Protokoll der Sitzung vom 17.05.2002

Es sollen günstigere Rahmenbedingungen für den Unternehmergeist und die Wettbewerbsfähigkeit geschaffen werden. Ich nenne hier nur einige Stichpunkte: Es soll Personen der Arbeitsmarkt wieder eröffnet werden, denen er aufgrund mangelnder Qualifikation bisher verwehrt blieb. Die steuerliche Belastung der Arbeit soll verringert werden. Es sollen steuerliche Maßnahmen zur Steigerung eines Arbeitskräftebedarfs erfolgen. Die Effizienz des Arbeitsmarktes soll verbessert werden. Hier soll insbesondere Anreizen von Ruhestand entgegengewirkt werden und die Sozialleistungssysteme sollen europaweit so gestaltet werden, dass sich Arbeit lohnt.

(Beifall bei der FDP)

Der Prozess der Arbeitssuche soll gefördert wird, damit Hilfeempfänger vor Armut und Arbeitslosigkeit bewahrt werden.

Weiter: Im Rahmen von Tarifverhandlungen soll bei der Gehaltsentwicklung die Lage auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden,

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Sehr gut!)

was letztlich unterschiedliche Löhne und Gehälter ermöglicht.

Gerade diese Punkte in den Schlussfolgerungen der Konferenz sind richtig und die rot-grüne Bundesregierung hat diese Punkte voll mitgetragen. In der Bundesrepublik macht Rot-Grün mit seiner Politik aber genau das Gegenteil.

(Beifall bei der FDP)

Ich nenne hier nur das Tariftreuegesetz und das Kündigungsschutzgesetz.

Es macht es uns schwer, positiv für Europa zu werben, wenn die Bundesregierung erst gemeinsame Beschlüsse in der EU fasst, um sich dann nicht mehr darum zu kümmern.

(Beifall bei der FDP)

Im Bereich der Forschung hat die Konferenz in Barcelona ergeben, dass der Rückstand der EU gegenüber ihren Hauptkonkurrenten aufgeholt werden muss. Wir haben demnach bereits heute einen Rückstand im Bereich der Forschung. Um dies zu ändern, hat die Konferenz festgestellt, dass bis zum Jahr 2010 die Gesamtausgaben für die Forschung und Entwicklung ein Niveau von fast 3 % des Bruttoinlandsproduktes erreichen soll.

Das sind ehrgeizige Ziele. Ich wage daran zu zweifeln, dass dieses Ziel unter dieser Regierung in SchleswigHolstein erreicht werden kann.

(Martin Kayenburg [CDU]: Ich auch!)

Ich komme zum Schluss! Zur Kinderbetreuung ist zu sagen, dass wir bereits heute einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren haben. Auch für Kinder unter drei Jahren gibt es bereits heute diverse Angebote durch Kirchen und Kommunen. Ich habe wenig Zweifel, ob die Versorgungsquote von 33 %, bis zum Jahre 2010 erfüllt sein wird. Persönlich habe ich aber Zweifel, ob es wünschenswert ist, eine so große Zahl von Kindern gleich nach der Geburt in Obhut zu geben.

Wir sollten insgesamt die Beschlüsse von Barcelona weiter im Europaausschuss besprechen und nicht nur den marginalen Teil, auf den sich der Antrag der CDU bezieht.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Jetzt erteile ich Herrn Abgeordneten Rainder Steenblock für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Höfs, in der Sache selber kann ich das, was Sie hier gesagt haben, sehr unterstreichen. Was ich allerdings nicht verstanden habe ist, die Kritik daran, dass wir dies hier heute auf Antrag der CDU diskutieren.

