Herr Fürter, ich sehe, Sie lachen, weil es für Sie natürlich sehr angenehm ist, auf dieser populistischen Welle zu schwimmen. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Ihre juristische Restkompetenz müsste eigentlich dazu beitragen festzustellen - ist es tatsächlich eine Frage der juristischen Restkompetenz -, dass Wahlrecht nichts anderes ist als angewandtes Verfassungsrecht und wir uns mit den Verfassungsgrundsätzen, die dahinterstehen, beschäftigen müssen, um ein ordentliches Wahlrecht zu schaffen, mit
dem sich der Wille des Volkes möglichst spiegelgenau im Parlament wiederfindet. Wir haben in der schleswig-holsteinischen Landesverfassung einige Grundsätze, die auch Sie mit Ihrem immer sehr schnellen und manchmal auch pointierten Worten nicht außer Kraft setzen können.
Die schleswig-holsteinische Landesverfassung geht davon aus, dass wir eine Persönlichkeitswahl haben. Ich sage aus meiner parlamentarischen Erfahrung - ich bin mit Leib und Seele Parlamentarier -: An diesem Grundsatz will ich nichts ändern. Denn in den Wahlkreisen hat der unmittelbare Kontakt möglicherweise abgenommen, aber die Repräsentanz der Wahlkreise - das sehen wir gerade bei dem, was die Union manchmal zu meinem Leidwesen in Gesprächen mit der FDP an Meinungen einbringt -, die Interessenvertretung der Wahlkreise spielt eine ganz wesentliche Rolle. Wir sollten um Himmels willen nichts daran ändern, eine deutliche Disparität zwischen Wahlkreisen und Listenmandaten herzustellen.
Denn wir wissen doch alle aus eigener Erfahrung, dass bei Listenaufstellungen diejenigen, die aus kleineren Kreisverbänden kommen, in aller Regel geringere Chancen haben als diejenigen, die aus größeren Kreisverbänden kommen, weil wir die Gewichtung kennen, wie Abstimmungen auf Parteitagen laufen. Wir sollten um keinen Preis der Welt den Einfluss von Parteien - wenn wir die Parteiverdrossenheit minimieren wollen - dadurch erhöhen, dass wir eine Disparität zu deutlich weniger Direktmandaten und deutlich mehr Listenmandaten herstellen. Das verbietet sich nach meiner Auffassung von selbst.
Wenn wir feststellen, wir brauchen eine annähernde Parität - wie ich finde - mit einem Übergewicht bei der Ungleichheit unserer Mandatszahl für die Wahlkreise, dann kommen wir zu einem System, das bei der Sollgröße 69 ein Verhältnis 35 zu 34 oder 34 zu 35 hat, das aber auf jeden Fall keine weitere größere Spreizung zulässt, ohne erneut in den Verdacht zu geraten, die verfassungsmäßigen Grenzen zu sprengen. Darauf haben sich CDU, SPD und FDP geeinigt. Die Behauptungen, die aufgestellt werden, wenn wir das Modell mit 27 Wahlkreisen wählten, dann würden wir sicherstellen, dass nicht mehr als 69 Abgeordnete erreicht werden, sind Unsinn, wie wir wissen.
Das ist auch logisch nicht zu begründen, außer Sie erklären, wir greifen einfach einmal eine Zahl. Logisch begründen können Sie diese Zahl unter keinem denkbaren Gesichtspunkt, jedenfalls nicht, wenn Sie die verfassungsrechtlichen Regelungen beachten. Ich bedauere, dass es in Ihren Reihen offensichtlich keinen Juristen gibt, der sich mit dieser Fragestellung beschäftigt hat.
