Protokoll der Sitzung vom 21.03.2002

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhält jetzt die Frau Abgeordnete Birk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der jüngsten Anhörung der internationalen Fachleute der PISA-Untersuchung in dieser Woche im Bundestag wurde Folgendes hervorgehoben:

Erstens. Lehrerinnen und Lehrer werden in Deutschland häufig immer noch für ein falsches Berufsbild ausgebildet und müssen sich deshalb durch eine neue Aus- und Fortbildung zeitgemäß professionalisieren. Lehrerinnen und Lehrer sollten nicht verhinderte Wissenschaftler ihres Unterrichtsfaches sein, sondern Fachleute für kindliche Lernprozesse und die Gestaltung des Organismus Schule.

Zweitens. Schule muss auch in Deutschland autonom ihre eigenen Angelegenheiten unter Beteiligung von Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrerinnen und Lehrern selbst regeln lernen.

Drittens. Gegenstand der Pädagogik in der Schule ist nicht der Lehrstoff in 45-Minuten-Happen, sondern die professionelle Gestaltung einer Lernbeziehung zwischen Kindern, Eltern und Lehrerinnen und Lehrern sowie die Forderung, Förderung und Beurteilung von Schülerinnen- und Schülerleistungen und schließlich die Organisation von Schule selbst als lernende Organisation und ihre Einfügung in die Gemeinwesenarbeit.

Es war sehr interessant, dass gestern Nacht noch relativ spät in Phoenix viele Wissenschaftler in diesen Grundfragen eine eindeutige Übereinstimmung zeigen konnten. Ich danke dem Sender für diese wichtige Dokumentation.

(Angelika Birk)

In unseren Gesprächen mit Lehrerverbänden stellten wir fest, dass sie überwiegend dieses auch in Schleswig-Holstein eingeforderte moderne Selbstverständnis der Schulpädagogik teilen, und das begrüße ich außerordentlich.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nun aber zur FDP. Sie, Herr Klug, haben offensichtlich nicht verstanden, was das meint. Denn Sie wollen mit Ihrem Antrag genau das Gegenteil. Deshalb stehen wir ihm kritisch gegenüber und lehnen ihn im Grundtenor ab.

Es mag einzelne Beispiele von Behördenüberregulierung, von noch nicht eingestellten Computerprogrammen und so weiter geben. Aber was Sie in Ihrem Antrag aufzählen, sind bürokratische Einzelaufgaben, die allerdings insgesamt Bestandteil der Selbstorganisation der Schule sind und sein müssen und die der Selbstverständigung der Fachleute für das Lernen dienen.

Einige Formulierungen des Antrages habe ich wiedererkannt. Das sind Passagen aus der bildungspolitischen Rede des Vorsitzenden des Philologenverbandes vor einigen Wochen auf der Gesamttagung des Verbandes. Die Rede der FDP bedient ein Selbstbild des Lehrers, der seine Aufgabe allein darin sieht, als einsamer Held 45 Minuten Fachunterricht zu absolvieren.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Aber das ist eben nicht das Bild, das wir brauchen. Alles andere erscheint natürlich aus einem solchen Blickwinkel als Bürokram, sogar die Personalentwicklung. Dabei haben gerade Lehrer- und Schulleitungsverbände vom Ministerium professionelle Seminarangebote zur Vorbereitung auf Leitungsverantwortung gefordert und auch die Handhabung moderner Instrumente der Personalentwicklung einfordert.

Die CDU will gar das Konnexitätsprinzip für Aufgaben bemühen und damit Geld für die Kommunen vom Land loseisen, und zwar für Dinge, für die Schulen schon immer zuständig waren. Dazu hat mein Kollege Höppner das Notwendige bereits gesagt.

Bei dem von der FDP aufgelisteten Aufgabenkatalog sehen wir dies jedenfalls noch nicht. Wir wollen allerdings mehr Autonomie für die Schule, wir wollen, dass die Schule zunehmend stärker als bisher in kommunaler Verantwortung steht. Wir stellen uns einen Modellversuch vor, um damit aus den dänischen Erfahrungen zu lernen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir können uns auch vorstellen, dass 20 % des Schuletats in anderer Form als heute, nämlich nach dem Prinzip „Geld statt Stellen“ ausgezahlt werden.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dann kann man sich natürlich auch darüber unterhalten, was in einer solchen Situation an Mehraufwand im Verwaltungsbereich erforderlich ist.

Unser Antrag zielt darauf, den Emanzipationsprozess der Schulen zu unterstützen, und wir fragen, wie weit es damit steht und welches die nächsten Schritte sind, um die Selbstorganisation innerhalb der Schule zu optimieren, und welche Hilfestellung das Bildungsministerium hierzu geben kann;

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

denn es ist natürlich klar: Beide Seiten müssen lernen. Das Ministerium muss abgeben, die Schulen müssen sich neu organisieren. Frau Erdsiek-Rave, wenn ich mir diese Kritik hier erlauben darf: Den Schul-TÜV halten wir allerdings auch für diskussionswürdig. Uns ist noch nicht klar, inwieweit hiermit die Autonomie der Schule und auch die Transparenz nach außen gefördert werden. Uns erscheint eine regelmäßige PisaÜberprüfung und auch eine PISA (regional) der bessere Weg.

