Herr Carstensen und Herr Kubicki, Ihre phonstarken Ausführungen, wonach Sie die Steuersenkungspläne der schwarz-gelben Bundesregierung im Bundesrat ablehnen werden, sind angesichts Ihrer Wahlversprechen wenig glaubwürdig. Habe ich das geträumt, oder ist hier landesweit blau-gelb „Mehr Netto vom Brutto“ plakatiert worden? Das habe ich doch gesehen. Sie alle hier im Haus wahrscheinlich auch.
Wo waren Sie eigentlich, Herr Carstensen, als die Zustimmungen der Landeschefs zum Koalitionsvertrag im Bund eingeholt worden sind? Wahrscheinlich waren Sie nicht dabei, weil Sie in Berlin kaum einer kennt. Aber ich will Ihnen sagen: Es steht darin, dass das gemacht werden soll, was die FDP angekündigt hat. Ich habe gehört, dass sich Herr Schäuble in Meseberg so geäußert hat. Frau Merkel hat sogar den Slogan von Herrn Westerwelle wörtlich auswendig gelernt und wiedergegeben, dass das mit den Steuersenkungen jetzt kommt: Einfacher, gerechter, niedriger - oder so etwas Ähnliches.
Natürlich hofft die Opposition, dass die für Schleswig-Holstein völlig inakzeptablen Einnahmeausfälle im Bundesrat ablehnt werden und dass Sie sich auf keinen Kuhhandel einlassen werden.
Ich sage Ihnen dazu: Eher legt sich der Hund des Nachbarn einen Wurstvorrat an, als dass es Ihnen gelingen könnte, einen Schleswig-Holstein-Soli durchzusetzen. Letztlich werden Sie sich wie damals bei der Unternehmensteuerreform, die Schleswig-Holstein auch viel Geld gekostet hat, auf die ominösen Refinanzierungseffekte einlassen. Derselbe Finanzminister ist ja noch im Amt. Die wolkige Formulierung, dass es einen fairen Ausgleich geben solle, spricht Bände. Nachrechnen werden wir dann erst 2020 können. Diese Jahreszahl haben Sie heute hier mit am häufigsten verwendet.
Weder das Land Schleswig-Holstein noch die Kommunen können sich weitere Einnahmeausfälle leisten. Die Schuldenbremse würde noch mehr zur Farce. Wie Sie wissen, sind die Sozialdemokraten der Meinung, dass wir einen fairen Altschuldenpakt von Bund, Ländern und Kommunen für notwendig halten. Anders können die Verfassungsvorgaben, die darüber hinaus auch noch in verfassungswidriger Weise geregelt sind und deswegen beklagt werden, überhaupt nicht erfüllt werden. Wenn wir nicht wollen, dass unser Land zurückfällt, dass wir schlechtere Bildung, weniger innere Sicherheit, schlechtere soziale Infrastruktur als unsere Nachbarn anbieten - mit allen Konsequenzen, die das für die Demokratie in unserem Lande hätte -, dann müssen wir hier gegensteuern. Dies gilt im Übrigen auch für eine wirkliche Lösung der finanziellen Probleme der großen Städte, die mit blumiger Unterstützung nicht weiterkommen. Interessant ist, dass Sie die Gewährung zusätzlicher Gelder - das haben Sie dreimal wiederholt - ausschließen, dies im Hinblick auf den ländlichen Raum aber nicht sagen. Ich finde, das war eine interessante Feststellung in Ihrer Regierungserklärung.
Fast noch wichtiger finde ich übrigens die Ablehnung des sogenannten Stufentarifs, der mindestens ebenso ungerecht wäre, nur ungleich teurer. Hier würde das Leistungsprinzip, dass der, der mehr kann, auch mehr zahlen muss, ins Gegenteil verkehrt. Je mehr Punkte man sich vornimmt, desto klarer wird: Weder im Bund noch hier soll an einer sozialen Gesellschaft gearbeitet werden. Das ist Umverteilung von unten nach oben. Das ist Klientelpolitik par excellence. Schön, dass man nun wenigstens alle Steuerberatungskosten absetzen kann. Das wird den Werftarbeiter bei HDW mächtig freuen.
