Protocol of the Session on August 25, 2021

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Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 50. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig.

Erkrankt sind die Abgeordneten Klaus Schlie und Jette Waldinger-Thiering. Wir wünschen von hier aus herzlich gute Besserung.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln:

Zu den Tagesordnungspunkten 2 bis 9, 15, 16, 24, 38, 40 bis 45 und 48 bis 51 ist eine Aussprache nicht geplant.

Von der Tagesordnung abgesetzt werden soll der Tagesordnungspunkt 54.

Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte 10 und 46, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulgesetzes sowie des Gesetzes über die Stiftungsuniversität zu Lübeck und Bericht über Änderung der Ziel- und Leistungsvereinbarungen in der Hochschulmedizin; 13 und 56, Baubranche stärken - Potenziale öffentlicher Auftragsabwicklung nutzen und schriftlicher Bericht zur Rohstoff- und Baumaterialversorgung in der Bauindustrie und dem Bauhandwerk und Auswirkungen auf die schleswig-holsteinische Wirtschaft; 17, 22, 27 und 36, Infektionsschutzmaßnahmen, Impfkampagnen, Gesundheit und Wege zu mehr Normalität an Schulen; 20 und 37, Lehren aus der Pandemie und Flutkatastrophe ziehen den Katastrophenschutz in Schleswig-Holstein optimal aufstellen und gewährleisten; 25 und 33, Planungstransparenz sicherstellen - Raumordnungsverfahren für 380-kV-Ausbau in Ostholstein durchführen und Klimaneutrale Wasserstofftechnologie braucht klaren Kurs.

Die Anträge zu Tagesordnungspunkt 14, Nautischtechnische Studiengänge an der Hochschule Flensburg erhalten!, Drucksache 19/3103, und Tagesordnungspunkt 26, CO2-Besteuerung beenden - Bürger entlasten!, Drucksache 19/3207, wurden vom Zusammenschluss der Abgeordneten der AfD zurückgezogen.

Auch der Dringlichkeitsantrag „Dänische Schulen in freiwillige Impfaktionen des Landes für Schülerinnen und Schüler ab 12 Jahren aufnehmen“, Drucksache 19/3233, wurde von den Abgeordneten des SSW zurückgezogen.

Ein Antrag zu einer Fragestunde oder einer Aktuellen Stunde liegt nicht vor.

Wann die weiteren Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratung der 50. Tagung.

Wir werden heute und morgen unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause längstens bis 18 Uhr und Freitag ohne Mittagspause bis circa 13:30 Uhr tagen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann werden wir so verfahren.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich den Beauftragten für Flüchtlingsfragen und Integration. Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag auch allen Besuchern auf der Tribüne!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Sofortiger Abschiebestopp nach Afghanistan

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/3176

Schnelle Hilfen für Menschen aus Afghanistan

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 19/3239

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich gehe davon aus, dass der Antrag, Drucksache 19/3176, durch die Mitantragstellung zum Alternativantrag, Drucksache 19/3239, seine Erledigung gefunden hat. - Widerspruch sehe ich nicht.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Abgeordneten des SSW der Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele von uns sind momentan wahrscheinlich erschlagen - erschlagen von der Wucht, mit der uns die Ereignisse der letzten Wochen und Monate in Afghanistan getroffen haben. Immer wieder lesen wir neue Lageeinschätzungen, hören neue

Schleswig-Holsteinischer Landtag (19. WP) - 124. Sitzung (neu) - Mittwoch, 25. August 2021 9409

Nachrichten, bangen und hoffen und sehen dabei doch einer Katastrophe zu.

Am 4. August 2021, als wir unseren Antrag zum sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan stellten, hat der Bundesinnenminister sich noch öffentlich dazu bekannt, Straftäter nach Afghanistan abschieben zu wollen, die freiwillige Ausreise zu verstärken und gar - nach Corona - die Abschiebungen deutlich zu erhöhen. - Ich war und bin immer noch fassungslos. „Wo endet Weltfremdheit, wo beginnt Skrupellosigkeit?“, fragte ein Kommentator in der „Süddeutschen Zeitung“. Ich weiß nicht, ob Horst Seehofer das selbst beantworten kann. Ich fragte mich währenddessen, wo unterlassene Hilfeleistung aufhört und wie viel Schuld einzelne Menschen gewillt sind, auf sich zu laden.

