Protokoll der Sitzung vom 23.03.2017

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Detlef Matthiessen.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Jens Magnussen, uns verbindet hier als energiepolitische Sprecher eine besonders intensive Historie. Es hat sich ja im Laufe der Zeit auch viel getan.

Vielen Dank, sehr geehrter Herr Minister, für die Berichte. Meine Damen und Herren, die Energiewende ist Zukunftsmusik für unser Land. Dazu gehören Raumplanung und Vorrangflächen, genauso wie der Ausbau der Stromnetze. Deutschland ist dabei, die Ziele der Energiewende deutlich zu verfehlen. Die Vereinbarungen von Paris zum Klimaschutz, denen Deutschland ja völkerrechtlich beigetreten ist, bilden sich noch nicht in den nationalen Zielwerten ab. Wir müssen also bei der Energiewende Gas geben und runter von der Bremse.

Aber wirklich merkwürdig, meine Damen und Herren, grotesk und komisch stellt sich die CDU hier im Land auf. Die New-Energy-Messe in Husum schloss vor vier Tagen ihre Pforten. Dort stellte man sich natürlich die Frage: Wo steht die CDU?

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja! - Heiner Rickers [CDU]: Bitte?)

Immerhin stand der Landesverband dort auf der Messe als Aussteller in der Haupthalle, wenn auch etwas verschämt, etwas verlegen und auch schlecht besucht.

Meine Damen und Herren, das Problem ist der Spitzenkandidat. Die erlösende Formel in Husum wurde dann schnell gefunden: „Im Zweifel gilt das Pro

gramm“ hieß es dann dort, und alle waren ganz erleichtert. Also: Im Zweifel gilt das Programm.

Der Spitzenkandidat tönt nämlich: Die Regionalpläne kommen vom Tisch und werden überarbeitet. Dazu findet sich in der Tat keine Aussage im CDUProgramm. Aus gutem Grund im Übrigen, damit würden Sie ja der Windenergie substanziellen Raum verschaffen, und zwar so richtig. Dann wäre es nämlich ganz schnell vorbei mit geordneter Entwicklung, dann greift die Privilegierung des § 35 BauGB, Herr Günther, Herr Oppositionsführer. Fragen Sie doch einmal bitte

(Daniel Günther [CDU] macht sich Notizen)

ich rede gerade mit Ihnen; da blickt er auf -, Herr Günther, den Kollegen Christian von Boetticher, wenn Sie noch mit ihm reden. Der ist Anwalt, der kann Ihnen das erklären.

Dann sagt der Spitzenkandidat - ich darf zitieren -: Günther

„… brachte die sechsfache Höhe der Windräder als Mindestabstand zu Gebäuden ins Gespräch, als Ersatz für die bisher angewandte dreifache Abstandsregelung.“

Eine solche Aussage findet sich ebenfalls nicht im CDU-Programm. Da verwechselt er mal eben en passant Landesplanung und Bauantragsverfahren.

Günther auf einer anderen Veranstaltung wörtlich:

„Die Grenzen sind einfach überschritten.“

Im CDU-Programm steht allerdings: Wir wollen 300 %.

(Daniel Günther [CDU]: Haben Sie das Pro- gramm überhaupt gelesen?)

Das Zitat nach Verabschiedung des Programms wohlgemerkt, das war nicht etwa auf der Veranstaltung von Gegenwind e.V.; da könnte man ja sagen, da erzählt man ein wenig -, nein, es war auf einer CDU-Veranstaltung: „Weniger auf die Tube drücken“, empfahl Günther den Befürwortern von Windkraftanlagen.

(Daniel Günther [CDU]: Genau!)

Aber in Ihrem Programm steht doch schon etwas von Wirtschaftswachstum, Herr Spitzenkandidat, oder?

(Daniel Günther [CDU]: Das ist das Einzige, was Sie mal richtig gelesen haben!)

Sie reden immerhin von der Branche mit dem größten Investitionsvolumen hier im Land. Für diese

(Jens-Christian Magnussen)

Branche machen wir hier Landesplanung, schaffen substanziell Raum, wie von Gerichten gefordert, mit einem ordnenden Rechtsrahmen, mit einem Dialogprozess. Natürlich gibt es Konflikte bei Vorrangflächen und Leitungsausbau. Das ist doch klar.

