„Bildungspolitik ist am stärksten, wenn sie die Kraft findet, sich zurückzunehmen und Schulen und Hochschulen Autonomie zu geben. Es geht nicht darum, alles zu regulieren.“
Herr Habeck, zwischen diesem Wort zum grünen Sonntag und der Haltung, die Ihre Fraktion am heutigen Mittwoch, sozusagen im Alltag, einnimmt, liegt eine ziemlich große Strecke, die, ich würde sagen, der Entfernung zwischen der Erde und dem Mond entspricht.
In der Praxis wollen Sie nämlich lieber doch alles so verbindlich regeln, wie Sie es als Grüne für richtig und besser halten. Gemeinschaftsschulen sollen unbedingt ohne jede Möglichkeit der Ausnahme Schüler unterschiedlicher Leistungsstufen in gemeinsamen Klassen unterrichten müssen, und Gymnasien dürfen nichts anderes als G 8 anbieten, und zwar auch dann nicht, wenn sich Eltern ein G9-Angebot an Gymnasien wünschen und beispielsweise die Schulleiter dies auch für sinnvoll und problemlos umsetzbar halten. Selbst dann wollen sie es nicht.
Zu den vorgetragenen Einwänden gehört auch Kritik an dem Zeitpunkt, zu dem die Schulgesetznovelle ansteht. Dem halte ich entgegen: Wann, wenn nicht jetzt, soll man denn die Weichen dafür stellen, dass Gemeinschafts- und Regionalschulen auf mittlere Sicht zu einer Schulart zusammengefasst werden? Wollen Sie etwa den erheblichen Rückgang der Schülerzahlen, der bis Ende dieses Jahrzehnts in diesem Land noch bevorsteht, erst abwarten, anstatt rechtzeitig, aber behutsam den Weg zu einer Zusammenführung von Regional- und Gemeinschaftsschulen einzuleiten?
- Darin steht, dass die Strukturvorgaben für beide neue Schularten, Regional- und Gemeinschaftsschulen, weitgehend identisch sind. Das ist genau der Weg zu einer Angleichung dieser beiden Schularten.
Dies ist ein Prozess, der schon aus Gründen der Demografie kommen wird und kommen muss. Denn die Demografie wird bei den weiterführenden allgemeinbildenden Schularten auf mittlere Sicht nur noch den Bestand zweier Schularten ermöglichen.
Neben dem Gymnasium soll das nach unserer Auffassung eine Schule sein, die aus der Zusammenführung von Gemeinschaftsschulen und Regionalschulen hervorgehen wird. Eben deshalb haben wir diese Strukturvorgaben für die beiden Schularten übereinstimmend im Schulgesetzentwurf formuliert.
Wer das ablehnt, was wir im Schulgesetzentwurf vorschlagen, der muss doch sagen, was er denn eigentlich will. Will er etwa eine dauerhafte Zementierung eines dreigliedrigen Systems aus Regionalschulen, Gemeinschaftsschulen und Gymnasien, obwohl dies bei massiv schrumpfenden Schülerzahlen in einigen Jahren kaum noch nebeneinander möglich sein wird? Oder will er vielleicht doch eine Einheitsschule für alle? - Die Opposition beschränkt sich darauf, die Schulgesetznovelle der
Und was ist denn daran falsch, wenn man ein Schulgesetz aus dem Jahr 2007 zeitnah überarbeitet, weil es zum Beispiel heute schon allein wegen der großen Zahl der Gemeinschaftsschulen - 134 Schulen im Land - nötig ist, auch diesen Schulen den Status einer örtlich zuständigen Schule geben zu können? Was ist daran falsch, wenn man den Schullastenausgleich jetzt gerechter gestaltet und damit verhindert, dass Schulträger in wachsende Schwierigkeiten kommen, für den Unterhalt ihrer Schulen zu sorgen? Sollen wir etwa weiter zusehen, wenn Mitgliedsgemeinden aus den Schulverbänden austreten, weil das für sie bislang finanzielle Vorteile bringt? Ist es nicht so, dass diese Entwicklung, insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, das Schulangebot - vor allem im ländlichen Raum - zunehmend gefährdet? Auch deshalb ist es richtig und notwendig, die neuen Regelungen zum Schullastenausgleich jetzt zu verabschieden und nicht untätig abzuwarten.
Und was ist falsch daran, wenn man die Schulsozialarbeit und die Begabtenförderung im Schulgesetz verankert und auch das Leitbild der inklusiven Beschulung in unserem Schulgesetz stärkt? Auch hier gibt es keinen überzeugenden Grund für einen Aufschub.
Damit komme ich zur zweiten Form, zur zweiten Art der Kritik, Herr Kollege Stegner, nämlich den inhaltlichen Einwänden. Da wird zum Beispiel kritisiert, bei den Gemeinschaftsschulen werde die Idee des längeren gemeinsamen Lernens geschwächt.
In Wirklichkeit muss aber keine Gemeinschaftsschule durch unser Schulgesetz das Modell des binnendifferenzierten Unterrichts, bei dem alle Schüler unterschiedlicher Leistungsstufen gemeinsam in einer Klasse lernen, aufgeben.
- Das stimmt doch überhaupt nicht. Das ist völlig ohne jede Begründung, Herr Kollege Stegner. Das ist eine pure Verleumdung.
