Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet. Erkrankt sind nach wie vor die Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmcrone und Bernd Schröder, denen wir gute Besserung wünschen.
Ich möchte bekannt geben, dass sich die Fraktionen auf folgenden Ablauf verständigt haben: Wir beginnen mit den Tagesordnungsordnungspunkten zur Stammzellenforschung, danach behandeln wir Punkt 30 - PID - und im Anschluss daran die Auswirkungen der deutschen Ostseeratspräsidentschaft.
Okay, danach behandeln wir Tagesordnungspunkt 31. Es wäre schön gewesen, wenn das beim Präsidium rechtzeitig angekommen wäre.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich weise darauf hin, dass die Regierung darum gebeten hat, etwas mehr Redezeit als ursprünglich vereinbart in Anspruch nehmen zu dürfen, das heißt von 10 auf 15 Minuten zu erhöhen. Ich gehe davon aus, dass das mit den Geschäftsführern abgesprochen ist, sodass auch den Fraktionen zusätzliche Redezeit zur Verfügung steht, die natürlich nicht in Anspruch genommen werden muss.
Mit dem Antrag wird die Regierung aufgefordert, den Bericht in dieser Tagung zu geben. Ich erteile zunächst der Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur, Frau Erdsiek-Rave, das Wort zum Bericht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Biomedizin und Gentechnik sind in neue Grenzbereiche vorgedrungen und werfen neue ethische Fragen auf. Wir sind nicht in der Lage, durch Zwänge oder Argumente die Wissenschaft aus diesem Grenzbereich zurückzuholen. Vielmehr erfordert jedes weitere Vordringen von neuem die fundierte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen. Wir erfahren dabei, dass es auf nahezu keine Frage kategorisch eindeutige Antworten gibt. Immer wieder stehen wir vor der Notwendigkeit einer Güterabwägung und diese Abwägung ist ohne Maßstäbe nicht zu führen. Im Mittelpunkt steht dabei das Gebot der Menschenwürde.
Manchmal ist diese Güterabwägung allerdings auch einfach zu treffen. Eine Herstellung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen, wie dies gestern bekannt wurde und heute überall berichtet wird, ist in meinen Augen verwerflich und sollte international verhindert und geächtet werden.
Durch die Ereignisse der letzten Wochen insbesondere in Schleswig-Holstein hat sich die Debatte erheblich verschärft und zugespitzt und der Druck auf Entscheidungen des Gesetzgebers, aber auch auf die Wissenschaft verstärkt. Ich finde das richtig und gut so, weil so klar geworden ist, dass die Forschung auch in Schleswig-Holstein schon sehr viel weiter ist, als die Öffentlichkeit dies wusste. Dass die betreffenden Forscher dabei die Sensibilität des Gegenstandes trotz der schon laufenden Debatte erheblich unterschätzt haben, ist - finde ich - zu Recht kritisiert worden.
Eine „Skandalisierung“ finde ich allerdings nicht angebracht. Ich finde es auch nicht akzeptabel, dass die betroffenen Forscher häufig persönlich diffamiert wurden und ihre Einrichtungen öffentlich gewissermaßen zu kühl kalkulierten Ersatzteillagern medizinischer Art degradiert wurden.
Tatsächlich ging es in Kiel bei Herrn Professor RoseJohn um eine Projektidee, die dieser einer australischen Gentechnikfirma vorgestellt hat. Ohne dass Verträge oder sogar Lieferungen vereinbart worden wären und vor allem dass der Betroffene selbst informiert gewesen wäre, hat das Unternehmen bekannt gegeben, mit Herrn Rose-John zusammenarbeiten zu wollen. Herr Rose-John, den ich als ebenso ambitionierten wie integren Wissenschaftler kenne und schätze,
hat inzwischen erklärt, die vorgeschriebenen Einrichtungen und Gremien selbstverständlich beteiligen zu wollen und das Votum, das beispielsweise die Ethikkommission abgeben wird, konsequent zu beachten.
In Lübeck handelt es sich um eine Lieferung von Stammzellen einer US-amerikanische Firma, die weder geöffnet noch benutzt worden ist; der ehemalige Mitarbeiter des Lübecker Universitätsklinikums, Dr. Franz, ist heute in München tätig und sein mit den Zellen geplantes Projekt wird in Lübeck nicht fortgeführt.
Manche Berichterstattung der letzten Wochen las sich, als sei hier Frankenstein am Werk. Aber die Zuspitzung hat einen wichtigen Effekt gehabt: Sie hat die Ambivalenz der Möglichkeiten und Folgen deutlich zutage treten lassen.
