Protocol of the Session on November 22, 2013

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(Heike Franzen)

gleich zu behandeln. Wir bieten den Menschen nur dann eine Chancengleichheit, wenn wir ihnen die individuell benötigten Rahmenbedingungen schaffen.

Es passiert viel im Land. Die Gemeinde Kropp hat sich zum Beispiel im letzten Jahr aufgemacht und sämtliche Bereiche und Angebote des alltäglichen Lebens vom Supermarkt bis zum Sportverein, Straßenverhältnisse, Musikkurse und so weiter durchforstet. Sie hat geschaut, ob jedes Angebot auch wirklich von jedem, auch von denen, die dort in der Diakonie leben, in der Gemeinde wahrgenommen werden kann. Das ist ein beispielhafter Versuch, Inklusion auch in der Gemeinde zu leben.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich habe dort an einigen Veranstaltungen teilgenommen und muss sagen: Dies hat mich wirklich sehr tief beeindruckt.

Aber es liegt noch viel Arbeit, vor allem beim Umdenken in unseren Köpfen, vor uns. Immer noch haben es Menschen mit Behinderung deutlich schwerer, einen guten Arbeitsplatz zu finden. Das beginnt schon beim Ausbildungsplatz, wie die aktuelle Studie des DGB uns zeigt. Auch die Zahl der Arbeitslosen in dieser Gruppe liegt seit Jahren konstant hoch. Anscheinend haben viele Arbeitgeber das Potenzial noch nicht erkannt. Laut Angaben der Agentur für Arbeit, Regionaldirektion Nord, haben 26,5 % der verpflichteten Arbeitgeber keine schwerbehinderten Mitarbeiter eingestellt. Es gibt also noch viel zu tun.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Um diese vielen Aufgaben zu leisten, bitten wir die Landesregierung, einen Aktionsplan für Menschen mit Behinderung auf den Weg zu bringen. Wir möchten, dass die UN-Konvention nicht nur gut zu lesen ist, sondern dass sie in unserem Land selbstverständlich auch gelebt wird. Daher möchten wir mit unserem Antrag einer der Kernforderungen des vorliegenden Berichts Rechnung tragen. Die Einbindung von Menschen mit Behinderung jeder Form in den Entstehungsprozess des Aktionsplans ist hierbei eine Selbstverständlichkeit, die wir gemeinsam mit der Landesregierung einhalten wollen. Denn ein Teil des Entstehungsprozesses muss es sein, die Lage der Menschen mit Behinderung in unserem Land erst einmal zu erfassen. Darauf hat Uli Hase in seinem Bericht und in Gesprächen immer wieder hingewiesen: Einen umfassenden Überblick über die tatsächlichen Nöte, Ängste und Pro

bleme von Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein gibt es noch nicht.

In der vergangenen Woche hatte ich die Ehre, unserer Sozialministerin eine Einladung zu überreichen. Die Einladung stammte von einer jungen Frau, die in den Schleswiger Werkstätten arbeitet und die im Namen ihrer Gruppe die Einladung so formulierte:

„Wir würden uns sehr freuen, wenn die Ministerin uns besuchen kommt, damit wir aus unserer eigenen Sicht und eigenen Gefühlen und Empfindungen schildern, wie es für uns ist, in einer Werkstatt zu arbeiten. Auf diese Weise erfährt die Ministerin direkt und aus unserem Mund, was uns stört, was uns gefällt, womit wir einverstanden sind und dass nicht alle gleich viel belastbar sind in Leistung, Arbeitsstunden und in der Seele. Es können nicht alle über einen Kamm geschert werden."

Viel treffender kann man es nicht formulieren.

An dieser Stelle noch einmal ganz herzlichen Dank an Uli Hase und sein Team für seinen Bericht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch im Namen meiner Fraktion herzlichen Dank an Uli Hase und sein Team. Vielen, vielen Dank für die gute Arbeit, die Sie für Schleswig-Holstein leisten und bestimmt auch noch in den nächsten Jahren weiter leisten werden.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Ich muss jetzt meine Rede ein bisschen ändern, weil der Einstieg in die Debatte von der Kollegin von der CDU, wie ich finde, ein bisschen Misstöne in ein Thema hineingebracht hat, zu dem solche Töne gar nicht gehören. Bei mir ist das Wort „armselig“ in den Ohren angekommen. Ich kann dies gar nicht fassen. Deswegen muss ich Ihnen Folgendes sagen: Wenn Sie selber ein Mensch mit Behinderung sind - ich habe in diesem Jahr in Bordesholm an einer Rolli-Ralley teilgenommen -, dann nützt Ihnen eine UN-Behindertenkonvention überhaupt

(Birte Pauls)

nichts. Es nützt Ihnen auch überhaupt nichts, wenn wir ein Landes-Behinderten-Gleichstellungsgesetz haben, und Sie stehen mit Ihrem Rollstuhl an einem Absatz, und es fehlt Ihnen 1 cm zur Inklusion. Nichts nützt Ihnen das, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Deswegen wollen wir gerade mit einem Aktionsplan Schritt für Schritt konkrete Handlungsziele aufweisen. Das müssen Sie sich so vorstellen. Genau das, was Malu Dreyer schon 2009, als hier Schwarz-Gelb den sozialpolitischen Bereich in Schutt und Asche gelegt hatte -

(Zurufe CDU: Oh!)

