Protokoll der Sitzung vom 23.01.2003

Wir fahren in der Debatte fort. Ich erteile das Wort für die Fraktion der FDP Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem vorherigen Tagesordnungspunkt bin ich geneigt, an die Adresse der Sozialdemokraten auszurufen: Hände weg von Sylvia Eisenberg!

(Heiterkeit und Beifall)

Der umfängliche Antrag der CDU enthält manches, was wir vor einiger Zeit selber schon in Anträgen gefordert haben, etwa die verbindlichen Stundentafeln für die Grundschule. Mit einigen Forderungen rennt die Union offene Türen ein beziehungsweise sie bekräftigt etwas, das ohnehin schon in Vorbereitung ist - wie die Vergleichsarbeiten oder die Festlegung von Mindeststandards.

Einzelne Punkte des Antrags halte ich für problematisch - wie die Forderung, Lehrer sollten künftig Elternbesuche durchführen. Haben sie denn nicht ohnehin schon genug zu tun?

Den größten Streitwert - das ist auch bisher deutlich geworden - dürfte der Abschnitt über die Orientierungsstufe und den Übergang von den Grundschulen in die weiterführenden Schulen haben. Das ist der Teil des Antrages, über den die Diskussion sicherlich etwas lebhafter wird.

Wie es sich gehört, will ich die nach der Altersentwicklung der Kinder gegliederten Themen der Reihe nach ansprechen und zunächst kurz auf die beiden ersten Abschnitte eingehen.

Eine bessere Verzahnung von Vorschul- und Grundschulbereich zu erreichen, ist ein Ziel, über das spätestens seit der PISA-Debatte unter Bildungs- und Jugendpolitikern im Wesentlichen Einigkeit besteht. Gleiches gilt für die notwendige Stärkung des Bildungsauftrages der Kindergärten. Insoweit formuliert der CDU-Antrag nichts sensationell Bahnbrechendes, obwohl das, was im Antrag geschrieben ist, nach meiner Auffassung absolut richtig ist.

Die spannende Frage, wie man die formulierten Ziele tatsächlich erreichen kann, wird jedoch im Antrag der CDU vorsichtshalber gar nicht erst gestellt.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vermutlich würde die Antwort im Wesentlichen so lauten: Vor allem erreicht man das durch entsprechend qualifiziertes und zahlenmäßig ausreichendes Personal. Deshalb ist es eine glückliche Fügung, dass Herr Stegner demnächst Finanzminister wird.

(Vereinzelter Beifall)

Sicher wird er dann die vielen Millionen für die Bildung, die er bis dato als Staatssekretär des Kultusministeriums Herrn Möller nicht aus den Taschen ziehen konnte, freigiebig an seine bisherige Chefin Ute Erdsiek-Rave austeilen.

(Beifall)

Da trifft es sich gut, dass Letztere, Frau ErdsiekRave, künftig auch für die Kindergärten und deren Bildungsauftrag zuständig ist.

(Zurufe)

Man könnte also sagen - das ist empirisch nachweisbar -: Die kleine Kabinettsumbildung von vorgestern war gewissermaßen eine vorausschauende Antwort auf offene Fragen im CDU-Antrag von heute.

(Heiterkeit)

Damit kann wirklich niemand mehr behaupten, Heide Simonis habe keine Visionen.

(Heiterkeit und Beifall bei FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, der zweite Abschnitt des Antrages mit der Überschrift „Grundschule" enthält - wie erwähnt - manche Punkte, die auch wir Liberale hier bereits beantragt und zur Diskussion gestellt haben, wie etwa die Rückkehr zu verbindlichen Stundentafeln und die Einführung von regelmäßigen Vergleichsarbeiten.

