Protokoll der Sitzung vom 18.11.2011

(Dr. Andreas Tietze)

Land Schleswig-Holstein beziehungsweise die Kommunen finanzieren diese Verkehre. Angesichts dessen kann es nicht sein, dass wir auf gesetzlichem Wege gerade diese Finanzierung wieder torpedieren.

Es gibt also noch viele Fragen zu beraten. Deshalb bitte ich darum, die Anträge in den Wirtschaftsausschuss zu überweisen.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Hans-Jörn Arp das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke dem Herrn Minister für seinen Bericht. Sein Haus hat ordentliche Fakten geliefert, über die wir heute diskutieren. Die Herstellung von Barrierefreiheit im Nah- und Fernverkehr ist auch für Schleswig-Holstein ein wichtiges Thema. Nicht nur für uns als Tourismusstandort ist es von großer Bedeutung; Karsten Jasper hat gestern dazu gesprochen. Eine inklusive Gesellschaft ist auch auf die Mitarbeit von Menschen mit Behinderung angewiesen ist. Es kommt hinzu, dass der demografische Faktor immer stärker zuschlagen wird. Für alle Menschen müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass sie sich am Arbeitsprozess beteiligen und ihre Freizeit entsprechend gestalten können. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute darüber diskutieren.

(Beifall bei der CDU)

Der Bericht zeigt auch, wie wichtig das für unser Land ist. Den wichtigen Teil werden wir sicherlich im Ausschuss weiter beraten, und wir werden darüber diskutieren, wie man das noch verbessern kann.

Ein weiterer Punkt ist das Personalbeförderungsgesetz, über das meine Vorredner eben schon gesprochen haben. Dieses Gesetz müssen wir umsetzen, weil das eine Voraussetzung der EU-Verordnung ist. Herr Dr. Herr Tietze, es hat mich gefreut, dass Sie als verkehrspolitischer Sprecher auch einmal den Applaus Ihrer Fraktion bekommen haben. Das war ja beim Landesparteitag Ihrer Partei nicht der Fall.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, lieber Lars Harms, dieses Personenbeförderungsgesetz ist ein mittelstandsfreundliches Gesetz, weil es die Möglichkeit bietet, den mittelständischen Busunternehmen Fahrstrecken zu öffnen, die sie bisher nicht fahren konnten. Ich sehe überhaupt nichts Verwerfliches darin, wenn man beispielsweise als Jugendlicher für 9 € von Hamburg nach Berlin fahren kann. Nur muss klar sein, dass diese Verkehre nicht nur Autokraft anbieten darf, sondern dass sich auch andere Unternehmen an diesem Markt beteiligen dürfen. Deshalb ist die Haltung der Landesregierung in diesem Fall richtig.

Jawohl, wir brauchen Wettbewerb, wir brauchen den Wettbewerb auf der Straße, wir brauchen den Wettbewerb auch im Vergleich zur Schiene, um ein Angebot, das wir haben, attraktiver zu machen. Das bringt nicht nur Leute aus dem Land heraus, sondern es bringt auch Leute nach Schleswig-Holstein. Ich halte es für den richtigen Weg, dass man für günstiges Geld aus anderen Bundesländern nach Schleswig-Holstein kommen und hier Urlaub machen kann. Deshalb ist diese Initiative der Europäischen Union, die eine Verordnung auf den Weg gebracht hat, von uns nur zu unterstützen, weshalb auch unser Antrag in diese Richtung geht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, der Herr Minister hat die Position der Regierung deutlich beschrieben. Dies kann ich aus Sicht der CDU nur unterstreichen. Wir haben in beiden Fällen die gleiche Position. Ich bitte darum, dass wir den Bericht im Ausschuss beraten und über unseren Antrag abstimmen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Marion Sellier das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über den Bericht der Landesregierung habe ich mich richtig gefreut. Er zeigt nämlich, dass es Früchte trägt, ein Thema zu „mainstreamen“, es also als Querschnittsaufgabe zu betrachten. Barrierefreiheit ist ein solches Thema. ,,Menschen sind nicht behindert, sondern sie werden behindert.“

(Beifall bei der SPD)

Das ist ein Slogan, der es in sich hat. Tatsächlich kann eine Gesellschaft viel dazu beitragen, Teilha

(Lars Harms)

be zur Lebensrealität zu machen. Das gilt übrigens für jedes Politikfeld.

Heute haben wir nun das Privileg, darüber zu sprechen, welche Möglichkeiten die Verkehrspolitik hat, Behinderungen zu beseitigen und Mobilität möglich zu machen. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung nennt ausdrücklich Infrastrukturmaßnahmen als eines von drei Maßnahmebündeln zur Durchsetzung der Rechte von behinderten Menschen. Ein gut gemachtes Personenbeförderungsgesetz kann hierfür Maßstäbe setzen.

