Protokoll der Sitzung vom 01.07.2011

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Kollegen Andreas Beran das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst ein herzliches Dankeschön an die Landesregierung für die vorgelegten Berichte. Gestatten Sie mir, meine Rede heute aus einem anderen Blickwinkel vorzutragen; der Tagesordnungspunkt ist wirklich recht vielseitig.

Die Zeit der Bundis und Zivis ist vorbei, heute beginnt die Zeit der Bufdis. Heute ist ein historischer Tag. Ab heute gibt es keine Wehrpflicht mehr, beziehungsweise sie ist ausgesetzt - für viele junge Männer ein Tag der Freude.

Doch die schnelle Aussetzung der Wehrpflicht und damit das Ende des Zivildienstes haben in den letzten Monaten für viel Unruhe in sozialen Einrichtungen gesorgt. In Schleswig-Holstein fehlen rund 3.400 Zivildienststellen. Davon sind besonders die Pflege - und die Betreuungsdienste betroffen.

Die SPD hat immer ein Gesamtkonzept für die Zeit nach dem Zivildienst gefordert. Unser Vorschlag zur Weiterentwicklung der bestehenden Jugendfreiwilligendienste wäre der richtige Weg gewesen. Statt die Plätze im FSJ und FÖJ zu kürzen, hätten sie nach unserer Meinung besser aufgestockt werden sollen.

(Beifall bei der SPD)

Denn FSJ und FÖJ sind so nachgefragt, dass viele Jugendliche in der Vergangenheit auf einen Platz warten mussten. Daneben brauchen wir Anreize und gute Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement und vor allem eine vernünftige Strategie für mehr Fachkräfte in den sozialen Berufen. Stattdessen wurden teure und überflüssige Doppelstrukturen mit dem neuen Bundesfreiwilligendienst geschaffen, der die zivilgesellschaftlichen Träger außen vorlässt. Zudem hat sich die Bundesregierung verrechnet. 35.000 Stellen im Bundesfreiwilligendienst sollen besetzt werden. Lediglich 3.000 Verträge wurden bisher abgeschlossen, darüber hinaus 14.300 Zivildienstverträge verlängert.

(Rasmus Andresen)

Heute, zum Start, sind noch viele Fragen ungeklärt, und auch der Kindergeldbezug hat noch keine rechtliche Verankerung. Das ist ein Schnellschuss und handwerklicher Murks, der Freiwillige und Träger verunsichert.

Die Landesregierung schätzt in ihrem Bericht die Auswirkungen auf den Katastrophenschutz als gering ein. Ich teile diese Einschätzung nicht. Ein Teil der jetzt Freiwilligen, zum Beispiel die beim THW verpflichteten Helfer, war früher selbst über die Freistellung vom Wehrdienst verpflichtet. Diese Motivation wird künftig wegfallen.

Hinzu kommt, dass ein Teil der freiwillig verpflichteten Helfer vorher selbst Wehrdienst oder Zivildienst abgeleistet hat und sich nach Ableistung dieser Dienstpflicht gern weiter ehrenamtlich für die Gemeinschaft engagieren wollte. Auch diese Motivation fällt weg.

So werden auch beim Katastrophenschutz Lücken entstehen, die der Bundesfreiwilligendienst aufgrund seiner Struktur als Ganztagsdienst nicht so einfach stopfen kann.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine, die Landesregierung hat die Problematik, die auf uns nun zukommt, noch nicht voll erfasst. Ihr Bericht und Konzept hat viele Lücken. Wir müssen im Sozial- sowie Innen- und Rechtsausschuss die Folgen des heutigen Tages weiter diskutieren und auch im Rahmen der Anträge zum Ehrenamt, zu denen wir schon viele Stellungnahmen erhalten haben, darüber sprechen, wie wir bürgerschaftliches Engagement für alle und auch für junge Männer attraktiver gestalten und honorieren können.