(Beifall der Abgeordneten Peter Lehnert [CDU] und Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich finde schon - darüber sind wir uns im Europaausschuss ja auch einig -, wir sollten gerade solche Ratssachen hier regelmäßig diskutieren. Ihr Beitrag hat ja auch sehr deutlich gemacht, wie wichtig es ist, auf diese Dinge differenziert einzugehen. Dass die CDU diesen Berichtsantrag nun vor den rot-grünen Regierungsfraktionen gestellt hat, ist politisches Alltagsgeschäft. Wir sollten uns das auch zur Gewohnheit machen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Christel Aschmoneit-Lücke [FDP])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Barcelona war sicherlich - das hat die Debatte hier jetzt auch gezeigt - kein großes geschichtliches Ereignis. Es gab keine spektakulären Beschlüsse. Die Ehrlichkeit gebietet es aber, dennoch differenziert mit dem umzugehen, was dort beschlossen worden ist; denn wenn man sich das genauer anschaut, dann stellt man fest, dass dort - ich will es einmal so bezeichnen - integrationspolitische Kärnerarbeit geleistet worden ist.

Wenn man sich die Beschlüsse anguckt - dies ist fast ein kleines Buch; es sind über 70 Seiten Beschlüsse -, dann kann sich das in sehr vielen Teilen durchaus sehen lassen. Die Frage ist nur, ob die Arbeit so, wie wir sie in Europa zurzeit organisieren, dass der Rat diese Kleinarbeit macht und der Rat nicht die tatsächlichen politischen Linien für das Zusammenwachsen in Europa vorgibt, ändern muss. Aber ich glaube, das wird sich auch ändern. Trotzdem ist das, was an Ergebnissen erreicht worden ist, in der Sache durchaus zu vertreten.

Ich will Ihr Augenmerk aber zunächst noch einmal auf einen anderen Aspekt richten, der in der Berichterstattung und heute in der Debatte nicht vorgekommen

ist. Das ist nämlich die Tatsache, dass in Barcelona 28 Staats- und Regierungschefs, also die Vertreter der 15 Mitgliedsstaaten mit den 13 Beitrittsländern, zusammengesessen haben. Es ging bei den Beratungen nicht um den Beitrittsprozess. Vielmehr hat das Europa der 28 über die Gestaltung des wirtschaftlichen und sozialen Zukunftsprozesses gemeinsam diskutiert.

Zum ersten Mal - das ist schon herausgehoben - war es eine Selbstverständlichkeit, dass alle 28 beieinander saßen. Auch das ist ein wichtiges Signal, das an die Beitrittsländer ausgesandt wurde:

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Rolf Fi- scher [SPD])

Wir rechnen mit euch, wir rechnen mit eurem Beitritt und wir wollen gemeinsam mit euch auch heute schon die anstehenden Zukunftsprobleme Europas lösen. Das war sicherlich eines der positivsten Signale von Barcelona.

Die Auseinandersetzung über die Öffnung der Gasund Strommärkte war ein Hauptthema, das besonders in den Medien ihren Niederschlag gefunden hat. Wir alle hätten uns mehr an Ergebnissen in dieser Frage gewünscht. Die Öffnung der Märkte ist ein sehr zähflüssiger Prozess. Ich halte es aber auch für falsch, wenn wir aus Deutschland nur auf die anderen Verweigerer wie zum Beispiel Frankreich in der Frage der Energiepolitik zeigen. Wir haben da auch selber unsere Hausaufgaben zu machen und müssen mit unseren eigenen Vorschlägen für die Marktöffnung in Europa selbstkritisch umgehen.

Als zentrale politische Botschaft verdient hervorgehoben zu werden, dass das soziale und ökologische Integrationsmodell Europas langsam, aber konsequent weiterentwickelt wird. Ich wünsche mir gerade an dieser Stelle - das ist der Lissabon-Prozess, den die Frau Ministerpräsidentin angesprochen hat -, dass die Kriterien von Lissabon tatsächlich mehr in die Arbeit der EU integriert werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir haben - auch das ist gesagt worden und ich will das unterstreichen - im Augenblick eine zu starke Dominanz der wirtschaftspolitischen, der ökonomischen Vorstellungen. Es besteht die Gefahr, dass die sozialpolitische, die beschäftigungswirksame, die soziale Verantwortung innerhalb des europäischen Modells etwas hinten herunterkippt. Hier muss nachgebessert werden. Das bedarf unserer ganz besonderen Aufmerksamkeit.

