Protocol of the Session on April 20, 2021

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Alle haben uns vorher erzählt, es gebe dann Riesenverkehre, das gehe überhaupt nicht. Gucken wir uns die Situation an: Aufgrund gezielter Maßnahmen sind beide Kreise heute im Blick. Flensburg ist heu

te in der Liste der besten Kreise auf Platz 4. Daran sieht man, konsequentes Handeln ermöglicht niedrige Zahlen, und deswegen ist es ein richtiger Weg, den wir bei uns in Schleswig-Holstein gehen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wir hätten es also selbst in den Händen gehabt. Aber ich sage auch selbstkritisch, weil sich eben nicht alle daran gehalten haben, das umzusetzen, was wir in der Ministerpräsidentenkonferenz verabredet haben, gibt es eine Notwendigkeit, nachzuschärfen. Wir haben uns deswegen auch nicht verschlossen und gesagt, ja, da muss nachgeschärft werden. Ich sage auch sehr offen: Manchmal wundere ich mich darüber, wie wenig konsequent in anderen Bundesländern gehandelt wird.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Wenn sich ein Kollege vor zwei, drei Wochen damit rühmt, dass dort jetzt bei einer Inzidenz von über 200 ab der 5. Klasse in den Schulen eine Maskenpflicht auch im Unterricht eingeführt wird, eine Maskenpflicht, die wir in Schleswig-Holstein - übrigens auch an den Grundschulen - schon seit den Schulsommerferien haben, dann muss ich wirklich sagen, wundert es mich manchmal schon, wie wenig konsequent in einigen Bereichen gehandelt wird. Deswegen kann ich es aus Sicht des Bundes verstehen, dass diese Debatte geführt wird. Daher habe ich auch immer gesagt, wir verschließen uns dieser Debatte nicht, sondern wir werden mitmachen, wenn ein solches Gesetz erforderlich ist, um ein einheitliches Handeln bei höheren Inzidenzen in unserem Bundesland möglich zu machen.

Wir haben uns in dieses Gesetz eingebracht. Wir haben im Übrigen erreicht, dass nur Regelungen für Inzidenzen über 100 getroffen werden. Das heißt, alle Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein, die sich an das Management gewöhnt haben, die wissen, wie das Regelwerk in Schleswig-Holstein ist, sollen wissen: Überall dort, wo die Inzidenzen unter 100 sind, ändert sich durch dieses Gesetz überhaupt nichts.

Wir haben uns auch dafür eingesetzt, dass beim Einzelhandel sinnvolle Regelungen möglich sind, weil das eben kein Infektionstreiber ist. Auch dort ist es uns gelungen, dass Click & Collect weiterhin möglich ist, dass Click & Meet plus Test bis 150 möglich ist. Wir werden es so umsetzen, dass ab einer Inzidenz von 100 immer auch eine Nachverfolgung gewährleistet sein muss. Es ist gut, dass wir das bei diesem Gesetz auch durch hartnäckigen

(Ministerpräsident Daniel Günther)

Einsatz in den vergangenen Wochen noch haben erreichen können.

(Beifall CDU, FDP und SSW)

Wir haben immer gesagt, draußen geht mehr als drinnen. Wir merken auch in Schleswig-Holstein, dass das so ist. Zoologische und botanische Gärten bleiben geöffnet. Sport in Gruppen mit fünf Kindern unter 14 Jahren ist weiterhin möglich.

Besonders wichtig ist, dass auch Modellprojekte weiterhin möglich sind. An dieser Stelle will ich auch einmal allen danken, die sich im Kulturbereich, im Sportbereich und im Tourismusbereich auf den Weg gemacht haben, weil wir beispielgebend dafür sein müssen, dass viel möglich ist. Wer sonst in Deutschland als Schleswig-Holstein mit niedrigen Inzidenzen soll zeigen, dass das dort möglich ist? Ich bin übrigens sehr stolz darauf, dass wir das sehr behutsam gemacht und nicht das gesamte Land als Modellregion ausgerufen haben; vielmehr werden wir anhand von Einzelbeispielen dokumentieren, dass es an diesen Punkten funktioniert. Deswegen allen ganz herzlichen Dank, die an dieser Stelle mitmachen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wir haben nicht alles erreicht. Es gibt Punkte, bei denen wir erhebliche Bauchschmerzen haben. Deswegen liegt hier ja auch ein Antrag von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP vor, der das unterstützt, was wir im Bundesrat einbringen werden, nämlich einen Entschließungsantrag, der diese Punkte deutlich macht. Aber ich sage auch: Wir werden nicht den Vermittlungsausschuss anrufen, weil wir keine Verzögerungen haben wollen. Natürlich könnten wir das aus schleswig-holsteinischer Sicht gut sagen. Aber wir müssen auch Verantwortung für andere Bundesländer übernehmen, die die Unterstützung in dem Bereich brauchen. Deswegen werden wir uns da nicht verweigern. Keine Anrufung des Vermittlungsausschusses, damit das Gesetz für die anderen Bundesländer möglichst schnell in Kraft tritt.