Das Ende der Wehrpflicht hat auch Konsequenzen für die Hochschulen. Wenn künftig viele junge Männer statt in die Kaserne in die Hörsäle eilen, muss dort mehr Platz geschaffen werden. Das wird sich in fünf Jahren besonders verschärfen, weil der Übergang auf das G 8, so wie das alle Bundesländer machen, 2016 zu einem Doppeljahrgang an den Hochschulen führen wird. Hamburg hatte im vergangenen Jahr knapp 60 % Zuwachs bei den Erstsemestern.

Das Ministerium geht von 1.300 bis 1.700 zusätzlichen Studienbewerbern wegen des Fortfalls der Wehrpflicht aus. Es hofft aber auf eine Entlastung durch die Freiwilligendienste. Da sollte man besser keine allzu großen Hoffnungen hegen. Derzeit spricht wenig dafür, dass die Abiturienten, außer wenn sie vielleicht Wartezeiten bis zur Einschrei

bung in ein zugangsbeschränktes Fach überbrücken wollen, scharenweise in diese Dienste streben werden.

Es ist auch gut so, dass wir mehr Studierende und damit künftige Lehrer, Ärzte und so weiter haben; denn Deutschland hat zu wenig Hochschulabsolventen. Daher wird das Land gemeinsam mit dem Bund diese finanzielle Belastung von rund 17 Millionen € schultern müssen, auch wenn uns das schwerfällt und wenn der weitere Ausbau der Bologna-Strukturen den Hochschulen viel abverlangt, wie der Bericht über die Masterstudiengänge zeigt.

Die beiden Berichte zum Hochschulausbau sollten im Bildungsausschuss weiter erörtert werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Das Wort erteile ich der FDP-Landtagskollegin Kirstin Funke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Zunächst möchte ich mich ganz herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und natürlich auch bei den Ministern für die Berichte bedanken, die uns zu den einzelnen Anträgen vorliegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ab heute gilt es: Die Aussetzung der Wehrpflicht ist Wirklichkeit. Eine alte liberale Forderung wird mit dieser Reform realisiert. Der Schritt weg von den Pflichtdiensten hin zur Freiwilligkeit ist ein historischer Schritt.

(Beifall bei FDP und der LINKEN)

Mit der Reform werden die Freiwilligendienste weiter unterstützt und das zivilgesellschaftliche Engagement gestärkt.

Die Reform hat nicht nur Auswirkungen auf die Bundeswehr, sondern in erheblichem Maße auch auf die Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser, Hilfsdienste und zahlreiche weitere soziale Einrichtungen, die bislang Zivildienstleistende eingesetzt haben. Obwohl der Wehr- und Zivildienst wie auch der künftige Bundesfreiwilligendienst prinzipiell Bundessache sind, machen die individuellen Auswirkungen vor Ort bei den diversen Einrichtungen auch eine Beschäftigung des Landtags mit diesem Thema dringend erforderlich.

(Andreas Beran)

Ich möchte im Folgenden einige Punkte des Berichts gesondert aufgreifen. Zunächst zum Bundesfreiwilligendienst: Dieser ist durchweg zu begrüßen. Der Bundesfreiwilligendienst ist arbeitsmarktneutral und er führt nicht zu einer Verdrängung oder einem Ersatz regulärer Beschäftigung. Positiv ist auch, dass er allen Altersgruppen offensteht. So können auch Ältere ihre Erfahrungen einbringen! Da eine detaillierte Vorhersage der Auswirkungen dieses Dienstes und insbesondere beim Beitrag zur Deckung des Personalbedarfs gerade im Pflegebereich noch nicht zuverlässig möglich ist, muss diesem Bereich jedoch weiterhin besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Er könnte auch die Chance für Bürgerinnen und Bürger bieten, in eine soziaversicherungspflichtige Beschäftigung zu kommen. In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich die bereits geplante beziehungsweise eingeleitete Informationskampagne der Landesregierung, „Chancen der Freiwilligendienste nutzen“. Die Freiwilligendienste, wie das Freiwillige Soziale Jahr oder das Freiwillige Ökologische Jahr, das heute sein 20-jähriges Jubiläum feiert, stellen einen weiteren wichtigen Baustein dar. Diese sind besonders beliebt, weil sie auch einen pädagogischen Ansatz verfolgen. Somit sind diese Projekte auch für eine Sensibilisierung der Jugendlichen für ehrenamtliche Arbeit und gesellschaftliches Engagement wichtig.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Vor diesem Hintergrund ist die Verbesserung der Umstände für diese Dienste besonders erfreulich, weil dies auch eine Investition in die Zukunft darstellt. Meine Fraktion begrüßt den qualitativen und quantitativen Ausbau der Jugendfreiwilligendienste ausdrücklich.

