Protokoll der Sitzung vom 18.06.2010

Wenn Kindern die Chance genommen wird, gleiche Bildung zu erfahren, haben sie ein Recht, auch mit fünf oder sechs Jahren hier vor der Tür zu stehen und zu demonstrieren, Herr Kubicki.

(Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das müssen Sie vielleicht noch einmal lernen. Das gehört zur Demokratie dazu. Wir wollen junge und auch jüngere Menschen dazu anleiten, sich für ihre Interessen einzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Anzuleiten? - Weitere Zurufe)

Herr Kubicki, es gibt Bildungsleitlinien. Lesen Sie sich die einmal durch! Dann werden wir hier noch einmal stehen und nach meiner Meinung anders miteinander sprechen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ja, genau! - Un- ruhe - Glocke des Präsidenten)

Mittwoch ebenso wie gestern sind die Menschen selbst vor die Türen des Landeshauses gekommen,

um Ihnen klar und deutlich zu machen, was sie davon halten, wenn ihnen und ihren Kindern die Zukunft wegkonsolidiert werden soll. Vor der Tür war es klar, und hier drinnen muss man es Ihnen eigentlich nicht mehr sagen, denn Sie wissen natürlich, dass die Streichung des beitragsfreien dritten KitaJahres Zukunftschancen nicht ermöglicht, sondern zerstört.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Streichung wird dazu führen, dass Kinder aus Kitas abgemeldet werden. Das haben uns einige große Träger signalisiert. Diese Streichung wird dazu führen, dass Kinder nur halbtags statt ganztags in den Kindergarten gehen werden. Und es werden selbstverständlich Kinder aus armen Familien und diese Familien selbst sein, die diese Streichung treffen wird.

Nirgends in der Bundesrepublik sind Kindertagesstätten teurer als in Schleswig-Holstein. Die Spitzenstellung nimmt das Land schon unter Einbezug des beitragsfreien dritten Kita-Jahres ein. Die vorgesehene Streichung wird die Spitzenposition unanfechtbar verteidigen. So wird das nichts mit der Erhaltung von Zukunftschancen.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf des Abge- ordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Hier wird im Gegenteil gerade bei denen gekürzt, um deren Zukunft es gehen sollte und vor allem um ihre Chance, ihr Leben einmal frei und selbstbestimmt zu gestalten. Dem können wir natürlich nicht zustimmen.

Es kann auch nicht reichen, dass Sie 10 Millionen €, die Sie hier wegkürzen, in die Landesmittel für Kindertagesstätten geben wollen. Damit deckeln Sie auf einem wiederum unzureichenden Niveau. Gedeckelt wird nämlich schon seit 2004. Die 10 Millionen € mehr mögen helfen, aber sie gleichen die Verluste seit 2004 in diesem Bereich nicht aus.

(Günther Hildebrand [FDP]: Das können Sie doch nicht uns vorwerfen!)

- Ich werfe das der Vorgängerregierung vor. Sie haben das in Ihrer Regierungszeit hier mitgemacht. Die FDP saß damals in der Opposition, gut. Das kann ich Ihnen nicht anlasten. Aber die CDU macht hier ja mit, und die SPD war damals mit an der Regierung. Auch die Grünen haben das mit gedeckelt.

(Zurufe)

Die 10 Millionen € werden letztendlich -

(Antje Jansen)

(Anhaltende Zurufe)

- Das sehen Sie ja, wer hier Landesvorsitzende war, natürlich. Ich habe dagegen gestimmt.

(Anhaltende Zurufe)

Wir können auch nicht übersehen, dass die Abwicklungskosten des beitragsfreien dritten KitaJahres einfach bei den Kommunen und bei den Trägern liegen bleiben sollen. Kommunen haben Personal eingestellt für die verwaltungstechnische Umsetzung. Die Träger haben im Vertrauen auf die Einführung und den Bestand des beitragsfreien dritten Kita-Jahres Personal eingestellt. Und nun sollen sie sehen, wie Sie mit diesen Menschen umgehen. Es sind Arbeitsverträge abgeschlossen worden. An denen hängen Arbeitsplätze, die jetzt hinfällig werden. Und für die Kommunen und für die Träger hängen an diesen Verträgen natürlich auch Fristen und damit auch Kosten, wenn es quasi fristlos keine Refinanzierung mehr gibt.

