Herr Callsen, wie definieren Sie eigentlich Ihre Rolle als Fraktionsvorsitzender? Was verstehen Sie unter Verantwortung, wenn Sie in den Räumen der CDU-Fraktion Karten von Schleswig-Holstein aufhängen lassen und auf diese Karten fälschlicherweise Fähnchen stecken und behaupten, die SPD wolle die Schulen an diesen Standorten schließen, dann Schülerinnen und Schüler durch die Räume führen und denen erzählen lassen: Die böse SPD macht eure Schulen kaputt?
Herr de Jager, was ist das eigentlich für ein Wahlkampfstil, wenn man die Junge Union zu Aktionstagen vor den Gymnasien aufmarschieren lässt und behauptet, die SPD wolle diese Gymnasien schließen? - Herr de Jager, sind Sie schon so verzweifelt?
Zu guter Letzt: Was fällt Frau Herold eigentlich ein, die Kinder von Kollegen aus der Politik im Wahlkampf zu instrumentalisieren? - Sie sollten sich schämen!
Ja, die SPD wünscht sich eine Schule für alle. Ich freue mich, dass Sie uns dies jede Woche, jeden Monat wieder detektivisch nachweisen. Das steht in
unserem Wahlprogramm. Diese Programme sind bekanntlich öffentlich. Dem widersprechen wir nicht. Es ist unser Ziel, dass Kindern im Anschluss an Klasse vier nicht mehr gesagt wird, was aus ihnen im Leben werden kann. Es ist unser Ziel, dass Kinder auch mit einem schwierigen Hintergrund gerechte Bildungschancen haben, und zwar für ihre persönliche Entfaltung und mit Bezug auf ihre Chancen im Beruf. Es ist unser erklärtes Ziel, dass wir über eine bestmögliche Förderung und nicht über eine bestmögliche Sortierung von Kindern sprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hilft, ein Ziel zu haben. Wenn man ein Ziel hat, dann kann man Schritte in die richtige Richtung gehen. Das, was die CDU in den vergangen Jahren im Bereich der Bildungspolitik gezeigt hat, ließ leider nicht auf Ziel und Richtung schließen.
Dabei gibt es durchaus Christdemokraten, die weiter sind und zum Beispiel feststellen, dass die Sortierung von Schülern weder gerecht ist noch zu überzeugenden Pisa-Ergebnissen führt. Ich zitiere einen:
„Wenn einige Politiker sich nun hinstellen und behaupten, dass unser bisheriges Schulsystem weltweit anerkannt sei, erfolgreich und verlässlich, dann ist das schlicht nicht wahr.“
Das schreibt niemand Geringerer als Ole von Beust. Wenn solche Erkenntnisse nun also der Grund dafür wären, warum Sie bildungspolitisch Hilfe in Hamburg suchen, so wäre mir etwas wohler. Mussten Sie sich allerdings ausgerechnet an die Frau wenden, die nach ihrem Amtsantritt in Hamburg den Schulen als erstes beschied, dass diese „über die Maßen zu viel an Ressourcen“ verfügen? Muss es die Bildungssenatorin sein, die mitteilte, die Größe der Klasse spiele keine Rolle für die Qualität von Unterricht?
Wir wollen ein Schulsystem, dessen Grundpfeiler Verlässlichkeit, Durchlässigkeit und individuelle Förderung sind. Diese Förderung fängt in der Kita an, geht in der Grundschule weiter. Wir wollen Kinder, die gern lernen, Kinder, die mit Zuversicht Verantwortung für sich und andere übernehmen können und wollen. Bis ich in den Landtag kam, dachte ich, das wollten alle Fraktionen hier. Aber da waren wir offensichtlich schon einmal weiter.
Unsere Schulen brauchen in der Praxis die erforderliche Ausstattung und nicht in der Theorie. Es hilft doch nichts, wenn Sie immer wiederholen, Sie hätten den Vertretungsfonds aufgestockt und, oh Wunder, wie viel Geld dort zur Verfügung steht, wenn in der Praxis die Lehrerinnen und Lehrer fehlen, die dann tatsächlich auch vertreten können.
