Protokoll der Sitzung vom 27.01.2012

(Cornelia Conrad)

verantwortungslose Herumwurschteln früherer bildungspolitischer Maßnahmen dieser Partei an.

Deshalb zum Schluss mein Appell an Sie, an die Opposition: Kommen Sie heraus aus Ihren ideologischen Schützengräben,

(Lachen bei der SPD)

und tragen Sie dazu bei, den von uns geschaffenen Schulfrieden zu erhalten!

(Beifall bei FDP und CDU - Demonstrativer Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Zu- gabe!)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Abgeordneter Björn Thoroe das Wort.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bildungspolitik ist und bleibt ein wichtiges Wahlkampfthema. Das wissen wir nicht erst seit der letzten Umfrage des „sh:z“. Das merken wir auch heute wieder.

Betrachtet man den Ursprungsantrag, der nur die Frage nach Defiziten aufwirft, so möchte ich zumindest von den Grünen, weil sie sich damit zurückhalten, aber auch von den anderen Fraktionen nicht mehr hören, unsere Anträge seien in irgendeiner Weise unzureichend. Sie hatten das Glück, dass der Bildungsminister Ihnen noch einen substanziellen Aufhänger gegeben hat. Wir tragen diesen Antrag nun auch mit.

(Anita Klahn [FDP]: Schön!)

Das war aber reine Glückssache. Ansonsten wäre das hier eine reine Wahlkampfveranstaltung geworden.

(Lachen bei CDU und FDP)

Ich kann nicht behaupten, dem Bericht des Bildungsministers irgendetwas Neues entnommen zu haben. Es wundert mich aber, wie schöngefärbt der Blick im Bericht auf die Schullandschaft aus Sicht des Ministers doch ist.

Herr Minister Klug und Frau Conrad sprachen heute viel von Eliteförderung und Hochbegabtenförderung. Das passt sehr gut zur FDP, dass sie in diesen Bereich ihren Schwerpunkt legt.

(Johannes Callsen [CDU]: Wer hat das ge- sagt? Wir?)

33 % eines Jahrgangs machen in Schleswig-Holstein Abitur. In Hamburg sind es 48 %. Das könnte vielleicht auch daran liegen, dass es in SchleswigHolstein in der Fläche wenig Oberstufen gibt. Insofern ist die Aussage, dass Sie keine neuen Oberstufen an Gemeinschaftsschulen schaffen wollen, eine ziemlich gewagte These.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Nun zu PISA. Es gibt keine Bildungsforschung, die belegt, dass längeres gemeinsames Lernen erfolgreicher und sozial gerechter ist und mehr Schülerinnen und Schüler zum Abitur führt? Das soll PISA belegen? - Schauen Sie einmal nach Finnland und in andere skandinavische Länder, wie viele Schülerinnen und Schüler dort eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben! Dies sind über 70 %. Das erreicht kein deutsches Bundesland, erst recht nicht das von Ihnen immer so viel gelobte Bayern.

Ihr Lob der sicheren Unterrichtsversorgung muss in den Ohren der Betroffenen eher wie Hohn klingen. Legen Sie doch einmal Statistiken über Stunden vor, die in eigenverantwortlichem Arbeiten, im EVA-Unterricht, gegeben werden! Legen Sie doch einmal Statistiken vor über Stunden, die in zusammengelegten Klassen gegeben werden! Dann werden wir ein ganz anderes Bild von der Lage bekommen. Dann hätten wir ehrliche Antworten. Sichere Unterrichtsversorgung in Schleswig-Holstein ist im Moment wirklich einfach nur eine Chimäre.

(Zuruf von der FDP: Was ist das denn?)

Herr Klug, ich bin Ihnen aber auch ein bisschen dankbar für Ihre Äußerungen der letzten Zeit; denn ganz offensichtlich hat sich die Haltung zumindest eines Teils der FDP zur Kürzung von Lehrerstellen revidiert. Die Motive für den Sinneswandel lasse ich jetzt einmal außen vor. 300 Lehrerstellen im kommenden Schuljahr zu erhalten, das wäre zumindest einmal ein Anfang.

