Das Opferschutzgesetz, das Zeugenschutzgesetz aus dem Jahr 1998 und das Opferrechtsreformgesetz aus dem Jahr 2004 waren wichtige Schritte hin zu dem Ziel, das Opfer aus der Rolle eines bloßen Beweismittels herauszuführen und ihm die Stellung eines mit eigenen Rechten ausgestatteten Prozessbeteiligten zu verschaffen.
Nun liegt noch der Entwurf eines Opferunterstützungsgesetzes vor - eine weitere Ergänzung als Unterstützung für die Menschen, die Betroffene von Straftaten geworden sind. Wir haben diesen Gesetzentwurf intensiv im Innen- und Rechtsausschuss diskutiert und eine umfangreiche Anhörung durchgeführt.
Die Rückmeldungen der Vereine und Verbände waren durchweg positiv. Allerdings gab es auch berechtigte Einwände und gute Ergänzungsvorschläge, die wir in einem Änderungsantrag aufgegriffen haben. Da die Jamaika-Koalition den überwiegenden Teil unserer Forderungen dann in einem weiteren Änderungsantrag übernommen hat und somit den Gesetzentwurf noch etwas besser gemacht hat, können wir diesem Gesetzentwurf heute zustimmen.
Ob es sich um einen Taschendiebstahl, eine schwere Körperverletzung oder andere Straftaten handelt: Man ist durch sie verletzt oder verstört und weiß oft nicht, was man machen soll. Hier sollen die Zentrale Anlaufstelle für Opfer von Straftaten und deren Angehörige und die Opferschutzbeauftragte des
Landes Schleswig-Holstein in Zusammenarbeit mit den Opferhilfeeinrichtungen im Land helfen. Laut Vorwort des Tätigkeitsberichts 2020/2021 versteht sich die Zentrale Anlaufstelle als Lotse für Betroffene „nach einem schädigenden Ereignis“.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal allen Opferhilfeeinrichtungen für die wichtige und gute Arbeit danken und nenne stellvertretend für alle die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Frauenhäusern, den WEISSEN RING, die PETZE und ZEBRA e. V. Vielen Dank für Ihr Engagement!
Mein Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zentralen Anlaufstelle und der Opferschutzbeauftragten, Frau Stahlmann-Liebelt, die sich unter schwierigen Pandemiebedingungen in den letzten eineinhalb Jahren mit ihrer Arbeit für den Opferschutz eingesetzt haben.
Nun weiter zum Tätigkeitsbericht. Bei den Anfragen ging es hauptsächlich um Vermittlungsanliegen, finanzielle Hilfen sowie allgemeine Fragen zu Strafanzeigen oder um den generellen Ablauf von Strafverfahren. Jeder fünfte Hilfesuchende hatte „den Wunsch nach gezielter Rechtsberatung (…) zu laufenden oder bereits angeschlossenen Ermittlungs- und Strafverfahren.“ Beim Überblick über die bisherigen Tätigkeiten steht auf Seite 13:
„Eine der Hauptaufgaben im ersten Jahr seit Einrichtung der Zentralen Anlaufstelle war die Erarbeitung eines Krisenkonzepts, in dem die Vorgehensweise der Mitarbeiterinnen der Zentralen Anlaufstelle und der Opferschutzbeauftragten im Falle eines Terroranschlages bzw. einer anderen mutmaßlich auf einer Straftat basierenden Großschadenslage festgeschrieben wird, um - soweit möglich auch auf derartige Ereignisse vorbereitet zu sein.“
Das ist ein wichtiger Teil der Arbeit. Meine Vorrednerin, Frau Ostmeier, ist ja darauf schon eingegangen. Im Ausblick auf zukünftige Tätigkeiten steht dann allerdings auf Seite 17:
„Ferner ist geplant, Kontakt zu den Polizeidirektionen des Landes aufzunehmen und dort vorstellig zu werden, um die Zentrale Anlaufstelle und die Opferschutzbeauftragte sowie deren Aufgaben näher vorzustellen und dafür zu werben, Betroffene möglichst zeitnah über das Angebot der Zentralen Anlaufstelle zu unterrichten.“
Das ist ein ganz wichtiger Teil der Arbeit. Hier muss ich sagen: Das hätte man vielleicht auch gleich zu Beginn machen können. Denn unsere acht Polizeidirektionen sind neben Revieren und Stationen wesentliche Träger des polizeilichen Aufgabenvollzugs. Über die Polizeidirektionen hätte es dann in den Revieren und Polizeistationen einen sehr schnellen Bekanntheitsgrad der Zentralen Anlaufstelle gegeben. Das ist wichtig, um Opfern von Straftaten helfen zu können. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Claussen, ganz herzlichen Dank für den 5. Opferschutzbericht. Der Bericht zeigt übrigens, dass Schleswig-Holstein im Opferschutz im Bundesvergleich schon sehr lange eine Vorbildfunktion hatte. Ich habe dem Bericht zum Beispiel entnommen, dass die generalpräventiven Räte in den Kommunen eine Erfindung aus Schleswig-Holstein gewesen sind. Das wusste ich bisher noch nicht, und das ist ein ganz wichtiger Baustein für den Opferschutz. Das sieht in anderen Bundesländern anders aus.