- Frauenhäuser sind geschlossen worden, das Landesblindengeld ist gekürzt worden. Ich habe die Worte Ihres Stars von Bötticher noch im Ohr, wie es bei der Eingliederungshilfe aussehe. Und Sie sprechen hier von „armselig“. Ich bin ein bisschen schockiert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wenn Sie sich den Bericht des Landesbeauftragten ansehen, dann sehen Sie ganz vorne in dem Bericht eine Forderung - und das ist nicht das erste Mal -, nämlich nach einem Aktionsplan für die Umsetzung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderung. Wir können es doch nicht jedes Jahr vor Weihnachten wieder so machen: Wir hören uns den Bericht an: Vielen Dank, lieber Uli Hase. Alle Fraktionen sind sich einig. Dann geht das in den Sozialausschuss, und dann machen wir weiter so, und der nächste Bericht wird hier vorgelegt: Danke, Uli Hase. Das funktioniert doch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Deswegen wollen sich die regierungstragenden Fraktionen heute auf den Weg machen, um das nachzuholen, was andere Bundesländer bereits getan haben. Malu Dreyer, die heutige Ministerpräsidentin und damalige Sozialministerin in Rheinland-Pfalz, hatte sich nämlich schon 2009 auf den Weg gemacht. Es gibt bereits einen Aktionsplan. Wir müssen das Rad in Schleswig-Holstein ja nicht völlig neu erfinden; aber wir brauchen ganz konkrete Schritte. Jedes Ministerium ist gefordert. Auch der Wirtschaftsminister zum Beispiel wird im Bereich Tourismus für mehr Barrierefreiheit in den nächsten Jahren sorgen. Es ist eine Chance, die wir hier haben. Aber wir müssen sie auch ergreifen. In dem Zusammenhang das Wort „armselig“ zu benutzen, ist - das muss ich sagen - völlig daneben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Politik für Menschen mit Behinderungen ist keine Kleinigkeit. Das ist kein Randthema. Es ist ein wichtiges Querschnittsthema. In Schleswig-Holstein leben 520.000 Menschen mit Behinderung. Das sind 18 % der Bevölkerung. Durch den demografischen Wandel werden es immer mehr werden. 320.000 von ihnen sind schwerbehindert. Das, was Menschen mit Behinderung einschränkt, schränkt auch Seniorinnen und Senioren ein. Es schränkt auch Familien mit einem Kinderwagen ein, wenn sie wegen dieses 1 cm hohen Absatzes nicht weiterkommen.

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir versprechen nicht, dass wir in fünf Jahren die Welt auf den Kopf stellen können und alles gut machen werden. Aber eines verspreche ich Ihnen ganz klar: Rot-GrünBlau hat sich hier auf den Weg gemacht und wird immer versuchen, das Leben von Menschen mit Behinderung nicht theoretisch mit Gesetzen, sondern konkret in der Kommune, in ihrem Alltag zu verbessern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Einige von Ihnen können sich unter einem Aktionsplan nichts vorstellen, wie zum Beispiel der Kollege Koch. Er guckt mich mit großen Augen an und fragt: Was hat Frau Bohn denn heute bloß? Es ist kurz vor Weihnachten, und sie schimpft so mit der CDU. Der Kollege Kubicki guckt mich auch schon mit großen Augen an.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Haben Sie ein Problem?)

Herr Kollege Callsen, für Sie gilt dasselbe. - Ein Aktionsplan ist wie ein Kochbuch: Für alle Lebensbereiche gibt es ein Rezept. Ob es um Arbeit, um Integration oder irgendeinen anderen Bereich geht, für jeden Bereich gibt es ein Rezept, wie wir weiter vorankommen. Das wollen wir in den nächsten Jahren gern auf den Weg bringen.

(Wortmeldung Heike Franzen [CDU])

Frau Abgeordnete, gestatten Sie -

Wenn es denn weiterhilft und wenn wir zum Ende der Debatte vielleicht wieder etwas verbindlichere,

(Dr. Marret Bohn)

fraktionsübergreifende Töne anschlagen können, liebe Frau Kollegin Franzen, gern.

(Heiterkeit CDU und FDP)

Frau Abgeordnete Dr. Bohn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Franzen?

Sehr gern.

(Zuruf CDU: Haben Sie nicht gefrühstückt, oder was?)

- Ich habe sehr gut gefrühstückt, danke! - War das schon die Frage?

Bitte schön!

Frau Kollegin Bohn, es ist mir neu, dass an Zwischenfragen oder Zwischenbemerkungen irgendwelche Bedingungen geknüpft sind.

Das war ein Wunsch, ein freundlich-kollegialer Wunsch. Entschuldigung!

Okay. Wünsche gehen ja manchmal in Erfüllung, manchmal aber auch nicht. - Liebe Kollegin, können Sie mir von den Punkten, die Sie gerade aufgezählt haben, einen nennen, der in Ihrem Antrag vorkommt?

(Beifall CDU)

- Das sagt mir ganz deutlich, liebe Kollegin Franzen, dass Sie gar nicht verstanden haben, was wir auf den Weg bringen wollen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)