Stammzellen sind derzeit die größte Hoffnung der Wissenschaft auf dem Weg zu neuen Gewebetherapien für Krankheiten wie Parkinson, Multiple Sklerose oder Alzheimer. Diese Zellen lassen sich aus drei Quellen gewinnen: aus wenige Tage alten Embryonen, aus abgetriebenen Föten sowie aus dem Körper von Erwachsenen. Mit der Forschung an embryonalen Stammzellen verbinden viele Forscher die größten Hoffnungen, Patienten künftig mit Zell- und Organersatz, der nicht abgestoßen wird, helfen zu können, Möglichkeiten, die mit erwachsenen Stammzellen nach Auffassung vieler Wissenschaftler nicht gegeben sind. Aussagen über die viel zitierten Risiken und Nebenwirkungen sind aber noch genauso wenig zu treffen wie eine genaue Abschätzung des tatsächlichen Potenzials dieser Stammzellen.
Obwohl die medizinischen und klinischen Anwendungsmöglichkeiten heute noch weit entfernt sind, verbinden viele Betroffene und ihre Angehörigen mit dieser Forderung große Hoffnungen. Das nehme ich ernst. Auch den Forschern geht es in ihrer großen Mehrheit nicht nur um die reine Erkenntnis, den so genannten Forscherdrang, sondern um die Anwendung zum Wohl der Menschen. Auch das sollten wir anerkennen.
Gewonnen werden die embryonalen Stammzellen bisher aus menschlichen Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung überzählig sind. Dadurch wird werdendes menschliches Leben zerstört. Das ist in Deutschland nach den Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes verboten; nach den Buchstaben des Gesetzes ist es aber nicht verboten, Forschung an aus
dem Ausland eingeführten menschlichen Stammzellen zu betreiben. Spätestens an diesem Punkt müssen wir uns mit der Ambivalenz dieses Teilbereichs der Gentechnik auseinander setzen. Dabei geht es nicht so sehr um die Bestimmung des wissenschaftlich und technisch Machbaren, sondern vielmehr um die gesellschaftlichen Auswirkungen und die ethischen Fragen, die damit in engem Zusammenhang stehen.
In der vergangenen Woche hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft beschlossen, die intensive öffentliche Diskussion über die Verwendung von Stammzellen zu Forschungszwecken nicht durch konkrete Förderentscheidungen zu beeinflussen. Das ist gut so. Sie nehmen damit ihre doppelte Verantwortung gegenüber der Wissenschaft und gegenüber der Gesellschaft wahr. Der Bundestag hat am 3. Juli mit ähnlicher Tendenz beschlossen, die Stellungnahmen sowohl des Nationalen Ethikrates als auch der Enquetekommission des Bundestages abzuwarten und erst im Herbst eine Entscheidung zu treffen. Dieser Zeitraum ist äußerst knapp, aber er ist zweckmäßig und sollte auch Richtschnur für unsere Aktivitäten in SchleswigHolstein sein.
Wir sollten dabei eines nicht aus den Augen verlieren: Dies kann nur einen Aufschub bedeuten, einen Aufschub dafür, dass konkrete Lösungen entwickelt werden müssen. Wir dürfen Schleswig-Holstein und Deutschland forschungspolitisch nicht von der weltweiten Entwicklung abkoppeln.
Die medizinische Forschung in Schleswig-Holstein befindet sich auf hohem Niveau, auch und gerade im Bereich der Humangenomforschung und in der Gentechnologie. Gerade die öffentliche Förderung von Forschung auf diesem Gebiet ermöglicht erst Transparenz und eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie uns als Zuschauer von ausländischen Entwicklungen nämlich verwehrt würden. Eine Selbstbescheidung Schleswig-Holsteins auf bloße Lizenzfertigung oder Anwenderlösungen würde im Zeitalter von Binnenmarkt und Internet nur dazu führen, dass wir das importieren, was bei uns verboten, aber in unseren Nachbarländern erlaubt ist. Ich finde, auch das wäre eine moralisch höchst fragwürdige Praxis.
Wir würden Wissenschaftler verlieren, die ihre gesellschaftliche Verantwortung in Deutschland wahrneh
Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das Gewinnen von Erkenntnissen sich nicht verbieten lässt.
Wer dies meint, unterliegt einer Selbsttäuschung; der täuscht sich selbst. Über die Anwendung der Ergebnisse allerdings muss die Gesellschaft entscheiden. Sie muss Regeln dafür setzen und immer wieder neu abwägen. Das wird uns nicht erspart bleiben.
Ich begrüße auf der Besuchertribüne Besuchergruppen der Schule für Erziehungshilfe am Kastanienweg, Bad Bramstedt, und des Kurses Wirtschaftspolitik der Uni Flensburg.