Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki von der FDP das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ganz begeistert darüber, dass hier dauernd von denen Appelle an andere gerichtet werden, doch die Urteil zu lesen, von denen ich glaube, sie haben sie selbst nicht gelesen. Lesen bildet. Das finde ich immer wieder.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass das Landesverfassungsgericht uns ausdrücklich aufgegeben hat, sich an keinen aktuellen Wahlergebnissen festzuhalten, weil das Wahlsystem, das wir schaffen müssen, theoretisch ausschließen muss

(Peter Eichstädt [SPD]: Aber sie haben es selbst getan!)

- ja, Moment -, dass von der Normgröße von 69 Abgeordneten, die in der Verfassung wie in Stein gemeißelt ist, wesentlich abgewichen wird.

Ich habe vorhin erklärt - das ist unsere Überlegung -, dass der Fall, wir haben zehn Parteien, die in etwa gleich viele Stimmen bekommen, theoretisch die Möglichkeit intendiert - egal wie wir das Wahlrecht ausgestalten -, wieder zu 100 Abgeordneten zu kommen.

Herr Kollege Fürter, es ist eine wirklich schöne Geschichte, dass Sie sagen, meine juristischen Argumentationen seien sehr schräg, ohne auch nur auf eine einzige einzugehen.

(Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Zweite Lesung!)

- Herr Kollege Fürter, ich weiß nicht, ob es sich lohnt, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen. Sie müssten dann schon juristisch argumentieren, das haben Sie bisher noch nicht getan.

(Beifall der Abgeordneten Herlich Marie Todsen-Reese [CDU])

Wir beschließen hier keine Resolution, sondern wir schaffen ein Wahlrecht.

Ich möchte darauf hinweisen - vielleicht auch für die Kollegin Erdmann -, dass anlässlich der Reform des Wahlrechts, auf die Sie sich beziehen jetzt zitiere ich aus dem Verfassungsgerichtsurteil -, von mir in der zweiten Lesung angemahnt worden ist:

„In der zweiten Lesung“

- so das Landesverfassungsgericht

„sprach man von einem ‚Verfassungsziel’ und einer ‚Regelgröße’, die nicht erheblich überschritten werden dürfe. Mit Blick auf die mittlerweile geplante Absenkung auf 69 Abgeordnete zog der Abgeordnete Kubicki in Erwägung, ob der Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen gezwungen sei, das Wahlrecht so auszugestalten, dass die vorgegebene Sollzahl optimal erreicht werde. Jedenfalls dürfe sich der Gesetzgeber von den Verfassungsgrundsätzen nicht entfernen….“

- Das ist ein Zitat von mir. Damals haben die Grünen sich dem angeschlossen. Sozialdemokraten und Christdemokraten wollten - aus welchen Gründen auch immer - dem nicht folgen. Aber nun die Begründungselemente von Sozialdemokraten und CDU heute anzuführen, um Ihre Position zu erklären, macht mich doch etwas ratlos.

Zum Schluss noch einen Hinweis darauf, wie sehr man geneigt ist, aufgrund eigener politischer Überlegungen, Urteile selektiv zu lesen. Hier hat jemand gesagt: Man darf sich nicht das eine herausklauben und das andere vernachlässigen. - Herr Kollege Fürter, da Sie Jurist sind, erklären Sie mir bitte einmal, was das Verfassungsgericht mit der Aussage meint, dass die Legislaturperiode auf den 30. September 2012 zu beschränken sei.

(Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das haben sie doch erklärt! Höchst- frist!)