Die Aufarbeitung des Anschlags auf dem Breitscheidplatz in Berlin 2016 durch einen Untersuchungsausschuss im Bundestag zeigte nicht nur massive Defizite bei den Ermittlungen gegen den Täter. Auch der Umgang mit den Opfern und ihren Angehörigen war vielfach unsensibel, ineffektiv und alleinlassend. Die Bundesgeschäftsführerin des WEISSEN RINGS, Bianca Biwer, sagte anlässlich des fünften Jahrestages gegenüber der Presse - ich erlaube mir zu zitieren -:
Im Umgang mit den Opfern hätten auch Behörden Fehler gemacht, etwa die Zusendung von Rechnungen aus der Gerichtsmedizin oder „blutgetränkter Gegenstände“ an Hinterbliebene und Opfer. Wörtlich sagte Frau Biwer:
Vor diesem Hintergrund kamen die Justizministerinnen und -minister und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder überein, dass der Staat Sorge trägt, dass Opfer von schweren Straftaten schnell und gezielt Hilfe und Unterstützung erhalten und dass hierfür im Bereich des Opferschutzes, insbesondere bei Terroranschlägen, zentrale Strukturen unbedingt erforderlich sind.
Meine Damen und Herren, wir können es also nur begrüßen, dass wir seit Mitte 2020 auch in Schleswig-Holstein die Zentrale Anlaufstelle und die Institution der unabhängigen Opferschutzbeauftragten haben. Im Bericht von Frau Stahlmann-Liebelt heißt es an einer Stelle:
„Während Schleswig-Holstein bislang von Terroranschlägen verschont geblieben ist, waren Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern bereits in erheblichem Maße in ihrer Eigenschaft als Opfer(schutz)beauftragte gefragt.“
Nimmt man den Tag des Breitscheidplatzanschlags zum Bezugspunkt, ist diese Feststellung sicherlich richtig. Aber bei einer längeren Rückschau zeigt sich, dass auch unser Land nicht von Terroranschlägen verschont geblieben ist. In diesem Jahr jährt sich der ausländerfeindliche Anschlag in Mölln mit drei Todesopfern und neun teilweise sehr schwer verletzten Menschen zum 30. Mal. 1996 fand der Brandanschlag auf das Lübecker Asylbewerberheim in der Hafenstraße mit zehn Todesopfern und 38 teilweise schwer verletzten Hausbewohnerinnen und -bewohnern statt. Auch hier gab es also bereits viele Opfer von Terror und strafrechtlich relevanten Schadenslagen. Die überlebenden Opfer in Mölln und Lübeck hätten eine solche Anlaufstelle und eine engagierte Opferschutzbeauftragte wie Frau Stahlmann-Liebelt bitter nötig gebraucht.
Im Fall von Mölln kann ich diesbezüglich aus unmittelbarer Anschauung berichten: Die Schmerzensgeldansprüche der Verletzten und Hinterbliebenen gegen die Täter konnten zwar schnell eingeklagt werden. Aber die Urteile waren letztlich das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt waren. Sie konnten nie vollstreckt werden, auch gegen den Täter nicht, der als Heranwachsender nur zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Uns als Rechtsanwälten der Opfer wurde auch nach Haftentlassung die zustellungsfähige Anschrift des Verurteilten verweigert, weil er insoweit von staatlichen Stellen
Auch die Verfahren der in Mölln Verletzten nach dem Opferentschädigungsgesetz waren extrem zäh und langwierig und erbrachten nur geringe Entschädigungsleistungen.
Den Opfern und Hinterbliebenen in Lübeck erging es noch schlechter. Denn hier wurde überhaupt kein Täter zur Rechenschaft gezogen, nachdem sich die Ermittlungsbehörden zunächst auf einen falschen Verdächtigen kapriziert hatten und zweimal kläglich vor Gericht damit scheiterten. Es gibt viele Anhaltspunkte dafür, dass die tatsächlich Verantwortlichen Rechtsextreme waren, die letztlich nicht überführt werden konnten - eine nach wie vor schwärende Wunde in der Rechtsgeschichte unseres Landes. Auch hier blieben Entschädigungsverfahren nach dem Opferschutzgesetz erfolglos.
