Was wir dagegen nicht brauchen, ist Mangel an Mut, Mangel an Ideen und Mangel an politischem Willen. Diese Mängel aber bestimmen zentral den Antrag von CDU und FDP.
Sie zählen dort zwar unter Nummer 2 richtige und wichtige soziale Maßnahmen auf - übrigens alle durch die damalige Soziaministerin Gitta Trauernicht auf den Weg gebracht, der wir dafür an dieser Stelle noch einmal recht herzlich danken.
Ich gehe auch davon aus, dass das Aufzählen dieser Initiativen dazu führen wird, dass sie längerfristig abgesichert werden. Sonst würde das ja keinen Sinn machen. Auch dafür danke ich.
Es gibt aber im Antrag der Regierungsparteien keine neuen Initiativen, kein eigenes Projekt, keine neuen Ideen. Es gibt keinen Hinweis auf die Einbindung des Landes in die Länderarbeitsgruppe beim Bundessozialministerium, keinen Hinweis auf die Beteiligung des Landes an der nationalen Strategie des Bundes.
Das ist aber das Gegenteil dessen, was die EU erreichen will, vor allem ist es das Gegenteil dessen, was die Menschen brauchen.
Schwarz-Gelb meldet sich aus diesem Programm ab. Ihre Ansage, nicht mehr alle EU-Programme zu nutzen, gerade hier zu verwirklichen, wo es um Armut und Ausgrenzung geht, ist nicht weniger als ein Skandal.
Und das ist aus einem besonderen Grund auch richtig falsch: Das EU-Programm sieht nämlich vor, dass die geforderten neuen Aktivitäten in enger Abstimmung mit den Menschen geplant werden sollen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung ganz konkret und ganz direkt betroffen sind.
Ich empfehle Ihnen, einmal Hempels hier in Kiel zu besuchen. Das würde ich Ihnen gern empfehlen. Sie sollten einmal mit den Menschen dort vor Ort sprechen, die genau davon betroffen sind, wovon wir hier heute reden, und denen Sie offensichtlich die Unterstützung nicht zukommen lassen wollen.
Es geht eben nicht darum, soziale Einrichtungen, die sich bereits um Menschen kümmern, erneut zu koordinieren, wie es im Antrag zu lesen ist. Es geht eben auch nicht nur darum, das öffentliche Bewusstsein für Armutsrisiken zu stärken. Es geht vor allem darum, Armutsrisiken aktiv, offensiv und auch nachhaltig zu bekämpfen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle nur kurz drei Punkte nennen. Dazu gehört erstens eine neue Bildungspolitik, die Chancengleichheit schafft. Dazu gehört zweitens die Chance, aus eigener guter Arbeit ein ausreichendes und existenzsicherndes Einkommen zu erzielen. Das ist übrigens der Königsweg zur Bekämpfung von Armut. Schon deshalb wenn ich das einfügen darf - sind wir für Mindestlöhne, wie fast alle anderen europäischen Staaten auch.
Schon deshalb sind wir drittens auch für einen aktiven und vorsorgenden Sozialstaat, der immer wieder an die tatsächliche Situation angepasst werden muss. Auch dafür ist diese EU-Initiative eine große Chance. Nur so kann auch der notwendige Zusam
menhalt in der Gesellschaft erreicht werden. Leistungsgerechtigkeit heißt vor allem, möglichst vielen die Chance zum Mitmachen zu geben, am Arbeitsmarkt, im Bildungssystem und bei der demokratischen Teilhabe.
Das „Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ wäre eine große Chance, die soziale Spaltung unserer Gesellschaft nicht weiter zu vertiefen.
Offensichtlich hat die neue Landesregierung diese Chance gleich zu Beginn ihrer Amtszeit großzügig verschenkt. An dieser Stelle wäre ein Aufbruch sicherlich notwendig gewesen. Denn diese Großzügigkeit, solche Chancen zu verschenken, geht zulasten der Bürgerinnen und Bürger, geht zulasten derer, die es ohnehin am schwersten in unserer Gesellschaft haben. Aber wir haben ja vom Ministerpräsidenten gehört: Auch Wohlfahrt kann erdrücken. Jetzt wissen wir, wie das gemeint war. Deshalb beantragen wir alternative Abstimmung über die Anträge.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Europäische Rat stellte auf seiner Tagung vom 23. und 24. März 2000 in Lissabon fest, dass das Ausmaß an Armut und sozialer Ausgrenzung nicht hingenommen werden kann. Er forderte die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, etwas zu unternehmen, um bis zum Jahr 2010 die Beseitigung der Armut entscheidend voranzubringen. Einzelheiten sind dem Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das „Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ vom 22. Oktober 2008 zu entnehmen.