„Diese Frist ist notwendig, aber auch ausreichend, um den Landtag in die Lage zu versetzen, das Landeswahlgesetz zu ändern und die für die Vorbereitung einer Neuwahl erforderlichen Maßnahmen zu treffen.“

Ich kann die Passagen sehr ausgiebig zitieren, in denen das Verfassungsgericht darauf hinweist, dass nach einer Neufassung des Wahlrechts und einer

(Dr. Ralf Stegner)

Neuschneidung der Wahlkreise den Bewerbern und Parteien ausreichend Gelegenheit gegeben werden muss - und zwar von Verfassungs wegen -, sich in den Wahlkreisen zu positionieren und damit den Wählerwillen abzubilden. Wer das nicht beachtet - das sage ich Ihnen - legt den nächsten Gang nach Schleswig fest und wird vom Verfassungsgericht etwas auf die Finger bekommen. - Herzlichen Glückwunsch!

(Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU - Zu- ruf des Abgeordneten Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Kubicki, gestatten Sie zum Abschluss eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich!

Herr Kubicki, wenn diese Auslegung richtig ist, müssten Sie eigentlich zu dem Ergebnis kommen - und ich frage Sie, ob Sie das tun -, dass die an anderer Stelle genannte 70-Tage-Frist für die Neuwahl verfassungswidrig ist, denn die muss auch ausreichend sein, um all das zu tun, was Sie eben vorgetragen haben.

(Beifall des Abgeordneten Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Herr Kollege Eichstädt, ich habe jetzt eine Minute Zeit, das zu beantworten, nicht wahr? - Der Verfassungsgesetzgeber will willkürliche Parlamentsauflösungen vermeiden, je nachdem, wie die politische Opportunität das gewährleistet. Deshalb gibt es von Verfassungs wegen nur zwei Wege, das Parlament aufzulösen und diese kurze Frist: einmal die Selbstauflösung mit Zweidrittelmehrheit - eine hohe Hürde - , das Zweite ist ein misslungenes Misstrauensvotum und die Auflösung durch die Regierung. Das ist deshalb so, weil dann ein Zustand entsteht - nämlich der eines freien Raumes -, der die normale Wahlvorbereitung gar nicht gewährleistet. Das sind aber Ausnahmetatbestände.

Ich erinnere daran, dass das Bundesverfassungsgericht anlässlich eines konstruierten Misstrauensvotums ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass dieser Weg, der damals beschritten worden ist, an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen gegangen ist: ein Misstrauensvotum zu konstruieren, das an sich gar nicht bestand, um das Parlament aufzulösen. Nur in solchen Ausnahmefällen gilt die

70-Tage-Frist. Aber wir reden nicht über Ausnahmefälle, sondern über die Neuwahl auf der Grundlage eines neuen Wahlrechts.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat nun der Herr Kollege Andreas Beran von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es muss sein, dass man sich, wenn man hier falsch zitiert wird, hier hinstellt und so etwas nicht im Protokoll stehen lässt, sondern es richtigstellt. Voranschicken möchte ich eins: Ich finde es sehr bedauerlich, dass im Parlament Dinge zitiert werden, die man in Vier-Augen-Gesprächen woanders - in privater Atmosphäre - gesagt hat.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Das Gespräch, das ich mit Frau Erdmann führte, hat am Rande der Mitgliederversammlung des Paritätischen stattgefunden. Wir haben zusammen einen Kaffee getrunken und natürlich über das Wahlgesetz gesprochen. Meine Auffassung, dass ich es gut finde, dass es bei einer hohen Anzahl an Direktmandaten bleibt, habe ich damit begründet, dass ich gesagt habe: So haben die Bürger eine bessere Chance, noch direkter eingreifen zu können, wen sie im Parlament sehen wollen, als wenn die Parteien über die Listen dieses bestimmen. Das Andere käme mir vor wie eine Parteiendiktatur. In dem Sinne habe ich das gesagt. Jetzt ist es schwierig, wenn Aussage gegen Aussage steht. Bei mir kommt an: Man holzt hier herum und schmeißt ein bisschen mit Dreck, und es bleibt etwas hängen. Ich finde das ausgesprochen bedauerlich. Ich würde mir erhoffen, dass das künftig nicht mehr vorkommt.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP, SSW und des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LIN- KE])

Nun hatte sich der Kollege Kalinka zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag gemeldet. - Das hatte ich richtig gesehen. Sie haben leider schon einen Dreiminutenbeitrag gehalten. Deshalb ist nach der Geschäftsordnung ein weiterer nicht möglich. Aber da Ihre Fraktion im ersten Redebeitrag ihre Redezeit nicht voll ausgeschöpft hat, gestatte ich Ihnen 1 Minute 20 Sekunden für einen weiteren Wortbeitrag.

