Protokoll der Sitzung vom 12.07.2001

und Ihnen sagen, dass es große Übereinstimmung mit uns gibt.

Mit der Diskussion um die Embryonenforschung behandeln wir heute eine der Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts. Das 1991 geschaffene Embryonenschutzgesetz war seinerzeit vorbildlich für ganz Europa und wurde von vielen EU-Mitgliedsstaaten nachgeahmt. Auch die Umsetzung war vorbildlich. Weder das blinde Vertrauen in den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt noch eine irrationale Technikfeindlichkeit prägten das Handeln, sondern ein stets ethisch verantwortlicher Umgang mit diesem äußerst sensiblen Thema.

Nach nur zehn Jahren merken wir, dass das Embryonenschutzgesetz der Rasanz des Tempos der Forschung nicht mehr standhält. Dass erneut Handlungsbedarf entstanden ist, ist zunächst einmal etwas Positives. Es ist vor allem der Wissenschaft in Deutschland, Europa und der Welt zu verdanken, dass der Fortschritt neue gesetzliche Regelungen notwendig macht.

(Dr. Johann Wadephul)

Ohne diesen Fortschritt wären wir in vielen Bereichen der Wissenschaft um viele segensreiche Errungenschaften ärmer. Ich nenne nur die Forschungen in den Bereichen Umwelt, Nahrungsmittel oder Medizin, Felder, die gerade bei uns in Schleswig-Holstein sehr prägend sind. Deswegen sollten wir allen Wissenschaftlern und Forschern in Schleswig-Holstein an dieser Stelle für ihre Arbeit Danke sagen.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

Wir müssen feststellen: Es geht in der wissenschaftlichen Debatte nicht mehr um die Frage, wie wir bei Biotechnologie und Gentechnik die Grundlagen ermitteln, sondern darum, wie wir dieses Wissen beim Menschen zur Anwendung bringen. Das ist die neue Dimension an diesem Thema.

Es ist der Forschung inzwischen immer mehr - als naturwissenschaftlicher Laie muss man den Eindruck bekommen - fast alles grenzenlos möglich. Es ist die Aufgabe der Politik, Grenzen zu setzen und gesetzte Grenzen neuen Entwicklungen anzupassen; denn die Grenzen haben sich verschoben. Das wird für uns, die wir Verantwortung für die Gesellschaft tragen, immer schwieriger, weil wir spüren, dass wir dabei selbst an Grenzen stoßen, Grenzen unseres Einblicks in die Materie, Grenzen des Voraus- und Nachdenkens, Grenzen des rechtzeitigen Reagierens und des verantwortlichen Agierens. Wir bewegen uns teilweise wie tapsend im absoluten Grenzbereich und suchen Halt und Orientierung; denn wir spüren, dass wir im Kern an die immer geheimnisvoll bleibende Grenze der menschlichen Existenz an sich stoßen. Es geht an die Substanz, an unsere eigene menschliche Substanz. Es geht um die Kernfrage, auch um die Kernfrage unserer Selbsterkenntnis: Was ist der Mensch? Wieweit ist menschliches Leben relativierbar? Wo beginnt die Verletzung der einzigartigen Würde des Menschen? Wo beginnen wir, uns als Geschöpfe anzumaßen, selbst Schöpfer zu spielen? Was darf der Mensch und was darf er auf keinen Fall, selbst und gerade dann, wenn er es kann?

Die Debatte heute Morgen ist zu Recht eine Debatte der leisen Töne, weil wir unter radikal veränderten Bedingungen die Würde des Menschen umso lauter verteidigen wollen. Ich wünsche mir, dass wir den unbequemen Mut haben, uns zu deutlichen Grenzen zu bekennen. Wir lehnen die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken und zu therapeutischen Zwecken ebenso ab wie die verbrauchende Embryonenforschung und das so genannte therapeutische Klonen.

(Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Trotzdem habe ich Verständnis für das Anliegen, das die freien Demokraten hier vorgebracht haben. Die Möglichkeit, Methoden der Heilung schwer kranker Menschen zu entwickeln, darf nicht leichtfertig vergeben werden.

