Protokoll der Sitzung vom 19.03.2010

Theoretisch könnten wir in diesem Parlament Entscheidungen fällen, die - auch wenn diese Minderheiten nicht in die Verfassung aufgenommen worden wären - beispielsweise eine bessere Förderung oder auch ein besseres Partizipationsrecht zur Folge hätten, als wir es heute haben. Das wäre theoretisch auch ohne Eintrag in die Verfassung möglich. Da werden Sie mir zustimmen.

Aber richtig ist, dass es bei diesen beiden Gruppen - im Übrigen sehr frühzeitig -bei ihrer Aufnahme in die Verfassung um etwas anderes ging. Es ging in erster Linie nicht um die Fragen von Partizipationsrechten oder Höhe der Förderung, sondern das war Ausdruck einer Grundhaltung in diesem Parlament.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Harms?

Auch das, sehr gern.

Herr von Boetticher, können Sie mir dann bitte erklären beziehungsweise erläutern, welcher Teil der Lan

desverfassung nachher kleiner wird, wenn wir eine „Schuldenbremse“ in die Verfassung aufnehmen werden?

- Die „Schuldenbremse“ hat eine andere Zielrichtung. Die Schuldenbremse zielt ganz konkret auf die Haushaltsausführung ab. Das ist eine andere Stoßrichtung, auch ein anderes Ziel als die Aufnahme eines Staatsziels wie Schutz und Förderung einer nationalen Minderheit. Ich glaube, da müssen Sie sich in der Verfassungssystematik noch ein bisschen kundig machen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich der Frau Kollegin Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war vorhersehbar, dass diese Debatte nicht so glatt ablaufen würde. Noch einmal: Wir haben in der Vergangenheit, wenn es um die Änderung der Landesverfassung ging, immer wieder auch über den Sinn und Unsinn von Staatszielbestimmungen gesprochen. Der SSW hat in vergangenen Redebeiträgen - ich zumindest - auch immer wieder darauf hingewiesen, dass es problematisch sein kann, Staatszielbestimmungen - ich nenne es einmal so als eine Art Selbstbedingungsladen in der Verfassung stehen zu haben.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Michael von Abercron [CDU])

Das ist richtig.

Wir haben in der Diskussion dann aber auch gesagt, wir haben die Möglichkeit gehabt, Kinderrechte in die Landesverfassung hineinzuschreiben; jetzt haben wir erneut die Möglichkeit, das zu präzisieren. Wir haben auch Kollegen gehabt, die es ganz wichtig fanden, den Tierschutz in die Landesverfassung aufzunehmen, und so weiter.

Aber das, worum es heute geht, hat noch einen anderen Stellenwert, lieber Kollege von Boetticher. Dazu gehört zum einen, dass wir mit der Verabschiedung der Rahmenkonvention des Europarats zum Schutz und zur Förderung nationaler Minderheiten in Europa jetzt einen anderen Duktus in die Diskussion hineinbekommen. Das Gleiche gilt auch für die Sprachencharta. Die Bundesrepublik Deutschland hat im Sinne der Rahmen

(Dr. Christian von Boetticher)

charta vier autochthone nationale Minderheiten anerkannt. Das sind die Minderheit der Sorben, die dänische Minderheit, die Minderheit der Friesen und die Minderheit der deutschen Sinti und Roma. Das sind die vier nationalen Minderheiten, die von der Bundesrepublik im Sinne dieser europäischen Konvention anerkannt sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

In anderen europäischen Ländern hat man andere Überlegungen angestellt. In Schweden ist man zum Beispiel noch weiter gegangen. Da hat man sich auch dafür ausgesprochen, dass auch die jüdisch gläubige Minderheit aufgenommen wird.

Ich bleibe dabei: Das, worum es geht, hat einen anderen Stellenwert als die Diskussion über andere Staatsziele. Wenn ich davon rede - und dabei bleibe ich -, dass mit dieser Änderung der Landesverfassung auch deutlich gemacht wird, dass wir dazu stehen, dass sich die Sinti und Roma auf gleicher Augenhöhe am gesellschaftlichen Geschehen beteiligen, können Sie natürlich sagen, dass das letztlich Symbolpolitik ist. Aber das ist auch Ausdruck von Wertschätzung.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie vereinzelt bei der SPD)

Das ist auch Ausdruck dafür, dass sie gleichberechtigt mit den anderen Minderheiten SchleswigHolsteins, wie die dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe, wahrgenommen werden. Das ist Ausdruck für diese Gleichberechtigung.

Noch ein Punkt mehr: Es ist für mich mittlerweile unerträglich, wenn in jeder Diskussion gesagt wird, dass vielleicht auch andere benachteiligte Gruppen die Forderung aufstellen können, in die Landesverfassung hineinzukommen, und so weiter. Das ist mit diesem Punkt überhaupt nicht vergleichbar.

