Protokoll der Sitzung vom 12.12.2001

sprechungen selbst so nicht zu finanzieren waren. Vor einem solchen Weg kann man nur warnen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich bleibe dabei: Wir werden dort sparen, wo es möglich ist. Der Personalabbau wird in allen Landesverwaltungen und Ministerien sinnvoll und zügig fortgesetzt. Ausnahmen wird es bei der Polizei, der Justiz und der Finanzverwaltung geben. Zuwächse gibt es nur in der Bildung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die Förderprogramme werden auch im nächsten Jahr heruntergefahren und alle Euros werden dreimal umgedreht, bevor sie ausgegeben werden. Dafür steht meine Fraktion.

(Lachen bei der CDU)

Aber ich werde nicht den Fehler wiederholen, den die rot-grünen Koalitionen in Hessen und Hamburg gemacht haben. Das sage ich Ihnen gleich, damit Sie sich nicht zu früh freuen. Wir werden die Sparpolitik nicht in den Bildungs- und Sicherheitsbereich ausweiten, wie es in Hessen und Hamburg passiert ist, weil die Leute gesagt haben: „Wir müssen ernst sparen“, und wie es der Steuerzahlerbund gemacht hat.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was sind Sie für ein Lügenbold! - Weitere Zurufe von der FDP)

Wir werden die Sparpolitik nicht auf den Bildungsund Innenbereich ausdehnen, um dann abgewählt zu werden und eine Opposition ran zu lassen, die mit millionenschweren Wahlversprechen in die Wahl geht und anschließend jeden von uns eingesparten Euro zum Fenster herauswirft. Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Lachen bei CDU und FDP - Zu- rufe von der FDP)

Was notwendig ist für die Zukunft, muss finanziert werden: die Erziehung unserer Kinder, die Erhaltung unserer Natur, die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft und unserer Arbeitsplätze. Dafür stehen wir und dafür verabschieden wir diesen Haushalt.

Meine Damen und Herren, wenn die Qualität eines Haushaltes umgekehrt proportional ist zur Qualität der Änderungsvorschläge der Opposition, dann kann uns die Qualität der Oppositionsanträge doch recht zufrieden stellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wenn! (Karl-Martin Hentschel)

- Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

- Herr Kayenburg, ich kann Ihnen einmal erklären, was „umgekehrt proportional“ heißt. Zufrieden sollte man in schwierigen Zeiten aber nicht sein. Man kann es nicht sein und man darf es nicht sein angesichts der Finanzlage. Es gibt genug zu verbessern. Daran werden wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner auch im neuen Jahr arbeiten.

Ich danke allen, die an dieser Arbeit in den letzten Monaten beteiligt waren. Ich bedanke mich bei der Regierung für die hervorragende Arbeit. Ich wünsche allen ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr. Wir werden im nächsten Jahr wieder mit frischem Mut miteinander kämpfen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Gehen Sie jetzt schon?)

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt das Wort der Sprecherin Anke Spoorendonk. Nach der Rede werden wir in die Mittagspause eintreten.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde anders beginnen. Mir fiel neulich im Fernsehen auf, wie krass der Kontrast doch war. Während der Bundeskanzler bei der Abschlusszeremonie der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg - zu Recht von einer „historischen Vereinbarung“ nach den Jahren des Krieges und Terrors sprach und sich als Staatsmann feiern ließ, ging es in Berlin um den Bundeshaushalt für das kommende Jahr, der nach den Worten von Finanzminister Eichel „auf Kante genäht ist“ und sich sowohl mit der Talfahrt der Konjunktur als auch mit der wachsenden Krise auf dem Arbeitsmarkt auseinander setzen musste. Sozusagen aus der heimischen Provinz wurde dem Kanzler zugerufen, dass er selbst erklärt habe, dass er sich im Wahljahr 2002 vor allem an seiner Beschäftigungsbilanz messen lassen wolle.

