Wie soll das funktionieren?“, fragen wir uns. Die Verzahnung von Universitäten und Hochschulen funktioniert bislang nur über die fachliche Ebene, nicht über vorgreifende wissenschaftspropädeutische Grundsemester.

Sprechen Sie einmal mit Hochschullehrern über die Grundlagen von Abiturienten aus Fachgymnasien, die ohne Berufsausbildung den Fachschwerpunkt Wirtschaft mit den Fächern Wirtschaftslehre und Rechnungswesen gewählt haben. Diese Abiturienten sind, wenn sie ihrem Fachschwerpunkt folgen, auf ein Grundstudium ihres Faches besser vorbereitet als Generalisten.

Die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit ist auch das Ziel vieler in der Bildungspolitik engagierter Sozialdemokraten.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber - ich wiederhole das - wir werden das Gymnasium auch bei Verkürzung der Schulzeit nicht zukunftsfähiger machen, wenn wir mit relativ antiquierten Erwartungshaltungen und alten Rezepten versuchen, den Lehrstoff zu vermehren und die Zahl der Prüfungsfächer auszuweiten. Wir müssen einen anderen Weg gehen. Lassen Sie uns in Ruhe darüber diskutieren.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Machen Sie Vorschläge!)

Das Wort für die F.D.P.-Fraktion erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über das Thema „Weiterentwicklung des Gymnasiums“ nachzudenken, ist wahrhaftig ein lobenswertes Bemühen. Das gilt umso mehr in einer Situation, in der die Landesregierung soeben mit ihrem einzigen konkreten Vorhaben in diesem Bereich, nämlich mit den Modellversuchen zum so genannten Turbo-Abitur, grandios Schiffbruch erlitten hat.

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock [CDU]: So ist es!)

Wie konnte es denn auch anders sein bei undurchdachten Versuchskonzepten, schlechter Vorbereitung und einer Begleitmusik vonseiten der Ministerpräsidentin, die das „Abitur in 12 Jahren“ im September letzten Jahres auf einer Veranstaltung der IHK und der Unternehmensverbände mit der Bemerkung verband ich zitiere aus den „Kieler Nachrichten“ vom 22. September vergangenen Jahres -: „Bei der Bildung müssten auch Abstriche einkalkuliert werden“? Mit einem „Abitur light“ wird man Eltern kaum ein Motiv an die Hand geben können, ihre Kinder zu solchen Schulversuchen anzumelden.

Die F.D.P. setzt sich seit langem für eine generelle Einführung des „Turbo-Abiturs“ in den Gymnasien ein,

(Beifall bei der F.D.P.)

allerdings mit einer Reihe von Vorgaben, die die Qualität gymnasialer Bildungsabschlüsse sichern. In frühe

(Dr. Ekkehard Klug)

ren Landtagsdebatten habe ich hierauf bereits im Detail Bezug genommen. Ich will das jetzt nicht wiederholen, übrigens auch deshalb nicht, weil ich sonst in den fünf Minuten Redezeit nichts mehr zu den anderen Punkten des CDU-Antrags sagen könnte.

Die Verbreiterung der Abiturprüfung auf fünf Prüfungsfächer ist eine Forderung, die wir Liberale seit langem auf unsere Fahnen geschrieben haben. Sie ist im letzten F.D.P.-Landtagswahlprogramm enthalten. In diesem Punkt also Übereinstimmung, Kollege de Jager! Die Übereinstimmung endet allerdings an diesem Punkt.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das ist eigent- lich schade!)

Leider ist der Antrag insgesamt aus meiner Sicht nicht zustimmungsfähig, und zwar deshalb, weil vieles recht vage formuliert ist - um nicht zu sagen, sehr undeutlich - und man manchmal nicht genau weiß, was genau die Union mit ihrem Antrag will. Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen.

Erstes Beispiel: Die Kritik an der reformierten Oberstufe. Was will uns der Dichter hier sagen? Soll das Kurssystem abgeschafft und soll der Klassenverband generell wieder eingeführt werden? Falls die Union dies will, dann sollte sie es auch zur Diskussion stellen, sodass wir darüber debattieren können.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

In dieser Diskussion würde ich mich eher kritisch einlassen.