Schulen, die nach dem Ansatz des binnendifferenzierten Unterrichts weiter arbeiten wollen, die werden das in Zukunft auch so ohne Schwierigkeiten, ohne dass ihnen etwas vorgeschrieben wird, machen können. Wer aber meint, dieses Modell müsse als allein seligmachendes Konzept wie bisher verbindlich vorgeschrieben werden, der zeigt in Wahrheit wenig Zuversicht und Vertrauen in die Stärke und in die Überzeugungskraft seiner eigenen Position.
Die Schulgesetznovelle bietet Schulen die Möglichkeit, nach eigener Entscheidung künftig auch stärker auf Formen äußerer Differenzierung setzen zu können. Wer hingegen die Menschen Glauben machen will, dass gemeinsamer Unterricht aller Schüler in ein und derselben Klasse unbedingt und unter allen Umständen der richtige Weg sei, der wird einige Mühe haben - Herr Habeck, Frau Erdmann, Herr Stegner -, den Erfolg der Flex-Klassen an den Schulen im Land zu erklären. In diese Klassen an 62 Standorten im Land sind Schüler aufgenommen worden, bei denen die Schule am Ende des siebten Jahrgangs die Gefahr gesehen hatte, dass die Schüler den Hauptschulabschluss nicht erreichen werden. Das erfolgreiche Förderkonzept hat aber genau dies nicht eintreten lassen. Im vorigen Schuljahr haben 87 % der Schulabgänger aus Flex-Klassen ihre Schulzeit mit einem Abschluss beendet. Das sind Schüler, bei denen die Schule zuvor die Sorge hatte, sie würden keinen Schulabschluss erreichen.
Und dieser Erfolg in besonderen Förderklassen ich betone das noch einmal - hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss in Schleswig-Holstein weiter gesenkt werden konnte, auf nunmehr 7 %. Wir müssen ihn noch weiter absenken, ja, aber dieser Anteil lag vor sechs Jahren noch bei etwa 10 %. Von daher hat sich das Förderkonzept, das auf ein besonderes Fördersystem in Flex-Klassen setzt, in den zurückliegenden Jahren bis heute sehr gut bewährt.
Solche praktischen Erfahrungen aus den Schulen sprechen zugleich dafür, dass es richtig ist, den Schulen bei der Gestaltung der Lerngruppen, ihrer Zusammensetzung und den bevorzugten Unterrichtskonzepten Spielräume zu geben. Am Ende zählt der Erfolg. Die Voraussetzungen für die Arbeit der Schulen sind an den einzelnen Standorten sehr unterschiedlich. Auch deshalb ist es sinnvoll, den Schulen für die Gestaltung ihrer Unterrichtsangebote mehr Wege zu ermöglichen, als dies bisher der Fall war. Statt um die Frage der Unterrichtsmodelle und -konzepte einen bildungspolitischen Glaubenskrieg zu entfachen und die Konzepte nach den jeweiligen bildungspolitischen Vorlieben zentral vorgeben zu wollen, ist es doch viel vernünftiger, den Schulen selber zu überlassen, mit welchem Konzept sie nach eigener Erfahrung und eigener Einschätzung erfolgreich arbeiten können. Ich meine, dass ist ein wirklicher Beitrag zum viel zitierten Schulfrieden.
Dies gilt nach meiner festen Überzeugung auch für die erweiterten Möglichkeiten, die wir den Gymnasien in Sachen G 8 und G 9 eröffnen wollen. Die Verbissenheit, mit der dagegen bisweilen gestritten worden ist, finde ich, befremdlich, umso mehr, wenn man sich an jenen Schulen umhört, die diese neuen Möglichkeiten nutzen wollen und dies in Form eines Schulversuchs heute bereits tun. Auch hier empfehle ich allen Beteiligten mehr Gelassenheit und Vertrauen in die Fähigkeit der Schulen vor Ort, eigenverantwortlich eine für sie gute Entscheidung zu treffen.
Vonseiten der SPD heißt es dazu nun, damit würde Schleswig-Holstein einen Sonderweg beschreiten. Interessanterweise sind es aber Ihre Genossen in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg, die dafür eintreten - in NRW praktizieren sie es sogar schon -, Gymnasien Wahlmöglichkeiten zwischen G 8 und G 9 einzuräumen. Die hessische SPD hat im Wiesbadener Landtag einen Gesetzentwurf eingebracht - das ist dann noch eine ganz andere, weitergehende Variante -, um das sogenannte Turbo-Abitur, also G 8, an den hessischen Gymnasien komplett abzuschaffen. Verehrte Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, das wäre tatsächlich bundesweit ein Sonderweg,
während die Gestaltungsmöglichkeiten, die wir einführen wollen, offensichtlich bundesweit, auch in anderen Bundesländern, auch bei Ihren Parteifreunden, auf Nachahmung stoßen.
Meine Damen und Herren, vertrauen wir den Gestaltungskräften vor Ort! Ich bin sicher, dass wir auf dieser Grundlage zu guten Lösungen kommen werden. Das ist der richtige Schritt in Richtung auf einen dauerhaften Schulfrieden. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.
Meine Damen und Herren, auf der Zuschauertribüne begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Helene Lange Gymnasiums in Rendsburg sowie der Regionalschule Glückstadt. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!