Ich möchte nicht wiederholen, was die Landesregierung in ihrem Bericht bereits vorgetragen hat. Die Beseitigung von Behinderungen ist seit vielen Jahren Teil der Verkehrspolitik in Schleswig-Holstein. Das muss so bleiben und wie ich es einschätze, wird es auch so bleiben. Aber mehr als bisher muss der Fokus auf Dinge gerichtet werden, die über die reine Berollbarkeit von Flächen hinausgehen. Eine zügige Vereinfachung von Fahrkartenautomaten, auch mit Sprachausgabe, standardisierte Sprachansagen, groß lesbare Hinweise nicht nur auf dem Bahnsteig, sondern auch in Zügen und menschliches Personal an den Bahnhöfen sind Stichworte, die wir als SPD gern in die Diskussion einbringen möchten.

(Beifall bei der SPD)

Einige dieser Entwicklungen sind bereits angedacht, und das begrüßen wir ausdrücklich.

Meine Damen und Herren, bei der Barrierefreiheit geht es nicht um eine Sozialmaßnahme. Die Vermeidung von Barrieren ist deshalb eine Querschnittsaufgabe, weil Menschen mit Behinderung in allen gesellschaftlichen Belangen eine wichtige Rolle spielen. Gerade in verkehrs- und wirtschaftspolitischen Zusammenhängen wird es vom Zugang zur Infrastruktur abhängen, ob und wie wir alle gesellschaftlichen Gruppen erreichen und alle gesellschaftlichen Ressourcen nutzen können. Die Fähigkeiten und Qualifikationen von Älteren werden ebenso an Bedeutung gewinnen wie die weitere Integration von Menschen mit Behinderung und die Mobilität von Männern und Frauen, die in sehr ländlichen Räumen wohnen. Damit wir eine Gesellschaft von morgen schaffen können, in der es gerechter, offener, gleichberechtigter und fairer zugeht als heute, brauchen wir Rahmenbedingungen, die dies gewährleisten.

Von daher stimmen wir der Forderung des SSW, Umwelt- und Sozialstandards im Nahverkehrsplan zu berücksichtigen, ausdrücklich zu. Ebenso

unterstützen wir klare, transparente und verbindliche Regelungen zu Barrierefreiheit und Fahrgastrechten. Schleswig-Holstein ist ein Flächenland. Wir brauchen mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung von Mobilität, damit wir in den Regionen, in denen die Bevölkerung weiter zurückgehen wird, ein hochwertiges, bedarfsgerechtes Angebot aufrechterhalten können. Wir brauchen Transparenz in jeder Hinsicht.

Wir brauchen auch gleiche Chancen - auch für die Wettbewerber: Nur wenn Fernbusverkehre die gleichen Voraussetzungen erfüllen müssen wie die Bahn und sich darüber hinaus ebenfalls an den Infrastrukturkosten beteiligen müssen, ist eine Zulassung akzeptabel.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Hierfür sind klare Regeln notwendig, keine ungesteuerte Liberalisierung, wie sie CDU und FDP im Bund vorsehen und wie sie von unserer Landesregierung schon vorauseilend abgenickt wurde.

Der uns jetzt vorliegende Antrag von CDU und FDP ist in meinen Augen nur ein unglücklicher Versuch, den Antrag des SSW so umzuformulieren, dass inhaltlich eigentlich nichts mehr übrig bleibt. Der Antrag der LINKEN gleicht eher einem Wunschzettel, obwohl der eine oder andere Punkt zu diskutieren wäre.

Wir möchten diese Anträge im Wirtschaftsausschuss nochmals erörtern.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Ich möchte zur Tagesordnung bekannt geben: Tagesordnungspunkt 61 - Bericht zur Lage der Soziokultur und der freien Theater in Schleswig-Holstein - wird nicht ohne Aussprache behandelt, sondern auf den Dezember vertagt.

Nun rufe ich die FDP-Fraktion auf und erteile Herrn Abgeordneten Oliver Kumbartzky das Wort.

Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der öffentliche Personennahverkehr steht deutschlandweit vor großen Herausforderungen. Ohne ein attraktives öffentliches Verkehrsangebot wird jeder politische Appell ungehört verhallen, zugunsten einer nachhaltigen Mobilitätsentwicklung auf den motorisierten Individualverkehr zu verzichten.