Zweites Beispiel: Der Antrag fordert, dass manche Fächer wie die Naturwissenschaften, die Fremdsprachen und Fächer, die die ökonomische Bildung zum Inhalt haben, verstärkt unterrichtet werden sollen und erweiterte Orientierungshilfen für das Studium gegeben werden sollen. Das soll trotz eines Schuljahres weniger möglich sein? Es stellt sich daher die Frage, was denn wegfallen soll.

(Beifall bei der F.D.P., vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Oder will die CDU an den Gymnasien in Zukunft die 40-Stunden-Unterrichtswoche einführen? Eine allgemeine Floskel wie „Straffung der Bildungsinhalte“ halte ich als Lösungsangebot für das geschilderte Problem für nicht überzeugend.

Ich nenne ein Beispiel dafür, was man konkret machen könnte, um in die sicherlich richtige Richtung, nämlich Stärkung der Naturwissenschaften, zu gehen: In der

gymnasialen Oberstufe sollten die jetzt enthaltenen Projektkurse und der so genannte vertiefende Unterricht gestrichen werden. Die dafür bislang vorgesehenen Unterrichtsstunden könnte man für einen verstärkten mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht nutzen. Damit hätte man erreicht, dass mehr mathematisch-naturwissenschaftliche Grundbildung in den Gymnasien vermittelt würde; denn Projektarbeit und Methodenvermittlung, die man mithilfe der beiden abzuschaffenden Kursangebote erlernen kann, gehören in jedes Unterrichtsfach - das ist eine altbekannte Auffassung von uns - und sollten nicht in besonderen Kursen separat unterrichtet werden. Das ist ein konkreter Vorschlag, wie man die Stellung der Naturwissenschaften an den Gymnasien verstärken kann.

Kollege Höppner, daneben halte ich es auch für sinnvoll, in Bezug auf die Naturwissenschaften über Vorschläge nachzudenken, wie sie der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände kürzlich unterbreitet hat. Er hat gesagt, dass wir an einzelnen Gymnasien mathematisch-naturwissenschaftliche Leistungszentren schaffen sollten. Mit anderen Worten: Es sollen Leuchttürme für die Naturwissenschaften gebildet werden.

Das passt doch genau in unsere Vorstellung, dass die einzelnen Schulen besondere Profile entwickeln sollten. Einige Gymnasien sind im Bereich der Naturwissenschaften und der Mathematik besonders profiliert, während andere Gymnasien besondere Profile für Fremdsprachen entwickeln. Wir haben heute schon in Kiel mit dem Ernst-Barlach-Gymnasium eine Schule, die sich besonders im Bereich der musisch-künstlerischen Fächer profiliert. Das sind doch interessante Ansätze zur Entwicklung von besonderen Profilen innerhalb unseres Schulsystems. Auf diese Weise kann man unter anderem etwas für die Naturwissenschaften tun.

Trotz der Kürze der Zeit konnte ich zwei Beispiele nennen, wie man das in dem CDU-Antrag geforderte Ziel realisieren könnte. Mir fehlen in diesem Antrag allerdings konkrete Punkte. Deshalb schlage ich Überweisung an den Ausschuss und weitere Diskussion dort vor.

(Beifall bei der F.D.P.)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Abgeordnete Angelika Birk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-Fraktion will mit ihrem Antrag die Rückkehr zu

(Angelika Birk)

einer Form des Gymnasiums, wie es die meisten ihrer Abgeordneten als Kinder selbst erlebt haben - das kann ich diesem Antrag entnehmen -; aber die Schulzeit soll um ein Jahr kürzer sein. In meiner Schulzeit wurde die Schule noch „Penne“ genannt. Ich kann nur sagen: Die Penne von gestern vermittelt nicht die Schlüsselqualifikationen, um die Probleme von morgen lösen zu können.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Woher wol- len Sie das wissen?)

So viel zur generellen Kritik an Ihrem Antrag!

Herr Klug ist ebenso wie Herr Höppner schon auf das Thema neusprachliche und naturwissenschaftliche Gymnasien eingegangen. Ich kann nur hinzufügen: Die Durchsetzung des neusprachlich oder naturwissenschaftlich orientierten Gymnasiums war im frühen - in manchen Bundesländern erst im späten - 20. Jahrhundert ein Akt der Emanzipation der Lehrergeneration, mindestens der Generation unserer Eltern. Man wollte weg von dem humanistischen, altphilologischen höheren Knabengymnasium des 19. Jahrhunderts.