Ein Letztes zur Effizienz von Schulorganisation intern! Ein sehr alltägliches Beispiel: Die Schulsekretärinnen, die eine wichtige Assistenz- und Entlastungsfunktion für die Schulleitung und das Lehrerkollegium haben, werden bis heute in vielen Kommunen nach BAT VIII bezahlt, obwohl sie eine höchst komplexe Aufgabe wahrnehmen. Dass unter diesen Voraussetzungen überhaupt engagierte Frauen diesen Platz würdig und kompetent einnehmen, ist ein kleines Wunder.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir hierbei weiterkommen wollen, muss diese Aufgabe der Schulassistenz endlich so beschrieben werden, dass sie im mittleren Verwaltungsbereich einzuordnen ist. Es muss entsprechend eingestellt, fortgebildet und natürlich auch bezahlt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies erwarten wir auch vonseiten der Kommunen; denn das Thema Schulverwaltung ist wirklich ein komplexer Prozess, der nicht nur die Schulbehörde, sondern vor allem auch die Kommunen fordert.

(Angelika Birk)

Ich hoffe auf eine angeregte Debatte im Ausschuss und auf einen aussagekräftigen Bericht im Herbst.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf den ersten Blick erscheint der Vorschlag des Kollegen Klug vernünftig; denn die FDP möchte Lehrerinnen und Lehrern von Aufgaben entlasten, die nicht unmittelbar mit dem Schulunterricht im Zusammenhang stehen. Die These, dass die Kernarbeit an den Schulen nicht durch die Verwaltung von Statistiken und so weiter beeinträchtigt werden darf, ist sicherlich richtig. Von daher sieht der Antrag vor, dass bestehende und zurzeit in Vorbereitung befindliche Regelungen zu Aufgaben der Schulen außerhalb des Unterrichts auf den Prüfstand gestellt werden sollen. - So weit, so gut in der Theorie. Gegen eine Prüfung kann keiner etwas haben, denke ich.

Dennoch bleibt bei diesem Antrag ein Beigeschmack hinsichtlich der Zielrichtung. Denn eigentlich wird hier ja suggeriert - das ist auch schon gesagt worden -, dass die Lehrerinnen und Lehrer frei nach dem Motto „Wenn wir nur von den bösen Bürokraten der Landesregierung oder der Schulaufsicht in Ruhe gelassen werden!“ viel bessere Arbeit leisten können. Die Frage ist, ob dieses Vorurteil - ich denke, es ist ein Vorurteil - einer Prüfung auf den zweiten Blick standhält. Daran hat der SSW durchaus seine Zweifel. Denn sieht man sich die Beispiele an, die Dr. Klug in seiner Pressekonferenz zum Antrag vorgebracht hat, dann wird deutlich, dass die Wirklichkeit nicht so einfach gestrickt ist, wie er sie darstellt. So ist es aus unserer Sicht unverständlich, warum der so genannte SchulTÜV eine Arbeitskraft fressende Pseudoreform sein sollte.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Wie viel Stellen das frisst, habe ich gerade vorgerechnet!)

Gerade vor dem Hintergrund der PISA-Studie und den daraus zu ziehenden Konsequenzen kann es nur ein Vorteil sein, wenn die Schulen zusammen mit Expertinnen und Experten von außen ihre Arbeitsgänge und ihre Prozeduren grundlegend hinterfragen. Dabei ist für uns entscheidend, welche Stoßrichtung der SchulTÜV erhalten soll. Das heißt, unser Ziel ist nicht ein

Ranking, sondern ein Instrument zur Verbesserung der Qualität von Schule.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW] - Rolf Fischer [SPD]: Das ist ja der Sinn!)

Ein Schul-TÜV macht also nur Sinn, wenn er zur Evaluation von schulischen Abläufen dient, damit Schule von innen reformiert wird. Das, denke ich, ist mit Vergleichsarbeiten allemal nicht zu erreichen,

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

wobei man sich wirklich die Frage stellen kann, ob es gerechtfertigt ist, so viele Arbeiten in der Schule zu schreiben. Denn dies nimmt sehr viele Ressourcen in Anspruch. Wer sich ein bisschen mit Lernen beschäftigt, weiß, wie sich die Lernkurve entwickelt, wenn nur Arbeiten geschrieben werden sollen.

Dies hat aus meiner Sicht nichts mit der Wiederauferstehung des preußischen Oberschulrats auf Inspektionsreise in die Provinz zu tun. Ich finde, das war ein herrliches Bild.

(Rolf Fischer [SPD]: Aber falsch!)

Trotzdem fand ich es nicht richtig. Es hat eher etwas mit modernen Managementprinzipien zu tun, denen sich ja auch Unternehmen in der Privatwirtschaft bedienen. Dafür tritt die FDP natürlich allemal ein.

Das Gleiche gilt übrigens auch für das Personalentwicklungskonzept. Auch hier gilt: Das Instrument der kontinuierlichen Personalentwicklungsgespräche gibt es in jedem modernen Betrieb.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Natürlich kann man darüber streiten, ob es zentrale Richtlinien für diese Gespräche geben muss. Aber in vielen Unternehmen führt man solche Gespräche, die ja auch für die Weiterentwicklung des Personals wichtig sind, sogar jedes Jahr mit jedem Beschäftigten und nicht, wie im Personalentwicklungskonzept vorgesehen, jedes zweite Jahr.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Das sollte man vielleicht auch einmal in der SSW-Fraktion machen!)

- Ich bin ja auch offen für Debatten im Ausschuss.

(Beifall beim SSW)