Und wir brauchen aus unserer Sicht Schulformen, die wir landesweit flächendeckend anbieten können, weil wir sagen, Sackgassen und teure Sonderwege kann sich Schleswig-Holstein nicht leisten.
Wir sagen nicht, dass die Lehrerinnen und Lehrer an den Regionalschulen schlechte Arbeit leisten. Sie leisten gute Arbeit. Und wir sagen auch nicht, dass die Schulgemeinschaften sich nicht gut für ihre Schulen einsetzen; sie setzen sich gut ein. Aber wir sagen, dass sich nur 13,5 % der Viertklässler für eine Regionalschule entscheiden und dass es heute schon zahlreiche Regionalschulen gibt, die die vorgesehene Mindestgröße nicht erreichen, weil sie nicht angewählt werden. Deshalb wollen wir diese Schulen weiterentwickeln, und deshalb, weil es einen bundesweiten Trend zu einem zweigliedrigen Schulsystem gibt, der ja auch von niemandem bestritten wird.
Wir wollen Schleswig-Holstein nicht als Insel, im Schulsystem ebenso wenig wie beim Glücksspiel. Die CDU will das ja eigentlich auch. So steht es zumindest in ihrem Programm. Ich bin ja auch ein Mensch, Herr de Jager, der glaubt, was in Programmen steht. Auch Sie sagen, die Zweigliedrigkeit sei Ihr Ziel. Warum werfen Sie uns vor, langfristige Zielperspektiven zu beschreiben, wenn Sie an dieser Stelle vernünftigerweise auch langfristige Ziele beschreiben? Das ist an der Stelle ja durchaus vernünftig.
Wir wollen lediglich nicht die Gemeinschaftsschulen zu Regionalschulen degenerieren lassen. Wir wollen gemeinsam mit den Schulträgern nach Wegen suchen, um in der Form der Gemeinschaftsschule alle Schulabschlüsse in der Fläche anzubieten. Das wird ein konstruktiver Prozess sein und keiner, der Ihre Angstkampagnen rechtfertigt.
Wir können in Schleswig-Holstein nicht flächendeckend G 8-, G 9- und G Y-Gymnasien anbieten. Aber wir können flächendeckend G 8 an Gymnasien und G 9 an Gemeinschaftsschulen anbieten. Das wollen wir auch tun.
Wir wollen Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9. Wir haben in Wentorf momentan die Klage der Schule für G 9, wir haben auf Föhr eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, weil Eltern sagen: „Wir wollen gleiche Lebenschancen, wir wollen G 8 an unserer Schule.“ Da ist eben keine Wahlfreiheit vorhanden.
Sie beschreiben uns immer wieder, dass in anderen Bundesländern auch andere Richtungen vorkommen. Das ist sicherlich nicht falsch. Das gilt vor allem dort, wo konservative Regierungen den Umbau des Schulsystems zu lange verschlafen haben und wo es zum Beispiel keine flächendeckenden Gemeinschaftsschulen gibt.
Wir wollen, dass jede Schülerin und jeder Schüler in räumlicher Erreichbarkeit die Alternative zwischen G 8 am Gymnasium und G 9 an der Gemeinschaftsschule hat. Und wir wollen, dass die Gemeinschaftsschulen ihre Differenzierungsstunden zurückerhalten, die Sie ihnen gestrichen haben.
Und wir wollen, dass deren Arbeit nicht mehr von der Landesregierung sabotiert wird. Wir werden die notwendigen Korrekturen auch nicht auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler ausführen.
Wandelnde Erlasse binnen eines Schuljahres! Die Kürzung von Differenzierungsstunden und Streit in die Schulen vor Ort tragen, das ist ja alles schwarzgelbe Bildungspolitik gewesen, wie gerade gesehen.
Wir sagen zum Beispiel, dass selbstverständlich alle Schülerinnen und Schüler, die sich heute an einem Gymnasium in einem G 9-Bildungsgang befinden, diesen auch bis zum Ende besuchen dürfen.