(Beifall CDU)

Wir hätten uns mehr gewünscht. Das machen wir in einer Protokollerklärung beziehungsweise in dem Entschließungsantrag deutlich, der hoffentlich eine Mehrheit findet. Wir hätten uns gewünscht, dass deutlich mehr differenziert wird. Wenn Clusterausbrüche stattfinden, ist das etwas anderes, als wenn es ein diffuses Infektionsgeschehen gibt. Es hätte deutlich flexibler, sachgerechter und verhältnismä

ßiger ausgestaltet sein können. Es wäre sinnvoll gewesen, neben Inzidenzen auch andere Faktoren zur Grundlage zu machen

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

wie Belegung von Intensivbetten, verfügbares Personal, Impfquote, Anzahl von Testungen. Aber daran merkt man: Manchmal ist es schlauer, das Regelwerk in einem Land zu haben, um angemessen zu reagieren, als mit einer Schablone über ganz Deutschland zu gehen.

(Claus Schaffer [AfD]: Das war die Intention des Infektionsschutzgesetzes!)

Wir hätten uns in diesen Punkten gewünscht, dass das noch gekommen wäre.

Genau das Gleiche gilt für die Ausgangssperre. Das eint uns auch. Bereits ab einer Inzidenz von 100 halten wir sie nicht für angemessen. Wir sind nicht grundsätzlich gegen Ausgangsbeschränkungen; das will ich deutlich sagen. Wir haben bewiesen, dass man das machen kann, wenn die Inzidenz wirklich ausufert. Aber bereits bei einer Inzidenz von über 100 halten wir es nicht für angemessen. Auch das machen wir in unserem Entschließungsantrag deutlich.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wir werden weiter sorgfältig abwägen. Ich will schon sagen, dass für ein Land wie Schleswig-Holstein manche Inzidenzen fast ein bisschen irritierend wirken, etwa die Inzidenz 165, die ausgewählt worden ist. Das mag in anderen Bundesländern mittlerweile Normalität sein. Bei uns haben wir solche Zahlen eigentlich so gut wie nie gehabt.

Dazu, dass jetzt bis zu einer Inzidenz von 165 Bestimmtes möglich sein soll, sage ich sehr deutlich: Wir werden uns auch unter gesundheitlichen Gesichtspunkten sehr sorgsam angucken, inwiefern die Öffnungsschritte, die dort vorgesehen sind, auch in den Bereichen Schulen und Kitas wirklich verantwortbar sind. Ich sage das so deutlich, weil ich weiß, dass viele Menschen natürlich möchten, dass Schulen und Kitas geöffnet sind. Aber natürlich müssen wir auch Sorgen dort mit aufnehmen. Wir wissen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass sich das Ausbreitungsgeschehen dort verändert hat.

Deswegen werden wir sehr genau darauf gucken; denn es ist schon schwer verständlich, wenn man von einer Notbremse und von schärferen Maßnahmen spricht, wir dann aber in der Konsequenz der Sache sehen, dass manches in diesem Gesetz im

(Ministerpräsident Daniel Günther)

Verhältnis zu dem, was wir in Schleswig-Holstein bisher gemacht haben, eher eine Lockerung ist. Es können sich alle Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen, dass wir uns diese Entscheidung nicht leicht machen. Wir werden sie in dieser Woche treffen, damit schnell Klarheit herrscht. Das ist in den meisten Teilen unseres Landes ohnehin gegeben, weil eine 100er-Inzidenz kaum überschritten ist. Aber im Herzogtum Lauenburg ist das derzeit der Fall. Von daher wollen wir schnell für Klarheit im gesamten Land sorgen.