Der Herr Minister für Soziales hat gestern früh den versammelten Sozialverbänden draußen vor der Tür erklären wollen, wie schwer ihm und der ganzen Regierung Streichungen und Kürzungen im sozialen Bereich fallen. Das hat da draußen vor der Tür dieses Hauses natürlich nicht geklappt. Der Minister ist nicht wirklich zu Wort gekommen. Das muss uns nicht wundern, denn die Geduld der Menschen in Schleswig-Holstein ist durch Ihr Sparprogramm erschöpft.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber ich hoffe, das, was dem Minister da entgegengerufen wurde, klingt ihm noch in den Ohren. Sein Redeversuch ist untergegangen in den drei schlichten Buchstaben: HSH. Diese drei Buchstaben reichen tatsächlich aus, um das Sparpaket politisch zu qualifizieren, das die Landesregierung durchsetzen will.

(Christopher Vogt [FDP]: Ja, das hat Herr Garg zu verantworten!)

- Das haben Sie mit zu verantworten, denn Sie haben ja die Gehälter

(Zurufe von der FDP)

- da saß ich schon hier auf dieser Bank - erhöht, und Sie haben zugestimmt.

(Widerspruch bei der FDP)

- Natürlich haben Sie das dann zu verantworten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir haben uns der Stimme enthalten! - Weitere Zurufe von der FDP - Glocke des Präsidenten)

- Herr Kubicki, Sie können sich Ihre Hände hier nicht reinwaschen. Sie sitzen hier doch schon seit längerer Zeit auf der Bank, und jetzt sind Sie an der Regierung beteiligt. Sie wissen schon, was Sie wollen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir haben alles mit zu verantworten! Wunderbar! - Weitere Zurufe von der FDP)

Über Ihre Motivation brauchen wir in der Tat nicht weiter zu reden. Für diese Landesregierung ist Vertiefung und Zementierung sozialer Schieflage Programm. Das machen wir nicht mit. Wir machen es nicht mit bei den Hochschulen, wir machen es nicht mit bei den unsozialen Kürzungen beim Landesblindengeld, nicht bei den Frauenhäusern, nicht bei den Selbsthilfegruppen. Ihre Streichliste ist zu umfassend, um sie hier erschöpfend aufzuzählen. Natürlich machen wir es nicht mit beim beitragsfreien dritten Kita-Jahr. Ihren Angriff gegen die sozialen Interessen der Menschen im Land müssen Sie allein führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort für die SSW-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Flemming Meyer.

Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir alle wissen, dass der Bereich der frühkindlichen Förderung von der Politik viel zu lange vernachlässigt worden ist. Anstatt in dieses enorm wichtige Zukunftsfeld zu investieren, wurden die Standards immer weiter verschlechtert, die Elternbeteiligungen stiegen, und Ansätze zur dringend notwendigen Qualifizierung des Personals wurden nicht konsequent verfolgt. Deshalb unterstützt der SSW selbstverständlich alle Vorhaben, die dazu dienen, die pädagogische Förderung von Kindern zu verbessern. Allein der Blick auf die günstigeren Bedingungen und guten Ergebnisse der frühkindlichen Förderung in Dänemark lässt unserer Meinung nach keinen Zweifel an der Wichtigkeit solcher Maßnahmen.

(Unruhe)

Wenn wir heute sehen, was wir an Geld brauchen, um Fortbildungs- und Stützkurse für Schüler aufzu

(Antje Jansen)

bringen, damit sie für eine Ausbildung reif sind, kann man sehen, was man spart, wenn man wirklich in frühkindliche Bildung einsteigt.

(Anhaltende Unruhe)

Wer die gestrige Ausschusssitzung zur Änderung des Kita-Gesetzes verfolgt hat, hat aber mit größter Wahrscheinlichkeit den Eindruck gewonnen, dass die frühkindliche Bildung bei den Regierungsfraktionen keine besonders hohe Priorität genießt.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Abschaffung des beitragsfreien Kita-Jahres soll einfach im Hauruckverfahren durchgepeitscht werden, was unsere Fraktion bei diesem so wichtigen Thema ganz einfach nur beschämend findet.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN - Unruhe)

Ein ordentliches parlamentarisches Verfahren findet hier definitiv nicht statt. Es kann weder von ausreichender Beratungszeit noch von einer annähernd zufriedenstellenden Informationsgrundlage die Rede sein. Diese Gesetzesänderung birgt aber viel zu viele ungeklärte Fragen und nicht absehbare Konsequenzen, als dass sie einfach im Vorbeigehen durchgedrückt werden dürfte.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wenn durch die gestrige Ausschusssitzung etwas klar geworden ist, dann ist es die Tatsache, dass es in diesem Zusammenhang schlicht und einfach viel zu viele offene Fragen gibt. Diese müssen aus Sicht des SSW erst einmal geklärt werden, bevor hier eine Entscheidung getroffen werden kann.