Nach Mitteilung der Fraktionen sind erkrankt: für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Peter Lehnert, für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Regina Poersch, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abgeordnete Dr. Marret Bohn. Wir wünschen allen gute Besserung.
Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, begrüßen Sie bitte mit mir gemeinsam auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Schülerinnen und Schüler der Eckener Schule Flensburg. - Seien Sie uns herzlich willkommen!
Alternativantrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/1387
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne somit die Aussprache. Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Dr. Ralf Stegner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben momentan eine paradoxe Situation. Selten hatten das Europäische Parlament, der Kommissionspräsident oder gar die Tagung des Europäischen Rates eine derart große Medienpräsenz wie derzeit. Das hängt allerdings mit dem Brexit zusammen. Den meisten ist bewusst, dass Europa an einem Scheidepunkt steht, der zumindest im Rückblick in einigen Jahren wohl als historisch angesehen werden wird. Gleichzeitig ist jedoch die öffentliche Debatte darüber, welchen konkreten Weg Europa an diesem Scheidepunkt einschlagen soll, noch immer viel zu leise, in vielen Teilen sogar verzagt. Selbst diese leisen Töne werden von dem BrexitCrescendo weitgehend überlagert, was ich einen traurigen Befund finde, denn eigentlich müssten wir jetzt alle sehr laut, sehr deutlich und kräftig sagen, worum es in Europa geht, nämlich um Frieden, Wohlstand und Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dabei gibt es in der Sache zum Brexit kaum Neues. Die Liste dessen, worauf sich das britische Parlament nicht verständigen kann, wird jeden Tag länger. Was jedoch der Konsens des Unterhauses sein soll oder sein könnte, ist nach wie vor unklar. Ich war selber in der vorletzten Woche zu politischen Gesprächen in London, und ich muss sagen, die Ratlosigkeit ist dort buchstäblich mit Händen zu greifen. Die meisten Menschen, die man dort trifft, sagen, dass sie doch lieber in den Pub gingen und Fußball schauten, als sich mit dem zu beschäftigen, was im Unterhaus stattfindet, weil man dort nicht mehr durchblickt, wenn man nicht sein Leben den ganzen Tag mit Politik bestreitet.
Ein wirklich trauriger Zustand, in den diese stolze Demokratie von unverantwortlichen Populisten gebracht wurde! Das sollte uns übrigens ein Lehrstück dafür sein, wohin Nationalismus führt, wenn man aus Angst vor den Populisten solche Dinge macht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Heute stimmt das Unterhaus zum dritten Mal über das Brexit-Abkommen ab. Der Ausgang ist ungewiss. Den Briten und uns allen ist eine gute Lösung zu wünschen. Über die drohenden dramatischen Folgen eines ungeklärten Brexits haben wir hier im Hause diskutiert, das muss ich nicht wiederholen. Die gute Lösung ist etwas, was wir uns als Europa wünschen müssen und wo wir uns jedwede anti-britischen Töne sparen sollten. Die Politik ist falsch, aber nicht die Tatsache, dass wir mit den Briten in Europa zusammenleben wollen. Es wäre gut für uns, wenn ein Weg gefunden würde, zum Beispiel mit einem zweiten Referendum, diesen Irrsinn zu korrigieren, der auf den Weg gekommen ist.
Es ist kein Wunder, dass der Europa-Bericht der Landesregierung für das Jahr 2018 einen weitgehenden Stillstand der europäischen Politik feststellen muss, es muss daher der Ansporn für uns in diesem Jahr sein, daran etwas zu ändern. Für die anstehenden Richtungsentscheidungen sind die Europawahlen Ende Mai das entscheidende Datum. Europa muss den Defensiv-Modus verlassen, es wird Zeit, endlich das Ungleichgewicht von wirtschaftlichen Freiheiten und sozialen Rechten anzugehen. Es wird Zeit, für eine gerechte Steuerpolitik, für wirkungsvollen Klimaschutz, für eine humanitäre Flüchtlingspolitik einzustehen. Es ist aktueller denn je, dass Europa endlich wieder seine alte Strahlkraft als großartiges Friedensprojekt entfaltet, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Lassen Sie mich ein paar Sätze zu dem Antrag der Regierungsfraktionen sagen. Nichts von dem, was Sie vorschlagen, ist verkehrt. Darum werden wir dem Antrag heute auch guten Gewissens zustimmen können. Aber am Ende nimmt dieser Antrag allein die europäischen Institutionen und Verfahren in den Blick - ohne Frage, auch die sind wichtig. Diese Debatten haben wir aber in der Vergangenheit allzu oft geführt, um uns dann zu wundern, dass sie in der Bevölkerung nicht wirklich geeignet sind, Euphorie für Europa zu wecken. Es geht eben nicht um den Verwaltungsapparat in Straßburg oder Brüssel. Übrigens: Hinweise just zu diesem Zeitpunkt, dass wir nicht in Straßburg tagen sollten, meine sehr verehrten Damen und Herren, finde ich ganz besonders schlau gegenüber unseren französischen Nachbarn, um das klar zu sagen. Das kann ja nicht der zentrale Punkt sein, darüber zu reden, wo
Ich will dafür ein paar Beispiele nennen. Wir denken, dass wir viel mehr über ein soziales Europa sprechen müssen. Europa hat einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, dass viele Menschen mehr Wohlstand genießen als früher. Europa ist ein reicher Kontinent geworden. Aber immer deutlicher zeigt sich, dass dieser Wohlstand nicht gleichmäßig verteilt ist. Im Gegenteil. Die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre hat viele Verlierer produziert. Nach wie vor ist die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa erschütternd hoch. Was meinen Sie denn, was junge Leute denken, wenn man ihnen sagt, dass wir sie nicht brauchen? Was denken Sie, wie groß die Zustimmung dazu ausfallen wird, wenn das das erste Signal ist? Viele Geschäftsmodelle, bis hin zu den Tausenden von Paketboten in Sub-Sub-Unternehmen an unseren Haustüren, funktionieren nur, weil es Sozialdumping auf Kosten der osteuropäischen Mitgliedsländer gibt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das müssen wir ändern, wenn wir Europa sozialer machen wollen.