(Marion Sellier)

Meine Damen und Herren, ein gut funktionierender ÖPNV ist für viele Menschen eine unverzichtbare Voraussetzung für Freiheit und Lebensqualität und vor allem auch, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Ein öffentlich organisiertes Verkehrsangebot ist für die gesellschaftliche Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger immens wichtig. Daher ist auch die Barrierefreiheit im Nah- und Fernverkehr unabdingbare Voraussetzung für Teilhabe, Gleichstellung und Selbstbestimmung älterer und behinderter Menschen. Aber das Thema Barrierefreiheit ist auch für junge Väter wie mich ein großes Thema. Wenn man mit dem Kinderwagen unterwegs ist, fallen einem schon viele Sachen auf.

(Beifall bei FDP und CDU)

- Galt der Applaus der Tatsache, dass ich auch einmal den Kinderwagen schiebe? - Meine Damen und Herren, die FDP-Landtagsfraktion unterstützt das zentrale Ziel der Landesregierung, Barrierefreiheit im Sinne des Landesgesetzes zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung umzusetzen. Bei Ausschreibungen, Auftragsvergaben und bei der Vergabe von Konzessionen durch das Land wird richtigerweise eingefordert, dass das Vorhaben barrierefrei gestaltet wird. Das gilt unter anderem auch im Bereich baulicher Maßnahmen, bei Verkehrsanlagen, Verkehrsmitteln und Verkehrsleistungen.

An dieser Stelle danke selbstverständlich auch ich dem Ministerium für den Bericht. Dieser Bericht zeigt ja auf, was alles getan wird, um die Nutzung des ÖPNV für Menschen mit Behinderung sicherzustellen. So arbeiten das Wirtschaftsministerium und die Landesweite Verkehrsservicegesellschaft LVS seit über zehn Jahren gemeinsam mit den Vertretern der Behindertenverbände kontinuierlich am barrierefreien Ausbau des ÖPNV. Heute können sich Reisende an circa 50 % aller rund 170 Stationen in Schleswig-Holstein selbstständig, ohne Hilfe bewegen. Diese Zahl muss und wird selbstverständlich noch verbessert werden, und zwar durch den Ausbau von Stationen und die Anforderungen an barrierefreie Fahrzeuge bei kommenden Ausschreibungen. So sollen bis zur Betriebsaufnahme des neuen Verkehrsvertrags Netz Mitte weitere zehn Stationen umgebaut werden, sodass Ende 2014 bei 56 % aller Stationen Barrierefreiheit gewährleistet ist.

(Beifall bei FDP und CDU)

Durch diverse Baumaßnahmen wurde und wird die Situation für mobilitätseingeschränkte Personen immer weiter verbessert. Allein durch das Stationspro

gramm 2008 bis 2012 werden 40 Millionen € investiert. Durch regelmäßige Abstimmungen mit den Behindertenverbänden, den Eisenbahnverkehrsunternehmen und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen beim „Runden Tisch mobilitätsbehinderte Reisende“ werden stets aktuelle Maßnahmen geprüft und Vorschläge für neue Lösungen diskutiert.

Selbstverständlich spielt auch die barrierefreie Verknüpfung der einzelnen Verkehrssysteme eine große Rolle. Bei entsprechenden Ausbauvorhaben wird mit den entsprechenden Kommunen an guten und sinnvollen Lösungen gearbeitet. Herr de Jager erwähnte schon das Beispiel Heide. In Dithmarschen geht man mit einem guten Beispiel voran. In Heide wird der Busbahnhof nun an den Eisenbahnbahnhof verlegt. So wird der Zugang zum Bahnhof städtebaulich deutlich vereinfacht.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wo wir gerade bei den Bussen sind; ich komme auf den Antrag des SSW beziehungsweise auf das Personenbeförderungsgesetz zu sprechen. Die Liberalisierung des innerdeutschen Buslinienverkehrs ist ein wichtiger Schritt für mehr Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern. Zudem werden jetzt endlich jahrzehntelange Beschränkungen, die wohlgemerkt - in den 30er-Jahren den Aufbau der Eisenbahnen schützen sollten, beseitigt. Fernbusse sind besonders für junge Menschen und für Menschen mit geringeren Einkommen eine interessante Alternative zur Bahn.

Ebenso wie die CDU befürworten wir die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes. Wir begrüßen die Novellierung des Gesetzes, weil dies einen verlässlichen nationalen Rechtsrahmen schafft. Eine transparente und diskriminierungsfreie Finanzierung eines qualitativ hochwertigen Nahverkehrsangebots unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips wird so gesichert. Ich bitte daher um Zustimmung zu dem Änderungsantrag von CDU und FDP.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte noch kurz auf den Antrag der LINKEN zu sprechen kommen, der wirklich sehr bemerkenswert ist. Noch bemerkenswerter fand ich es, dass Frau Sellier gern über einzelne Punkte dieses Antrags im Ausschuss diskutieren würde. DIE LINKE fordert den Verzicht auf Großprojekte wie die Fehmarnbelt-Querung,