Solide Konsolidierung wird von der Union immer wieder als Markenzeichen für sich reklamiert. Auch die FDP hat vollmundig versprochen, wie überall so auch in diesem Bereich alles besser zu machen. Sie erwähnen das ja auch in Ihrer Regierungserklärung. Aber wo bleiben Ihre konkreten Vorschläge? Wir finden nichts Konkretes, sondern nur viele Verweise auf 2020. Verschiebebahnhof allenthalben! Sie wollen die Kofinanzierung und die einzelbetriebliche Förderung prüfen. Die Landwirtschaft haben Sie in Ihrer Aufzählung nicht erwähnt.
Eine pauschale Zahl findet sich allerdings beim Personalabbau, aber selbst dort ist eine Kommission sozusagen zwischengeschaltet. Ich weiß nicht,
ob der Präsident des Rechnungshofs dort noch mitarbeiten will. Sie wollten ihn dabeihaben. Interessanterweise nennen Sie in Ihrer Regierungserklärung keine Tabubereiche, obwohl diese zuvor genannt worden sind. Wenn Sie aber, wie von Ihren Kabinettskollegen eingefordert - die Aussagen von Minister Dr. Klug im Bildungsausschuss zum Bildungspakt waren mutig; wir haben sie gehört; sie sind sogar protokolliert -, die großen Bereiche ausnehmen, ist auch diesem Ziel die Grundlage entzogen und Ihre erfreuliche Zusage, es gebe keine betriebsbedingten Kündigungen, ist nichts wert - wie damals, als Sie versprochen hatten, das Weihnachtsgeld nicht anzurühren.
Bedenken Sie, dass die Große Koalition über 3.000 von den verabredeten 4.800 Stellen im Bildungsbereich einsparen wollte und dennoch die demografischen Spielräume in einem Umfang von über der Hälfte dazu nutzen wollte, Qualität und Quantität in der Unterrichtsversorgung zu steigern. Alle 4.800 Stellen wären durch Altersabgänge einzusparen. Das gilt für die Gesamtzahl natürlich nicht mehr, wenn Sie bestimmte Bereiche ausnehmen. In den restlichen Bereichen gibt es nicht so viele Altersabgänge. Wollen Sie denn beim Personalabbau - anders als Sie heute gesagt haben - doch betriebsbedingte Kündigungen einsetzen sowie Gleichstellung und Mitbestimmung abbauen? Wir Sozialdemokraten haben Ihnen diese Forderungen in der letzten Legislaturperiode immer wieder abschlagen müssen. Sie sind immer wieder damit gekommen. Wenn Sie es wieder tun, werden wir es hier kritisieren. Das kann ich Ihnen versprechen.
Wenn ich es richtig verstanden habe, sollen diese Personaleinsparungen ohnehin erst in der nächsten Legislaturperiode erfolgen, also weit nach einem Zeitpunkt, wo das noch Ihr Problem ist, Herr Ministerpräsident. Ich frage mich auch, wo denn die großartigen Sparvorschläge der Ressorts sind, die immerhin schon einen Tag nach der Wahl hätten vorliegen sollen, jene Vorschläge, mit deren Fehlen bei den Sozialdemokraten Sie damals den Bruch der Großen Koalition in diesem Hause begründet haben, wobei allerdings jeder gemerkt hat, dass das nicht der Wahrheit entsprochen hat.
Wir haben Ihnen gesagt, wie das geht, nämlich mit einer entschlossenen Verwaltungsstrukturreform davon wollen Sie nichts wissen -, die an Ihnen gescheitert ist, mit Kürzungen bei der Gießkannenförderung der millionenschweren einzelbetrieblichen
Förderprogramme, mit glasklarem Vorrang für Bildung, Kinderbetreuung und Klimaschutz gegenüber allen anderen Feldern. Bei Ihnen ist in dieser Hinsicht festzustellen: Fehlanzeige! Das einzig Konkrete habe ich einer Rede von Ihnen entnommen. Sie sagten, dass Vereine und Verbände nur noch bei Projekten gefördert werden. Was heißt das? Es bedeutet Unsicherheit für die dort Beschäftigten, Unsicherheit für die Vereine und Verbände und eine zunehmende Abhängigkeit vom politischen Goodwill respektive von der konservativen Grundausrichtung. Das wird es heißen.
