Nach den vorliegenden Gesetzentwürfen wird dies aber von einer breiten Mehrheit des Hauses so gewünscht. Beides miteinander zu vereinbaren ist nicht einfach.
Das Verfassungsgericht in Schleswig hat ausgeführt, dass es eine Lösung sein kann, wenn der Gesetzgeber vorrangig das Entstehen von Überhangmandaten begrenzt. Wenn wir diesen Ansatz so weiterdenken, dann ist den bisherigen intensiven Anhörungen im Innen- und Rechtsausschuss zu entnehmen, dass es für das Entstehen von Überhangmandaten drei wichtige Ursachen gibt, nämlich erstens den Gebrauch des Stimmensplittings, zweitens das zunehmende Auftreten vieler kleiner Fraktionen und drittens das Verhältnis von Direkt- zu Listenmandaten.
Wer das Stimmensplitting als erste Ursache für die Überhangmandate ausschalten will, der muss konsequenterweise eigentlich zum Einstimmenwahlrecht zurückkehren wie im Jahr 1997. Deshalb hatten wir den Vorschlag gemacht. Er findet aber keine Mehrheit.
Der zweite Grund für mehr Überhangmandate - das zunehmende Auftreten vieler Fraktionen - ist kaum zu beschränken. Ich kenne auch keinen, der dies ernsthaft wollte; denn der gegenwärtige Parteienpluralismus entspricht nun einmal dem Wählerwillen, den es zu respektieren gilt. Ob das für alle Zukunft gilt, wie das Landesverfassungsgericht und auch Kollege Dr. Habeck unterstellen, sei einmal völlig dahingestellt. Umfragen von vor wenigen Wochen, bei denen die beiden großen Volksparteien fast gleichauf lagen - ich bin sicher, bei der Landtagswahl liegen wir deutlich vorn -, legen den Schluss nahe, dass sich Direktmandate damit weitgehend die Waage halten und keine Überhangmandate in dieser Weise entstehen.
Eine dritte Möglichkeit besteht damit nur noch in der Veränderung des Verhältnisses von Direktmandaten zu Listenmandaten. Hier setzen wir an und schlagen jetzt 35 Wahlkreise vor, nachdem übrigens vor fünf Jahren schon einmal um fünf Wahlkreise reduziert wurde. Eine weitergehende Reduzierung der Wahlkreise lehnen wir dagegen ab.
30 oder gar 27 Wahlkreise - wie von den Grünen und dem SSW vorgelegt - sind problematisch und auch das zeigen Beispielberechnungen - keineswegs eine Garantie dafür, dass die Zahl der Mandate begrenzt wird. Wenn wir auf andere Bundesländer schauen, sehen wir, dass ein Verhältnis von weniger als die Hälfte an Direktmandaten schlicht unüblich ist. Auch bei der Bundestagswahl gibt es aus gutem Grund eine solche Zurückdrängung der Direktmandate nicht. Direktmandate haben schließ
lich einen eigenen demokratischen Wert, der sicherlich nicht geringer ist als der von parteiintern bestimmten Listenmandaten.
Direktmandate stellen eine regionale Abbildung des ganzen repräsentierten Landesvolkes sicher, die nicht über zu wenig Wahlkreise zu großflächig werden darf. Direktmandate sind nach unserer Überzeugung ein wichtiges Bindeglied zwischen Bürger und Parlament, auf das wir nicht verzichten wollen, Herr Kollege Harms.
Uns ist es wichtig, dass die Wählerinnen und Wähler mit ihrer Stimme ganz konkret und regionalbezogen entscheiden können, wer ihre Interessen im Kieler Landtag vertritt.
Im Gegensatz zu manch einer Darstellung vertreten wir diese Auffassung auch nicht deshalb, weil uns viele Direktmandate automatisch immer nützen würden. Es gab auch Wahlen in Schleswig-Holstein, bei denen die CDU kein einziges Direktmandat errungen hat.
Wer unseren Gesetzentwurf aufmerksam liest, der wird feststellen, dass auch wir für den Vollausgleich eintreten. Deswegen zeugt auch der bisweilen zu lesende Vorwurf, wir wollten über möglichst viele Direktmandate eine Mehrheit sichern, von wenig Verständnis für wahlrechtliche Zusammenhänge. Nein, es geht bei der Frage der Wahlkreise um den direkten Einfluss der Wähler auf die Zusammensetzung dieses Landesparlaments durch die Erststimme und eben nicht durch kleine Zirkel und Listenparteitage.
Ich finde es schon etwas erstaunlich, wie in der Diskussion manches einfach umgedreht wird. Wer behauptet, dass Direktmandate nur den großen Parteien nützen, der verwechselt Ursache und Wirkung. Der Ausgangspunkt ist doch, dass alle Parteien - auch die kleinen - die gleiche Chance haben, einen geeigneten Direktkandidaten ins Rennen zu schicken.
Dann ist es doch nichts anderes als ein rein demokratischer Akt, wenn derjenige Kandidat vor Ort in den Landtag einzieht, den die Wähler im Wahlkreis für den jeweils Besten halten. Ich meine, dass wir uns deshalb nicht dafür rechtfertigen müssen, wenn wir hier einen Kompromissvorschlag vorlegen, der sich im Vergleich zu anderen Bundesländern und dem Bundeswahlgesetz sehr gut sehen lassen kann. Nein, es muss sich derjenige rechtfertigen, der für Schleswig-Holstein eine völlig unübliche Rechtslage schaffen will, nur um sich über seine Parteienlisten einen Vorteil zu verschaffen.
