Protokoll der Sitzung vom 12.09.2002

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung wieder.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:

Kinderbetreuung in Schleswig-Holstein Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/1512

Antwort der Landesregierung Drucksache 15/2075

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich der Frau Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz, das Wort. Sie haben das Wort, Frau Ministerin.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage zur Kinderbetreuung in Schleswig-Holstein mit zehn Fragekomplexen und über 290 Einzelfragen liegt Ihnen jetzt vor. Die Drucksache umfasst eine Vielzahl von Daten und Fakten auf über 140 Seiten.

Das Ergebnis wird einigen möglicherweise dennoch nicht ausreichend erscheinen, weil nicht alle Fragen beantwortet werden konnten. Aber mit der Beantwortung des umfangreichen Fragenkatalogs - das muss ich doch einmal deutlich sagen - stoßen wir in Dimensionen vor, die von einer Landesverwaltung ohne weitgehende Fremdvergabe kaum noch bewältigt werden können. Unverzichtbare Kooperationspartner für die Beantwortung haben sich zum Teil bei dem Umfang und der Komplexität der Fragen dezidiert außerstande erklärt - das ist ganz höflich formuliert -, die Beantwortung ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neben den laufenden Aufgaben zuzumuten.

Umso nachdrücklicher möchte ich allen Beteiligten in den Einrichtungen der kommunalen und freien Trä

ger, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Schulen und Jugendämtern und insbesondere den Wissenschaftlern, die sich an der Beantwortung beteiligt haben, für ihre Arbeit danken.

(Beifall)

Der Rücklauf von drei einzelnen Befragungen lag bei über 50 % - das ist eine Menge -, bei den Kindertageseinrichtungen sogar bei mehr als 60 %, sodass wir für viele Fragenkomplexe von zuverlässigen, repräsentativen Daten ausgehen können.

Die Beantwortung der Großen Anfrage weist auch auf die grundsätzlichen Probleme der Verfügbarkeit von landesweit vergleichbaren Daten hin. Der Satz „Statistik ist die Mutter der Verwaltung“ hat cum grano salis oder manchmal auch cum kilo salis seine Berechtigung, aber jede Statistik muss sich auch hinsichtlich der Zwecke, ihrer Notwendigkeit und ihres Aufwandes befragen lassen. Landeseinheitlich ist lediglich die Bundesjugendhilfestatistik, Teil 3. Sie wird alle vier Jahre vom Statistischen Landesamt erhoben. Diese Statistik wird erst Ende dieses Jahres wieder erhoben.

Seit Ende 1996 bemühen sich Bundesländer - darunter auch Schleswig-Holstein -, diese Periodizität zu verkürzen und jährliche Erhebungen hinzukriegen. Wir wollen auch einige inhaltliche Änderungen. Gerade heute tagt dazu die Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesjugendbehörden. Wenn es zu einer fachlichen Zustimmung kommt, wenn alle gesetzlichen und finanziellen Hürden genommen werden, soll diese Statistik erstmals 2004 erhoben werden. Aber selbst wenn wir sie schon hätten, hätten wir mit ihr auch nur einen kleinen Teil der Fragen der Großen Anfrage beantworten können. Aber diese Statistik wird - anders als das bisherige Material - den unschätzbaren Vorteil haben, dass sie nach dem gleichem Muster erhoben wird, in allen Kreisen und kreisfreien Städten, und dass sie Vergleiche auf Bundesebene ermöglicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmc- rone [SPD])

Wer dagegen aus dieser Antwort den Schluss zieht, wir bräuchten zusätzliche, regelmäßige, landeseinheitliche Statistiken, muss sich gefallen lassen, dass sofort personelle und finanzielle Fragen daran geknüpft werden.

