Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung und möchte zunächst auf der Tribüne Besucher des Helene-Lange-Gymnasiums Rendsburg und des Berufsfortbildungswerks Kiel mit einer Fortbildungsmaßnahme für Frauen begrüßen. - Herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Kollegen von den Grünen, „Mut zu Reformen“ lautet Ihre markige Antwort auf den Antrag der FDP-Fraktion. Mut zu Reformen! Wenn ich Ihren Vierzeiler zusammenfassen darf, lese ich daraus: Steuern statt Beiträge; ich lese daraus: umfinanzieren statt reformieren. Auf diese einfache Formel lässt sich Ihr Reformeifer offensichtlich reduzieren.
Kein Wort findet sich in Ihrem Antrag über dringend notwendige Strukturreformen. Kein Wort findet sich in Ihrem Antrag zur künftigen Aufgabe sozialer Sicherungssysteme. Mit Ihrem Antrag legen Sie lediglich ein Bekenntnis zur Erhöhung der Mehrwertsteuer
Denn ginge es nach SPD und Grünen, sollte dieser Landtag heute lediglich beschließen, dass man die Mehrwertsteuer erhöhen solle. Sonst absolut gar nichts. Sonst finden wir in Ihrem Antrag keinen einzigen Punkt, in dem auch nur ansatzweise darüber nachgedacht wird, wie man die Strukturen der sozialen Sicherungssysteme weiterentwickelt. Mit Reformen hat das also nicht das Geringste zu tun.
Jetzt lade ich Sie ein, sich entspannt zurückzulehnen und zu genießen, Herr Jensen-Nissen, wie Jahrhundertreformen bei Rot-Grün aussehen. Machen Sie mit mir die Reise mit.
Wir schreiben das Jahr 2002. Direkt nach der Bundestagswahl verkündet Bundeskanzler Schröder, dass er jegliche Steuererhöhung rundweg ablehnt.
Am Montag, dem 5. Mai 2003, erklärt Bundesfinanzminister Eichel, dass er eine Erhöhung der Tabaksteuer vehement ablehnt.
Am Dienstag, dem 6. Mai 2003, streiten sich rotgrüne Sozialpolitiker vehement um die Verteilung der angeblichen 7 Milliarden Mehreinnahmen, die dem Bund bei einer Tabaksteuererhöhung zufließen würden.
Am Mittwoch, dem 7. Mai 2003, verkündet Bundesfinanzminister Eichel die Tabaksteuererhöhung, die er am Montag, dem 5. Mai, noch vehement abgelehnt hat.
Am Donnerstag, dem 8. Mai, sitzt Bundesgesundheitsministerin Schmidt im Frühstücksfernsehen und freut sich vehement, dass die Mehreinnahmen aus der Tabaksteuererhöhung zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen in der GKV benutzt werden. Außerdem wäre es ein Riesenerfolg, wenn nur eine einzige arme Seele vom Rauchen abgehalten würde.
Am Mittwoch, dem 27. Mai 2003, verkündet Bundesfinanzminister Eichel dann, dass die Tabaksteuererhöhung in Höhe von 1 € pro Schachtel Zigaretten eben doch nicht in einem Schritt kommt, sondern in drei, weil er nämlich befürchtet, dass die Leute plötzlich aufhören zu rauchen, weil ihnen 1 € Erhöhung zu teuer ist. Deswegen wolle man sie langsam daran gewöhnen.
Im Jahr 2002, nach der Bundestagswahl, lehnt Bundeskanzler Schröder - wir kennen das schon - Steuererhöhungen rundweg ab. Heute wissen wir: mit Ausnahme der Tabaksteuererhöhung.
Wir schreiben das Jahr 2003. Ministerpräsidentin Simonis und Finanzminister Dr. Stegner fordern eben jene Mehrwertsteuererhöhung, um die Sozialversicherungsabgaben zu senken. Außerdem soll die Vermögensteuer wieder eingeführt und die Erbschaftsteuer erhöht werden.
1. Juni 2003: Ministerpräsidentin Simonis scheitert mit entsprechenden Anträgen auf dem Sonderparteitag der SPD zur Agenda 2010. Die Bundesspitze der SPD und die Bundesregierung sind strikt gegen diese Pläne.
11. Juni 2003: Ministerpräsidentin Simonis fordert erneut, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um die Sozialabgaben zu senken.
13. Juni 2003: Bundesfinanzminister Eichel tritt wiederum vehement Gerüchten entgegen, die Bundesregierung wolle die dritte Stufe der Steuerreform vorziehen. Erst müsse die Agenda 2010 gesetzlich verankert und ein verfassungsgemäßer Bundeshaushalt 2004 aufgestellt sein. Wenn dann noch genügend Spielraum beim Subventionsabbau auf der Einnahme- und Ausgabeseite entstehe, könne man darüber nachdenken.
16. Juni 2003: Bundeskanzler Schröder erklärt, er könne sich vorstellen, die dritte Stufe der Steuerreform vorzuziehen, wenn die Agenda 2010 gesetzlich verankert sei.
Ich füge hinzu: 19. Juni 2003 - das ist heute -: Vermutlich wird Ministerpräsidentin Simonis irgendwann, irgendwo wieder eine Mehrwertsteuererhöhung fordern.
