Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

Um diese wichtige gesellschaftliche Aufgabe bewältigen zu können, braucht es ein Konzept von Land und Bund, das eine dauerhaft tragfähige Finanzierung vorsieht. Ich finde es in Ordnung, dass Sie jetzt die 70 Millionen € bereitstellen. Ich wünsche mir, dass diese dynamisiert werden. Das ist ganz, ganz wichtig, insbesondere für die Zukunft. Es geht ja nicht nur um die Dreijährigen, sondern überhaupt um die Kindergartenbetreuung in diesem Land. Es kann nicht angehen, dass der Bund etwas beschließt, dann den Kommunen etwas aufs Auge gedrückt wird, und dann sich der Bund in die Büsche schlägt. Es kann nicht angehen, dass der Bund nur für zwei, drei, vier oder fünf Jahre vielleicht eine Finanzbeteiligung ermöglicht und dann weg ist.

(Zuruf von Minister Rainer Wiegard)

- Ja, das ist klar. Aber es ist auch absehbar, dass das dann wegfällt. Lieber Herr Kollege Minister, es ist auch klar, dass die Kommunen mit dem Geld nicht

(Lars Harms)

auskommen werden. Wenn die Kommunen nicht auskommen, dann muss man ihnen das Geld zur Verfügung stellen. Dann ist der Bund in der Verantwortung, dieses zu tun.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, SPD und der LINKEN)

Wir brauchen eine Einigung zwischen Land und Bund und auch die Beteiligung der Kommunen, um zu klären, wie diese Finanzierung sichergestellt werden kann. Dieser Eiertanz, der jetzt läuft, bei dem jeder dem anderen etwas in die Schuhe schiebt, bringt uns nicht weiter und hilft insbesondere den Kommunen nicht.

(Beifall beim SSW sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 17/959 durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat. Es ist kein Antrag gestellt worden, der Tagesordnungspunkt ist damit erledigt.

Hinsichtlich des hier mehrfach geäußerten Wunsches, das im Ausschuss weiter zu beraten, weise ich darauf hin, dass der Ausschuss im Rahmen des Selbstbefassungsrechts natürlich die Möglichkeit der weiteren Erörterung des Themas hat.

Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung: 13:14 bis 15:04 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung und begrüße Sie alle ganz herzlich. Zum Ablauf der Tagung teile ich Ihnen mit, dass sich die Parlamentarischen Geschäftsführer darauf verständigt haben, den Punkt 57 - Sicherheitsbericht - von der Tagesordnung abzusetzen.

Begrüßen Sie bitte mit mir auf der Besuchertribüne Vertreterinnen der Hausfrauenunion Wrist sowie alle anderen Besucher ganz herzlich im Hause. - Guten Tag!

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16, 29, 34 und 41 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende aussetzen!

Antrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/911

b) Mobilitätskosten im Regelsatz berücksichtigen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/984

c) Teilhabe stärken, Regelsätze transparent gestalten - Neuregelung im SGB II und SGB XII

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/992

Neuberechnungen der Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II

Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/1033

d) Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums bei der Neufestsetzung der Hartz-IV-Regelsätze umsetzen!

Antrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/1001

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann erteile ich für die Fraktion DIE LINKE der Frau Abgeordneten Antje Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leider haben wir bei diesem Thema wieder so eine lichte Kulisse. Das bedaure ich immer. Vielleicht kommen ja noch alle. Das hoffe ich jedenfalls.

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ermittlung von Regelbedarfen stecken zwei ernsthafte Probleme. Erstens. Die Regelsätze sind für die Führung eines menschenwürdigen Lebens nicht

(Lars Harms)

auskömmlich. Zweitens. Nach unserer Ansicht sind sie so gewollt.

Im Februar 2009 hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zur Berechnung der Kinderregelsätze verkündet. Angesichts der Absurditäten des bei der Berechnung verwendeten Verfahrens war es keine Überraschung, dass das Gericht der Bundesregierung die bisherige Verfahrensweise um die Ohren gehauen hat. In diesem Urteil hat das Gericht aber mehr gefordert als eine Nachbesserung bis zum Ende des Jahres. Es hat mit dem Anspruch auf eine transparente und nachvollziehbare Berechnung zugleich ein Grundrecht auf die Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums festgestellt, zu dem auch die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft gehört. Damit haben die Probleme der Bundesregierung erst ihren Anfang genommen.