Wir brauchen europäische Sozialstandards, beispielsweise einen am nationalen Durchschnittseinkommen orientierten Mindestlohn, von dem letztlich auch die deutsche Wirtschaft profitiert. Es braucht eine europäische Anstrengung, um jungen Menschen auf dem ganzen Kontinent eine Zusicherung zu geben: Niemand bleibt zurück. Wir brauchen euch alle. - Zukunft geht nur mit den jungen Menschen und nicht gegen sie. Deswegen ist es so wichtig, sich um dieses Thema zu kümmern.
Übrigens: Deutschland ist das Land, das mehr als jedes andere Land von der europäischen Einigung profitiert. Wir sind zurückgekehrt in die europäische Völkerfamilie. Wir haben eine besondere Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen, immer mitzuhelfen und auch im Ton gegenüber den Kleineren immer daran zu denken. Auch da macht der Ton wirklich die Musik im Miteinander in Europa.
Wir brauchen den engagierten Kampf gegen Steuerhinterziehung und für gemeinsame Mindeststeuersätze. Wenn auf Dauer nur Arbeitnehmer und kleine Unternehmen ihren Beitrag zahlen und sich die großen Konzerne, vor allem die Digitalkonzerne, aus ihrer Verantwortung stehlen, untergräbt das Europas
Legitimität. Also einheitliche Bemessungsgrundlagen für große Unternehmen, die Finanztransaktionssteuer, aber eben auch für Facebook, Google und Co. muss die Digitalsteuer kommen. Ich bin wirklich gespannt, ob diejenigen, die gestern den Demonstrantinnen und Demonstranten gegen den Upload-Filter unterstellt haben, Google-gesteuerte Bots zu sein, morgen bereit sind, mit uns zusammen die Digitalkonzerne beim Steuerrecht wirksam an die Kandare zu nehmen. Da bin ich sehr gespannt, wie das sein wird.
Vor dem Hintergrund einer chaotischen Weltlage ich will auf den Herrn im Weißen Haus gar nicht eingehen - braucht es starke europäische Signale für Frieden und Abrüstung. Die richtigen Reaktionen auf die großen Unsicherheiten unserer Zeit dürfen nicht sprunghaft steigende Rüstungsausgaben sein. Es ist irrsinnig, einen europäischen Flugzeugträger zu fordern und zu behaupten, die besten Europäer seien diejenigen, die ohne Murren möglichst viele Waffen in Kriegsgebiete exportieren. Das ist falsch, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen für Frieden und Abrüstung eintreten.
Es geht nicht um deutsche Besserwisserei. Ich bin überhaupt nicht dafür, anderen zu sagen, was sie in der Frage tun sollen. Es geht auch nicht um Bevormundung. Wir als Deutsche sollten aber mit gutem Beispiel vorangehen. Das sollten wir immer wieder tun als diejenigen, die im letzten Jahrhundert den scheußlichen Zweiten Weltkrieg angezettelt haben. Wir müssen beim Thema Frieden und Abrüstung immer die Ersten sein, die sagen: „Wir tun alles, was möglich ist, um Friedensgespräche zu unterstützen.“
Statt auf das Trennende zu verweisen, sollten wir immer das Gemeinsame betonen. Unser Arbeitskreis Europa der Landtagsfraktion - die erkrankte Kollegin Poersch war dabei, und ich hoffe, dass sie bald wieder in unseren Reihen sitzen wird
war in Kaliningrad und hat dort das 20. Jubiläum unserer Partnerschaft gefeiert. Auch da gilt: Geografisch hat sich nichts verändert. Wir müssen ein Volk der guten Nachbarn sein. Wir müssen mit denen reden, und jedes Gespräch ist besser, als die
Dabei bin ich überhaupt nicht einer von denen, die alles richtig finden, was Herr Putin sagt, oder die sich generell für solche Arten von Regierungsform begeistern können; das kann ich nicht. Allerdings sind wir auch erschreckt über das, was Herr Trump sagt. Insofern gibt sich das in der letzten Zeit nicht besonders viel.
Europa braucht auch eine gemeinsame Lösung für den Umgang mit der Aufnahme von Flüchtlingen. Es ist ein beschämender Zustand, wenn sich in regelmäßigen Abständen auf den Booten der Seenotrettungsorganisationen humanitäre Dramen ereignen, weil es Wochen dauert, bis wir uns geeinigt haben. Es ist Europas nicht würdig, dass das passiert und das Mittelmeer ein Friedhof geworden ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.