Wir müssen uns aber auch darüber unterhalten, wo diese Stellen gebraucht werden. In den Augen meiner Fraktion ist es oberste Priorität beizumessen, an den Gemeinschaftsschulen Differenzierungsstunden wieder aufzubauen. Wie Sie wissen, fordern wir die Rücknahme aller Kürzungen, das heißt, wir fordern, die 300 gestrichenen Stellen wieder ins System zurückzugeben, damit alle Schularten gleichermaßen von diesen Lehrerstellen profitieren.

(Zuruf von der CDU: Und ein Sozialticket für alle!)

(Cornelia Conrad)

Ich möchte aber auch noch auf unsere Forderungen eingehen

(Zuruf von der FDP: Bitte nicht!)

und auf Defizite, die wir sehen.

Unsere Schulen grenzen noch immer aus. Sie sortieren unsere Schülerinnen und Schüler. Wir sehen nach wie vor in der binnendifferenzierenden Förderung die Lösung, die unserer Meinung nach die individuellste Förderung ist. Außerdem haben wir noch immer viel zu wenig Ganztagsschulangebote. Ferner bilden wir noch immer Lehrer für Schulformen aus, die nicht mehr existieren. Eine vernünftige Reform der Lehrerausbildung ist längst überfällig.

Es gibt noch immer kein flächendeckendes Angebot an Schulsozialarbeit. Sie sind zwar einen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Das reicht aber noch lange nicht aus.

Wir fordern differenzierte Lernberichte als Ergänzung für binnendifferenzierenden Unterricht.

Das wohl größte Defizit, das alle vorgenannten Probleme direkt beeinflusst, ist die chronische Unterfinanzierung im Schulbereich.

Meine Damen und Herren, Bildung darf nicht unter Haushaltsvorbehalt gestellt werden. Für gute Bildung muss das Geld da sein. Deshalb kann ich nur noch einmal an die FDP und Herrn Minister Klug appellieren: Stimmen Sie heute dem Antrag zu! Dann hätten wir zumindest die 300 Stellen im nächsten Jahr gerettet.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat die Kollegin Anke Spoorendonk von der Fraktion des SSW.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wäre unser Bildungsminister ein Quereinsteiger ohne vorhergehende politische Erfahrung, dann gäbe es noch die Möglichkeit, dass er falsch beraten worden wäre. Ekkehard Klug kennt aber den Landtagsbetrieb aus dem Effeff. Mit seiner politischen Erfahrung kann ihm nichts in der Landespolitik fremd sein. Deshalb ist es natürlich ein bemerkenswerter Vorgang, wenn er sich als zuständiger Fachminister darauf einlässt, ein Konzept für mehr Lehrerstellen sowohl dem Koalitionspartner als

auch der eigenen Fraktion über die Medien vorzustellen.

(Zuruf von der CDU: Das ist nicht schön! Das stimmt!)

Wir können nur vermuten, was ihn geritten haben mag. Fakt ist, dass eine Debatte über den Abbau von Bildungsdefiziten in Schleswig-Holstein dadurch eine völlig andere Dimension erhält. Das war ja auch der Grund dafür, dass wir diesen Antrag gestellt haben.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

„Bildung als Lebenschance“ heißt das Papier. Das ist ein schöner Titel. Laut Presseberichten wird in dem Papier, das ich noch nicht kenne, detailliert vorgerechnet, wofür denn 453 Lehrerstellen im Einzelnen benötigt werden. Als Beispiel werden in der Presse genannt: 100 Stellen für den Ausbau der gebundenen Ganztagsschulen, 116 Stellen für die Ausbildung von Fachkräften, 100 Stellen für den Ausbau der Beruflichen Gymnasien und 90 Stellen für die Fortführung von bestimmten pädagogischen Projekten, damit Schüler besser Lesen und Rechnen lernen.