Gerhard Schröder selbst hat die Messlatte so hoch gehängt. Es mag ja zutreffen, was in der Haushaltsdebatte im Bundestag gesagt wurde - ich glaube das -, dass nämlich die Bundesregierung in der Bilanz 1,2 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mehr aufweisen kann. Dennoch besteht kaum ein Zweifel daran, dass die wieder steigende Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen unsicheren Zukunfts

aussichten die Menschen mehr als alles andere beunruhigen.

Dass die schlechten Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten von der internationalen Konjunkturschwäche oder gar Rezession stark beeinflusst sind, wird zwar niemand bestreiten, dass aber ein guter Teil der Probleme weiter hausgemacht ist, kann ebenfalls nicht infrage gestellt werden.

Das Wort Reformstau spielte bereits bei der letzten Bundestagswahl eine große Rolle. Für uns stellt sich die Frage, wie viel weiter wir gekommen sind. Obwohl die jetzige Bundesregierung in einigen Bereichen Reformen in Angriff genommen hat, die durchaus erfolgreich waren - Stichworte sind hier zum Beispiel die Rentenreform, das Staatsbürgerschaftsrecht oder der Atomausstieg -, kommen wir nicht darum herum, bei nüchterner Betrachtung darauf hinzuweisen, dass entscheidende Reformen entweder noch nicht in Angriff genommen oder nur zaghaft in Gang gesetzt worden sind.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW] - Unruhe)

Das gilt für den Sozial- und Gesundheitsbereich, für den Arbeitsmarkt und nicht zuletzt auch ganz entscheidend für den Bildungsbereich, wie die so genannte PISA-Studie uns wieder einmal vor Augen geführt hat. Es ist ja nicht so, dass es keine Ideen gibt oder keine Initiativen gegeben hat, um endlich durchgreifende Reformen zu erzielen. Aber beispielsweise der Fall der ehemaligen Gesundheitsministerin Fischer zeigt, wie schwer es immer noch ist, in der Bundesrepublik tief greifende, aber notwendige Veränderungen im Gestrüpp der Interessen- und Verbandsvertreter durchzusetzen. Mit anderen Worten: Es ist immer noch leichter mit einem Ozeandampfer Pirouetten zu drehen, als die Strukturen in unserer Gesellschaft wirklich zu reformieren.

(Beifall der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW] - Unruhe)

Auch nach dreieinhalb Jahren Rot-Grün auf Bundesebene bleibt die Frage weitgehend unbeantwortet, wie unser Sozial- und Wohlfahrtsstaat im Zeichen der Globalisierung und Internationalisierung reformiert werden soll. Der so genannte „Dritte Weg“, den Tony Blair als Erster beschritt und den Bundeskanzler Gerhard Schröder nach eigenen Worten auch gehen will, ist weiter ohne klare Konturen. - Genau wie übrigens auch die von der CDU propagierte „Neue soziale Marktwirtschaft“, von der wir, seit sie aus der Taufe gehoben wurde, wenig bis nichts gehört haben.

Der reflexartige Ruf von selbst ernannten Experten oder von Politikern nach mehr Deregulierung und

(Anke Spoorendonk)

Privatisierung auf dem Arbeitsmarkt, im Energie- und Abfallbereich, im Verkehrssektor, sogar im Gesundheits- und Bildungsbereich, ja in nahezu allen Bereichen, die auch als so genannte Daseinsvorsorge eingestuft werden, als Antwort auf die ungelösten Probleme wird immer unüberhörbarer und gewinnt immer mehr an Gewicht.

(Anhaltende Unruhe)

So richtig es dabei ist, dass die einst voneinander abgeschotteten Nationalstaaten ihre sozialpolitischen Vorstellungen nicht mehr isoliert verwirklichen können, so richtig bleibt es aber aus unserer Sicht, dafür zu sorgen, dass bei der notwendigen Reformierung des Sozialstaates die drei großen „G“ - wie es der Sozialpolitiker Rudolf Dreßler bei seinem Ausscheiden aus dem Bundestag formulierte -, nämlich Gleichheit, Gerechtigkeit und Glaubwürdigkeit, weiterhin berücksichtigt werden.

