Protocol of the Session on January 26, 2022

Login to download PDF

Das gilt auch für andere Punkte, die Sie als SPD in Ihrem Antrag angesprochen haben. Ich frage sehr deutlich - Sie haben es vorhin ja auch noch einmal ausgeführt -: Warum sollten wir unseren Schülerinnen und Schülern die erste Klassenfahrt einer Grundschulklasse nach Hohwacht oder an den Westensee verbieten? Warum soll das die Schule nicht selber entscheiden können?

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP - Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!)

Warum sollte die Infektionsgefahr größer sein als in der Schule oder zu Hause?

(Zuruf Beate Raudies [SPD])

Oder - und das finde ich entscheidend -, um wieder zu meinem Ausgangpunkt zurückzukommen: Warum sollten wir Erwachsenen berufliche und touristische Reisen ermöglichen und Kindern und Jugendlichen nicht?

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP - Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! - Weitere Zurufe)

Kinder haben ein Recht auf Kindheit, und Jugendliche haben ein Recht auf Jugend. Auch davon sollten wir uns bei unseren Maßnahmen leiten lassen. Vielleicht gib uns Omikron tatsächlich die Hoffnung, dass aus einer Pandemie sehr bald eine Endemie wird. Gerade für die Kinder und Jugendlichen würde ich mir das sehr wünschen. - Danke, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deren Fraktionsvorsitzende, die Abgeordnete Eka von Kalben.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Es ist richtig schön, mal wieder so eine voll besetzte Tribüne sehen zu können. Schön, dass Sie unserer Debatte hier folgen.

Meine Damen und Herren, Eltern machen sich Sorgen.

(Zuruf SPD: Ja, genau!)

Kitaleitungen, Erzieherinnen und Erzieher, Tagespflegepersonen, Lehrerinnen und Lehrer und alle anderen Berufsgruppen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, machen sich Sorgen. Und, Herr Habersaat, wir nehmen das sehr ernst!

(Beate Raudies [SPD]: Ja, wir auch!)

Wenn wir über die Situation von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie reden, wird die Diskussion sehr schnell sehr emotional. Auch ich erlebe das häufiger. Manchmal kommt es mir so vor muss ich gestehen -, als ob die Kinder im Umgang mit der Pandemie cooler oder wesentlich resilienter sind als wir Erwachsene. Trotzdem sind wir ihnen gegenüber natürlich in einem besonderen Maße zu Schutz verpflichtet. Kindheit und Jugend sind prägende Lebensabschnitte. Darüber haben wir hier im Landtag schon oft gesprochen. Außerdem haben Kinder und Jugendliche auch keine eigene Vertretung hier im Parlament - aber das ist ja Thema einer anderen Debatte heute Nachmittag.

Anfang Januar hat eine neue Studie der Uniklinik Essen für großes Aufsehen gesorgt und auch bei mir zu großer Betroffenheit geführt. Demnach sind im Frühjahr 2021, also während des zweiten Lockdowns, rund dreimal so viele Kinder und Jugendliche infolge von Suizidversuchen auf Intensivstationen gelandet wie im selben Zeitraum vor der Pandemie. Die Forscher gehen für das Frühjahr 2021 von 450 bis 500 Fällen in Deutschland aus - so viele unserer Kinder wollten nicht mehr leben.

Nun muss dazu gesagt werden, dass diese Ergebnisse noch nicht gesichert sind. Die Studie ist noch nicht einmal veröffentlicht, geschweige denn wissenschaftlich gegengeprüft. Aber sie passt in das Bild, das sich schon jetzt ergeben hat. Wir wissen, dass psychische Probleme bei Kindern während der Pandemie zugenommen haben. Wir wissen, dass die Bildungsgerechtigkeit massiv gelitten hat. Wir wissen, dass der Druck in den Familien gestiegen ist. Und wir wissen, dass der Bedarf an therapeutischer Behandlung von Kindern stark erhöht ist. Wir wissen also, dass Kinder und Jugendliche unter der Pandemie leiden.

Kinder und Jugendliche brauchen möglichst viel Normalität und Alltagsrhythmus, und dazu gehören der Besuch von Kita und Schule und der Kontakt zu Gleichaltrigen - auch in der Freizeit. Das ist unerlässlich. Es kann uns aber nicht darum gehen, meine Damen und Herren, Kitas und Schulen um jeden Preis offenzuhalten. Wir müssen auch für Entlastung innerhalb der Einrichtungen sorgen, zum Beispiel, indem wir die Regeln für Klassenarbeiten,

(Tobias von der Heide)

Klausuren und auch für die Abschlussprüfungen anpassen und den Schulen damit mehr Flexibilität einräumen.