(Beifall bei SSW, SPD BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Minderheitenpolitik, lieber Kollege Kalinka, ist Menschenrechtspolitik und hat mit der UN-Menschenrechtskonvention zu tun. Es geht darum, deutlich zu machen, dass diese nationale Minderheit, die in Schleswig-Holstein heimisch ist, die dazugehört, nicht erst wegen der Diskriminierung in die Landesverfassung hineinkommt, sondern weil sie einfach dazugehört. Das ist der Punkt.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. von Boetticher?

Frau Kollegin Spoorendonk, ist Ihnen bekannt, dass die Bundesrepublik Deutschland Dutzende von europäischen und internationalen, von der UN verfassten Konventionen unterschrieben hat?

Warum ist diese Konvention dazu geeignet, eine Materie in die Verfassung hineinzubringen und eine andere Konvention - wir haben viele Konventionen unterschrieben - dann nicht? Dann müssten Sie doch fairerweise auch bei anderen Konventionen, die auf europäischer oder UN-Ebene verfasst worden sind, sagen, dass das Ziel, dass wir dort unterstützen, ebenfalls auf Antrag bei uns in der Verfassung Niederschlag findet.

- Lieber Kollege von Boetticher, Sie mögen recht haben, dass man so argumentieren kann, aber mein Punkt ist, dass man in einer politischen Diskussion - da bleibe ich noch einmal bei dem Kollegen Kalinka, weil er wirklich alles durcheinanderwarf nicht sagen kann: Okay, jetzt kommen die Sinti und Roma, und dann kommen andere dazu. Ich bin an Ihrer Seite, wenn es darum geht zu sagen, dass Kinderrechte mit der UN-Kinderrechtskonvention zu tun haben. Diese Diskussion können wir führen, aber wir müssen die Sachen schon ein bisschen sauber sortieren.

Es geht heute allein darum, Sinti und Roma in die Landesverfassung aufzunehmen. Es geht darum, dass wir es hier nicht mit Einwanderern zu tun haben, sondern mit einer heimischen nationalen Minderheit. Die Sinti und Roma sind deutsche Staatsbürger, und sie gehören in Schleswig-Holstein dazu.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Es geht darum, nicht die eine Minderheit mit der anderen Minderheit zu vergleichen, sondern Mehrheit und Minderheit miteinander zu vergleichen. Und da bin ich wieder bei der gleichen Augenhöhe und bei der Partizipation.

(Anke Spoorendonk)

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN - Zuruf des Ab- geordneten Werner Kalinka [CDU])

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Kollegen Thorsten Fürter.

Herr Kollege von Boetticher, wenn Sie sich von einem Sozialwissenschaftler ungern in juristischen Themen etwas Richtiges sagen lassen, muss ich da als Jurist noch einmal rein. Ich kann aber dem Kollegen Andresen nur völlig beipflichten, er hat das genau richtig dargestellt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Ranka Prante [DIE LINKE])

Diese Debatten, was in eine Verfassung gehört, sind für einen Juristen vom Grundsatz her legitim. Anke Spoorendonk hat darauf hingewiesen. Lassen Sie uns, wenn das der Auftakt für die CDU gewesen sein soll, eine Generalüberholung der Verfassung in dieser Legislaturperiode zu machen, darüber diskutieren, wie eine moderne Verfassung heute aussehen soll. Wenn Sie meinen, dass die Zeit dafür reif ist, dann lassen Sie uns das machen. Die Grünen würden sich einer solchen Generalüberholung sicherlich nicht verweigern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Kai Dolgner [SPD])

Aber solange die Verfassung so ist, wie sie ist, müssen wir natürlich gucken, dass sie in sich stimmig ist. Wenn da - Anke Spoorendonk hat es eigentlich schon gesagt; ich wiederhole es - bestimmte nationale Minderheiten genannt sind, die einen Schutz genießen, und sei es in einer Abwägung, dann müssen wir gucken, ob da auch noch andere hinzukommen müssen, die ein Gewicht haben, das dem entspricht. Die gleiche Debatte hatten wir auch bei der Bundesverfassung bei der Frage des Verstoßes gegen die Gleichbehandlung, als die schwarzgrüne Koalition in Hamburg angestoßen hat, die sexuelle Orientierung mit zu schützen. Da war ich auch enttäuscht von einer Haltung der CDU/FDPKoalition hier im Land, die offensichtlich nicht so weit diskutieren kann wie Schwarz-Grün in Hamburg. Das fand ich sehr enttäuschend.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU]- Christopher Vogt [FDP]: Wir haben auch keine Studiengebühren!)

Ich glaube, dass deswegen dieser Antrag, so wie er gestellt ist, richtig ist. Ich glaube auch, dass es ein Stück weit verlogen ist zu sagen, dass, wenn wir Roma und Sinti hineinnehmen, die Bedeutung des Sports und des Büchereiwesens relativiert wird. Ich glaube, dass das nicht stimmt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 17/268 dem Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend dem Europaausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Dann haben wir einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 auf:

Ergebnisse der 11. Trilateralen Wattenmeerkonferenz

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/391

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, dass das nicht der Fall ist.

Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer so votieren möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist das einstimmig so beschlossen.