Wenn man Sie danach fragt, sagt der Ministerpräsident: Wir können uns halt leider zum Beispiel die bescheidene Hilfe für Folteropfer nicht mehr leisten, die als Flüchtlinge hier leben. Ausgerechnet dieses Beispiel, Herr Carstensen, haben Sie kürzlich genannt. Dafür würde ich mich an Ihrer Stelle schämen.
Vielleicht verhilft Ihnen ja der heutige Buß- und Bettag zu neuen Einsichten. Es wäre jedenfalls zu hoffen.
Sie wollen auch in der Umwelt- und Energiepolitik eine Wende. Ihr angeblich sicherer Mix ist aber eben nicht sicher. Mit der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke treiben Sie Schindluder mit der Zukunft unseres Landes, wenn ich allein an die ungeklärte Endlagerung jahrtausendelang strahlenden Mülls denke. Sie verhindern mit dem Blockieren von Förder-, Forschungs- und Leitungskapazitäten den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir können uns das nicht leisten. Der Druck der kleinen Unternehmen in diesem Bereich wird zunehmen. Ich hoffe, er wird ausreichen, um Sie zu einem Umdenken zu bewegen. Wir müssen heraus aus den Monstertechnologien, hin zu mehr Energiesparen und Energieeffizienz und dem konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien.
Die Energiewende ist eine der zentralen Herausforderungen. Man darf nicht vor den Lobbyinteressen kuschen. Es ist schön, dass Sie bei der CO2-Deponierung dazugelernt haben. Ihre früheren Wirtschaftsminister waren, was diesen Bereich angeht, ganz anderer Auffassung und haben die Unternehmen erst ins Land gelockt. Ich fürchte aber, dass
Sie der finanziellen Lobbymacht der großen Energiekonzerne nichts Ausreichendes entgegensetzen können und wollen. Ein Zukunftskonzept für die Energieversorgung, die Versorgungssicherheit und Klimaschutz wird wohl von der Opposition kommen müssen. Von der Regierung ist das nicht zu erwarten.
Ihre Ausführungen zur Umweltpolitik sind blumig und nicht konkret. Sie reden von Minimierung des Flächenverbrauchs und von neuen Freiheiten im Landesentwicklungsplan. Wie das alles realisiert werden soll, bleibt eines der vielen Geheimnisse der Regierung.
Wir müssen jetzt diejenigen ernst nehmen, die sich von uns abwenden. Wir müssen eine Antwort für die haben, die bei dieser Wahl geglaubt haben, mit einer dem Egoismus frönenden Partei besser zu fahren. Wir müssen eine Politik entwickeln, die deutlich und glaubwürdig die Lebenssituation der Bevölkerung verbessert. Dazu sehe ich im Koalitionsvertrag dieser Regierung und in Ihrer Regierungserklärung, Herr Ministerpräsident, keinerlei Ansätze.
Sie stoßen die Frauen in diesem Land vor den Kopf, indem Sie sie in die zweite Reihe verdammen und erst nach nachhaltigem öffentlichen Protest eine Landwirtschaftsministerin aus dem Hut zaubern, die ich zwar seit meiner Zeit im Finanzministerium persönlich schätze, die aber nicht den fatalen Eindruck widerlegen konnte, dass Sie Frauen in der Verantwortung nicht wollen. Was Kabinett heißt, Herr Ministerpräsident, sagt Ihnen Frau Merkel. Ich zitiere sie: Kabinett sind der Regierungschef und die Ministerinnen und Minister. - In Ihrem Kabinett gibt es eine Frau. Das ist Politik ohne die Hälfte der Bevölkerung. Gleichstellungspolitisch ist Ihr Kabinett wieder auf dem Stand von Mitte der 50er-Jahre angekommen.
