Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um zu verstehen, warum die Bleiberechtsregelungen ein Problem sind, müssen wir uns die Geschichte anschauen. Ziel der Duldung war es, die Lebensbedingungen der geflüchteten Menschen so schlecht zu gestalten, dass diese schnell wieder nach Hause wollen. Dabei wurde völlig übersehen, dass viele dieser Menschen gar nicht zurück in ihr Heimatland können, weil es dort keine humanen Lebensbedingungen gibt. Es wurde auch übersehen, dass Krieg und Verfolgung so traumatisierend wirken, dass Lebensbedingungen noch so schlecht gestaltet sein können; alles ist besser, als zurückzugehen und mit dem Leben dafür zu zahlen.
Es sind also gleich zwei Denkfehler, die bei der Entstehung der Bleiberechtsregelungen gemacht wurden. Neben diesen Denkfehlern hat das Justizministerium im Innen- und Rechtsausschuss darauf hingewiesen, dass ein ungeklärtes Problem ist, was zuerst da war, das Bleiberecht oder die Integration. Dürfen also Menschen bleiben und sich integrieren, oder dürfen sich Menschen integrieren und dann bleiben?
Dieser Spagat ist nach wie vor bestimmend für das Bleiberecht. Statt eine klare Antwort zu finden, wurschteln wir uns so durch und sagen: Wenn die
Menschen kommen, können sie sich ein bisschen integrieren, aber auch nicht so richtig. Dann können sie ein bisschen bleiben, aber auch nicht so richtig. Wenn sie sich dann ein bisschen mehr integrieren, dann können sie vielleicht auch noch ein bisschen lieber bleiben.
Genau das macht die Absurdität der Kettenduldungen deutlich. Duldung hemmt die Integration und soll sie gleichzeitig ermöglichen. Das geht nicht. Um davon endlich wegzukommen, müssen wir endlich die Kriterien für eine Bleiberechtsregelung so überarbeiten, dass das auch funktionieren kann.
Der SSW begrüßt durchaus den Vorstoß des Justizministers, auch wenn wir nicht jede dieser vielen Regelungen so inhaltlich teilen, wie man es sich vielleicht wünschen würde.
Die Notwendigkeit einer stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung haben wir inzwischen alle verstanden. Es kann nicht sein, dass jemand einen Tag zu früh oder zu spät nach Deutschland flüchtet, deshalb durch irgendein bürokratisches Raster fällt und damit ausgewiesen wird.
Auch dass Integrationsleistungen wie Spracherwerb, Schulerfolg oder Erwerbstätigkeit die Voraussetzungen für einen sicheren Aufenthaltsstatus sind, haben wir alle verstanden. Für all diese Integrationsleistungen gilt aber, dass sie nur Bedeutung haben können, wenn die Menschen sie auch erbringen können. Es nützt also nichts, Deutschkenntnisse auf dem Niveau A 2 zu fordern und gleichzeitig den Zugang zu Sprachkursen zu verwehren, weil es nicht ausreichend Kurse gibt oder die Menschen sich die Teilnahme nicht leisten können.
Es nützt auch nichts, hervorragende Schulleistungen zu fordern und gleichzeitig keinen Lernort zur Verfügung zu stellen. Am aller absurdesten ist aber das Kriterium der Sicherung des Lebensunterhalts und die damit einhergehende Erwerbstätigkeit.
Das erste Jahr nach der Ankunft in Deutschland dürfen die Flüchtlinge sowieso erst einmal gar nicht arbeiten. Dann haben sie drei Jahre lang nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt, das heißt, sie müssen sich einen Arbeitgeber und eine Stelle suchen, die sie dann der Arbeitsagentur melden, die dann versucht, jemand anderes, nämlich jemanden aus Deutschland, für diesen Job zu finden. Nur
dann, wenn dies nicht gelingt - was angesichts unserer hohen Arbeitslosigkeit ziemlich unwahrscheinlich ist -, dürfen die Geduldeten den Job dann doch annehmen. Wie häufig ein Arbeitgeber bereit ist, einem geduldeten Menschen, der jederzeit aus dem Land geschmissen werden kann, eine Stelle anzubieten, können Sie sich denken. Welche Jobs dabei überhaupt infrage kommen, das kann man sich auch denken.