(Vereinzelter Beifall CDU und Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Wir werden - das steht fest - trotz der Gesetzesänderungen weiterhin alles dafür tun, um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger bestmöglich zu schützen. Ich weiß schon, dass in diesem Hohen Haus, was das Instrument der Ministerpräsidentenkonferenz angeht, durchaus ein differenziertes Bild gezeichnet wird. Ich würde nach den Erfahrungen in der letzten Woche als Ministerpräsident ein bisschen selbstbewusst sagen: Als so viel besser habe ich das nicht empfunden, und zwar die Debatten, die in den letzten zwei Wochen darüber stattgefunden haben. Ich vermute, das wird gleich von anderen Rednern etwas anders beurteilt werden. Aber ich wollte zumindest vorher die Chance nutzen, zur Ehrenrettung das Bild ein wenig zu korrigieren; denn wir wollen uns selbstverständlich schon weiter abstimmen, weil auch wir ein Interesse daran haben, dass es ein verständliches Regelwerk in ganz Deutschland gibt.

Ich sage noch einmal sehr deutlich: Unser Regelwerk bis zu einer Inzidenz von 100 verändert sich gar nicht. Darauf dürfen sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen. Bei einer Inzidenz von über 100 gibt es leichte Veränderungen. Das konnten wir durch das erreichen, was wir in den letzten Wochen verhandelt haben.

Ich kann an der Stelle nur sagen: Wenn alle Bürgerinnen und Bürger weiterhin so mitmachen, wie es in den vergangenen Monaten der Fall gewesen ist, dann werden wir auch die nächsten Wochen in Schleswig-Holstein gut überstehen und die Zahlen so niedrig halten können, wie sie im Moment sind. Das rettet Leben. Das schützt die Gesundheit von ganz vielen Menschen. Deswegen hoffe ich, dass wir alle gemeinsam weiter gut durch diese Zeit kommen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Oppositionsführer, der SPD-Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundespräsident Steinmeier hat am Wochenende mit der Gedenkfeier für die Opfer und Betroffenen der Coronapandemie ein wichtiges Zeichen gesetzt. Es ist paradox: Die Pandemie ist dauerpräsent. Wir reden ohne Pause über Inzidenzwerte, Langzeitfolgen und die Kapazitäten auf den Intensivstationen. Wir beschäftigen uns mit Wirkungen und Nebenwirkungen von Impfstoffen. Und wir alle wissen mittlerweile zumindest grob, wofür der R-Wert steht. Epidemiologen - studierte ebenso wie selbsternannte - haben in den letzten Monaten die öffentlichen Debatten geprägt.

Aber wenn es um die konkreten, individuellen Folgen dieser Pandemie geht, wird der Fokus unscharf. Der Bundespräsident hat recht: Leiden und Sterben passierten im vergangenen Jahr viel zu oft unsichtbar. Opfer hatten keine Namen, Betroffene keine Stimme. Dabei bleibt es entscheidend, immer wieder zu betonen: Es geht in dieser Pandemie nicht um abstrakte Zahlen, sondern um Menschen und ihr Schicksal. Das sollten wir nicht vergessen. Deshalb unterstütze ich ausdrücklich den Vorschlag von Serpil Midyatli für einen zentralen Gedenkort auch in Schleswig-Holstein.

(Beifall SPD, Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])

Aber die Erinnerung an die bisherigen Opfer muss uns vor allem auch Verpflichtung sein, weitere Opfer soweit irgend möglich zu verhindern. Die Konsequenz daraus ist - das stelle ich für meine Fraktion einmal mehr fest -: Der Gesundheitsschutz hat für uns weiterhin oberste Priorität, übrigens nicht nur der Schutz der physischen Gesundheit, sondern auch der der psychischen. Auch darauf hat meine Fraktion immer wieder hingewiesen.