Ich kann mich daher mit dem FDP-Vorschlag, der jetzt schon mehrfach in den Podiumsdiskussionen vorgestellt wurde, eine Clearingstelle zu schaffen, anfreunden und habe mich mit dem Kollegen Kumbartzky dazu ausgetauscht, wo man bestimmte Fragen gründlich abarbeiten kann. Ich denke, das wäre eine gute Ergänzung des Dialogprozesses.

(Beifall FDP)

Noch einmal zurück zu Daniel Günther, wir sind noch nicht durch. Es müsse zu einer Entschleunigung des Ausbaus an Land kommen, fordert der Spitzenkandidat. Er möchte nicht nur Standorte gründlich überarbeiten lassen, sondern ebenso den Weiterausbau der Strominfrastruktur tatkräftig in die Hand nehmen. - Da können Sie vielleicht bei Ihren Parteifreunden in der Großen Koalition in Berlin vorstellig werden, hier in Schleswig-Holstein ist diese Aufgabe im Wesentlichen abgearbeitet, Herr Günther. Das ist eine große Aufgabe, die Koalition hat daher zu Beginn der Legislaturperiode ein eigenes Amt „Planfeststellung Energie“ geschaffen.

Vor Antragstellung, vor den gesetzlichen Beteiligungsverfahren, haben wir Bürger und Bürgerinnen informiert, und dann zu den zahllosen Veranstaltungen vor Ort entlang der mutmaßlichen Trassenführung eingeladen. Der Übertragungsnetzbetreiber hat seine Neubauvorschläge mit Varianten dort vorgestellt. Bei dieser vorgezogenen Bürgerbeteiligung haben sich in einem Fall sogar drei Bürgermeister mit einem eigenen Alternativvorschlag durchgesetzt. Bauern haben sogar einen Knickplan mitgebracht, damit der Mastfuß nicht mitten auf dem Acker, sondern am Rand steht. Naturschützer haben avifaunistische Beobachtungen mitgeteilt.

Was da demokratietheoretisch auf den Weg gebracht wurde! Früher war es ja so, die Menschen sahen einen Bagger, und der Protest begann. Heute wissen sie Bescheid, bevor der Antrag gestellt wird. Demokratietheoretisch geboren, stellte sich die vorgezogene Bürgerbeteiligung als schnell und kostengünstig heraus.

Die Mittelachse hat Baurecht und wird gebaut; der Minister hat es ja ausgeführt. Das ist größtenteils fertig. Die Westküstenleitung hat Baurecht bis Heide; bis Husum steht es unmittelbar bevor. Bis Dänemark ist alles vorbereitet. Im Süden wird bis

Barlt schon gebaut. TenneT TSO, der Übertragungsnetzbetreiber, erwartet die Fertigstellung der 380-kV-Freileitung und den Anschluss des Umspannwerkes Heide-West bis Herbst 2018.

Was bedeutet das für den Ausbau der Windenergie in Schleswig-Holstein? Erstens. Der Ausbau der Netze geht mit dem Ausbau der Windkraftanlagen Hand in Hand. Wenn die Vorranggebiete ausgewiesen sein werden, wenn die Windmühlen im Laufe der Zeit gebaut werden, dann ist das Netz schon da oder kommt zeitnah. Die Forderung der CDU, den Ausbau der Windenergie auszubremsen, weil wir angeblich auf den Netzausbau warten müssten, geht rechtlich und physikalisch also ins Leere.

Zweitens. Einspeisemanagement-Schaltungen, also der sogenannte Wegwerfstrom, werden Vergangenheit beziehungsweise wesentlich reduziert sein.

Meine Damen und Herren, ich will einmal erklären, worum es da physikalisch geht. Wir haben in Schleswig-Holstein zurzeit eine Verstopfung im 110-kV-Netz. Das heißt, wir haben ein Umspannwerk, und darüber ist die Netzebene dicht. Es kann sich zum Beispiel das Umspannwerk Reinsbüttel umgucken, ob es Lasttäler zwischen Büsum und Wesselburen findet. Das ist nicht so viel. In Zukunft wird aber das Umspannwerk Reinsbüttel vom Verteilnetzbetreiber ausgebaut werden und Anschluss an die 380-kV, das Umspannwerk HeideWest, bekommen. Dann warten in Schleswig-Holstein 5.100 Industriebetriebe darauf, mit dem Strom, der dann angeboten wird, etwas anfangen zu können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, meine Damen und Herren, bedeutet auch Sektorenkopplung und das Reagieren auf Preissignale, weil natürlich der Strom in Schleswig-Holstein dann hin und wieder sehr günstig zur Verfügung steht.

