Protokoll der Sitzung vom 20.03.2014

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen einen sonnigen guten Morgen. Die Sitzung ist eröffnet. Wir setzen unsere Tagung jetzt fort.

Bevor wir in die Beratungen einsteigen, teile ich Ihnen mit, dass für die Landesregierung Ministerin Spoorendonk und Minister Breitner beurlaubt sind.

Ich teile Ihnen weiterhin mit, dass die Abgeordnete Angelika Beer und der Abgeordnete Wolfgang Kubicki nach § 47 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung mitgeteilt haben, dass sie an der Teilnahme der heutigen Vormittagssitzung des Landtags verhindert sind.

Bevor wir mit der Beratung beginnen, bitte ich Sie, mit mir gemeinsam die Schülerinnen und Schüler des Klaus-Harms-Gymnasiums aus Kappeln auf der Tribüne zu begrüßen. - Herzlich willkommen euch allen hier im Kieler Landeshaus!

(Beifall)

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 4 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Schaffung von Wahlfreiheit an Gymnasien

Gesetzentwurf der Fraktion der FDP Drucksache 18/1648

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Dann eröffne ich die Grundsatzberatung und erteile der Abgeordneten Anita Klahn von der FDP-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die FDP-Fraktion hat sich aufgrund der angespannten Situation an den Schulen und insbesondere aufgrund der bemerkenswerten Entwicklung im gesamten Bundesgebiet hin zu G 9 entschieden, erneut die Frage von G 8 beziehungsweise G 9 in Schleswig-Holstein auf die Tagesordnung zu heben.

(Oliver Kumbartzky [FDP]: Gut so!)

Unser Gesetzentwurf schafft die Voraussetzung dafür, dass Gymnasien wieder in eigener Verantwortung über die Einrichtung eines acht- oder neunjährigen Bildungsganges oder das parallele Anbieten beider Bildungsgänge entscheiden können. Gymna

sien können so wieder G 8, G 9 oder G Y anbieten, um so den lokalen Bedürfnissen mehr Rechnung zu tragen. Auch wird damit klargestellt, dass Gymnasien eine Oberstufe haben müssen.

Meine Damen und Herren, bleibt die vor Kurzem erfolgte große Schulgesetznovelle, nach der Gymnasien grundsätzlich der achtjährige Bildungsgang vorgeschrieben ist, unverändert, wird SchleswigHolstein bildungspolitisch zukünftig isoliert.

(Zuruf SPD: Das ist der Preis!)

Die wenigen Gymnasien, die noch unter Bestandsschutz G 9 oder das Y-Modell anbieten dürfen, werden dieses Bild nicht korrigieren.

(Widerspruch Dr. Ralf Stegner [SPD])

Dazu werden in Schleswig-Holstein die Schülerinnen und Schüler flächendeckend benachteiligt, die sich aus verschiedenen Gründen gegen eine achtjährige Gymnasialzeit entscheiden wollen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Oh mein Gott!)

Diese müssen nach dem jetzt geltenden Schulrecht auf eine Gemeinschaftsschule,

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das ist ja furchtbar! Das ist ein schreckliches Schicksal!)

ob sie wollen oder nicht, und egal, ob sie für diese Schulform geeignet sind oder nicht.

Also auch unter dem Aspekt, die gesetzlich verbriefte Schulwahlfreiheit zu einer echten Wahlfreiheit auszugestalten, halten wir Liberale es für wichtig, das Thema „Wahlfreiheit an Gymnasien“ erneut aufzugreifen.

(Beifall FDP)

Auch dürfen wir den bundesweiten Trend zur Rückkehr zu G 9 nicht außer Acht lassen. Jüngst hat die Bildungsministerin von Niedersachsen die Rückkehr ihres Bundeslandes zu G 9 erklärt. In Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg läuft dieser Prozess ebenfalls. Rheinland-Pfalz ist niemals von G 9 abgerückt. In Bayern, Hamburg und auch in Berlin sind erfolgreiche Initiativen dabei, G 9 an Gymnasien wieder einzuführen.

Auch wenn es Ihnen, meine Damen und Herren aus der Regierungskoalition, nicht gefallen wird, so bleibt doch festzustellen, dass Schleswig-Holstein unter einem liberalen Bildungsminister bei der Einführung der Wahlfreiheit von G 8 und G 9 federführend war.

(Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie tragen jetzt die Verantwortung dafür, dass Schleswig-Holstein von dieser Entwicklung im Bundesgebiet abgekoppelt werden wird.

Meine Damen und Herren, erkennen Sie doch endlich an, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Rückkehr zu G 9 an Gymnasien will. In einer am 26. Februar 2014 veröffentlichten Forsa-Umfrage haben sich fast drei Viertel der Befragten dafür ausgesprochen, dass möglichst alle Bundesländer zur neunjährigen Gymnasialzeit zurückkehren sollten.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Na dann! Dann ist es ja schon fast beschlossen!)

Bei den Befragten mit Kindern im Haushalt plädierten sogar 75 % dafür. Diese Umfrage fügt sich damit in das Bild älterer Umfragen ein, die ähnliche Ergebnisse lieferten.

