Protokoll der Sitzung vom 19.05.2010

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Alarmsignal steht in Schleswig-Holstein schon lange auf Rot. Seit Jahrzehnten bezahlt das Land seine Zinsen mit neuen Schulden. Ich sage dies durchaus selbstkritisch, denn auch in neun Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung wurden circa 7 Milliarden € Schulden gemacht - und das, obwohl wir als Grüne in Berlin wie in Kiel die Weichen hätten anders stellen können.

Seien wir ehrlich miteinander! Erstens. Wäre der Bundestag nicht vorgeprescht und hätte die Schuldenbremse auch für die Länder verpflichtend ins Grundgesetz geschrieben, würden wir heute wahrscheinlich nicht die Kraft haben, unsere Verfassung zu ändern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Zweitens. Mit der heutigen Verfassungsänderung beschließen wir noch keinen Sanierungsplan, sondern erst einmal nur eine Absichtserklärung. Auf dem mühsamen Weg zur Schuldenabstinenz befindet sich das Land erst in dem Stadium, in dem sich ein Alkoholiker in einem lichten Moment schwört, ab morgen nicht mehr zu trinken.

Wie dornig der Weg hin zu einer nachhaltigen Finanzpolitik sein wird, kann man aus der von meiner Fraktion vorgelegten Haushaltsanalyse ablesen. Auch bei ehrgeizigen Sparmaßnahmen ist die Schuldenbremse allein durch Sparen - so unsere Analyse - nicht einzuhalten,

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

es sei denn, Klimaschutzziele, Bildungsgerechtigkeit und der soziale Friede würden infrage gestellt.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Für uns Grüne heißt nachhaltige Finanzpolitik nicht Gefährdung der Daseinsvorsorge, sondern Zukunftsgestaltung. Wer nicht in Klimaschutz investiert, wird überflutet werden. Wer nicht in Bildung investiert, baut ein Haus auf Sand, wer die Kommunen aushungert, gefährdet die Demokratie.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Deshalb mahnt meine Fraktion neben spürbaren Sparmaßnahmen auch Einnahmesteigerungen in Form von Steuererhöhungen an. Statt den sozialen Frieden zu gefährden, müssen große Privatvermögen höher besteuert werden, die Grunderwerbssteuer muss angehoben werden, um die vorschulische Bildung zu stärken, und der Soli muss beibehalten und in einen Fonds für Altschulden und Bildung überführt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD - Zuruf des Abge- ordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

(Katharina Loedige)

Außerdem muss sich die Bundesregierung zwingend und massiv für regulierte Finanzmärkte und für eine Finanztransaktionssteuer einsetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir dürfen es nicht zulassen, dass skrupellose Spekulanten weltweit die öffentlichen Kassen ruinieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Schuldenbremse ist es zukünftig nicht mehr erlaubt, auf das Prinzip Hoffnung zu setzen und die Finanzierung der Staatsaufgaben der zukünftigen Generation aufzubürden. Wer also keine Steuererhöhungen will, wer den Weg nicht will, den wir als Alternative vorschlagen, muss sagen, wie es denn gehen soll.