(Rainder Steenblock)

Bei den Einzelheiten will ich den Sachen, die schon angesprochen worden sind, einen Punkt hinzufügen. Es ging unter anderem um Modernisierungsstrategien im Bereich der digitalen Kompetenz. In Barcelona sind zum Breitbandkabel, einer Technologie, mit der wir in Deutschland in Europa führend sind und Europa Weltmarktführer insgesamt ist, richtungweisende Beschlüsse gefasst worden, die sowohl die technologische wie auch die kommunikative Kompetenz dieser Technologien weiterentwickelt haben. Wir haben in Zusammenhang mit UMTS, Kabelnetze und Breitbandkabel auch in diesem Haus schon diskutiert. Es ist eine nicht zu unterschätzende Entwicklung, die von Europa angestoßen worden ist.

Die Lissabon-Strategie stand im Mittelpunkt. Dazu ist einiges gesagt worden. Ich will das hier nicht vertiefen. Ich möchte zum Schluss noch einen Gedanken anfügen. Wir haben in Barcelona auch über die Außenpolitik der EU diskutiert. Mit den Beschlüssen zum Nahen Osten hat die Europäische Union in Barcelona unter Beweis gestellt, dass sie gemeinsame Positionen zu entwickeln vermag. In Barcelona wurde mit klarer europäischer Stimme Außenpolitik vertreten - mit den sehr differenzierten Bemerkungen zu Palästina und zu Israel. Das macht Hoffnung.

Im internationalen Konzert braucht die Welt, gerade wenn wir uns diese Region ansehen, eine starke europäische Stimme. Wenn das, was in Barcelona in Form von Formulierungen einer gemeinsamen Außenpolitik angefangen worden ist, weiterentwickelt wird, wird diese europäische Stimme hörbarer werden. Darauf können wir alle gemeinsam hoffen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und des Abgeordneten Peter Lehnert [CDU])

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt seiner Sprecherin, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sowohl in seiner Januar- als auch in seiner FebruarTagung hat sich der Schleswig-Holsteinische Landtag ausführlich mit der Zukunft der Europäischen Union beschäftigt, insbesondere vor dem Hintergrund des neu eingesetzten europäischen Konvents. Der Konvent soll bis zum nächsten Frühjahr konkrete Vorschläge für die Neugestaltung der EU in erster Linie vor dem Hintergrund der Osterweiterung erarbeiten.

Seit dieser Landtagsdebatte hat sich der Europäische Rat zu seiner zweiten jährlichen Frühjahrstagung am 15. und 16. März in Barcelona getroffen. Von daher ist es sinnvoll, dass wir uns mit den Ergebnissen dieses Treffens beschäftigen. Normalerweise werden auf diesen Arbeitstreffen, die zwischen den richtigen halbjährlichen Gipfeln abgehalten werden, selten irgendwelche bahnbrechenden Beschlüsse gefasst. Ich muss sagen: Es war ein Arbeitstreffen. Von daher kann es ein bisschen verwundern, dass sich die CDU mit ihrem Antrag gerade auf dieses Arbeitstreffen gestürzt hat und danach fragt, welche der Beschlüsse unmittelbare Auswirkungen auf Schleswig-Holstein gehabt haben.