(Wolfgang Kubicki)

Frau Präsidentin! Ich muss es auf eine Minute verkürzen. Bürgernähe und das breite Spektrum der Menschen aller Regionen zu berücksichtigen, sind ganz wichtige Punkte für ein Parlament. Wer in dieser Frage ein Parlament beengen will, muss sich auch die Frage gefallen lassen, was wir in einem Parlament an repräsentativer Meinungsbildung haben wollen. Nur vier Abgeordnete in einer Fraktion haben in der parlamentarischen Arbeit eine Menge Schwierigkeiten. Wenn Sie ehrlich sind, ist das häufig so gewesen. Die Frage von qualifizierter, nachhaltiger Arbeit entscheidet sich auch an der Zahl der Köpfe, und auch die Frage, mit welchem Gewicht man das macht. Jeder Parlamentarier, der ehrlich ist, weiß das.

Ich machte mir große Sorgen, wenn wir Vorschläge bekämen, ein Feierabendparlament mit 50 Leuten zu bilden. Ich würde mir auch Sorgen machen, wenn dieser Landtag aus 15 bis 20 Regierungsmitgliedern und noch einmal 15 Abgeordneten bestünde. Das würde mich mit Sorge um das Spannungsfeld in einer demokratischen Meinungsbildung erfüllen. So kann es nicht sein. Deswegen kann ich Ihnen in der Kürze der Zeit nur sagen: Eine Lehre aus den Diskussionen der letzten Zeit, aber auch grundsätzlich sollte sein, dass wir ein starkes Parlament brauchen, kein schwaches. Dazu zählt auch eine angemessene Zahl von Mitgliedern.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich nun Frau Kollegin Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte drei Bemerkungen machen, zusammengefasst unter der Überschrift „Legendenbildung”. Diätenstrukturreform 2003 - dazu ist heute genug gesagt worden. Ich möchte aber für den SSW festhalten: Entscheidend war, dass die beiden großen Parteien in diesem Hause meinten, das Ganze überhöhen zu müssen, indem sie die Zahl 69 in die Verfassung hineinschrieben. Ich denke, das ist der Knackpunkt dieser ganzen Geschichte.

(Peter Eichstädt [SPD]: Das war falsch!)

Die zweite Bemerkung. Ich gehe davon aus, dass wir in der anstehenden Anhörung auch noch geklärt bekommen, ob wir es mit einem personalisierten Verhältniswahlrecht oder mit einem Personen

wahlrecht mit Verhältnisausgleich zu tun haben. Ich denke, dass sind die beiden Fragestellungen, mit denen wir es immer wieder - auch in dieser Debatte - zu tun gehabt haben. Das Landesverfassungsgerichturteil ist in dieser Hinsicht klar. Darum bleibe ich dabei: Man kann nicht so tun, als gäbe es dieses Urteil des Verfassungsgerichts nicht. Man kann sich nicht einfach Elemente herauspicken, indem man sagt, man wünsche sich ein Wahlrecht, das zu uns passt.

(Werner Kalinka [CDU]: Das gilt für alle!)

- Das gilt für alle! Das habe ich nie anders gesehen und nie anders formuliert.

Da bin ich bei einem weiteren Punkt, nämlich der Frage der Bedeutung von Wahlkreisabgeordneten. Ich denke, jede und jeder von uns ist Wahlkreisabgeordnete oder Wahlkreisabgeordneter in dem Sinne, dass wir uns mit unserer Region identifizieren.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)