Wir schaffen starke Grundschulen, starke Gemeinschaftsschulen, starke Gymnasien und starke berufsbildende Schulen. Wir schaffen langfristige Perspektiven für die Profilentwicklung von Schulen, und wir schaffen es, die Lehrerbildung an diese Strukturen anzupassen, indem sich die Lehrerbildung aber selbstverständlich an den Kindern orientiert und nicht an den Schulstrukturen. Was ist denn das für ein Weltbild, das Sie da vertreten!
Wir wissen nicht erst durch Umfragen, welchen Stellenwert die Bildungspolitik im Bewusstsein der Menschen hat. Wir wissen auch, teilweise aus eigener Erfahrung, dass man sich gerade in diesem Politikfeld wenig Applaus, aber umso mehr Protest abholt. Das ist Ihrer Regierung so gegangen, das ist aber auch allen Vorgängerregierungen so passiert.
Wir werden wahrscheinlich niemals genug in Bildung investieren können, erst recht nicht vor dem Hintergrund des Neuverschuldungsverbots ab 2020. Aber es gibt nun mal verschiedene Formen des Sparens. Aber die von Ihnen gewählte ist falsch, weil sie nicht nachhaltig ist.
Was wir heute nicht ins Bildungssystem investieren, werden wir in Zukunft um ein Vielfaches mehr in die Transferleistungen stecken müssen. Deshalb war es auch falsch, dass Sie im Doppelhaushalt 2011/12 600 Stellen gestrichen haben. Wir bleiben dabei, dass mindestens die Hälfte dieser Stellen, die rechnerisch entfallen könnten, im System verbleiben muss für Inklusion, für längeres gemeinsames Lernen, für Binnendifferenzierung und vieles andere.
Sie haben geglaubt - Herr Kubicki glaubt das vielleicht noch -, dass Sie die Zahlen, die Ihnen Ihr eigener Minister aufgeschrieben hat, in den Wind schlagen könnten. Wir haben aus seiner Berechnung Anträge abgeleitet, die Sie natürlich ablehnen werden. Aber das wird Sie einholen oder vielmehr: Es hat Sie ja schon eingeholt. Ihnen traut die Mehrzahl der Wähler im Bereich der Bildung nichts mehr zu.
Wir machen zur Wahl ein programmatisches Angebot, in dem die SPD zu dem steht, was sie in der Vergangenheit eingeleitet hat und was sie nach ihrer Rückkehr in die Regierungsverantwortung fortsetzen will. Wir schüren keine Angst, wir machen Angebote, wir entwickeln Perspektiven, wir wollen mit Zuversicht Verantwortung übernehmen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Turnus zwischen den bildungspolitischen Grundsatzdebatten im Landtag immer kürzer wird, ist einerseits nachvollziehbar, weil Bildungspolitik eine der wichtigsten landespolitischen Aufgaben ist. Ob jedoch die kurze Frist zwischen diesen parlamentarischen Auseinandersetzungen dem Thema insgesamt hilft, darf man mit gutem Grund bezweifeln. Es ist nämlich ziemlich fraglich, ob es seit der letzten grundsätzlichen bildungspolitischen Debatte im März zu grundlegend neuen Erkenntnissen gekommen ist bei allen Beteiligten. Ich habe da meine Zweifel.
Wir können jetzt schon voraussagen: Es wird hier und heute keine überparteiliche Einigung über die bildungspolitische Gestaltung der schulstrukturellen Zukunft geben; denn es wird heute tatsächlich nicht darum gehen, wie wir es schaffen können, unseren Kindern die bestmögliche Ausbildung anzubieten, wie wir es schaffen können, dass sich jeder junge Mensch nach seinen Fähigkeiten, seinen Möglichkeiten und seinen Bedürfnissen frei entfalten kann, und wie wir es schaffen können, das Wissen, die Ideen, Wünsche und Konzepte der Eltern, Lehrer und Schüler möglichst breit in diese Entwicklung einfließen zu lassen.
Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Einen echten Schulfrieden wird es in diesem Lande solange nicht geben, wie es jede Form von Besserwisserei und Bevormundung durch die Politik in Kiel gibt.