Protokoll der Sitzung vom 16.09.2011

(Anita Klahn)

Jede Einzelmaßnahme ist jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir Grünen wollen aber nicht nur eine einzelne Maßnahme; das wird nicht ausreichen. Wir wollen ein ganzes Maßnahmenpaket.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nur so kommen wir zu einer grundlegenden Verbesserung für die Pflege. Und die ist erforderlich. Daran besteht kein Zweifel.

Ein Medizinstudium ist kostenlos. Eine Ausbildung in der Pflege kostet. Das ist ein Unding, und wir Grüne wollen das ändern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir wollen eine Ausbildungsumlage, und wir wollen für Schleswig-Holstein endlich eine bedarfsgerechte Ausstattung mit Ausbildungs- und Umschulungsplätzen in der Pflege. Die Pflegeverbände - öffentliche und private - weisen schon lange auf den Bedarf in der Pflege hin. Ihre Stimme wird nicht gehört.

Wir alle sollten aber genau hinhören. Wir brauchen auch eine stärkere Interessenvertretung. Wir haben im Sozialausschuss mehrfach über die erforderlichen Änderungen und über die Berufsordnung gesprochen. Wir haben zahlreiche Stellungnahmen von Experten eingeholt, und wir haben mit Fachleuten gesprochen. Wir Grüne halten eine Berufsordnung für richtig und wichtig, Frau Pauls.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, wenn Sie die Berufsordnung ablehnen mit dem Hinweis, sie befürchten mehr Bürokratie, dann frage ich Sie: Wie wollen Sie die Interessenvertretung in der Pflege stärken? Was sind Ihre Vorschläge? Holen Sie sie aus den Schubladen heraus und legen Sie sie auf den Tisch. Wir würden sie gern mit Ihnen diskutieren. Es muss Schluss sein mit den Sonntagsreden und Lippenbekenntnissen zur Pflege. Wir brauchen eine Strategie zur Stärkung der Pflege, und wir brauchen eine Qualitätsoffensive.

Eines sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: Gute Pflege gibt es nicht zum Nulltarif. Darüber sollten sich alle im Klaren sein.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Hier noch einmal die Zahlen: In knapp zehn Jahren werden wir nicht mehr knapp 80.000, sondern

100.000 Pflegebedürftige haben. Wir müssen handeln. Wir müssen die Pflege zukunftsfest machen. Damit müssen wir heute schon anfangen. Dabei wäre aus unserer Sicht eine Berufsordnung eine gute Weichenstellung. Auch die Diskussion über die Pflegekammer wollen wir Grünen mit den Pflegenden führen.

Eines ist mir noch wichtig: Wir sollten auch einmal die positiven Seiten sehen. Die Pflege bietet vielen Menschen Arbeitsplätze. Wenn wir klug sind, sorgen wir dafür, dass diese Arbeitsplätze gute Arbeitsbedingungen und gute Aufstiegsmöglichkeiten bieten. Dann werden sich auch mehr junge Menschen für eine Ausbildung in der Pflege entscheiden. Denn eines ist klar: Die Pflegebranche ist eine Zukunftsbranche.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Diese Rede habe ich für meine erkrankte Kollegin Marret Bohn gehalten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort erteile ich jetzt der Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE, Antje Jansen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Bereich der Pflege besteht Handlungsbedarf, und die Dringlichkeit wächst. Mit dem demografischen Wandel steigt die Zahl der Menschen, die Pflege benötigen, und parallel dazu steigt die Zahl der Menschen, die gebraucht werden, um diese Arbeit zu machen. Wir haben einen immer größeren Bedarf an gut ausgebildetem Pflegepersonal. Dieser Bedarf ist schon heute ungedeckt. Herr Minister Garg, Sie haben im vergangenen November selbst davon gesprochen, dass es bald sein könnte, dass wir jeden dritten jungen Menschen im Pflegebereich ausbilden müssen.

Fakt aber ist, dass es zum jetzigen Zeitpunkt unter den jetzigen Bedingungen mehr Gründe gibt, aus dem Pflegeberuf zu flüchten, als sich für diesen Beruf zu entscheiden. Die Bezahlung ist schlecht, die Arbeitsdichte wird immer belastender, die Arbeitszeiten sind alles andere als familienfreundlich, und das soziale Ansehen der Pflegeberufe könnte deutlich besser sein.

(Ines Strehlau)

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

In dieser Situation hat die SPD ihren Antrag eingebracht, eine Berufsordnung für Pflegeberufe, auch in Schleswig-Holstein zu erlassen. Wir begrüßen diesen Antrag.

(Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- neten Birte Pauls [SPD])

Wir haben zu diesem Antrag eine Anhörung im Ausschuss durchgeführt. Das Ergebnis dieser Anhörung lässt eigentlich nur eine Bewertung zu: Alles spricht dafür, dass die Landesregierung gemeinsam mit den Berufsverbänden endlich daran geht, eine Berufsordnung für Schleswig-Holstein zu erarbeiten.

Dabei geht es um nichts weniger als die Berufsstandards und die Qualität in der Pflege. Eine Berufsordnung ist sinnvoll, weil sie dabei hilft, das berufliche Selbstverständnis und die gesellschaftliche Anerkennung der Menschen zu steigern, die in der Pflege arbeiten. Es wurde gegen eine solche Berufsordnung eingewendet, das Festschreiben von Standards und Anforderungen nütze für sich gar nichts. Man müsse die Einhaltung der Standards schließlich auch kontrollieren und sie in der Pflegewirklichkeit durchsetzen.