Gleichzeitig versuchen wir, die Schulen durch die Test- und Maskenpflicht, durch Kohortenbildung in den Grundschulen und Förderzentren und durch Einschränkungen bei Sport und Musik möglichst sicher zu machen. Das hilft, auch wenn wir wissen, dass es keine absolute Sicherheit gibt und sich gerade Omikron weiter ausbreitet und ausbreiten wird.

Die SPD fordert nun die Aussetzung der Präsenzpflicht: Eltern sollen selbst entscheiden können, ob sie ihr Kind derzeit überhaupt in die Schule schicken wollen. Ich kann die Motivation dahinter und die Sorgen der Eltern um ihre Kinder nachvollziehen - das können Sie mir wirklich glauben. Auch ich habe ja Kinder und Enkel, und ich weiß, dass das eine ernst zu nehmende und schwierige Entscheidung ist. Trotzdem halte ich diese Maßnahme für falsch.

Denn so verschieben wir die Probleme bloß in den privaten Raum und wälzen sie auf die Familien ab. Die Möglichkeit, ihre Kinder von zu Hause zu betreuen, haben ganz viele Eltern schlicht und ergreifend nicht - da nenne ich gern noch einmal die alleinerziehende Krankenschwester. Sie kann sich eben nicht frei dazu entscheiden, zu Hause zu bleiben und im Homeoffice zu arbeiten. Es gibt sehr viele solcher Menschen in unserer Gesellschaft.

(Beifall FDP und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Da kann das Kind nicht einfach zu Hause bleiben; es muss in die Kita oder die Schule.

Frau von Kalben, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Habersaat?

Sehr gern.

Frau Kollegin von Kalben, ich wollte nur einmal nachfragen, um sicherzugehen, dass ich Sie richtig verstanden habe. Wir beantragen ja, dass Eltern im Einzelfall beantragen dürfen, die Präsenzpflicht für ihr Kind auszusetzen, und dass dieser Antrag dann als genehmigt gilt. Dieses Recht, das wir den Eltern geben können, bezeichnen Sie als Abwälzen von Verantwortung auf die Eltern. Habe ich das richtig verstanden?

- Das haben Sie richtig verstanden. Weil es Eltern gibt, die schlicht in einer Lebenssituation sind, in der sie diese Entscheidung gar nicht so einfach treffen können. Das müssen wir mitbedenken und mitberücksichtigen. Ich konnte, als ich alleinerziehend war, nicht frei darüber entscheiden, ob ich mein Kind zu Hause beschule oder nicht beschule, sondern musste es in die Verantwortung der Schule geben und darauf setzen, dass es dort die größtmögliche Sicherheit und die bestmögliche Betreuung hat. Deshalb finde ich es schon schwierig, wenn man sagt, dass sich die einen Eltern so entscheiden können und die anderen Eltern sich so nicht entscheiden können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Natürlich muss es Ausnahmen für Kinder geben, denen ein schwerer Verlauf bei Omikron droht oder die mit vulnerablen Personen in einem Haushalt leben. Herr Habersaat, es gibt ja diese Ausnahmen; Eltern können diese Ausnahmen beantragen. Dafür benötigen sie kein Attest von ihrem Arzt,

(Zuruf: Doch, genau das!)

das Verfahren ist nicht umständlich, wie Sie es beschrieben haben, sondern sie können das bei der Schule beantragen. Das sollte aber die Ausnahme bleiben und nicht die Regel sein. Ihnen geht es im Grunde um eine Regelumkehr, und wir wollen, dass Präsenz die Regel ist und Nichtpräsenz die Ausnahme und nicht andersherum. Denn egal, wie gut die digitale Ausstattung in der Schule und zu Hause ist - da gibt es noch einiges nachzubessern -, Kinder brauchen Kinder, auch und gerade in der Pandemie.

Außerdem fordern Sie PCR-Pooltestungen. Das klingt zwar attraktiv, auch weil dabei statt eines Nasenabstrichs der Lolli-Test angewandt wird, aber es gibt zwei Punkte, die dagegensprechen. Wir hören seit Tagen, dass die Kapazitäten für PCR-Tests beschränkt sind und dass sie priorisiert werden müssen. Das hat die MPK mit der Bundesregierung Montag so beschlossen, übrigens auch mit SPDMinisterpräsidentinnen und -Ministerpräsidenten. Woher sollen in der gegenwärtigen Situation die Tests für Schulen und Förderzentren kommen?

Ich bin wütend, dass wir nicht wie andere Staaten vorgesorgt haben, die anscheinend in ganz anderem Ausmaß PCR-Testungen durchführen, wie zum Beispiel Österreich. Es macht doch keinen Sinn, jetzt etwas zu fordern, was zwar wünschenswert wäre, aber nicht durchführbar ist. Damit streuen wir den Eltern doch Sand in die Augen!