Wir Grüne haben 2009 als erste Fraktion einen Gesetzentwurf für die Schuldenbremse vorgelegt, und wir stimmen der Verfassungsänderung heute selbstverständlich zu, auch weil es gelungen ist - Herr Koch hat es erwähnt -, in konstruktiven und guten Verhandlungen zwischen den Fraktionen einen gemeinsamen Gesetzentwurf zustande zu bringen, in dem die drei zentralen grünen Forderungen aufgenommen worden sind. Erstens. Die Schuldenbremse darf nicht einseitig zulasten der Kommunen umgesetzt werden. Zweitens. Verschuldung wird nicht mehr an Beton festgemacht, sondern kann auch Bildungsinvestitionen umfassen. Drittens. Die Landesregierung ist aufgefordert, bei der Mitwirkung an Bundes- und europäischer Gesetzgebung die Vorgaben der Schuldenbremse zu berücksichtigen. Damit ist die Verfassung nicht nur gut austariert, sondern sie ist deutlich besser als die Regelung im Grundgesetz.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Ein Armutszeugnis ist es hingegen - da hört der Konsens wahrscheinlich auf -, dass die Landesregierung bis heute trotz stetiger Mahnung von uns keine Finanzplanung bis 2020 vorgelegt hat. Herr Ministerpräsident, Parlament und Öffentlichkeit hätten einen Anspruch darauf gehabt, heute, vor der Verfassungsänderung, zu wissen, was aus Sicht der Landesregierung auf sie zukommt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Es ist doch kein Zufall, sondern es sind taktische Winkelzüge, dass Sie Ihren Plan just eine Woche nach der Verfassungsänderung vorlegen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir haben immer gesagt: Im Mai!)

Unser grünes Ja zur Verfassungsänderung ist selbstverständlich kein Ja zu schwarz-gelben Sparvorschlägen, die wir noch gar nicht kennen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir sagen aber zu, dass wir alle Sparvorschläge ergebnisoffen prüfen, denn die Menschen im Land sind es leid, von der Opposition mit leeren Versprechungen überhäuft zu werden, die - kaum in Regierungsverantwortung - wieder einkassiert werden.

(Beifall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

- Die FDP klatscht schon.

(Christopher Vogt [FDP]: Ich klatsche, ich bin nicht die FDP!)

Am besten ist das am Beispiel der FDP zu sehen, die im Bund wie im Land alle populistischen Wahlversprechen wieder einkassieren muss, weil diese offenbar unseriös waren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Welche denn?)

- Dazu komme ich jetzt, Herr Kubicki. So war die Opposition gegen Kürzungen beim Weihnachtsund Urlaubsgeld, sie hat sogar versprochen, das wieder rückgängig zu machen. Sie war gegen Mehrarbeit für Beamte, gegen den Eingriff in den kommunalen Finanzausgleich, gegen die Schließung von Finanzämtern und Amtsgerichten, gegen die Auflösung des Polizeiorchesters und so weiter. Herr Kubicki, von all dem ist heute nichts mehr übrig geblieben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich gucke mir an, wie Sie die 120 Millionen € für die Kommu- nen aufbringen wollen!)

- Herr Kubicki, der Tiger, der als Bettvorleger landete, trägt die Farbe Gelb.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn wir unser Land zukunftsfest umbauen wollen, dann müssen wir an die großen Strukturen ran,

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Ge- nau!)

(Monika Heinold)

statt mit kleinteiligen Sparvorschlägen soziales und kulturelles Engagement und ehrenamtliche Strukturen zu zerschlagen.

(Christopher Vogt [FDP]: Haben Sie Ihr ei- genes Programm mal durchgelesen?)

Wer sich vor der Nordstaat-Debatte drückt und gleichzeitig den Kindertagesstätten die Mittel zusammenstreicht, sitzt in einem Dampfer mit Rückwärtsgang.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wer Schulsysteme aus ideologischen Gründen verkompliziert und verteuert, sollte lieber Kartoffeln ernten, statt das Land zu regieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Frau Kollegin Heinold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Frau Kollegin Heinold, ist Ihnen bekannt und bewusst, dass im Landtagswahlprogramm der Grünen die Formulierung enthalten ist, dass die Grünen sicherstellen wollen, dass G8 und G9 an allen Schularten angeboten werden?

Herr Kubicki, wenn Sie unser Programm sorgfältig gelesen hätten, hätten Sie unser Konzept verstanden, das besagt, dass wir eine Schule für alle wollen mit einer Oberstufe, in der man innerhalb von zwei bis vier Jahren das Abitur machen kann, im Kurssystem. Damit wollen wir für die schnellen und für die langsamen Kinder, für alle Kinder an allen Schulen G8 und G9 sicherstellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)