Der Blick auf andere Länder macht Mut: Israel beispielsweise zeigt, dass die Coronazahlen deutlich einbrechen, wenn 50 % der Menschen zumindest die Erstimpfung erhalten haben. Diesen Punkt könnten wir in Deutschland beim derzeitigen Impftempo Ende Mai erreichen. Unsere Verantwortung ist zu verhindern, dass in den sechs Wochen bis dahin die Intensivstationen überlaufen und sich viele junge und mittelalte Menschen infizieren, von de

(Ministerpräsident Daniel Günther)

nen ein Teil um sein Leben wird ringen müssen, von denen viele sterben und allzu viele über lange Zeit mit schweren Nachwirkungen werden kämpfen müssen.

Ich will einmal festhalten: Die Inzidenzzahlen bleiben wichtig. Wir sollten in der aktuellen Situation nicht den Fehler machen, sie falsch zu interpretieren. Wenn heute in Schleswig-Holstein bereits über 20 % der Menschen eine Erstimpfung erhalten haben, ist das eine richtig gute Nachricht. Aber weil diese Menschen mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr infiziert werden, bezieht sich die nach wie vor viel zu hohe Inzidenz auf eine kleiner werdende Gruppe von noch Ungeimpften, für die das Risiko immer größer wird. Dazu gehören zum Beispiel Schulkinder und ihre Eltern. Diese Menschen warten zum überwiegenden Teil geduldig und solidarisch, bis sie selbst bei den Impfungen an der Reihe sind. Genau deswegen haben sie das gleiche Recht auf den Schutz ihrer Gesundheit, wie es die älteren Generationen in den vergangenen Monaten hatten.

(Beifall SPD)

Auch wenn einige ebenso standhaft wie faktenfrei etwas anderes behaupten: Corona ist für viele der bislang Ungeimpften eben keine harmlose Erkältung. Expertinnen und Experten sagen, dass im Fall einer Infektion 7 % der Schülerinnen und Schüler Long Covid droht; bei den Eltern sind es sogar 14 %. Das ist erschreckend viel. Das zu verhindern, ist unsere Aufgabe, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Änderungen am Infektionsschutzgesetz, über das wir heute sprechen, haben eine Vorgeschichte. Unser föderales System hat viele Stärken, und ich gehöre immer zu denjenigen, die es gegen teils ritualisierte polemische Kritik verteidigen. Manche haben aus der deutschen Geschichte offenbar wenig gelernt, andere glorifizieren die Zentralstaaten, die übrigens auch bei der Covidpandemie keineswegs glorreich abschneiden.

Aber in den letzten Wochen ist es mir angesichts der teilweise trostlosen Bund-Länder-Runden schwerergefallen, das so zu begründen. Wo es klare, einfache und nachvollziehbare Regeln und Absprachen gebraucht hätte, gab es chaotische und kaum verständliche Kommunikation. Dazu gehörte die plötzliche Änderung von Grenzwerten, die sich mangels Erklärung für viele Menschen willkürlich anfühlte. Dazu gehörten nächtliche Sitzungen mit

schwer nachvollziehbaren Beschlüssen, die keine 24 Stunden Bestand hatten. Dazu gehören Ministerpräsidenten, die sich kurz nach den Runden von den selbst getroffenen Beschlüssen wortreich distanzieren. Dazu gehören aber auch Absprachen, die - um es einmal vorsichtig zu sagen - eigenwillig interpretiert und umgesetzt wurden. Das gilt für Notbremsen ohne Bremskraft ebenso wie für die kreative Interpretation von Beschlüssen, dank derer gleich ganze Bundesländer zu Modellregionen erklärt wurden, wobei selbigen übrigens vorher mit Impfdosen aus anderen Ländern geholfen worden ist.

Gleichzeitig die Notbremse zu betätigen und auf das Gaspedal der Öffnung zu treten, führt übrigens dazu, dass man aus der Kurve fliegt. Ob BrückenLockdown à la Laschet oder die Koalition der Willigen mit den schärfsten Ausgangssperren à la Söder - nichts davon entsprach den Kriterien von Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Effektivität oder auch nur einer zielgerichteten Kommunikation, ohne die die Zustimmung der Bevölkerung nun einmal nicht zu haben ist. Herr Ministerpräsident, auch Ankündigungen und Versprechungen Ihrer Landesregierung, die nicht erfüllt worden sind, haben zum Frust über die Zickzackpolitik geführt. Das haben wir hier im Haus verschiedentlich kritisiert.