Aus Sicht des SSW ist gegen die Stärkung der genannten Bereiche überhaupt nichts einzuwenden, denn anscheinend liegt uns erstmals eine richtige und untermauerte Analyse vor. Wie anders lässt sich ansonsten erklären, dass der Bildungsminister nicht 300 oder 500 Lehrerstellen beantragt, sondern ganz genau 453? - Für mich steht weiterhin fest, dass ich mich vor dem Hintergrund dieser neuen Zahlen an der Nase herumgeführt fühle, wenn ich an die Stellungnahmen des Ministers hinsichtlich der Unterrichtsversorgung an unseren Schulen denke.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deutlich wird auch, dass die Bilanz des Bildungsministeriums nach zwei Jahren schwarz-gelber Regierungsarbeit nichts anderes als Schönfärberei gewesen sein kann. Wie anders will der Minister sonst die Notwendigkeit dieser neuen Analyse und die Notwendigkeit, weitere Lehrkräfte einzustellen, begründen?

Hinzu kommt, dass vieles schlecht gemacht wurde, weil der Minister immer wieder unter Beweis stellt, dass er den Dialog mit den Kommunen als Schulträger nicht hinbekommt. Am deutlichsten kam dies zum Ausdruck, als es um die Novellierung des Schulgesetzes und den ganzen Murks um G 8, G 9

(Björn Thoroe)

und Y ging. Aber auch die Stärkung der Schulsozialarbeit wird von der regierungstragenden Mehrheit immer wieder gelobt. Tatsache ist aber, dass der Schulsozialarbeit droht, an die Wand gefahren zu werden, weil Mittel nur zögerlich abgerufen werden. Dafür gibt es viele verschiedene Gründe. Ich denke, diese werden in der nächsten Landtagstagung ein Thema sein. Darüber soll debattiert werden.

Man stellt sich hierhin und sagt: Das haben wir toll gemacht. Die Wirklichkeit vor Ort sieht aber anders aus. Das Problem mit den Bundesmitteln, die nur bis 2013 laufen und für die es keine Nachfolgeregelung gibt, ist auch noch da. Vonseiten des Ministeriums haben wir dazu überhaupt noch nichts gehört. Man könnte das vorgeschlagene Konzept mit der schönen Überschrift „Bildung als Lebenschance“ daher auch als Versuch interpretieren, die Erfolgsbilanz des Ministeriums noch etwas aufzuhübschen, sozusagen in Torschlusspanik.

Was bleibt, ist aber die Tatsache, dass wir trotzdem vor einem bildungspolitischen Scherbenhaufen stehen. Die Reduzierung der Differenzierungsstunden lässt grüßen und die Einführung abschlussbezogener Klassen an Gemeinschaftsschulen auch. In Ratzeburg gab es zum Beispiel monatelang Debatten, bis sich die Schulkonferenz für die Einrichtung abschlussbezogener Klassen aussprach. Die Leserbriefspalten wurden daraufhin lang und länger, weil sich viele Eltern damit nicht abfinden wollten und eine echte, gemeinsame Beschulung ihrer Kinder einforderten. Dann kam der Bescheid aus Kiel, der ausdrücklich die Einrichtung abschlussbezogener Klassen vom 100-prozentigen Elternwillen abhängig machte. Damit war der Beschluss der Schulkonferenz hinfällig. Ich finde, dass das gut ausgegangen ist. Das zeigt aber, dass diese Debatte schon tiefe Gräben aufgerissen hat.

Daher noch einmal: Wir erkennen hier ein Muster, nämlich das Muster der Entscheidungen des Ministeriums, das sich unberechenbar und unkalkulierbar verhält. Zumindest interpretieren Schulleitungen und Elternbeiräte genau so entsprechende Verordnungen, Erlasse und Briefe aus Kiel. Daher sage ich nach dem Redebeitrag des Ministers: Lieber Herr Minister, wenn es so viele Erfolge in Ihrer Bildungspolitik gegeben hat, dann frage ich: Wieso hat es in den letzten zwei Jahren so viele Konflikte gegeben? - Das begreife ich nicht.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)