Parallel zu der Tatsache, dass es für einen geduldeten Menschen nahezu unmöglich ist, eine dauerhafte Arbeit zu finden, steht der Vorwurf im Raum, dass die Menschen es sich in Deutschland bequem machen und im Sozialsystem schmarotzen gehen. Wir selbst machen es ihnen aber doch unmöglich, unabhängig von staatlicher Hilfe leben zu können. Wir verhindern ihre Integration und ihre finanzielle Selbstständigkeit, und anschließend beschweren wir uns noch darüber, dass diese Menschen auf den Staat angewiesen sind. Das ist schon eine schräge Argumentation.
Das muss endgültig ein Ende haben. Aus Sicht des SSW erfüllt der Antrag der Grünen die Forderungen an ein humanitäres Bleiberecht. Deshalb werden wir diesem natürlich zustimmen. Ich möchte ganz ausdrücklich sagen, dass wir dem Antrag der SPD, der sich die Kriterien des Justizministeriums zu eigen gemacht hat, um CDU und FDP vorzuführen, nicht zustimmen werden, weil wir meinen, dass das Bleiberecht kein gutes Thema für parteipolitische Sperenzchen ist.
Zumindest der SSW spielt da nicht mit. Wir sagen aber auch sehr deutlich, dass wir diesen Antrag auch deshalb ablehnen, weil wir nicht alle Teile des Papiers des Justizministers vollständig in Ordnung finden. Über dieses Papier hätte man gut diskutieren können. Wir hätten auch gut die Anregungen der Grünen in dieses Papier integrieren können. Wir hätten auf diesen Grundlagen versuchen können, eine gemeinsame Regelung zu finden, die auch dauerhaft Bestand hat. Es ist schade, dass dies nicht gelungen ist.
Uns geht es um eine verbesserte Bleiberechtsregelung für die Menschen, die ein Recht auf eine Einzelfallentscheidung und humanitäre Größe und Freizügigkeit haben. Das soll mein letzter Satz sein:
Wir haben in Deutschland Menschenrechte, Demokratie, Wohlstand und Freiheit. Dies sollte aber nicht nur für Deutsche gelten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Diskussion kurz vor den Ferien nicht besonders in die Länge ziehen, sondern nur versuchen, den Konsens wieder herzustellen, und zwar durch ein paar formale Klarstellungen.
Wir reden hier nicht über einen Gesetzentwurf, der als Gesetz beschlossen wird und nach Verkündung in Kraft tritt. Vielmehr reden wir über eine Bundesratsinitiative, die mit dem Gedanken formuliert worden ist, dass möglichst viele Länder dies mittragen können.
Es ist natürlich ein Jammer, wenn wir im Parlament schon über Details streiten, um die es hier noch gar nicht geht. Die Schwierigkeit wird nachher in der Tat im Detail liegen, wenn es zum Beispiel darum geht, zu verhindern, dass irgendwelche Kriterien von irgendjemandem auf dem Klageweg als willkürlich empfunden werden. Diese Bundesratsinitiative wird im Bundesrat selbst sicherlich noch Änderungen erfahren. Wichtig ist aber doch erst einmal, dass wir das Gesamtpaket auf den Weg bringen. Ich erinnere an die Diskussion von Mittwoch über den Bundesrat und darüber, was im Bundesrat mit CCS passiert ist.
Das Wort für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Justiz, Gleichstellung und Integration, Herrn Emil Schmalfuß.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es Ihnen sicherlich ersparen, erneut die Argumente aufzuführen, warum wir eine dauerhafte Regelung im Gesetz brauchen, die diejenigen Ausländerinnen und Ausländer mit einem Aufenthaltstitel begünstigt, die sich seit Jahren im Bundesgebiet aufhalten und sich hier gut integriert
haben. Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass es darum geht, Herr Harms. Es geht nicht um ein humanitäres Bleiberecht.