All das tun Sie übrigens in feiner Eintracht mit Ihrem neuen Traumpartner. Was der neue Justizminister von Gleichstellung und Integration hält, hat er auf peinliche Weise beim ersten Auftritt im Innenund Rechtsausschuss ja schon wissen lassen. Lesen Sie das Protokoll. Sie werden glauben, das sei eine Erfindung. Ich will es hier nicht vorlesen. Lesen Sie es einmal nach!
Es ist wirklich nicht zu glauben, dass das ein Minister dieser Regierung im Jahr 2009 formuliert. Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Protokolls.
Mit diesem Kabinett werden aber auch jene verprellt, die ein Mindestmaß an Solidität von der Regierung erwarten. Sie halten einen Finanzminister im Amt, der in Sachen HSH Nordbank kläglich versagt hat, sodass Sie ihm konsequenterweise die Zuständigkeit entzogen haben. Herr Kubicki kann sich das Lachen ja kaum verbeißen und hat Sie in einer Weise bloßgestellt, die bei Ihnen noch Sehnsucht nach früheren Kabinettskollegen auslösen wird. Wo ist eigentlich Ihr Rest an Selbstachtung, Herr Finanzminister Wiegard, dass Sie es vorziehen, auf Ihrem Stuhl sitzen zu bleiben, anstatt unter solchen Umständen zurückzutreten? Wahrscheinlich braucht Sie der Regierungschef aber noch als Deichlinie für die Zeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Das ist die Wahrheit, warum Sie hier noch sitzen, Herr Finanzminister.
Sie ernennen jemanden zum Innenminister, dessen größte Leistung der letzten vier Jahre etwa 600 Seiten leeres Papier gewesen sind.
Vom Entbürokratisierungsstaatssekretär zum Innenminister: Jetzt hat man endlich einmal etwas, womit man Schülerinnen und Schülern anschaulich das Peter-Prinzip erklären kann.
Sie fürchten ganz offenkundig auch dessen rechtskonservatives Verständnis von Innenpolitik, sodass Sie ihm die Zuständigkeit für den Ausländerbereich lieber entzogen haben. Das finde ich gut. Wir werden aber darauf achten, wie es mit der Innen-, Rechts- und Ausländerpolitik in der Praxis weitergeht. Von Schwarz-Gelb in Niedersachsen wissen wir, dass die FDP dort eine reaktionäre Ausländerpolitik mit betreibt. Es war der FDP-Innenminister Wolf in der schwarz-gelben Regierung in Nordrhein-Westfalen, der bundesweit das erste Gesetz zur Onlinedurchsuchung eingebracht hat, das Karlsruhe zum Glück kassiert hat. Eine liberale Innenund Rechtspolitik finden Sie auch in der badenwürttembergischen schwarz-gelben Koalition nicht. Wir werden gucken, was Sie hier tun.
Sie ernennen einen Sozialminister - ich habe mir das noch einmal angeguckt, weil ich das richtig stark fand -, der noch vor Kurzem wie ein Derwisch
aufgesprungen ist - das konnte man in der „Tagesschau“ sehen - und Frau Trauernicht zugerufen hat, man möge doch bitte endlich ihm die Zuständigkeit für Krümmel geben, weil er dann zeigen könne, wie man das besser macht. Dann hören wir, dass er sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hat, dass er die Zuständigkeit bekommt, und das ins Justizministerium verlagert worden ist. Das ist schon ein Bubenstück.
Herr Ministerpräsident, aber Ihr Kabinett erweckt nun wirklich nicht den Eindruck, dass wir in Schleswig-Holstein von den Besten regiert werden, wirklich nicht.
Herr Dr. Klug, wenn jetzt Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und Eltern verprellt werden, die der Zusage von Herrn Carstensen geglaubt haben, an der Schulstruktur werde nicht herumgedoktert, und nun klammheimlich eine Wende eingeleitet werden soll, dann wird Sie das noch einholen.