(Beifall der Abgeordneten Brita Schmitz- Hübsch [CDU])

Wissenschaftliche Arbeit in diesem Bereich, der an die Grenzen des ethisch Vertretbaren stößt und dennoch segensreiche medizinische Neuerungen erwarten lässt, muss auf einer absolut sicheren rechtlichen Grundlage stehen und gesellschaftlich akzeptiert sein. Wir dürfen nicht in die Situation geraten, dass eine für unser Land wichtige Zukunftstechnologie in den Ruf der ethischen Fragwürdigkeit gerät.

(Beifall bei der CDU)

Für mich gibt es im Bereich der Stammzellenforschung noch mehrere offene Fragen, die geklärt sein müssen, bevor eine gesetzliche Regelung in Angriff genommen werden kann.

Ich frage mich: Ist es für unsere Gesellschaft akzeptabel, dass im Vorfeld der künstlichen Befruchtung Embryonen hergestellt werden, von denen ein Teil nicht gebraucht und „verworfen“, also nicht am Leben erhalten wird? Das akzeptieren wir anscheinend. Die Forschung an diesen überzähligen Embryonen aber steht unter Strafe. Ich kritisiere das nicht, sondern weise nur auf den Widerspruch hin.

Oder: Die Künstliche Befruchtung wird auch in Zukunft quasi verbrauchende Embryonenforschung automatisch bedingen. Wann zahlt die AOK, wann wird der Staatsanwalt tätig?

Oder: Wie gelingt es uns, Regeln aufzustellen, die unseren hohen Ansprüchen an Sicherheit und Ethik entsprechen, ohne dass wir in Kauf nehmen müssen, dass die Menschen dorthin fahren, wo weniger strenge Regeln gelten, um sich einer Behandlung zu unterziehen? Es gibt keine regionale Ethik. Wir brauchen eine globale Ethik. Wir haben in dieser Frage die Verantwortung für ein Weltethos!

Das sind in meinen Augen keine Detailfragen, die man im Zuge eines Gesetzgebungsprozesses mal so nebenbei klären kann, sondern das sind Fragen, deren Beantwortung das Wertebewusstsein unserer Gesellschaft in Zukunft mit prägen wird.

Wir müssen aus diesem Anlass auch einmal die Aufgabe von Politik erörtern. Wer steuert in diesen Fragen? Muss Politik nicht mehr tun, als ständig - auch in diesem ethisch-moralischen Bereich - auf Entwicklungen zu reagieren? Wir müssen Mechanismen entwikkeln, die es uns ermöglichen zu agieren, statt zu rea

(Dr. Johann Wadephul)

gieren. Wir müssen uns auch fragen lassen, welche Verantwortung wir haben, wenn wir - wie ich finde, töricht und leichtfertig - Begriffe wie „verbrauchende Embryonenforschung“ verwenden, die dann ebenso leichtfertig als feststehende Begriffe von der öffentlichen Meinung aufgenommen und ohne Bedenken weitertransportiert werden.

Aus all diesen Gründen stellen wir hier den Antrag, ein Moratorium zu beschließen. Wir brauchen eine Auszeit. Moratorium bedeutet nicht Denkpause, sondern Pause zum Denken, zum Innehalten, zum NachVorausdenken.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Was pas- siert in der Zwischenzeit?)

Ein solches Moratorium bedeutet noch keine Entscheidung in der Sache. Dafür ist es einfach noch zu früh, Herr Kollege Kubicki. Wir brauchen Zeit für eine ausführliche Diskussion. Wir nehmen uns das im Alltag kostbarste Gut: Zeit

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie nehmen aber auch den deutschen Forschern diese Zeit! Und nur in Deutschland!)

für das Kostbarste, nämlich unsere menschliche Würde.

Vor diesem Hintergrund ist es in meinen Augen ein zweifelhafter Vorgang, wenn in Schleswig-Holstein embryonale Stammzellen durch Wissenschaftler eingeführt worden sind. Jeder, der sich mit der Materie befasst - davon kann man bei den angesprochenen Wissenschaftlern wohl ausgehen -, weiß, dass der Import dem Geist jedenfalls der jetzigen Regelungen zuwider läuft. Es ist nur deshalb nicht ausdrücklich verboten, weil die technische Möglichkeit zum Transport und die Herstellung dieser Embryonen zum Zeitpunkt der Gesetzgebung noch nicht bekannt war.