Meine Damen und Herren, trotz aller Bearbeitungsprobleme hat die Große Anfrage in interessanten Einzelfragen Antworten gebracht. Ich beginne einmal mit der Versorgungsquote, die für die verschiedenen

(Ministerin Heide Moser)

Altersstufen sehr unterschiedlich ausfällt. Wir können doch sagen: Das Angebot an Kindergartenplätzen mit knapp 80.000 für die Kinder von drei bis sechs Jahren ist mit 93,8 % Versorgungsquote bedarfsdeckend und steht im Bundesvergleich recht gut da.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dies ist eine gute Bestätigung unserer jahrelangen Politik für den Aus- und Aufbau neuer Plätze. Vorbeugend ein kleiner Hinweis an die Opposition: Wir standen 1988 mit einer Versorgungsquote von gerade einmal 59 % bundesweit als Schlusslicht da. Wir haben es in 14 Jahren um mehr als 50 % erweitert. Das erleben die Mütter und Väter im Lande als riesigen Fortschritt. Denn das ist ein gutes Stück Familienpolitik,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

die auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzt und diese fördert. Anders als in Baden-Württemberg und Bayern hat die CDU in diesem Land peinlich spät die Bedeutung dieses Themas erkannt. Herr Wadephul, dies erklärt auch manchen finanziell unredlichen Übereifer in jüngster Zeit, der einem parteiintern nicht immer nur Gutes einbringt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Trotz dieser guten Versorgungsquote sehe ich natürlich für uns weiterhin Handlungsbedarf. Wenn ich mir die Versorgungsquoten für die schulpflichtigen Kinder bis 10 Jahre angucke, liegen wir mit 14,7 % nicht gerade am untersten Rand, aber auch nicht gut genug, und mit Krippenplätzen für 2,3 % für Kinder unter drei Jahren auch nicht bedarfsgerecht.

Deshalb müssen wir hier mit den Kommunen und den örtlichen Jugendhilfeträgern an einer realistischen Lösung arbeiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Positiv erscheint mir auch ein Blick auf die Gesamtöffnungszeiten. Wir haben festgestellt, dass nur 31,4 % der Einrichtungen fünf Stunden und weniger geöffnet haben, 24,5 % fünf bis sieben Stunden und sogar 44,2 % ein Angebot von mehr als sieben Stunden Öffnungszeit unterbreiten. Das ist nicht mit der Betreuungszeit identisch. Aber auch bei der Betreuungszeit liegen wir recht gut. Es gibt 44,4 % Vormittags- beziehungsweise Halbtagsplätze, 21 % Dreivierteltagsbetreuung und immerhin 27 % Ganztagsbetreuung. Das ist eine gute Quote.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Die Gruppengröße bei den Krippen beträgt 9,9 Kinder, bei den Kindergärten 20,2 und bei den Horten 17,3. Die Gruppengrößen liegen im Landesdurchschnitt alle im Regelbereich. Natürlich gibt es regionale Unterschiede. Aber Befürchtungen, dass wir sehr viele Gruppen an der oberen Kante der Ausnahmeregelung hätten, also zum Beispiel 25erGruppen im Kindergarten, kann man mit der Antwort deutlich zerstreuen.

Viertens. Durch die Ergebnisse bei der Beantwortung der Großen Anfrage haben wir auch sehr interessante Hinweise auf die Kostenstruktur der Betreuungseinrichtungen. Die Kosten für einen besetzten Platz in einer Kindertageseinrichtung variieren je nach Dauer und Art der Betreuung. Die Kostenspanne reicht von 2.900 € im Jahr für einen Kindergartenplatz mit weniger als fünf Stunden Betreuungsdauer bis zu 15.000 € für ein Kleinstkind unter drei Jahren in einer Krippe mit einer Betreuungsdauer von mehr als vier Stunden. Das ist also eine breite Skala.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit.