Unsere letzte Debatte im Plenum hat deutlich gemacht, dass wir eine solche Regelung brauchen und auch wollen. Es geht lediglich um deren konkrete Ausgestaltung. Dazu hat eine Anhörung im Innenund Rechtsausschuss stattgefunden. Daran hat sich eine lebhafte und fruchtbare Diskussion angeschlossen, die in die heutigen Anträge gemündet ist.
Meine Damen und Herren, sicherlich müsste es einen jeden Minister sehr erfreuen, wenn eine Landtagsfraktion den von ihm als Diskussionsgrundlage erstellten Eckpunktevorschlag eins zu eins übernimmt. Allerdings fände ich es schade, wenn die Fraktion der SPD - so deute ich die dpaMeldung vom 4. Oktober 2011 - meine Vorschläge vor allem deshalb übernommen haben sollte, um eine vermeintliche Differenz meiner Vorschläge zum Vorschlag der Regierungsfraktionen bloßzustellen.
Meine Damen und Herren, das für unser Land, für unsere Wirtschaft und für viele Einzelschicksale so bedeutende Thema befindet sich im Kern parteiübergreifend auf einem guten Weg. Wir sind uns sicher einig, dass dieses Thema nicht für polittaktische Spielchen benutzt werden sollte.
Ich möchte mich jetzt gern der Sache zuwenden. Worin wir als Ausgangslage bereits fraktionsübergreifend Konsens erzielt haben, sind folgende Vorgaben: Begünstigt werden sollen Ausländerinnen und Ausländer, die sich seit mehreren Jahren in Deutschland aufhalten, die in die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachhaltig integriert sind und denen nicht vorzuwerfen ist, dass sie durch ihr Handeln gegen die Regeln des sie bisher aufnehmenden Staates verstoßen haben. Schließlich - auch da wird sicherlich Einvernehmen bestehen - muss die Erwartung gerechtfertigt sein, dass diese Menschen sich auch dauerhaft in unser wirtschaftliches Leben einfügen und ihr Leben eigenverantwortlich gestalten können. Dazu gehört auch die Fähigkeit, den Lebensunterhalt eigenständig zu sichern. Ich komme noch auf Einzelheiten zurück.
Worin liegen jetzt die vermeintlichen Unterschiede? - Diese machen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, an einigen wenigen Worten im Antrag der regierungstragenden Fraktionen fest. Dazu ist zunächst einmal zu bemerken, dass der Antragsduktus der ständigen Praxis entspricht, bei einer in Auftrag gegebenen Bundesratsinitiative der Landesregierung das Ziel und die wesentlichen tragenden Gesichtspunkte mit auf den
Ihre Ausarbeitung ist Aufgabe der Landesregierung, die dabei auch die Mehrheitsfähigkeit im Bundesrat im Auge haben muss, wenn das Anliegen ernsthaft verfolgt werden soll, meine Damen und Herren von den Grünen.
Wenn Sie etwas für die Menschen erreichen wollen, dann sollten Sie sich dieser Initiative anschließen.
Ich bin den Regierungsfraktionen dankbar, dass Sie an dieser Praxis festhalten und so der Landesregierung die Möglichkeit eröffnen, anhand des klaren Rahmens einen Gesetzentwurf einschließlich der begleitenden Verfahrensregelungen und Härtefallkriterien zu entwickeln, der diesen Rahmen ausfüllt und dann hoffentlich bundesweit Mehrheiten findet.
Ich bin den Fraktionen auch dankbar, dass sie meine Vorstellungen weitgehend übernommen haben. Wenn ich die Kriterien durchgehe, sehe ich jedenfalls eine weitgehende Übereinstimmung.
Ich zitiere: langjähriger Aufenthalt in Deutschland von mindestens 8 Jahren oder 6 Jahren, wenn der Begünstigte mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt. - Das entspricht meinem Vorschlag.
Nächster Punkt: Straffreiheit während dieser Zeit. Meine Damen und Herren, mir als langjährigem Richter, Strafkammervorsitzenden und jetzt Justizminister dürfen Sie glauben, dass ich vollumfänglich die Meinung teile, dass Straffreiheit als Zielvorgabe für Integration richtig ist.