Ich bin mir der Bedeutung der Stammzellenforschung vollauf bewusst. Wer aber eine noch heute bestehende Regelungslücke ausnutzt, um unumkehrbare Tatsachen zu schaffen, der gefährdet das Vertrauen der Bevölkerung und der Politik in die ethische Sensibilität der Wissenschaft.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Deshalb freue ich mich ausdrücklich über die heutige Aussagen der Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur, dass auch sie die Auffassung teilt, dass es sich bei einem Import um einen Verstoß handelt, sie jetzt in engem Kontakt mit den Wissen

schaftlern an den Universitäten hier in Kiel und in Lübeck steht

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ein Verstoß ge- gen was, Herr Wadephul?)

und wir Einigkeit herstellen, uns Klarheit darüber verschaffen, was wir gesetzlich regeln wollen.

Nochmals: Ein Moratorium sorgt dafür, dass in Schleswig-Holstein jetzt nicht Fakten geschaffen werden, die irgendwann vielleicht unumkehrbare Folgen auslösen, die wir alle nicht wollen.

Wir wissen, dass wir mit einer Verschiebung der Entscheidung eine hohe Verantwortung haben. Sie ist damit automatisch verbunden. Viele europäische Länder haben schon heute deutlich liberalere Regelungen als wir. Wir wollen nicht, dass Forscher und Patienten abwandern.

Eine konsequente und zielführende gesellschaftliche Diskussion ist deshalb genau der richtige Weg. Wir lassen uns dabei auch nicht durch Äußerungen des Bundeskanzlers unter Druck setzen, der meint, es muss zwangsläufig noch in diesem Jahr eine Entscheidung herbeigeführt werden. Die CDU ist der Auffassung, dass in diesem Jahr eine Entscheidung getroffen werden kann, aber nicht getroffen werden muss. Hast ist an dieser Stelle der falsche Ratgeber, um sich angemessen mit einem solchen Thema auseinander zu setzen. Wir brauchen eine intensive Diskussion. Wir brauchen eine zielführende Diskussion. Dies ist eine Stunde der Politik,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Warum haben Sie das nicht längst gemacht?)

in der wir verantwortungsbewusst, zielstrebig, aber ohne Hast miteinander diskutieren sollten. Haben wir Mut zur Verantwortung!

(Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD und SSW)

Das Wort erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Weber.

(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Frau Präsidentin, wir haben einen Antrag einge- bracht!)

- Einen Moment, bitte! - Es ist richtig, dass der zweite Antrag von der FDP-Fraktion gestellt wurde. Nur: Wir begannen mit dem Bericht; deshalb habe ich die Rei

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

henfolge abgewechselt. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich die FDP denn als Nächste aufrufen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist sowieso zwingend erforderlich, Frau Präsidentin!)

- Es ging um die Frage eines Aufrufs jetzt oder nachher, Herr Kubicki. Ihre Kollegin hat das gut verstanden.

Herr Abgeordneter Weber, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 28. Juni dieses Jahres machte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ mit der Schlagzeile auf: „Kieler Wissenschaftler erhält embryonale Stammzellen aus Australien“. Wenige Tage später, am 3. Juli, war in den „Lübecker Nachrichten“ zu lesen: „Stammzellen lagern an Lübecks Uni“. Damit hatte die wohl zurzeit wichtigste und kontroverseste forschungspolitische Debatte unserer Republik unerwartet eine schleswig-holsteinische Komponente erhalten.

Die Nachrichten platzten in eine bundesweite Diskussion hinein, die erst in jüngster Zeit durch den Vorstoß des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Clement angereichert worden war, der sich für einen Import embryonaler Stammzellen für eine Forschergruppe an der Universität Bonn im Bereich der Neuropathologie stark gemacht hatte.

Forschung mit embryonalen Stammzellen, das ist ein Thema, das nicht nur die Wissenschaft, sondern auch den Bundestag, Länderparlamente, ehemalige und den aktuellen Bundespräsidenten und neuerdings auch einen implementierten Nationalen Ethikrat beschäftigt. Dabei wird eine Mixtur rechtlicher, ethischer, wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Argumente ins Feld geführt. Wir führen unsere Debatte heute also in einem komplizierten und gleicher Weise umfassenden Kontext.