Dann folgte am 11. August 2021 irgendwann zwischen 13:11 Uhr und 13:31 Uhr, so hat es der „SPIEGEL“ rekonstruiert, der Sinneswandel: Abschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan sind bis auf Weiteres ausgesetzt. Und das ist richtig, meine Damen und Herren.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt FDP)

Ich brauche Ihnen die Nachrichtenlage nicht zu referieren. Während des US-Truppenabzugs haben die Taliban innerhalb weniger Wochen Region nach Region erobert und die Provinzhauptstädte eingenommen. Am 1. Mai 2021 begann der Truppenabzug. Erst erkämpften sich die Taliban die ländlichen Gebiete, dann strategische Straßen, dann Sarandsch als erste Provinzhauptstadt. Im August folgten Kandahar und - kurz darauf - Masar-i-Scharif als ehemaliger Bundeswehrstandort. In Kabul zogen die Taliban kampflos ein, während der Präsident schon geflohen war.

Was ihm, dem Präsidenten, geglückt ist, das versuchen zur Stunde noch Tausende Afghaninnen und Afghanen am Flughafen von Kabul. Wir haben Menschen gesehen, die sich verzweifelt an Flugzeugen festklammern und in den Tod stürzen.

Aber, meine Damen und Herren, in unserer Betrachtung geht es gerade auch um die Rechte der Frauen, die nun über Jahrzehnte ihre gesellschaftliche Stellung verbessert haben und fortan nicht nur um die eigene Entfaltung, sondern auch wieder ganz realistisch um ihr Leben fürchten müssen.

Wir - als Deutsche, als Teil der EU, als Mitglied im NATO-Bündnis - werden uns schmerzhaft damit auseinandersetzen müssen, ob man unsere Wertvorstellungen so einfach anderswohin exportieren kann

und ob dieser Versuch überhaupt sinnvoll ist. Damit in engem Zusammenhang steht dann natürlich auch die Frage, ob die jeweiligen Militäreinsätze wirklich notwendig sind.

Für uns als SSW sollen aber jetzt zwei Punkte im Vordergrund stehen:

Erstens. Wir müssen jede Kapazität nutzen, die wir haben. Ein Landesaufnahmeprogramm für 300 Frauen und Kinder aus Afghanistan, die über den Familiennachzug zu uns kommen, ist dabei ein sehr guter erster Schritt. Damit gehen wir unbürokratisch voran, während andere Bundesländer noch zögern, was schlimm ist.

Dabei darf es aber nicht bleiben. Es geht jetzt darum, ohne Wenn und Aber Menschenleben zu retten. Dabei darf keine gefährdete Gruppierung gegen eine andere ausgespielt werden.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dennys Bornhöft [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben freie Kapazitäten in unseren Landesunterkünften; wenn ich es richtig überschlagen habe, sind es mindestens 2.000 Plätze. Jetzt ist der Zeitpunkt, dass wir diese Plätze nutzen.

Zweitens. Allen aus Afghanistan stammenden Menschen muss sofort eine dauerhafte Bleibeperspektive eröffnet werden. Diese Menschen sind Kriegsflüchtlinge und werden in jedem Fall bleiben.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das gilt vor allem auch für die Menschen, die nun kommen; aber es gilt eben auch für diejenigen, die schon bei uns sind; auch sie dürfen wir nicht vergessen.

Daher ist es besser, ihnen allen die vorhandenen Integrationsmöglichkeiten zu bieten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass einige immer noch denken, an der unrealistischen Fiktion einer Rückführung zu irgendeinem Zeitpunkt festhalten zu können. Das ist definitiv nicht möglich.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden mindestens in den nächsten fünf oder zehn Jahren eine solche Situation haben, dass die Afghanen hierbleiben müssen, und dann ist Integration besser als eine dauerhafte Duldung, mit der die Leute nicht zurechtkommen.

Meine Damen und Herren, jetzt - und so verstehen wir unseren gemeinsamen Antrag mit der Jamaika

(Lars Harms)

Koalition und der SPD - ist an erster Stelle Humanität gefordert, nichts anderes. Daran sollten wir uns in der gesamten Republik halten. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Aminata Touré das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Lieber Stefan Schmidt, lieber Torsten Döhring! Die Situation in Afghanistan hat jeder Einzelne von uns mitbekommen. Sie macht uns so betroffen, weil wir wissen, dass es durch die militärische Beteiligung und den Einsatz zur Stabilisierung in Afghanistan eine deutsche Verantwortung gibt.

Wir wissen, wie gefährlich die Situation vor Ort für die Afghanen und Afghaninnen ist, gerade für jene, die die internationalen Truppen und Organisationen vor Ort unterstützt haben - Stichwort: Ortskräfte -, und wir wissen, wie schwer dieser Einsatz für unsere Bundeswehr vor Ort ist. Diese Situation macht uns alle so betroffen, weil wir live dabei zusehen können, wie Afghanen und Afghaninnen verzweifelt versuchen, dieses Land zu verlassen, weil sie um ihr Leben fürchten.