Zu den Forderungen, die in der PISA-Debatte von vielen Seiten erhoben wurden, zählt sicherlich auch die nachhaltigere Vermittlung von Grundfertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen in der Grundschule. Zutreffend ist die Formulierung der Antragsteller, insbesondere das Erlangen von ausreichender Lesekompetenz sei die Grundvoraussetzung dafür, dass die Kinder weitere Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben. Ich bin aber der Ansicht, dass die im Antrag der Union als Mittel zur Umsetzung, zum Erreichen dieser Ziele genannte Forderung, die Lehrpläne seien entsprechend zu überarbeiten, bei weitem nicht ausreicht, um das Ziel zu erreichen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Offen gesagt: Ich habe überhaupt Zweifel, ob der Weg über Erlasse und Verordnungen - dazu gehören allemal auch die Lehrpläne - zu nennenswerten Fortschritten führt. Oft bringt ein solcher bürokratischadministrativer Zugang zur Schulgestaltung, der in diesem Land leider weithin vorherrscht, nichts anderes hervor als eine Mischung aus Potemkinschen

(Dr. Ekkehard Klug)

Dörfern und nervtötender Dienstpost des Ministeriums an die Schulen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Wie die Sache vernünftigerweise funktionieren kann, zeigt ein Beispiel aus unserem Lande, das ich Ihnen kurz schildern möchte. In Reinbek hat ein Arbeitskreis aus Lehrkräften der verschiedenen Schularten und Elternvertretern ein Papier erstellt, das die Fähigkeiten und Fertigkeiten definiert, die Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Grundschulzeit beherrschen sollten. Der dabei aufgestellte Katalog reicht konkret von Zielen im Bereich des Sozialverhaltens über Fertigkeiten, die etwa Fragen der Schriftbeherrschung, Heftführung oder Beherrschung von Gesprächsregeln betreffen, bis hin zu wesentlichen Lerninhalten in den Fächern Deutsch und Mathematik. Falls es gelingt, die Arbeit in den Schulen vor Ort wirklich konkret durch eine entsprechende Bewusstseinsbildung und Ausrichtung der Arbeit der Schulen auf diese Ziele auszurichten, die dieser Reinbeker Arbeitskreis definiert hat, wäre viel erreicht, viel mehr, als es alle Verordnungen und Erlasse jemals bewirken können.

Mit anderen Worten: Ich sehe in einem Engagement von unten, aus den Schulen heraus den wirksamsten Hebel, um qualitative Ziele zu erreichen. Das ist vor allem eine Frage der Einstellung, des Selbstverständnisses und eines zielorientierten Konsenses zwischen Lehrern und Eltern. Dies zu fördern und zu unterstützen, sollte vornehmstes Ziel der Schulpolitik sein.

Nun sollte man andererseits freilich nicht übersehen, dass es auch Schulen gibt, an denen eine andere Einstellung vorherrscht als die, die in der Reinbeker Initiative zum Ausdruck kommt. Mir ist kürzlich von Eltern aus Kiel von Vorstellungsabenden an Grundschulen berichtet worden, die in letzter Zeit zur Vorbereitung der Einschulung zum kommenden Schuljahr stattgefunden haben. An einer Schule in Kiel wurde den Eltern zum Beispiel gesagt, Rechtschreibungskorrekturen nehme man überhaupt erst von der 4. Klasse an vor, bis dahin sollten die Kinder schreiben, wie es ihnen in den Sinn komme. Bei Diktaten sei es der Schule egal, ob die Kinder ganze Sätze schrieben oder nur einzelne Wörter. Zensuren wolle man eigentlich gar nicht erteilen, aber von der 4. Klasse an seien sie ja leider nicht vermeidbar. - Ähnliche Beispiele aus solchen Elternabenden ließen sich fortsetzen.