Mit dem Gesetzentwurf hat die zuständige Ministerin Frau von der Leyen eine Antwort gegeben, aber sie hat die Aufgabe nicht gelöst. Es genügt eben nicht, nur die einen Absurditäten in der Regelsatzbestimmung gegen neue Absurditäten auszutauschen. Wie soll man es finden, dass Kinder und Jugendliche nun zwar nicht mehr als dreigestufte „Prozenterwachsene“ betrachtet werden, dafür aber - um ein einziges Beispiel zu nennen - bei den Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren derselbe Unsinn getrieben wird wie bei Erwachsenen? Es gibt ich darf Ihnen das zitieren

„in der obersten Altersgruppe tatsächlich den Konsum von Alkohol und Tabakwaren… Die Ausgaben von Alkohol und Tabak gehören nicht zum Grundbedarf und sind deshalb nicht regelbedarfsrelevant.“

Immerhin trinken Jugendliche scheinbar doch weniger als Erwachsene. Ihnen reichen 4 ct für den Ersatz der Flüssigkeitsmenge, umgerechnet sind das 11,8 statt 12 l niedrigpreisigstes Mineralwasser. Wer will hier eigentlich wen veralbern? Seien Sie versichert: Die Kette solcher Beispiele ließe sich abendfüllend verlängern.

Die Höhe der Regelbedarfe ist akribisch, vielseitig und phantasievoll begründet worden. Aber die Berechnung steckt voller Mängel und ist keineswegs transparent. Und ist es auch Unsinn, so hat es doch Methode. Die Methode ist benennbar, aber sie raucht ab wie eine Nebelkerze. Die Ermittlung der Regelsätze bleibt in jedem einzelnen Punkt ein politisches Verfahren. Das Verfahren orientiert sich nicht an einem Existenzminimum. Es bemisst und definiert ein Existenzminimum. Das lässt sich aber

auch nicht objektivieren, weil es natürlich ohnehin eine Frage des sozialen Konsens ist. So mutiert das Ganze zu einer Frage von Großzügigkeit beziehungsweise in diesem Fall von politischer Schäbigkeit, die mühsam versucht, zwischen den Zeilen des Verfassungsgerichtsurteils hindurch zu humpeln.

Die Fraktionen von CDU und FDP haben gestern ein Änderungsantrag zum Antrag der SPD gestellt. Ihnen genügt ein einziger Satz, um die Höhe der Regelsätze vollendet zu denunzieren. Ich zitiere:

„Der Anreiz zur Aufnahme von Arbeit wird nicht gemindert, und das Lohnabstandsgebot bleibt gewahrt.“

Man darf das - man muss das sogar - mit einer schwarz-gelben Politik in Zusammenhang bringen, die über Jahre hinweg dafür gesorgt hat, dass das Niveau der Reallöhne in der Bundesrepublik gesenkt wurde.

(Gerrit Koch [FDP]: Solange sind wir doch gar nicht im Amt!)

Was soll jemand, der einerseits mit seiner Politik den Billiglohnsektor aufbläht und Löhne drückt und sich andererseits an das Lohnabstandsgebot ohne gesetzliche Mindestlöhne klammert, auch anderes vertreten als eine parallele Abwärtsbewegung der Grundsicherung? Daran ändert auch das Lächeln der Bundesministerin von der Leyen bei der Vorstellung ihrer Bildungs- und Teilhabepolitik gar nichts.

Das Pochen auf die Gewährungen in Form von Sachleistungen überspielt einfach, dass für die konkrete Umsetzung des Gutscheinverfahrens wenig bis nichts geklärt und geregelt ist. Für uns ist es eine scheinbare Erfolgsmeldung, dass für die etwa 70.000 betroffenen Kinder und Jugendlichen und 30 Millionen € nach Schleswig-Holstein fließen werden. Aber dieses Geld muss auch irgendwie bei den Kindern und Jugendlichen ankommen.

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

„Irgendwie“ bedeutet, dass es die Sachleistungen flächendeckend und für alle erreichbar geben muss. Auf dem Lande sind Sachleistungen schwieriger zu bekommen als in den Städten, weil die Infrastruktur, weil die Mobilität dort nicht so vorhanden ist.

(Werner Kalinka [CDU]: Wir leben auf dem Land auch ordentlich!)

- Herr Kalinka, die Mobilitätsmöglichkeiten der Menschen sind dort eingeschränkt. Das wissen auch

(Antje Jansen)

Sie sehr gut, das stellen wir auch in anderen Debatten fest.