Die Akzeptanz der Schulzeitverkürzung hat sich in den letzten zehn Jahren nicht verbessert, sondern ständig verschlechtert. Nicht nur der Philologen Verband erklärte deutlich, dass das flächendeckende G 8 gescheitert sei und dass es unter den gegebenen Rahmenbedingungen gravierende Nachteile und keine substantiellen Vorteile für G 8 gebe. Ohne deutlichen Anforderungsverzicht wird die Belastungssituation für die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler nicht zu beseitigen sein. Erhoffte Einspar- und Verjüngungseffekte wurden gerade nicht realisiert. Die Inanspruchnahme von Auslandsaufenthalten während der Schulzeit ist zurückgegangen. Die notwendige Zeit für Übungen und Vertiefungen fehlt. Gerade Jungs in der Mittelstufe werden zu Bildungsverlierern.

Auch andere Vereine und Verbände fordern nachdrücklich die Rückkehr zu G 9. So stellt der Landesfeuerwehrverband stellvertretend für viele Verbände fest, dass sich das ehrenamtliche Engagement der Schülerinnen und Schüler durch die immer kompakteren und längeren Unterrichtszeiten wegen des Abiturs nach acht Jahren deutlich verringert habe. Im Übrigen beklagt dies auch die DLRG deutlich. Die Folge daraus ist, dass die Feuerwehren sowie zahlreiche Sport- und Jugendvereine mit einem verschärften Nachwuchsmangel zu kämpfen haben.

Meine Damen und Herren, G 8 wurde ohne die notwendigen Anpassungen der Rahmenbedingungen eingeführt. Schulbücher wurden nicht angepasst. Lehrer wurden mit der Umsetzung alleingelassen bis heute. Ein gesamtes Schuljahr mit 265 Unterrichtsstunden muss komplett im G-8-Jahrgang aufgefangen werden. Solange dazu keine Änderungen

durch die Kultusministerkonferenz herbeigeführt werden, funktioniert dies nur durch verlängerte Unterrichtszeiten. Das geht zulasten anderer Freizeitaktivitäten mit den dort erlernbaren sozialen Kompetenzen.

(Beifall FDP)

Gerade Jugendliche brauchen auch Freiräume, um zum Beispiel an Veranstaltungen von Sportvereinen teilzunehmen, gemeinsam mit anderen in einer Band Musik zu machen oder gemeinsam Zeit mit Freunden zu verbringen, um so ihre Persönlichkeit entwickeln zu können. Diese Erkenntnis gibt es bundesweit, und ich frage mich, warum es in Schleswig-Holstein so schwer ist, Ihnen das verständlich zu machen.

(Beifall FDP)

Ich hätte jetzt gern den Ministerpräsidenten persönlich angesprochen; vielleicht hört er mir auch von der Bank dort hinten im Saal zu. Herr Ministerpräsident, gerade Fachleute prognostizieren, dass unsere Kinder ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Bildungsmarkt verlieren werden, wenn sich Schleswig-Holstein dem Trend der großen Bundesländer zur G-9-Option entzieht.

Ich fordere Sie daher auf: Machen Sie Bildungspolitik zur Chefsache. Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Das Einzige, was wir haben, sind die Bildung und das Wissen unserer Kinder. Wir können es uns einfach nicht leisten, dass unser Land zu einem Bildungsabsteiger wird. Wir dürfen nicht fahrlässig mit der Zukunft unserer Kinder umgehen.

(Beifall FDP)

Wir brauchen die Innovationspotenziale und das Know-how.

Ihre Bildungsministerin manövriert sich mit ihrer ideologisierten Politik in eine Ecke. Sie bringt Eltern, Lehrer und Schüler gegen sich auf.

Die derzeitige Politik Ihrer Bildungsministerin ist nicht dazu geeignet, Frieden in die Schullandschaft zu bringen. Vielmehr treiben Sie die Schulen fahrlässig in einen Existenzkampf, der unsere gewachsene Schulstruktur erschüttert.

Sehr geehrter Herr Albig, ich möchte Ihnen die Worte Ihres niedersächsischen Amtskollegen Stephan Weil näherbringen, der zur Einführung von G 8 an Gymnasien Folgendes ausführte - ich zitiere mit Erlaubnis -:

„Ich habe daran“

- also an G 8

(Anita Klahn)

„von Anfang an erhebliche Zweifel gehabt. Diese Zweifel sind im Laufe der Zeit nicht weniger geworden. Viele betroffene Jugendliche klagen über viel zu wenig Zeit für ein Leben jenseits der Schule. Eltern weisen uns auf den Druck und den Stress hin, unter dem ihre Familien leiden. Und insbesondere gibt es interessanterweise auch Kritik aus der Wirtschaft, denn viele Betriebe hadern mit der manchmal unübersehbaren fehlenden Reife ganz junger Abiturienten.“

Und auf die Frage, ob eine Entscheidung für G 9 an Gymnasien nicht zulasten der Gesamtschulen in Niedersachsen gehen würde, antwortete Weil:

„Das ist mir zu sehr um die Ecke gedacht. Für die Eltern und Schüler soll es ein gutes Schulangebot ihrer Wahl geben. Das gilt für Gymnasien und Gesamtschulen gleichermaßen.“