(Eka von Kalben)

(Beifall CDU)

Der zweite Grund, der aus meiner Sicht gegen Pooltestungen spricht, ist, dass die Tests in der Anwendung sehr kompliziert sind und zu sehr zeitversetzten Erkenntnissen führen. Ich zweifele an, dass Kinder und Erziehende dadurch besser geschützt sind, angesichts der sehr schnellen Ansteckung durch Omikron. Das Ausbruchsgeschehen in Nordrhein-Westfalen, wo diese Tests häufiger durchgeführt werden, erscheint mir an Schulen und Kitas nicht entspannter zu sein als bei uns.

Wichtiger als PCR-Pooltests ist in meinen Augen ein funktionierendes Testkonzept, und das haben wir an unseren Schulen und Kitas. Seit dem Jahreswechsel hat die Landesregierung die Testfrequenz dort noch einmal erhöht. Nun werden alle Personen in der Schule dreimal pro Woche getestet, auch geboosterte. Dass auch geboosterte Personen getestet werden, halte ich für sehr wichtig, denn auch sie können Omikron übertragen. Es ist gut, dass das auch für das Personal in Kitas gelten wird. Viele haben nicht verstanden, dass an Schulen zunächst strengere Regeln galten als an Kitas.

Auch dass die Landesregierung nun verbindliche Umfeldtestungen in den Kitas vorschreiben will, wie es in Mecklenburg-Vorpommern gemacht wird, begrüße ich sehr. Denn genau wie Herr Habersaat sagt, ist es für viele Eltern schwierig - auch ich würde es mir nicht zutrauen -, ein Kleinkind zu überzeugen, sich mehrfach die Woche mit einem Nasenabstrich testen zu lassen. Deswegen ist die Umfeldtestung aus meiner Sicht eine gute Erweiterung, und ich bin froh, dass sich das Sozialministerium auf den Weg machen will.

(Beifall Katja Rathje-Hoffmann [CDU])

Meine Damen und Herren, in der Bevölkerung entsteht der Eindruck, als hätte sich seit der ersten Welle nichts geändert. Ja, es ist frustrierend, dass es auch jetzt, nach fast zwei Jahren Pandemie, wieder so viele offene Fragen gibt. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zu der Situation vor zwei Jahren: Wir haben gelernt, dass wir den Kindern und Jugendlichen nicht ihre sozialen Kontakte nehmen dürfen und dass Familien nicht alles auffangen können. Eltern müssen ihre Kinder morgens beruhigt auf den Weg schicken können. Die Situation bleibt schwierig. Es gibt keine absolute Sicherheit. Es wird weiter Ansteckungen geben, in der Familie, beim Einkaufen und natürlich auch in Kita und Schule. Das wird keine Maßnahme verhindern können.

Unsere Aufgabe bleibt es, den Spagat zu machen zwischen Sicherheit vor dem Virus und dem Recht der Kinder auf soziale Kontakte und Bildung. Ich bin wirklich froh, dass die Rechte der Kinder und Jugendlichen hierbei ganz vorn stehen. Deshalb brauchen wir auch nicht Ihren Antrag, Herr Brodehl. - Ich danke Ihnen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Anita Klahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle hoffen doch, dass wir unseren Alltag endlich wieder ohne Angst vor dem Coronavirus und einer Infektion gestalten können. Das gilt insbesondere auch für die Menschen, die in Bildungseinrichtungen und in der Kinderbetreuung arbeiten oder diese nutzen müssen. Schülerinnen, Schüler mit ihren Familien, Schulleitungen, Betreuungskräfte, Lehrkräfte, alle wünschen sich doch ein Ende der Pandemie, ein Ende aller Einschränkungen.

Die Realität ist leider eine andere; wir haben dazu heute schon vieles gehört. Das Coronavirus ist weiter da, es verändert sich, und es bringt neue Fragen und andere Risiken mit sich. Wir brauchen ein Pandemiemanagement, welches mit größter Sorgfalt eine Risikobewertung vornimmt und unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit sowie Abwägung aller Interessen angemessene Maßnahmen und immer das mildeste Mittel anwendet und gestaltet.

An dieser Stelle kritisiere ich die Art und Weise, wie der Kollege Brodehl - wenn man ihn da überhaupt als „Kollege“ bezeichnen mag - damit umgeht und dass er Begriffe wie „Ausgrenzung“ verwendet. Vielmehr geht es in erster Linie auch um Eigenverantwortung, und die traue ich unseren Menschen zu.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU und Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Die Normalität ist heute eine andere als vor Corona, und wie sie in Zukunft aussehen wird, weiß heute keiner von uns genau. Wir wissen, und die Studien bestätigen es - Eka von Kalben hat es eben ausgeführt -, wie belastet Schülerinnen und Schüler durch Unterrichtsausfälle, Distanzunterricht und