Protokoll der Sitzung vom 16.09.2011

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Christopher Vogt [FDP]: Da war er!)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Christopher Vogt das Wort.

(Zuruf des Abgeordneten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute für mich kein einfacher Tag: Der Kollege Kalinka schenkt mir Minuten, Herr Baasch sagt, das ich Kleider trage, und Frau Fritzen sagt, dass ich Herr Kumbartzky bin. Das ist nicht einfach.

(Heiterkeit)

Die arbeitsmarktpolitische Instrumentenreform auf Bundesebene ist ja, wenn man so will, die erste große Arbeitsmarktreform dieser Legislaturperiode, die freiwillig stattfindet. Die Jobcenterreform und die Neuregelung der Gesetze für Kinder und Jugendliche waren ja durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden. Reformbedarf gibt es in der Arbeitsmarktpolitik auf jeden Fall ausreichend. Die allgemeine Arbeitsmarktsituation ist ja zum Glück nach wie vor ausgespro

chen positiv, aber die Probleme mit der Langzeitarbeitslosigkeit sind weitestgehend geblieben. Die kommenden Herausforderungen der Arbeitsmarktpolitik sind gewaltig. Der demografische Wandel wird mit einem wachsenden Bedarf an Fachkräften immer deutlicher zu spüren sein. Es ist deshalb geradezu logisch, dass die Bundesregierung die bisherigen Instrumente überprüft und auch neu ausrichten möchte.

Der Ansatz der Reform ist ja - wie man von der Bundesregierung immer wieder hört -, die Zahl der Instrumente in der Arbeitsmarktpolitik deutlich - um ungefähr ein Viertel oder ein Drittel zu reduzieren, sie flexibler und passgenauer zu gestalten und mehr Freiheit in den Jobcentern vor Ort zu schaffen. Die Qualität der Instrumente und der Vermittlung soll verbessert werden, die Transparenz erhöht werden. Die allgemeinen Ziele kann ich nur unterstützen, wenn man jedoch von diesen allgemeinen Zielen zur Umsetzung kommt, hält sich auch in meiner Fraktion die Begeisterung in Grenzen.

Die Auswirkungen in Schleswig-Holstein würden bei einer Umsetzung der Reform durch die vorgesehenen Kürzungen im Eingliederungstitel zu einigen Problemen führen. Wir unterstützen die Landesregierung und die anderen Bundesländer deshalb auch bei ihrer Forderung, dass sie bei dieser Reform, der der Bundesrat ja nicht zustimmen muss, enger als bisher in den Gesetzgebungsprozess einbezogen werden. Das ist dringend geboten. Die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung auch auf Bundesebene ist - vielleicht mit einigen Ausnahmen - in der Gesamtheit unbestritten. Insofern geht es hier für uns um Maßnahmen für Langzeitarbeitslose, um die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, und es ist klar, dass wir eine verbesserte Qualifizierung und Weiterbildung brauchen.

Ein sehr wichtiger Bereich, bei dem wir ganz konkret Probleme mit den bisherigen Plänen der Bundesregierung haben, ist die Förderung von Existenzgründungen. In Schleswig-Holstein haben wir in den letzten Jahren damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Es ist zwar verständlich, dass man Mitnahmeeffekte - die es unbestritten gibt - vermeiden möchte. Aus einer Pflichtleistung soll deshalb eine Ermessensleistung werden. Wir wollen jedoch keine Restriktionen bei den Fördervoraussetzungen. Der Minister hat das auch im Bundesrat sehr deutlich formuliert.

Ebenso hat die Landesregierung auch kritisiert, dass im Bereich der Ausbildung in der Altenpflege etwas getan werden muss. Ich bin mir relativ sicher,

dass die Altenpflegeausbildung in den nächsten Jahren grundlegender reformiert werden muss, vor allem was die Finanzierung angeht. Wir wollen deshalb erreichen, dass die Finanzierung des dritten Ausbildungsjahrs wieder im SGB III verankert wird.

Sehr wichtig ist uns auch eine Verbesserung der Berufseinstiegsbegleitung und der Berufsorientierungsmaßnahmen - gerade für junge Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder auch mit Schwerbehinderung - sowie zusätzliche Fördermöglichkeiten für niedrigschwellige Maßnahmen für Jugendliche, die nicht in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen sind. Dies sollte weiterhin im SGB II und SGB III verankert bleiben.

In Schleswig-Holstein haben wir sehr erfolgreiche Einrichtungen, wie zum Beispiel Produktionsschulen, die für unsere Gesellschaft einen sehr großen Mehrwert darstellen und in der Arbeitsmarktpolitik eine wichtige Bedeutung haben.

Wenn die Pläne so umgesetzt werden, wie es der Bund vorsieht, habe ich die große Sorge, dass die Finanzierung dieser Einrichtungen auf das Land beziehungsweise auf die Kommunen abgewälzt wird. Das darf aus meiner Sicht nicht sein.