Drittens kommt natürlich hinzu, dass durch die Zusammenarbeit des Energiewendeministeriums mit der Branche, auch durch finanzielle Anreize, das nächtliche rote Blinken der Gefahrfeuer beendet werden wird.

Damit sind die wesentlichen rationellen Probleme mit der Windenergie gelöst. Windenergieanlagen ich sagte das hier im Landtag schon öfter - sind immer ein Eingriff gegenüber Mensch, Natur und Landschaft. Aber wesentliche Probleme mit dem Netzausbau sind dann tatsächlich gelöst. Deswegen ist der Leitungsausbau auch so wichtig. Wir sind dabei ja sehr erfolgreich.

(Detlef Matthiessen)

Das sollte der Oppositionsführer vielleicht zur Kenntnis nehmen. Lesen Sie Ihr Programm. Hören Sie auf, gegen die Energiewende zu reden. Hören Sie auf, in Schwansen etwas anderes zu erzählen als etwa in Husum oder in Meldorf. Nehmen Sie sich andere Aufgaben vor als den Stromnetzausbau. Der ist weitgehend positiv abgearbeitet.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen König?

Nein, ich möchte meine Rede fortsetzen, Frau Präsidentin. - Sektorenkopplung, wir wollen das. Sektorenkopplung bedeutet an konkreter Landespolitik, dass wir es geschafft haben, die Industrieinitiative „Norddeutsche Energiewende 4.0“ hierherzukriegen. 70 Teilnehmer aus der Wirtschaft holen ein dreistelliges Millionenvolumen für diesen Feldversuch zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein nach Schleswig-Holstein, in den echten Norden. Das ist ein sehr guter Erfolg.

Konkret können wir vorweisen - dies wissen viele Kollegen vielleicht gar nicht -: Das Land Schleswig-Holstein hat im Bereich der Verkehrspolitik für die Sektorenkopplung im Rahmen der Energiewende 52 Triebwagen im Bahnverkehr für das sogenannte Dieselnetz als eigenelektrische Fahrzeuge ausgeschrieben. Da sind wir etwa in der Mitte des Ausschreibungsverfahrens. Es wird in diesem Jahr oder Anfang 2018 beendet werden. Das heißt, Mitte der nächsten Dekade wird in Schleswig-Holstein kein in Verantwortung des Landes stehender Dieselverkehr bei der Bahn mehr stattfinden, sondern es wird mit sauberem Ökostrom gefahren werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Ich wollte Jens Magnussen noch einen Hinweis geben, weil Sie sagten, Herr Magnussen, dass die Strommengenübertragung genehmigungsbedürftig sei und daher zurückgewiesen werden könne. Das gilt nur für einen ganz seltenen Fall, nämlich für die Übertragung eines neuen Kraftwerkes auf ein altes unter Fortsetzung des Betriebes.

(Zuruf: Was?)

Das ist nur eine Petitesse: Nach § 7 AtG - lesen Sie es nach - sind die Strommengenübertragungen nur mitteilungsbedürftig und nicht genehmigungspflichtig und damit auch nicht zurückzuweisen. Da

her ist unsere Forderung an den Bundesgesetzgeber oder an die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass Strommengenübertragungen für ein Atomkraftwerk in einem Netzengpassgebiet Schnee von gestern sind. Der Minister sagte es ja: Es ist absurd, Atomstrom in ein Gebiet zu importieren, in dem so viel Windenergie und Strom aus Sonnenenergie vorhanden ist. Darauf wollte ich nur kurz eingehen, weil Sie das geäußert haben. In der Sache trifft das nicht zu.

Meine Damen und Herren, wir wollen Sektorenkopplung, wir wollen Windenergie, und wir wollen Solarstrom. Wir wollen die Energiewende für Schleswig-Holstein. Ich sage in Richtung FDP: Wir wollen es nicht nur, wir können es auch. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.