Die Reformpolitik von Rot-Grün sieht genau so aus: Sie fordern die Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Tabaksteuer und sonstiger Steuern, ganz nach dem Motto: „Fällt Simonis nichts mehr ein, muss es eine Steuererhöhung sein“. Das Ganze wird dann garniert mit einer Kakophonie von Vorschlägen, die täglich wechseln, wie: Die Pflegestufe I soll abgeschafft werden, damit man da nichts mehr bezahlen muss. Die Rentner sollen ihre Krankenversicherung künftig selber tragen. Die Vorschläge wechseln halbstündig. Dann zieht man die Vorschläge wieder zurück. Gestern wurden wir noch mit dem Vorschlag beglückt, Feiertage zu streichen.
Was ich daran so schlimm finde, ist nicht die Tatsache, dass wir uns hier damit ernsthaft beschäftigen müssen, sondern die Frage, wie dieses „Durcheinandergequatsche“ auf die Menschen draußen im Land wirkt. Glauben Sie, dass Sie die Menschen im Land mit so einem Palaver zu der notwendigen Reformbereitschaft bringen? Frau Heinold, wir haben das im Finanzausschuss schon einmal anhand der Tabaksteuererhöhung diskutiert. Glauben Sie ernsthaft, dass die Menschen begeistert sind und bei den notwendigen Reformen mitmachen, wenn man ihnen so etwas serviert? Ich glaube es offen gestanden nicht. Wir müssen alles dafür tun, die Menschen mitzunehmen. Mit diesen Vorschlägen - gleich ob es die Tabaksteuer- oder die Mehrwertsteuererhöhung ist - erreichen wir genau das Gegenteil.
Es ist unbestritten, dass tief greifende Strukturreformen notwendig sind. Ich habe diese in vier Kernzielen vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung zusammengefasst. Ziel eins muss die Herstellung eines fairen Ausgleichs zwischen allen Generationen sein. Ziel zwei muss die Absicherung sozialer Schutztatbestände - wie Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsversorgung - sowie die Bereitstellung von Unterhalt bei Alter, Krankheit, Erwerbslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit sein, und zwar unter Verzicht auf weitere interpersonelle Einkommensumverteilungselemente. Ziel drei muss die Vermeidung einer unangemessenen Belastung durch Steuern und Abgaben sein. Ziel Nummer vier muss letztlich die Entkoppelung der Kosten der sozialen Sicherung vom Erwerbseinkommen sein. Letzteres betrifft also in der Tat die Frage der Finanzierung - beitragsfinanziertes Umlageverfahren, Steuerfinanzierung oder Kapitaldeckungsverfahren.
Die Antwort fällt für die einzelnen Teilbereiche der sozialen Sicherungssysteme mit Sicherheit sehr unterschiedlich aus. Ich habe das für die Rentenversicherung schon einmal kurz skizziert, indem ich gesagt habe, das erste Drittel bei der Rentenform sollte steuerfinanziert sein. Nennen Sie es zum Beispiel Grundrente. Das zweite Drittel sollte möglicherweise im Umlageverfahren und das dritte Drittel durch Eigenvorsorge - also kapitalgedeckt - erbracht werden. Ich möchte mir allerdings die Option offen halten, zwischen dem zweiten und dem dritten Punkt zu floaten, und zwar angesichts unserer demographischen Entwicklung zugunsten des Kapitaldeckungsverfahrens. Das bedeutet also, das Umlageverfahren über die kommenden 30 Jahre nach und nach auslaufen zu lassen.
Bei der Krankenversicherung schlage ich Ihnen ein Haftpflichtmodell mit risikoequivalent kalkuliertem
Beitrags- und obligatorischem Grundleistungskatalog sowie direkten steuerfinanzierten Transferleistungen für all jene, die sich risikoproportionale Beiträge nicht leisten können, als Diskussionsgrundlage vor. Ich schlage Ihnen vor, darüber nachzudenken, ob man in der heutigen GKV die Abkehr von völlig abstrusen Umverteilungsmechanismen nicht endlich einleiten möchte.
Die Bereitschaft, über einen solchen Paradigmenwechsel wirklich offen zu diskutieren, setzt voraus, dass man sich über die Kernelemente dessen einig ist, was man eigentlich erreichen will. Herr Hentschel, Sie propagieren Steuererhöhungen. Vermutlich, das halte ich Ihnen zugute, meinen Sie damit, dass man die Arbeitskosten tatsächlich senkt. Dann müssen Sie aber an die Strukturen rangehen und die Kosten der sozialen Sicherungssystene tatsächlich vom Erwerbseinkommen abkoppeln. Sie müssen dann verteilungspolitische Zielsetzungen innerhalb der Sozialversicherungssysteme aufgeben. Sie müssen in Zukunft Einkommensumverteilungen nur noch über ein Einkommensteuersystem herbeiführen und dürfen die sozialen Sicherungssysteme nicht mehr missbrauchen. Wenn Sie über einen tatsächlichen Paradigmenwechsel ebenso diskutieren wollen wie über eine Steuererhöhung, dann sind wir dabei. Anders aber nicht. Sie haben mich gestern falsch zitiert, als Sie sagten, ich würde einer Steuerfinanzierung einfach so zustimmen. Ich stimme Ihrem Antrag mit Sicherheit nicht zu, denn dort steht lediglich die Steuererhöhung drin.
- Frau Heinold, in den vier Zeilen steht lediglich, dass Sie die Mehrwertsteuer erhöhen wollen. Sie hätten mir am Anfang der Rede zuhören sollen. Es steht mit keinem Satz drin, welche Strukturen Sie in den sozialen Sicherungssystemen umbauen wollen.