(Beifall der Abgeordneten Katharina Loedige [FDP])

- Vielen Dank, die finanzpolitische Sprecherin klatscht. Sehr gut.

Die vertiefte Berufsorientierung und der Übergang von der Schule in den Beruf sollen zwar laut den Plänen der Bundesregierung erhalten bleiben, aber nur mit einer Kofinanzierung der Länder. Das ist natürlich gerade für unser Bundesland ein großes Problem.

Wir wollen uns diese Themen, die im Rahmen der Instrumentenreform auf uns zukommen, genauer anschauen. Mittlerweile liegen mehrere Anträge vor. Ich bin begeistert, dass SPD, Grüne und SSW unsere Punkte aufgenommen haben. Das zeigt, wie qualitativ hochwertig wir arbeiten. Deshalb haben Sie es fast eins zu eins ergänzt übernommen.

(Zuruf der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Wir wollen es im Ausschuss weiterberaten. Ich bin kein Freund davon, zu allen möglichen Themen Anhörungen zu machen, in diesem Bereich ist es aber ganz wichtig.

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Es gibt auch einige Punkte, die wir uns im landespolitischen Bereich noch einmal genauer anschauen sollten, zum Beispiel im Bereich der Produktionsschulen. In Hamburg gibt es seit ungefähr einem Jahr die Möglichkeit, nicht erst nach der Schule, sondern schon während der Schulzeit Produktionsschulen zu besuchen. Dazu müsste man - glaube ich - in Schleswig-Holstein extra das Schulgesetz ändern. Aber auch über solche Sachen sollte man sich im Rahmen einer Anhörung von Leuten, die davon Ahnung haben, berichten lassen.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Johannes Callsen [CDU] und Werner Kalin- ka [CDU])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der Arbeitslosen ist deutlich zurückgegangen, auch in Schleswig-Holstein. Das ist erfreulich. Aktuell haben wir eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von etwa 7,5 %. Das klingt positiver, als es bis vor kurzer Zeit noch war. Wenn wir jedoch genau hinschauen, bedeutet das, dass knapp 100.000 Menschen keinen Arbeitsplatz haben.

Der Arbeitsmarkt ist tief gespalten. Das ist nicht gut. Auf der einen Seite gibt es den Fachkräftemangel, und auf der anderen Seite haben wir eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit. Wer jetzt nur die Spitze des Eisbergs sieht und an der falschen Stelle spart, wird Schiffbruch erleiden. Die geplanten Kürzungen der Bundesregierung erinnern an die Fahrt der „Titanic“: Volle Kraft voraus, es wird schon gut gehen.

Qualifizierung und Weiterbildung, Förderung von Selbstständigen, das Programm Jobperspektive, sie alle werden mit dem Rasenmäher gekürzt. Das ist der völlig falsche Weg.

(Beifall der Abgeordneten Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Christopher Vogt [FDP]: Ach!)

Das ist keine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik, das ist die arbeitsmarktpolitische Abrissbirne. Sie wird dazu führen, dass diejenigen, die heute

(Christopher Vogt)

schon benachteiligt sind, restlos abgehängt werden. Wir Grüne wollen, dass nicht nur Fachkräfte, sondern auch Langzeitarbeitslose eine echte Perspektive haben.

(Beifall der Abgeordneten Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Antje Jansen [DIE LINKE] und Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Dafür müssen ausreichend Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Kurzfristige Einsparungen haben in diesem Bereich mittel- und langfristige Auswirkungen, die weit über den Einsparungen liegen. Wir Grüne stehen für Nachhaltigkeit, nicht nur bei der Energie- und Gesundheitspolitik, sondern auch bei der Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Eine nachhaltige Integration auf dem Arbeitsmarkt ist die beste Lösung für die Arbeitslosen und für die Wirtschaft. Wir Grünen fordern eine transparente Analyse der Arbeitsmarktinstrumente. Wir fordern einen Abbau von bürokratischen Strukturen und wir fordern eine Diskussion über die Sanktionen. Die Schere zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel darf nicht weiter auseinandergehen. Das wäre schlecht für die Arbeitslosen, schlecht für die Wirtschaft und schlecht für das gesellschaftliche Klima.

Frau Jansen, wir begrüßen die Initiative der Linken. Wir wollen allerdings die Forderungen konkreter gestalten. Sie sind selbst schon etwas darauf eingegangen. Deswegen haben wir gemeinsam mit der SPD und dem SSW einen Änderungsantrag zu Ihrem Antrag gestellt. Wir freuen uns sehr über die Unterstützung. Gleichzeitig haben wir auch - sehr positiv, Herr Kalinka und Herr Vogt; auch wenn er gerade keine Zeit hat - die Punkte von der Regierungsfraktion aufgenommen. Es ist so, wie es Herr Vogt gesagt hat. In dem Punkt haben Sie gute Arbeit gemacht. Wir haben ein bisschen die Selbstbeweihräucherung am Anfang weggelassen.