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsiden- ten)

Ich darf um etwas mehr Aufmerksamkeit für die Rednerin bitten.

Für uns heißt das ganz konkret, dass man Deregulierungen, Privatisierungen und einschneidende Reformen nur umsetzen und dann auch durchsetzen kann, wenn man für eine soziale und ausgewogene Balance in allen Bevölkerungsschichten sorgt. Die Verlierer der Modernisierung und Globalisierung dürfen nicht vergessen werden. Diese Forderung ist notwendig, damit wir nicht auf den Weg in eine Zweidrittelgesellschaft geraten. Genau an dieser Schnittstelle werden sich die Geister in Zukunft scheiden.

Beispiel Arbeitsmarkt: Wenn man einen deregulierten Arbeitsmarkt haben möchte, wo der Kündigungsschutz gelockert oder die tarifliche Bezahlung flexibler wird - wofür einiges spricht, um die Beschäftigung anzukurbeln -, dann kann man dieses Ziel nicht erreichen, ohne diejenigen abzusichern, die in einem verschärften Wettbewerb keine Chance haben werden. Das heißt, ein deregulierter Arbeitsmarkt hat nur Sinn, wenn die Grundsicherung der Arbeitslosen angemessen ist, und wenn sie durch Aus- und Weiterbildung eine echte Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen. Dafür braucht man dann allerdings weiterhin einen zweiten Arbeitsmarkt und ein viel besseres Ausund Weiterbildungssystem, als wir es jetzt haben.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Übrigens wird man auch nur dann die Gewerkschaften mit ins Boot bekommen.

Beispiel Bildung: Wer nach den ernüchternden Erkenntnissen der PISA-Studie, die ja der Bundesrepublik nicht nur schlechte Leistungen attestiert, sondern auch auf die soziale Schieflage in unserem Bildungssystem hingewiesen hat, nur nach noch mehr gesondertem Unterricht ruft, anstatt einmal grundlegend über Sinn und Unsinn des gegliederten Schulwesens nachzudenken, der vergisst auch hier, dass Chancengleichheit für alle Schülerinnen und Schüler das A und O ist, wenn man durchgreifende Reformen vernünftig und sozial abgefedert durchsetzen will.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beispiel Steuern: Wer bei einer Einkommensteuerreform fast nur auf die Forderungen der Deregulierer an den Finanzmärkten Rücksicht nimmt und den Mittelstand oder den Normalverdiener aus dem Auge verliert, darf sich nicht wundern, wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitsmarktdaten nicht so gebärden, wie man es sich gewünscht hat.

Also, auch Steuerreformen müssen sozial ausgewogen und für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar sein. Wer dazu noch vergisst, dass die Länder und Kommunen die Grundbausteine unseres demokratischen Staatswesens sind, die eine finanzielle Grundausstattung benötigen, um überleben zu können, der nimmt die Forderung nach gleichen Lebensbedingungen und gleichen Chancen in allen Regionen nicht ernst genug.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will nicht missverstanden werden: Auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wissen natürlich, dass nicht alles so bleiben kann, wie es war. Sie wissen, dass wir uns auf die veränderten wirtschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen einstellen müssen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben und um unseren Wohlstand zu erhalten. Wir debattieren im Landtag immer wieder über Verwaltungsreformen und über öffentliche Arbeitsplätze. Vor diesem Hintergrund muss also gesagt werden, dass der Veränderungswille aller Gruppierungen und der Politik darauf Rücksicht nehmen muss, dass der überwiegende Teil der Bürgerinnen und Bürger - egal aus welchem politischen Lager - Gott sei Dank nicht dazu bereit ist, für diese Umwälzungen einen so hohen Preis zu zahlen, dass unsere Gesellschaft weiter gespalten wird; sei es sozial, regional oder in anderen Zusammenhängen. Dazu gibt es genügend Analysen und Untersuchungen von Sozialforschungsinstituten.