Dann kommt ein Argument, das in der Konsequenz bedeutet, die Formulierung von Standards erfordere den Aufbau einer teuren Überbürokratie, die wir uns nicht leisten könnten - wie die Kollegin Klahn das auch noch einmal erläutert hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist eine haushaltspolitische Kapitulation vor der Pflegewirklichkeit.

Einmal ganz abgesehen davon - was prüft denn eigentlich der Medizinische Dienst der Krankenkassen, wenn er regelmäßig in die Kranken- und Pflegeheime geht? - Er überprüft und bewertet Pflegestandards. Er benotet Pflegequalität und macht diese Benotung öffentlich zugänglich.

Hier wurde auch kritisiert, dass sich die Antragsteller auf die Berufsordnungen in Bremen, im Saarland und in Hamburg als Beispiele für Berufsordnungen bezogen hätten, dass in Bremen das Berufsfeld der Altenpflege gar nicht enthalten sei oder dass die Hamburger in ihrer Berufsordnung die Pflegeassistenzberufe nicht berücksichtigt hätten. Aber das kann doch kein ernsthaftes Argument gegen die Erarbeitung einer Berufsordnung in Schleswig-Holstein sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Daraus kann für uns nur folgen: Das machen wir in Schleswig-Holstein einfach besser.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fraktion DIE LINKE unterstützt das Anliegen des Antrags. Eine Berufsordnung für Pflegeberufe ist ein Schritt in diese Richtung. Vielleicht ist sie nicht einmal der wichtigste Schritt, aber das macht sie nicht falsch. Wenn wir von Qualität in der Pflege reden, dann reden wir über Menschen. Daran sollten wir unsere Entscheidungen messen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort für die SSW-Fraktion erteile ich dem Herrn Kollegen Flemming Meyer

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die zukünftigen Herausforderungen in der Pflege sind enorm. Der allgemeine Bedarf wird hier schon in naher Zukunft rasant steigen. Allein im Heimbereich werden im Jahr 2025 bundesweit bis zu 400.000 zusätzliche Pflegeplätze benötigt. Die Gesamtzahl der professionell zu versorgenden Pflegefälle wird sich bis zum Jahr 2050 um rund 270 % erhöhen. Verantwortlich hierfür sind vor allem der demografische Wandel und die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung. Und dies alles muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass im gleichen Zeitraum der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung um circa 40 % abnimmt. All dies ist im Grunde bestens bekannt - das wurde hier alles bereits erwähnt -, trotzdem wird nicht entschlossen genug gehandelt. Dieser Zustand ist aus Sicht des SSW nicht länger hinnehmbar.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Deshalb findet der Antrag der SPD natürlich unsere volle Unterstützung.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Dabei ist klar, dass damit nicht alle Probleme um die Zukunft der Pflege aus der Welt sind. Eine Berufsordnung ist ein Mosaikstein von vielen. Auch das ist hier schon gesagt worden. Grundsätzlich gilt aber: Egal ob es sich um Pflege für Kinder, Kranke oder Alte handelt, die Versorgung und Betreuung muss menschenwürdig sein und muss es auch in Zukunft bleiben.

(Antje Jansen)

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Hierfür brauchen wir viele gut ausgebildete und motivierte Pflegekräfte. Doch schon heute sieht die Realität in den Einrichtungen meist anders aus: Die Mitarbeiter sind oft überlastet und unterbezahlt, und sie sind in vielen Fällen nicht den Anforderungen entsprechend qualifiziert. Diese Entwicklung erfüllt uns mit Sorge. Gerade weil der Bedarf so rasant steigt und es dabei kaum gelingt, genügend qualifiziertes Personal zu finden, dürfen wir nicht einfach die Hände in den Schoß legen. Um es deutlich zu sagen: Wenn wir hier nicht gegensteuern, werden menschenwürdige Zustände in der Pflege bald eher die Ausnahme statt die Regel sein.

Was wir brauchen, um die Situation für pflegende und pflegebedürftige Menschen zu verbessern, liegt doch auf der Hand: Die Attraktivität der Pflegeberufe muss nachhaltig verbessert werden.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Anreize müssen geschaffen werden, damit sich junge Menschen für einen Pflegeberuf entscheiden und diesen auch lange ausüben.

Mit einer Mindestlohnregelung allein ist es nicht getan. Wir müssen zum Beispiel auch dafür sorgen, dass eine größere berufliche Flexibilität möglich wird, damit Pflegefachkräfte ihr Tätigkeitsfeld wechseln können, ohne gleich ganz aus dem Beruf auszusteigen.

Dem hohen Frauenanteil in dieser Berufsgruppe müssen wir dadurch Rechnung tragen, dass wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Natürlich sind hier auch die Einrichtungen selbst in der Verantwortung. Ich möchte aber feststellen, dass es nicht zuletzt Aufgabe der Politik und der Träger ist, dafür zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Denn die in diesem Bereich tätigen Menschen müssen auch wirklich die Qualifikation und die Ressourcen bekommen, die sie benötigen, um eine moderne und menschenwürdige Pflege zu gewährleisten.