Liebe Freunde, dann müssen wir uns fragen, was das Landesverfassungsgericht weiter gesagt hat. Ich finde nicht, dass das Urteil ein Meilenstein der Rechtsprechung gewesen ist, aber ich bin Jurist und sage, ich muss akzeptieren, dass dieses Gericht die oberste Instanz zur Auslegung unserer Verfassung ist. Deshalb verbietet sich für mich jede weitere Feststellung dazu, außer meine persönliche Meinung, dass es kein Meilenstein der Rechtsprechung ist. Wir müssen fragen: Welche weiteren Leitplanken hat das Gericht eingezogen? Wenn wir feststellen, dass - egal, mit welchen theoretischen Modellen - wir nicht sicherstellen können, dass auf jeden Fall 69 Abgeordnete erreicht werden, dann muss diese Normzahl aus der Verfassung heraus, wie übrigens auch die Juristen - vor zwei Tagen Herr Professor Becker in den „Kieler Nachrichten“ noch einmal ausdrücklich bestätigt haben. Das haben auch Juristen außerhalb unseres Landes getan, zum Beispiel welche aus Nordrhein-Westfalen, die wir gefragt haben. Die haben gesagt, das ist der einzig sichere Weg, um zu verhindern, dass nach der nächsten Wahl erneut das Verfassungsgericht das Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt und wir uns damit möglicherweise erneut vorzeitig in einen Wahlkampf begeben müssen, der nicht gut ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich war es schon immer so, dass uns aufgefallen ist, dass es nach dem Zählverfahren nach d’Hondt erst beim letzten Wahlgang einen Unterschied machen kann, was den Erfolgswert der Stimmen angeht, bis zu 2.800 Stimmen für die Erringung eines Mandates, je nachdem, aus welcher größeren oder kleineren Gruppierung man kommt. Dass diese Disparität so nicht aufrechterhalten werden kann, war allen Beteiligten klar. Ich bin froh, dass wir uns jetzt auf das neue Auszählverfahren geeinigt haben, was sozusagen größenneutral ist und damit eine Erfolgswertgleichheit der Stimmen optimaler als andere Zählverfahren, die wir kennen, sicherstellt. Auch dies ist etwas, was zwischen uns streitig war und was dankenswerterweise in einem Kompromiss zwischen CDU, SPD und FDP geregelt werden konnte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann über das Wahlrecht streiten, wie man will. Während wir darüber diskutieren, wie klein das Parlament möglicherweise werden oder sein soll, hat der gerade gewählte Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg die zweitgrößte Landesregierung bundesweit installiert. Ich habe dazu in der Öffentlichkeit - übrigens auch nicht von den Grünen - keine großen pöbelhaften Bemerkungen feststellen können. Er hat das damit begründet - ich möchte das einmal wiederholen -, dass er aus seiner Erkenntnis heraus lieber kleinere Senate schafft, um die Verwaltung besser zu kontrollieren, als große Senate zu haben, wo die Verwaltung machen kann, was sie will. Das ist im „Hamburger Abendblatt“ vom 11. März 2011 nachzulesen. Er hat sich dabei auf ein Beispiel aus Schleswig-Holstein berufen, das Beispiel des Kollegen Klug, der ja - so hat er gesagt, nicht ich! - nun die Erfahrung gemacht habe, dass seine Verwaltung offensichtlich den politischen Willen nicht ordnungsgemäß umgesetzt habe, mit fatalen Konsequenzen für ihn als Minister und andere. So Olaf Scholz.
Ich möchte das einfach einmal so stehen lassen. Herr Stegner, erlauben Sie mir das, das war so nett. Ich musste das einfach noch einmal sagen,
weil ich davon ausgehe, dass Sie jetzt Herrn Scholz einen Brief schreiben, dass er sich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bildungsministeriums für diese Äußerung entschuldigen sollte.
Aber in der Tat muss man darüber wirklich nachdenken, und er hat darüber nachgedacht. Ich halte es auch für sinnvoll. Etwas, was politisch gestaltend wirken soll, braucht andere Strukturen.
Meine große Bitte - auch für die Fortsetzung dieser Debatte - ist: Liebe Kolleginnen und Kollegen, leisten Sie keinen Beitrag dazu, dass immer wieder politisch tätige Abgeordnete, diejenigen, die hier ihre Freizeit und einen Teil ihrer Existenz in den politischen Gestaltungsprozess einbringen, die sich dafür zur Verfügung stellen, beschimpft werden können nach der Devise, sie seien Selbstbewahrer, sie seien Abzocker, sie seien diejenigen, die sich auf Kosten anderer bereichern würden. Das schadet uns allen, das schadet der parlamentarischen Demokratie, und das ist aus meiner persönlichen Erfahrung heraus auch unangemessen.
Meine Damen und Herren, auf der Zuschauertribüne begrüße ich den Generalsekretär des Europäischen Ombudsman-Instituts, Herrn Dr. Josef Siegele. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir markieren heute das vorläufige Ende eines Prozesses, der diese Legislaturperiode von Anfang an begleitet hat. Nach meiner Einschätzung hat er sie auch ein Stück weit geprägt. Lassen Sie mich deshalb diese Gelegenheit nutzen zu erläutern, wie unsere Grundsätze beim Wahlrecht aussehen. Dann wird klar, wieso heute zwei Herzen in unserer Brust schlagen. Einerseits sind wir schon ein bisschen stolz auf das, was wir gemeinsam im Wahlrecht gegen alle Widerstände und Beharrungskräfte - an Verbesserungen erreicht haben. Anderseits sind die Defizite im Vorschlag von CDU, SPD und FDP noch immer so eklatant, dass uns eine Zustimmung nicht möglich ist.