(Anke Spoorendonk)

In den letzten zehn Jahren ist es in den skandinavischen Ländern - oder auch in den Niederlanden - weitaus besser als bei uns gelungen, diese notwendigen Reformen umzusetzen, ohne den Wohlfahrtsstaat infrage zu stellen. Auch die neue dänische Regierung hat sowohl vor als auch nach der Wahl fast gebetsmühlenartig erklärt, sie wolle den Wohlfahrtsstaat nicht abschaffen, sondern ihn weiterentwickeln. Die genannten Staaten haben gezeigt, dass es auch unter den heutigen Bedingungen keinen prinzipiellen Gegensatz zwischen internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Sozialstaatlichkeit gibt.

Für den SSW steht fest, dass wir bei allen Unterschieden in den Systemen eine Politik befürworten, die von eben diesem Grundsatz ausgeht. Wir wollen, dass dafür weitere Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das heißt aus unserer Sicht, dass die Debatte um die Neugestaltung des Föderalismus in der Bundesrepublik verstärkt geführt werden muss. Der SchleswigHolsteinische Landtag hat - angestoßen durch den Landtagspräsidenten - den Ball ins Rollen gebracht. Wir müssen nun aber dafür sorgen, dass er weiter in Bewegung bleibt. Sieht man sich die aktuelle Finanzlage der überwiegenden Anzahl der Bundesländer und Kommunen an, dann erkennt man aber, dass nur einschneidende Änderungen im föderalen System langfristig das Überleben der regionalen und kommunalen Gemeinwesen sichert. Länder und Kommunen müssen mehr Spielraum erhalten: Auf der Einnahmeseite zum Beispiel durch die Erhebung von eigenen Steuern und auf der Ausgabenseite zum Beispiel dadurch, dass das Konnexitätsprinzip auch auf Bundesebene eingeführt wird.

Solange wir diese Föderalismusreform - auch vor dem Hintergrund der zukünftigen Entwicklung in der Europäischen Union - nicht wirklich angehen, müssen wir damit leben, dass es uns in den Ländern nicht gelingen wird, den von mir genannten Ozeandampfer auf Kurs zu bringen. Wir sehen nicht zuletzt am Haushalt 2002 hier in Schleswig-Holstein, wie versteinert die Finanzlage ist und wie wenig finanzpolitische Möglichkeiten für eine Landesregierung - gleich welcher Couleur - übrig sind. Auch ist deutlich, dass alle Parteien des Landtages in Wirklichkeit mit ihrem finanzpolitischen Latein am Ende sind und eigentlich nur noch in einem äußerst begrenzten Umfang Umschichtungen im Haushalt vornehmen können. Der große Wurf ist kaum mehr möglich, es sei denn, man will noch das letzte Tafelsilber verscherbeln.

Angesichts dieser Lage hat sich die Einkommensund Unternehmenssteuerreform vom letzten Jahr für Schleswig-Holstein als besonders kontraproduktiv erwiesen, was schwere finanzielle Konsequenzen für Land und Kommunen hat. Finanzminister Möller hat

in der Debatte über die November-Steuerschätzung selbst noch einmal die Milliardensummen konkretisiert, die dem Land und den Kommunen in den nächsten Jahren durch diese Reform fehlen werden. Das brauche ich jetzt nicht zu vertiefen. Allen bekannt sind auch die verheerenden Folgen für die Kommunen, weil das Aufkommen der Körperschaftssteuer als Folge der Steuerreform geradezu katastrophal gesunken ist.

Aber auch die halbe Milliarde DM an Steuereinnahmen, die dem Land durch die Steuerreform jährlich fehlt, belastet den Haushalt 2002. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Leidensfähigkeit der Finanzpolitiker in den letzten Jahren immer wieder mit immer neuen Haushaltslöchern und immer kreativeren Finanzkonstruktionen zur Abhilfe dieser Defizite strapaziert wurde.