Heute aber einen solchen Topos zu wählen, bedeutet eine Rückkehr zu einer Weichenstellung, deren Fortschritt lange zurückliegt. Wir brauchen heute die Vielfalt der Schulprofile der Gymnasien. Wir brauchen eine lernende Schule, wie sie uns die Lehrerbildungskommission zu Recht als Leitbild empfiehlt. Neben der sprachlichen und naturwissenschaftlichen Ausprägung sind längst weitere Profile entstanden, nicht nur das musische Profil, das ich mir übrigens in Schleswig-Holstein häufiger wünschen würde, sondern auch sportliche, ökonomische und ökologische Profile. Vielleicht werden noch weitere Profile hinzukommen, von denen wir uns heute noch keine Vorstellung machen können.

Ganz bestimmt müssen unsere Schulen internationaler werden. Es ist begrüßenswert, dass immer mehr Gymnasialschülerinnen und -schüler während ihrer Schulzeit einige Monate - manchmal sogar ein ganzes Jahr im Ausland, vor allen Dingen in den USA, verbringen. Dies sollte für die Politik ein Ansporn sein, den internationalen Austausch aller Schulen, insbesondere aber der Gesamtschulen und Gymnasien, zu fördern und - auch dies ist eine Zukunftsvision - mehr Europaschulen zu schaffen. Wir können dies aber nur dann tun, wenn wir eine kürzere Schulzeit einführen. Dazu müssen wir den Lehrstoff gründlich entrümpeln.

Die Tatsache, dass bisher erst zögerlich Modellversuche zum „zwölfjährigen Gymnasium“ in SchleswigHolstein angenommen wurden, bestärkt uns in der Kritik, Frau Erdsiek-Rave, dass es vielleicht doch nicht richtig war, eine Verdichtung der Lerninhalte in

den Klassen sechs und sieben vorzunehmen. Damit wird die in der Bundesrepublik im Gymnasium eh schon emotional und leistungsmäßig stark belastete Zeit der Orientierungsstufe aus unserer Sicht überfrachtet. Wenn das „zwölfjährige Gymnasium“ ein Erfolg werden soll, dann kann das aus unserer Sicht am ehesten geschehen, wenn die Neuorganisation des Lehrstoffes vor allem ab Klasse zehn erfolgt. Nicht umsonst wählen viele Schülerinnen und Schüler ihre Auslandsaufenthalte in Klasse elf. Ich erkenne daran, dass man bei den Eltern und bei den Schülerinnen und Schülern offensichtlich den Eindruck hat, dass hier einerseits Schulstoff und Zeit einzusparen sind und dass man andererseits die eingesparte Zeit im Ausland verbringen kann. Das ist zwar keine Antwort auf Fragen zur Situation an den Schulen, aber diese Entwicklung macht doch nachdenklich.

(Martin Kayenburg [CDU]: Sie haben noch nicht gesagt, was Sie entrümpeln wollen! Das sind nur Allgemeinplätze!)

Wer die Reform des Gymnasiums will, der muss auch die Gesamtschulen in diesen Prozess mit einbeziehen; denn auch da gibt es bekanntlich eine Oberstufe. Die Gesamtschulen spielten bei der Diskussion um das „zwölfjährige Gymnasium“ bisher keine Rolle. Ich sage salopp dazu: Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Der Antrag der CDU ist aus unserer Sicht nicht abstimmungsreif. Er sollte im Ausschuss beraten werden. Wir sagen sehr deutlich Nein zur Rückkehr zu einer veralteten Form der Oberstufe ohne ein Kurssystem. Wir sagen aber Ja zum Nachdenken darüber, wie man die zwölfjährige Schulzeit so gestalten kann, dass sie für alle Schülerinnen und Schüler ein Erfolg wird und nicht etwa die Schaffung eines Elitegymnasiums zur Folge hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD - Martin Kayen- burg [CDU]: Müder Beifall!)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende CDU-Antrag ist ausführlicher als der Antrag, den wir vor nicht einmal einem Jahr debattierten. Damals ging es - kurz und gut - um die Einführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren. Heute geht es um etwas mehr. Der Landtag soll „Kürzer und besser“ - wie es heißt - eine „Weiterentwicklung des

(Anke Spoorendonk)

Gymnasiums“ beschließen, und zwar so, wie es die CDU gern haben möchte.