Zur Bundesregierung! Wir freuen uns sehr darüber, dass das Ganze jetzt an den Ausschuss geht und wir uns nach einer Anhörung vielleicht auch auf einen gemeinsamen Antrag verständigen können. In der Sache muss man ja nicht immer so tun, als wäre man weit auseinander. Zumindest auf Landesebene sind wir ja nah beieinander.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Für die SSW-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Oberflächlich betrachtet ist mit der günstigen konjunkturellen Entwicklung auch eine Entspannung der Lage am Arbeitsmarkt verbunden. Die Statistiken belegen, dass die Zahl der Beschäftigten nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit, zunimmt. Ein Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Jobs ist ohne Zweifel erfreulich. Doch auch wenn wir diesen Trend gern zur Kenntnis nehmen, muss ich trotzdem vor Jubelausbrüchen warnen, denn der genaue Blick auf die Zahlen zeigt, dass der überwiegende Teil der Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der Zeit- und Leiharbeit entstanden ist. Und es ist nun einmal Fakt, dass die gezahlten Löhne in dieser Branche häufig nicht einmal ausreichen, um die Existenz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sichern.

Dass die politisch Verantwortlichen diese Ausweitung des Niedriglohnsektors als Erfolg feiern, ist schon schlimm genug. Dass die Bundesregierung diese Entwicklung auch noch als Begründung dafür genutzt hat, den Titel für Eingliederungsmaßnahmen im Haushalt allein für das Jahr 2011 um 1,3 Milliarden € zu kürzen, ist aus Sicht des SSW nicht hinnehmbar.

(Beifall beim SSW)

Denn zum einen sind die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise auch heute noch deutlich spürbar, zum anderen ist diese Kürzung mehr als ein bloßes Zurückfahren der Mittel auf das Niveau vor der Krise. Aus unserer Sicht müssen die entstandenen Spielräume genutzt werden, um verfestigte Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Denn nach wie vor ist rund ein Drittel der erfassten Erwerbslosen langzeitarbeitslos. Diese Gruppe hat nichts vom aktuellen Aufschwung. Deshalb müssen wir sie dringend stärker fördern und ihre Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt verbessern.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der LINKEN)

Doch gerade die Aktivierung und Förderung ist es, die durch die Kürzung beschnitten wird. Besonders der massive Rückgang der Ausgaben für Qualifi

(Rasmus Andresen)

zierungsmaßnahmen, Fortbildungen und berufliche Weiterbildung halten wir für fatal. Jedem hier ist klar, dass das größte Risiko, arbeitslos zu werden oder dauerhaft zu bleiben, bei denen liegt, die nur geringe Qualifikationen haben. Aus Sicht des SSW sind Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen das zentrale Mittel, um den arbeitssuchenden Menschen eine Perspektive zu geben. Für uns steht fest, dass wir uns nicht nur damit begnügen können, passive Leistungen zu gewähren. Auch die aktuelle Reform der Arbeitsförderungsinstrumente des Bundes darf nicht wie geplant in Kraft treten. Denn gerade den ohnehin Benachteiligten - wie etwa den schwerbehinderten, alleinerziehenden, geringqualifizierten oder älteren Menschen - werden hierdurch zusätzliche Steine in den Weg gelegt.

Nach den Plänen der Bundesregierung sollen die Arbeitsmarktinstrumente neu geordnet und gestrafft werden. Damit wird aber die wichtige individuelle Förderung der Arbeitsuchenden weiter begrenzt. Auch der Rechtsanspruch auf einen Gründungszuschuss für diejenigen, die sich selbstständig machen wollen, soll entfallen. Und nicht zuletzt werden nach den Plänen der Bundesregierung die Zuschüsse für die begleitende Betreuung von sogenannten Ein-Euro-Jobbern, für die bisher in Einzelfällen bis zu 1.000 € monatlich zur Verfügung standen, auf höchstens 120 € begrenzt.

Dies ist der völlig falsche Ansatz: Gerade in der heutigen Situation müssen wir die Chancen der Benachteiligten am Arbeitsmarkt durch den Ausbau aktivierender Elemente verbessern. Hierfür sind nicht weniger, sondern mehr Mittel und flexiblere Instrumente für eine nachhaltige Ausbildungs- und Qualifizierungsförderung nötig. Um die Wirksamkeit der Arbeitsmarktpolitik zu erhöhen, brauchen wir keine Reform der Instrumente. Was wir brauchen, sind gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter vor Ort und eine stabile finanzielle Grundlage für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall beim SSW sowie vereinzelt bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)