Da ich bei dem Elternabend selber nicht zugegen war, kann ich nur wiedergeben, was mir teilnehmende

Eltern - und zwar ziemlich entsetzt - berichtet haben. Immerhin legt das Beispiel die Schlussfolgerung nahe, dass es Grundschulen gibt, an denen - ich formuliere es einmal vorsichtig - kein sonderlich ausgeprägtes Verständnis für die Anforderungen existiert, die spätestens zum Zeitpunkt des Wechsels auf weiterführende Schulen für den weiteren Schulerfolg von erheblicher Bedeutung sind.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wenn solche Schulen künftig - zum Beispiel durch Vergleichsarbeiten landesweit, an bestimmten Punkten zentral organisiert und einheitlich geschrieben - mit allgemeinen Maßstäben konfrontiert werden, so kann dies sicherlich zu einem Umdenken vor Ort beitragen. Für unverzichtbar halte ich deshalb die Herstellung von Transparenz: Die interessierte Öffentlichkeit und allemal die Eltern potenzieller künftiger Schüler haben ein Anrecht darauf zu wissen, welche Einstellungen, Haltungen und Zielsetzungen die Arbeit einer Schule prägen und welche Leistungen sie erbringt.

(Beifall bei FDP und CDU)

Hier trifft der Antrag der Union auch wirklich einen wunden Punkt. In diesen Fragen muss man die Schulen zwingen, mit offenen Karten zu spielen. Den Eltern muss anschließend die Möglichkeit gegeben werden, sich für eine Schule ihrer Wahl zu entscheiden. Damit schließt sich der Bogen zu dem Thema, das wir vorhin hatten, als es um die Frage der Aufhebung der Schuleinzugsbereiche ging. Im Zweifelsfall muss die Wahlfreiheit die Antwort darauf sein, dass sich Eltern mit der „Philosophie“die in einer Schule vorherrscht, nicht einverstanden erklären wollen.

Meine Damen und Herren, der dritte Abschnitt des Antrags der CDU-Fraktion enthält, wie erwähnt, den meisten politischen Sprengstoff. Ausgangspunkt ist dabei die unbestreitbar zutreffende und auch von der linken Seite des Landesparlaments nicht bestrittene Feststellung, dass sich manche Eltern für weiterführende Schularten entscheiden, an denen ihre Kinder tendenziell überfordert sind. Wir haben in den letzten zwei Jahren ja auch wiederholt darüber gesprochen, wie man dieses Problem lösen kann. Die Einschränkung des freien Elternwillens durch ein jedenfalls bei Abweichung von der Schulartempfehlung vorzusehendes Aufnahmeverfahren ist eine der zu diskutierenden Antworten. Das ist auch meine Auffassung. Wie viele in diesem Hause wissen, habe ich selber dies im September 1999 in der Presse öffentlich zur Diskussion gestellt. Der seinerzeitige Spitzenkandidat Volker Rühe hat mir dann allerdings einige Wochen später im damaligen Dienstzimmer des Kollegen Meinhard Füllner gesagt, so etwas werde von einer

(Dr. Ekkehard Klug)

von ihm geführten Landesregierung niemals eingeführt werden. Frau Eisenberg ist aber nicht Herr Rühe und die Zeiten ändern sich. Ich denke, dass es heute vielleicht sogar einen noch besseren Lösungsweg gibt, um mit dem eigentlich einvernehmlich diagnostizierten Problem fertig zu werden.

(Martin Kayenburg [CDU]: Sehen Sie, auch Sie lernen dazu!)

Ein Fehler war das bestimmt nicht, denn auf diese Weise wurde eine Diskussion in Gang gesetzt, die nun sozusagen auch bei der CDU angekommen ist.

Meine Damen und Herren, vernünftige Entscheidungen über die Schulartwahl könnten in höherem Maße als bisher auch dann erreicht werden, wenn man die Orientierungsstufe, das heißt die Klassenstufen 5 und 6, umgestaltet, und zwar in der Weise, dass diese beiden Jahrgangsstufen deutlich stärker als bisher auf das Anforderungsprofil der jeweiligen Schulart ausgerichtet werden. Auch der so genannte Drittelparagraph, das heißt die Regelung, derzufolge Klassenarbeiten mit mehr als einem Drittel mangelhafter Ergebnisse nicht gewertet werden, müsste dann wegfallen.