In den ersten Verhandlungsrunden im Ältestenrat hat jede Fraktion von ihren ursprünglichen Forderungen Federn lassen müssen. Ich danke an dieser Stelle unserem Landtagspräsidenten Torsten Geerdts ausdrücklich dafür, dass er in vielen Gesprächsrunden eine möglichst breite Basis innerhalb der Fraktionen bis zum heutigen Tag herstellen konnte.
Die weiteren Beratungen im Fachausschuss werden zeigen, wo noch Annäherungen möglich sind. Die Nähe unseres gemeinsamen Entwurfs zu dem der SPD ist schon ein gutes Zeichen, auch wenn wir meinen, dass die Frage des Wahltermins inhaltlich mit dem Wahlrecht nichts zu tun hat, lieber Herr Dr. Stegner.
Dass Sie dies, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mit dem Wahlrecht verbinden, ist aus unserer Sicht reiner Populismus. Wir haben immer gesagt, dass wir zügig ein neues Wahlrecht schaffen wollen. Dazu stehen wir. Alles andere ergibt sich einerseits aus den Fristen des Wahlgesetzes. Andererseits möchte ich auch darauf aufmerksam machen, dass es bisher eine übliche demokratische Sitte war, dass ein Jahr vor der Wahl nichts mehr am Wahlrecht geändert wird. Das sagt im Übrigen auch die Europäische Kommission für Demokratie durch Recht in ihrem Verhaltenskodex für Wahlen vom
30. Oktober 2002. Das Landesverfassungsgericht hat ausdrücklich einen Termin bis September 2012 für zulässig erklärt.
Ein letzter wichtiger Punkt unseres Gesetzentwurfs ist, dass die feste Größenvorgabe in der Verfassung entfällt. Das ist ausdrücklich kein Freibrief für eine Aufblähung des Landtags, wie gelegentlich unterstellt wird. Da aber bei den erkennbaren Eckpunkten des neuen Wahlrechts aller Parteien eine Punktlandung bei 69 Abgeordneten nicht hundertprozentig gewährleistet ist, werden wir die Regelgröße des Landtags zukünftig im Wahlgesetz regeln.
Abschließend möchte ich für die weitere Diskussion dafür werben, dass wir sie mit etwas mehr Sachlichkeit und etwas weniger Schärfe führen als bisher. Es ist selbstverständlich, dass jede Fraktion diejenige Position vertritt, von der sie meint, dass sie das Beste für das Land ist. Das ist jeder Fraktion zugestanden. Aber wir sollten einander bei der ganzen Diskussion nicht die Ernsthaftigkeit oder den guten Willen absprechen.
Das Wort erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden der FDP-Fraktion, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wahlrecht ist angewandtes Verfassungsrecht. In einer repräsentativen Demokratie wird das Verfahren beschrieben, in dem sich der Wille des Volkes bei der Zusammensetzung der für die Gesetzgebung berufenen Organe widerspiegelt. Wahlrechtsentscheidungen eignen sich deshalb nicht für taktische Spielereien, sondern müssen Grundlinien, Grundprinzipien folgen.
Das Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein hat mit seinen Entscheidungen vom 30. August 2010 Maßstäbe gesetzt.
Manche halten die Urteile für einen Meilenstein, manche für eine Kompetenzüberschreitung, manche für schlecht begründet und manche für sybillinisch, um das Verfassungsorgan Landtag dazu zu bewegen, mit viel geistiger Arbeit einen Weg zu finden, den Wählerwillen möglichst punktgenau abzubilden.
Ich halte die Diskussion über die Qualität der Verfassungsgerichtsurteile für müßig, denn das Landesverfassungsgericht ist die letzte von der Verfassung vorgegebene Instanz, um die Reichweite unserer verfassungsrechtlichen Normen zu bestimmen.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Urteile unter juristischen Aspekten für wenig gelungen halte. Aber es ist unsere Aufgabe, hiermit ordentlich umzugehen.
Das Landesverfassungsgericht hat sich bei seinen Entscheidungen von zwei grundlegenden Überlegungen leiten lassen:
Erstens. Artikel 10 unserer Verfassung erklärt die Regelgröße des Landtags ohne Wenn und Aber mit der Zahl 69. Es werden zwar Überhangmandate und damit verbunden auch Ausgleichsmandate in der Verfassung explizit anerkannt. Aber eine gravierende Abweichung von der Zahl 69 macht ein Wahlrecht verfassungswidrig, wenn eine solche Abweichung bereits theoretisch möglich ist. Ich vermute, dass das Landesverfassungsgericht eine Abweichung von mehr als 15 % für nicht mehr hinnehmbar erachtet.
Zweitens. Da der Grundsatz „One man, one vote“ gilt, hat das Wahlrecht zu gewährleisten, dass bei der Verteilung der Mandate eine größtmögliche Erfolgswertgleichheit der Stimmenabgabe sichergestellt ist.
Das Landesverfassungsgericht hat überdies festgestellt, dass keine einzelne Norm des bisher geltenden Wahlrechts mit der Verfassung nicht in Übereinstimmung steht, sondern dass allein das Zusammenspiel zu einem jedenfalls verfassungswidrigen Ergebnis führt.