(Zurufe von der SPD)

- Herr Stegner, ich kann genausogut ablesen, wie Sie es auch von Ihren Karteikarten tun. Danke schön.

Die Auswirkungen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt werden auch aufgrund der aktuell guten wirtschaftlichen Lage und der insgesamt relativ entspannten Arbeitsmarktsituation keine großen Probleme darstellen. Mit einer gewissen Besorgnis müssen wir jedoch die zukünftige Situation an den Hochschulen sehen, für die erhebliche Mehrausgaben unabdingbar sind. Dies setzt den reichlich strapazierten Landeshaushalt zusätzlichen unter Druck. Die FDP-Landtagsfraktion begrüßt, dass es für die zusätzlichen Studierenden, die ab dem kommenden

Wintersemester auf die Hochschulen zukommen, eine Lösung zwischen dem Bund und den Ländern gegeben hat.

(Beifall bei der FDP)

Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass der Bund sich mehr an der Finanzierung des Mehraufwandes der Hochschulen beteiligt. Denn auch der geplante Weg stellt einen enormen Finanzierungsmehraufwand für unser Land dar.

(Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er beteiligt sich doch!)

- Wir hätten uns ein Mehr gewünscht, lieber Kollege Andresen.

Ein besonderes Augenmerk möchte ich zum Abschluss noch auf die Stationierung der Bundeswehr richten, die unter strukturpolitischen, aber auch insbesondere unter Sicherheits- und Katastrophenschutzgesichtspunkten zu sehen ist. Bereits in der Vergangenheit war eine spürbare Verringerung der Bundeswehrpräsenz zu verzeichnen. Wir sollten klarstellen, dass eine derartige weitere Verkleinerung der Präsenz in der Fläche und ein weiterer Abzug von schwerem Gerät für Schleswig-Holstein eine besondere Belastung bedeuten. Die Landesregierung sollte sich deshalb weiterhin um eine intakte zivil-militärische Zusammenarbeit bemühen und die besonderen Erfordernisse in unserem Bundesland in Berlin deutlich kommunizieren.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, der Bericht „Wissenschafts- und Studienplatzstandort nachhaltig sichern“ passt an dieser Stelle leider nicht in die Thematik Aussetzung der Wehrpflicht. Deswegen kann ich hier nur kurz darauf eingehen. Der Bericht des Wissenschaftsministers stellt unmissverständlich dar, dass es derzeit in Schleswig-Holstein keine Diskrepanz zwischen den Studienplatzangeboten für Masterstudiengänge und Bewerbern gibt - was wir sehr begrüßen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Björn Thoroe.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir begrüßen ausdrücklich die Aussetzung der Wehrpflicht. Wir hatten nur eigentlich schon erwartet, dass sie ein paar Jahre früher kommt, eventuell

(Kirstin Funke)

schon unter Rot-Grün und nicht erst jetzt unter Schwarz-Gelb.

(Zuruf des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

- Gut, immerhin ist es jetzt geschafft. Das begrüßen wir sehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Für den Katastrophenschutz kann man ja nicht nur die Bundeswehr einsetzen. Wenn man es mit dem Katastrophenschutz ernst meint, sollte man auch das Technische Hilfswerk stärken und sollte nicht das Feuerwehrschiff in Kiel stilllegen. Auch dafür hätte man noch Geld zur Verfügung stellen können.

(Beifall bei der LINKEN)