Wenn diese Spanne auch zunächst überraschend groß ist, so erklärt sie sich natürlich durch den sehr unterschiedlichen Personaleinsatz und auch die unterschiedlichen sonstigen Mindestvoraussetzungen für die Einrichtungen. Die Erfassung dieser Kostenstrukturen war durchaus schwierig. Deshalb bitte ich Sie, die Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren. Man muss davor warnen, einzelne Ergebnisse über die unterschiedlichen Durchschnittskosten aus dem Zusammenhang zu lösen und ohne den Kontext zu interpretieren, zulasten vielleicht einzelner Anbieter oder einzelner Regionen.

Ich möchte an dieser Stelle aber nicht versäumen, mich für das finanzielle Engagement bestimmter Kreise und Kommunen ausdrücklich zu bedanken. Auch da gibt es sehr große Unterschiede.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Uns ist die Finanzlage unserer kommunalen Partner durchaus bekannt. Umso größer fällt hier der Dank aus.

Die Beantwortung der Großen Anfrage enthält auch Darstellungen zu besonderen Themenbereichen, zu Migrationsfragen, zum Bildungsauftrag, zu Sprach

(Ministerin Heide Moser)

förderung und zur Ernährung in Kindertageseinrichtungen. Die Ergebnisse bestätigen meinen bisherigen Eindruck, dass es vielfältige Aktivitäten, angeregt durch interne Diskussionen, Fachberatungen und Impulse des Landes, vor Ort gibt.

Das Thema Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen wird - auch unter dem Eindruck der PISAStudie - jetzt Gott sei Dank forciert. Es ist aber für die pädagogischen Fachkräfte in den Einrichtungen kein neues Thema. Das ist gut so. Wir müssen sie nicht erst für dieses Thema aufschließen. Ich möchte auch an dieser Stelle ausdrücklich für die Offenheit und das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kindergärten unseres Landes danken. Nur so konnten wir 1997 erfolgreich an einem Forschungsprojekt teilnehmen, bei dem es um den Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen ging. Wir haben dieses Ergebnis jetzt als Grundlage, um auch die Konsequenzen aus der PISA-Studie zu ziehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes hervorheben. Die Antwort auf die Große Anfrage zeigt deutlich die Komplexität und die Vielfalt der Kinderbetreuung in Schleswig-Holstein. Die Verteilung der Zuständigkeit auf die örtlichen Träger der Jugendhilfe und die inhaltliche Verantwortlichkeit auch der Träger dieser Einrichtungen haben eine sehr ausdifferenzierte Landschaft entstehen lassen. Um es bildlich auszudrücken: Wir haben hier keinen kurz geschorenen Stadionrasen oder Golfrasen, sondern eine eher naturnahe Ökowiese mit Artenvielfalt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist keine Verbeugung vor den Grünen, weil die Anfrage von ihnen kommt, sondern das ist einfach so. Aufgabe der Landesregierung ist es, darüber zu wachen, dass sich diese Landschaft auf sozial- und bildungspolitische Ziele ausrichtet und bedarfsgerecht entwickelt. Ich glaube, dass die Antworten, die wir auf die Fragen geben konnten, uns allen helfen, diese Steuerung sicherzustellen, und dass wir es gemeinsam hinbekommen, die neue Finanzierung so auszurichten, dass sie den inhaltlichen Zielen dieser wichtigen sozialen Infrastruktur für die Betreuung von Kindern dient.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke der Frau Ministerin für den Bericht.

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Gäste begrüßen. Auf der Tribüne haben sich Mitglieder der Hausfrauen-Union Wrist niedergelassen. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile zunächst der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinderbetreuung ist eine kommunale Aufgabe der Daseinsvorsorge. Sie war trotzdem - ich möchte nicht sagen: deswegen - häufig Gegenstand von Debatten des Landtages. Dies geschah nicht zuletzt deshalb, weil es notwendig war, in verschiedenen Reformschritten das Kindertagesstättengesetz immer wieder an den neuen Realitäten zu orientieren. Insofern war es richtig, diese Anfrage zu stellen, um endlich einmal umfassendes Datenmaterial und damit für die Auseinandersetzungen, die es um die jeweilige Reform gegeben hat, objektive Fakten zur Verfügung zu haben.