Mit anderen Worten: Falls die Klassenstufen 5 und 6 stärker auf das jeweilige Schulartprofil ausgerichtet sind, könnte gegebenenfalls eine Korrektur der Schulartwahl - durch Wechsel auf eine andere Schulart - auch zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen, als das bislang oft der Fall ist. Den Eltern bliebe damit weiterhin die freie Schulartwahl, aber sie trügen zugleich gewissermaßen das didaktische Risiko für ihre Entscheidung, die dann in der Schule, die ihre Kinder aufgenommen hat, gegebenenfalls auch frühzeitiger als bisher korrigiert werden kann. Dieser Weg, der meines Erachtens eine gute Alternative zu Aufnahmeprüfungen darstellt, könnte den Schulen zugleich auch den erheblichen Aufwand ersparen, der mit Aufnahmeprüfungen verbunden wäre. Dies muss man, wie ich denke, als Argument in die Betrachtungen einbeziehen. Meine Damen und Herren, ich stelle diesen Lösungsvorschlag als Alternative zur Diskussion. Ich halte dies für einen gangbaren Weg, der möglicherweise auch eine breitere Akzeptanz im Lande finden wird.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zusammenarbeit von Kindertagesstätten und Schule, verstärkte umfassende Förderung von Kindern mit sprachlichen Defiziten schon vor der Einschulung, ernst machen mit dem Bildungsauftrag der Kindertagesstätten - dies fordert nun auch die CDU. Guten Morgen, meine Damen und Herren von der Opposition, so kann ich hier nur wünschen;

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn alles dies haben die Koalitionsfraktionen schon längst verabschiedet und die Landesregierung ist mit einem anspruchsvollen Zeitplan dabei, dies alles noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen. Sie haben sich in der Vergangenheit mehr zum Sprecher der Standardsenker im Kita-Bereich gemacht. Ich erinnere auch an entsprechende Initiativen der FDP. Insofern bin ich froh, dass die Opposition nun endlich begriffen hat, was schon längst im Kindertagesstättengesetz steht. Wir brauchen hier einen Bildungsauftrag, der im Übrigen - auch in dieser Hinsicht sind wir einer Meinung - über irgendeine Art von Schulung und Unterricht hinausgeht. Kleine Kinder in diesem Alter brauchen einen spielerischen Umgang. Ich weiß im Übrigen, dass es auch den älteren Kindern gut tut, wenn die Schule Freude macht. Leistung und Freude müssen ja kein Gegensatz sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir uns hier annäherten, wären wir ein Stück weiter.

Frau Eisenberg, Sie machen sich auch Gedanken darüber, wie der Aufstieg von der einen Schulart in unserem hierarchisch gegliederten Schulsystem in die nächst höhere, also von der Hauptschule zur Realschule oder von der Realschule zum Gymnasium, erfolgen kann. Auch das sind neue Töne. Wir finden das in Ordnung. Wir haben aber gerade über diese Thematik eine sehr differenzierte Debatte sowohl im Bildungsausschuss als auch hier geführt. In dieser Debatte hätte ich mir etwas mehr von solchen Gedanken gewünscht. Damals haben Sie aber ganz pauschal argumentiert. Sie wollten, wie Sie es jetzt auch tun, das Sitzenbleiben ohne Konsequenzen einfach abschaffen. Auch wir wollen natürlich weg vom Sitzenbleiben. Wir wissen aber, dass dies nicht ohne Alternativen geschehen kann. Deshalb muss man Förderpläne machen und zunächst beim Individuum ansetzen. Die Bildungsministerin hat diesbezüglich eine Reihe von interessanten Erlassen auf den Weg gebracht. Ich bin jetzt sehr gespannt auf die Ergebnis