Damit wurde ein Zeichen gesetzt und den Mitgliedstaaten ein Leitfaden an die Hand gegeben, um dem hohen Ziel, Armut und Ausgrenzung zu verringern, ein Stück näherzukommen. Deutschland hat darauf reagiert und am 27. Mai 2009 den Aktionsplan „Nationale Strategie für Deutschland zur Umsetzung des Europäischen Jahres 2010 gegen Armut
und soziale Ausgrenzung“ an die EU-Kommission geleitet. Der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales erstellte Aktionsplan ist auch für die Länder ein unverzichtbares Arbeitspapier, nicht nur für das Jahr 2010, sondern Richtschnur für sozialund gesellschaftspolitisches Handeln der nächsten Jahre.
„Armutsrisiken sind eine gesellschaftliche Realität, aber eine Realität, die durch politisches Handeln und eine bessere Vernetzung der bestehenden Hilfsangebote verändert werden kann.“
Wir alle wissen, dass Armut, mangelhafte Bildung und Qualifikation, Arbeitslosigkeit, Migrationsprobleme, Wohnungslosigkeit, Verschuldung, Krankheiten, Suchtprobleme, Behinderungen und alt und nicht mehr leistungsfähig zu sein zur sozialen Ausgrenzung führen können und neue Probleme nach sich ziehen.
Die Landesregierung und der Landtag haben mit einer Vielzahl von Maßnahmen und Projekten darauf reagiert, wohl wissend, dass dies nicht ausreicht, Armut und soziale Ausgrenzung zu vermeiden. So hat der Landtag im vergangenen Jahr das Kinderschutzgesetz beschlossen. Mit der Offensive gegen Kinderarmut im Kinder- und Jugendaktionsplan Schleswig-Holstein, dem Landesprogramm „Schutzengel für Schleswig-Holstein - Netzwerk sozialer und gesundheitlicher Hilfen für junge Familien“, dem Gemeinschaftsprojekt „Willkommen im Leben“ oder der vorschulischen Sprachförderung trägt die Landesregierung aktiv dazu bei, gegen Armut und soziale Ausgrenzung in SchleswigHolstein vorzugehen.
Der Schlüssel zur Armutsbekämpfung sind zweifellos mehr Bildung und Beschäftigung. All unsere Bemühungen müssen daher darauf ausgerichtet sein, Vollbeschäftigung anzustreben. Eine verbesserte Wirtschaftslage und aktivierende Sozial- und Finanzpolitik sichern mehr Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das ist ein vorrangiges Ziel dieser Landesregierung.
Auch wenn noch mehr Geld in soziale Sicherungssysteme fließen würde, ließe sich das Problem sozialer Ausgrenzung nicht lösen. Es geht auch um etwas anderes - und das, Herr Kollege Fischer, ist auch Teil des Aktionsplans -, es geht auch darum, dafür zu werben, dass mehr gemeinsame Verantwortung für die Stärkung des sozialen Zusammenhalts übernommen wird. Aus diesem Grund haben wir in unserem Antrag die Landesregierung gebeten, durch geeignete Aktivitäten im Europäischen Jahr 2010 das öffentliche Bewusstsein zu stärken. Es gilt daher einen sensibleren Umgang von Politik und Medien mit den betroffenen Menschen zu erreichen. Es müssen Vorurteile und Diskriminierungen gegenüber Betroffenen abgebaut werden.
Das beginnt nicht nur mit Umsetzungsstrategien, sondern auch in den Köpfen der Menschen. Auch dafür müssen wir werben.
Ich glaube nicht, dass wir uns hier darüber streiten müssen, dass sich irgendjemand nicht bewusst ist, wie viele Kinder hungern und arm sind. Da ziehen wir doch an einem Strang.
Ich schlage vor, dass die Landesregierung im Jahr 2010 die Gelegenheit nutzt, zum Beispiel im Landeshaus unter Einbindung aller Sozialverbände und Netzwerke ein Forum zu schaffen, um das Bewusstsein der Menschen für dieses Thema zu stärken. Wir dürfen nicht wegschauen und Armut und Ausgrenzung ignorieren. Jeder für sich muss mit dazu beitragen. Das wollen wir gemeinsam tun.