Nur ein Beschluss des Europäischen Rates in Barcelona hat in der deutschen Öffentlichkeit wirklich Aufsehen erregt, nämlich die Entscheidung der Mitgliedstaaten, an dem mittelfristigen Ziel festzuhalten, spätestens 2004 einen Haushalt zu erreichen, der nahezu ausgeglichen ist oder einen Überschuss aufweist. Diese aus meiner Sicht abenteuerliche Forderung, die Bundesfinanzminister Eichel akzeptiert hat, geht - wir wissen es, heute vielleicht noch mehr als vor einem halben Jahr - zulasten der Länder und Kommunen. Denn ohne weitere gravierende Sparmaßnahmen insbesondere bei den Ländern und Kommunen wird es nicht möglich sein, dass Deutschland dieses Ziel insgesamt einhalten kann. Der SSW hat dies bereits in der Landtagstagung im März kritisiert. Wir stehen zu dieser Kritik. Spätestens bei der Aufstellung des Haushalts 2003 werden wir sehen, was das im Einzelnen für die Menschen in Schleswig-Holstein bedeuten wird. Mehr kann man heute dazu wohl nicht sagen.

Der andere Teil des CDU-Antrags, in dem die Landesregierung aufgefordert wird darzulegen, inwieweit sie über den Bundesrat auf die konkreten Zielvorgaben der EU-Kommission, beispielsweise bei der Erhöhung des Rentenalters, der Betreuungsplätze von Kindern oder den bildungspolitischen Vorgaben Einfluss genommen hat, halte ich für ein bisschen an der Sache vorbei. Ich verstehe schon, dass man darüber debattieren kann, was Schleswig-Holstein in diesen Bereichen erreicht hat. Wenn es aber darum geht, die Frage zu beantworten, was man konkret über den Bundesrat gemacht hat, muss man sich auch die Frage stellen, ob man ernsthaft erwarten kann, dass das kleine Land Schleswig-Holstein, obwohl wir seit Jahren in der Ostseepolitik eine Vorreiterrolle spielen, die Beschlüsse des Europäischen Rates im Alleingang umsetzen kann. Ich stelle das einmal so in den Raum.

Dessen ungeachtet sollte es selbstverständlich sein, dass Bundesregierung und Bundesrat bestrebt sind, die Beschlüsse der EU umzusetzen. Das gilt aber anscheinend nicht für alle europäischen Länder. Den

(Anke Spoorendonk)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst

jüngsten Beweis dafür haben wir im französischen Präsidentenwahlkampf erhalten. Obwohl Jacques Chirac auch Unterzeichner der Schlusserklärung von Barcelona ist, hat er im Wahlkampf erklärt, dass er sich bei einer Wiederwahl nicht an das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts bis 2004 halten wird. So viel zur viel beschworenen deutsch-französischen Achse in der EU!

Darüber hinaus wird von der europäischen Öffentlichkeit die Institution des EU-Gipfels insgesamt hinterfragt. Die Schlusserklärung des Gipfels, die - wie wir gehört haben - 75, 78, mit Anhang vielleicht sogar 100 Seiten lang ist, hat Zielerklärungen für alle Politikfelder. Die meisten Forderungen kommen über bloße Absichtserklärungen und schöne Floskeln kaum hinaus. Papier ist eben geduldig.

Nach jedem Gipfel nimmt die Katerstimmung auch entsprechend zu. Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs immer wieder und immer weiter auseinander. Auch die Art, in der auf EU-Gipfeln Politik gemacht wird, Kompromisse geschlossen oder Vereinbarungen dann nicht eingehalten werden, sollte uns bei der Neugestaltung der Europäischen Union zu denken geben. Manchmal stimmt das Motto: „Less ist more“, eben doch. Es passt auf jeden Fall für die Arbeitsweise in der EU. Es ist an der Zeit - da stimme ich dem Kollegen Lehnert zu -, dass sich die EU auf Kernaufgaben beschränkt und das Subsidiaritätsprinzip konsequent umsetzt. Wir werden sehen, ob der europäische Konvent die Kraft hat, Vorschläge in diese Richtung zu machen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Peter Lehnert [CDU] und Manfred Ritzek [CDU])