Der erste und entscheidende Grundsatz ist die Gleichheit der Wahl. Im September 2010 haben Wählerinnen und Wähler SPD, Grünen, Linken und dem SSW ihre Zweitstimme gegeben. Andere Wählerinnen und Wähler gaben ihre Zweitstimme CDU und FDP. Die Zweitstimme, das ist die Stimme, zu der alle Schülerinnen und Schüler im Unterricht immer gesagt bekommen, sie entscheide über die Stärke der Fraktionen im Parlament. Das ist ein Versprechen und ein Signal der Klarheit, das an dieser Stelle vom Wahlrecht ausgeht. Wir mussten aber feststellen, dass unser Wahlrecht dieses Versprechen nicht eingelöst hat. Dabei ist es doch das wichtigste Versprechen in der Demokratie: Nur wer eine Mehrheit bekommt, darf regieren.
Deshalb muss jede Stimme gleich viel zählen. Das ist schlicht, das ist einfach, das ist eigentlich selbstverständlich.
Trotzdem mussten wir vor Gericht ziehen - zusammen mit dem SSW und der LINKEN - und darum kämpfen. Wir haben recht bekommen. Das Wahlgesetz verstößt gegen die Verfassung - ein Sieg
nicht in erster Linie für die Parteien, sondern für die Demokratie und die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein.
Es bleiben große Zweifel, ob sich ohne unsere Klage beim Wahlrecht überhaupt irgendetwas geändert hätte.
Ich hätte mir gewünscht, dass der Kampf für die Gleichheit der Wahl uns viel leidenschaftlicher in diesem Haus verbindet. Dass Sie, lieber Kollege von Boetticher, noch vor wenigen Tagen ausgerechnet diesen Grundsatz wieder infrage gestellt haben, hat mich persönlich enttäuscht.
Volksparteien sind doch sowie schon größer und mächtiger als die kleinen Parteien. Sie brauchen doch nicht auch noch ein Wahlrecht, das ihnen ohne jede Logik zusätzliche Vorteile verschafft. Gut, dass Sie das heute hier im Landtag nicht zur Abstimmung gestellt haben.
Grundsatz zwei: Wir wollen ein Wahlrecht, in dem nicht die Bedürfnisse des Politikbetriebs der entscheidende Faktor sind, sondern die Interessen des Landes. Politik muss sich - davon bin ich tief überzeugt -, wenn es um eigene Angelegenheiten geht, auch ein Stück weit zurücknehmen können. Damit sind wir schon beim Streichen der Vorgabe von 69 Abgeordneten aus der Landesverfassung. Was Sie hier machen, das mag - das habe ich im Ausschuss auch schon gesagt - rechtstechnisch sauber sein. Es ist jedoch politisch falsch.
Herr Kubicki, Sie sind ein großer Rhetoriker. Das war natürlich schon großes Kino, sich hier quasi als Vorkämpfer für große Landtage hinzustellen. Wir haben überhaupt nicht vorgeschlagen, dass der Landtag kleiner werden soll als 69 Abgeordnete. Das war die SPD, die das vorgeschlagen hat, und auch der Bund der Steuerzahler. Sie haben sich der Vorstellung der SPD in der Presse interessanterweise angeschlossen. Wir sind immer bei 69 Abgeordneten geblieben, der Verfassungsvorgabe. Das war großes Kino, aber das war ein schlechter Film.
Sie wahrscheinlich damit und sagen: Die 69 steht noch im Wahlgesetz. - Ja, aber Sie nehmen den systematischen Verstoß gegen die Sollgröße bewusst in Kauf. Das ist doch gerade der Kniff, den Sie da anwenden. Sonst brauchten wir die Verfassungsänderung überhaupt gar nicht.
Wir waren so frei, auch diesen von Ihnen an zwei Stellen geänderten Entwurf mit dem letzten Wahlergebnis durchzurechnen. Frank Plasberg würde das wohl einen „Faktencheck“ nennen. Das Ergebnis ist zwar nicht fair, aber hart: Selbst wenn ich für Sie freundschaftlich rechne, komme ich noch immer auf 85 Abgeordnete. Das sind 29 % Aufschlag für den Landtag, ein Aufschlag, von dem soziale Projekte im Land nicht mal zu träumen wagen.
(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei CDU, SPD und FDP - Glocke der Präsidentin)