Mögen die beiden neuen Opferschutzstellen auf Grundlage des heute ebenfalls verabschiedeten Gesetzes dazu beitragen, dass wir in Schleswig-Holstein nun besser aufgestellt sind. Frau StahlmannLiebelt sehe ich als eine personifizierte Garantie dafür an. Ihre langjährige Erfahrung als Staatsanwältin in Fällen von Kindesmissbrauch und sexueller Gewalt hat ihre Sicht auf den Opferschutz geprägt. Ihre hohe Expertise in diesem Bereich brachte sie schon früh bei pro familia und haupt- wie ehrenamtlichen Opferberatungsstellen ein. Ihr Engagement bringt die opferschützende richterliche Videovernehmung nicht nur landesweit, sondern auch im Bund voran. Kurz: Es handelt sich um die perfekte Besetzung für die Stelle. Unser Land kann sich glücklich schätzen, Frau Stahlmann-Liebelt für diese Stelle gewonnen zu haben. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Peters, vielen Dank für den Bericht aus der Praxis und die wirklich eindrücklichen Schilderungen, unter welchen Folgen Opfer zu leiden haben, nicht nur unter der Tat selbst, sondern auch unter der Schwierigkeit, Entschädigung und damit auch einen Teil Genugtuung zu bekommen.
Insofern glaube ich, ist der 19. Dezember 2016 eine Zäsur in Deutschland. Da ist nämlich besonders offenkundig geworden, wie hilflos, wie sprachlos der Staat dem Schicksal von Opfern gegenübersteht und wie unfähig er ist, angemessen auf das Leid zu reagieren, das den Opfern und ihren Angehörigen durch Taten widerfahren ist, die sich ja gegen den Staat richten, auch wenn Privatpersonen getroffen werden sollten.
Die Justizminister der Länder haben nach dieser Tat, dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, schnell reagiert und das Thema Opferschutz durch einen entsprechenden Beschluss auf die politische Agenda gesetzt. Auch das nachdrückliche Eintreten der Opfer und ihrer Angehörigen, die sich durch die Reaktion der Politik nicht haben entmutigen lassen, für ihre persönlichen Anliegen war ausschlaggebend dafür, dass dieses Thema aktuell ist und die Politik reagieren muss.
Aber es bleibt immer noch viel zu tun, denn noch immer empfinden es Opfer und deren Angehörige Straftaten, die sich nicht gegen sie, sondern gegen den Staat richten, oft als verstörend und verletzend, wie mit ihnen und ihrem Leid umgegangen wird.
Wir sind sicherlich alle einer Meinung, dass es richtig gewesen ist, dass das Bundesverfassungsgericht den Anspruch von Tätern auf Resozialisierung in einen Verfassungsrang erhoben hat. Denn sie ist Voraussetzung dafür, dass Menschen, die vom rechten Weg abgekommen sind, in die Gesellschaft reintegriert werden, sich einfügen und von entsprechenden Taten Abstand nehmen.
Es ist aber auch die Aufgabe des Staates, für Prävention zu sorgen. Deswegen ist das In-den-BlickNehmen der Täter wichtig gewesen. Was wir dabei aber nicht vergessen dürfen - das ist in der Vergangenheit ein Problem gewesen, als wir den Täter in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit gesetzt haben -, ist, das Opfer ausreichend zu berücksichtigen.
Im Jamaika-Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode haben wir das Thema aufgegriffen. Ich darf daraus zitieren:
„Die Opfer von Straftaten und ihre Angehörigen dürfen mit den Folgen der Taten eben nicht allein gelassen … werden. Deshalb wollen wir in der Opferbetreuung die Zusammenarbeit mit freien Trägern wie dem Weißen Ring, mit Vereinen und mit Interventionsstellen gegen Gewalt in sozialen Beziehungen intensivieren. Wir werden die Hürden
Genau das setzen wir heute mit diesem Gesetzentwurf um. Die Aufgaben und Institutionen werden in diesem Gesetz konkretisiert, denn der Staat kann wie in vielen anderen Fällen - das haben wir gestern in der Flüchtlingsdebatte gesehen - nicht allein für die Unterstützung der Opfer sorgen.
Die bestehenden Vereine und Institutionen wie der Weiße Ring und alle anderen sind und bleiben die wertvolle und unabdingbare Unterstützung bei der Opferbetreuung in der täglichen Praxis. Dafür danke ich den Bürgerinnen und Bürgern, die sich ehrenamtlich engagieren, und den Institutionen ausdrücklich im Namen aller Kollegen.
Die Opferbeauftragte ist bereits seit dem 1. Juli 2020 im Amt, weswegen es bereits jetzt einen Tätigkeitsbericht gibt. Ihre Aufgabenbeschreibung haben wir nach den Anhörungen und Gesprächen mit betroffenen Vereinen und Institutionen - insbesondere aufgrund eines langen und intensiven Gesprächs mit dem WEISSEN RING - wie folgt definiert: Die oder der Opferschutzbeauftragte ist für die Anliegen und Belange Betroffener von Straftaten die zentrale Ansprechperson der schleswig-holsteinischen Landesverwaltung. Sie fördert die Kooperation der im Bereich des Opferschutzes und der Opferhilfe tätigen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen in Schleswig-Holstein.