Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein. Diese Bitte gilt auch für die Vertreter der Medien.
Ich eröffne die heutige Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Erkrankt sind die Abgeordneten Regina Poersch, Eka von Kalben, Christopher Vogt und von der Landesregierung Minister Dr. Buchholz. Wir wünschen allen eine gute Besserung.
Wegen auswärtiger Verpflichtungen sind von der Landesregierung Ministerpräsident Günther und Ministerin Heinold am Nachmittag beurlaubt. Die Abgeordnete von Sayn-Wittgenstein hat nach § 47 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Landtags mitgeteilt, dass sie an der Teilnahme an der heutigen Sitzung verhindert ist. Der Abgeordnete Hamerich hat ebenso mitgeteilt, dass er nach § 47 Absatz 2 der Geschäftsordnung an der Teilnahme an der heutigen Sitzung verhindert ist.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Abgeordneten Özlem Ünsal herzlich zum Geburtstag gratulieren. Alles Gute für das neue Lebensjahr!
Meine Damen und Herren, begrüßen Sie bitte mit mir auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Schüler und Schülerinnen der Isarnwohld-Schule. - Herzlich willkommen heute hier im Landtag!
Soziale Marktwirtschaft sichern, vor sozialen Missständen schützen Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/1481
Liebe Kolleginnen und Kollegen und sehr geehrte Frau Präsidentin! Der Online-Handel boomt. Immer mehr Menschen bestellen Waren online und lassen sich ihre Bestellung bequem direkt nach Hause bringen. Die Paketdienste verzeichnen dabei riesige Zuwächse. Der Paketmarkt hat in den letzten Jahren ein Umsatzplus von mehr als 30 % erreicht. Das ist beeindruckend und für die Branche insgesamt gut. Aber für die Arbeit bei den Paketdiensten zeichnet sich eher eine negative Entwicklung ab. Hier müssen wir handeln.
Für gute Arbeitsbedingungen in den Paketdiensten gilt es nicht nur zu streiten, sondern es gilt vor allem, sie umzusetzen. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass das Wachstum in der Paketbranche zum erheblichen Teil auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Prekäre Arbeitsbedingungen breiten sich immer mehr aus. Es geraten auch die Unternehmen unter Druck, die tarifgebunden und mit korrekten Arbeitsbedingungen arbeiten. Davor dürfen wir nicht länger die Augen verschließen. Wir können nicht länger hinnehmen, dass das starke Wachstum in der Paketbranche überwiegend über prekäre Arbeitsbedingungen stattfindet und tariflich und sozial geschützte Arbeitsplätze gefährdet werden.
Es ist ein Skandal, wenn Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden täglich zur Realität in der Paketbranche gehören, wenn das Gesetz über den Mindestlohn missachtet wird, wenn illegale Beschäftigung und die Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen sowie Verstöße gegen wesentliche Vorschriften des Arbeitsschutzes immer und immer wieder an der Tagesordnung in der Paketbranche sind.
Die in der Branche üblichen langen Subunternehmerketten begünstigen dieses verantwortungslose Handeln von Unternehmen auch noch. Darum kann und darf verantwortliche Politik hier nicht wegsehen, sondern verantwortliche Politik muss handeln.
Mit einem Entschließungsantrag des Bundesrates wurde die Bundesregierung aufgefordert, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Nachunternehmerhaftung in der Zustellbranche zu schaffen. Damit sollen die Arbeitnehmerrechte für Paketbotin
nen und Paketboten gesichert sowie die Nachunternehmerhaftung für die Sozialversicherungsbeiträge in der Paketbranche eingeführt werden. Eine Initiative des Bundesrates ist dringend notwendig, damit auch in der Paketbranche faire Arbeit und fairer Wettbewerb zusammengehören und Realität werden. Der nordrhein-westfälische Minister Karl-Josef Laumann, CDU, hat dies in der Bundesratsdebatte sehr präzise formuliert und auf den Punkt gebracht. Ich zitiere:
„Im Kern geht es bei unserer Debatte heute genau um diesen Punkt: faire Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen zu schaffen und Wildwuchs von Arbeitsverhältnissen, die dem Gedanken der sozialen Marktwirtschaft widersprechen, einzudämmen.“
Warum ist es nun notwendig, dass wir heute hier im Landtag von Schleswig-Holstein über diesen Entschließungsantrag des Bundesrats diskutieren? Der eigentliche Skandal ist, dass es die Jamaika-Koalition aus Schleswig-Holstein am 12. April 2019 nicht geschafft hat, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen. Unsere schwarz-gelb-grüne Landesregierung verschließt die Augen vor den Missständen in der Paketbranche. Unfassbar!
Wir sollten aber nicht länger die Augen verschließen, sondern die Arbeitnehmerrechte der Paketbotinnen und Paketboten umgehend stärken. Hierzu bedarf es einer angemessenen Entlohnung und der sozialen Absicherung, am besten durch Tarifverträge, sowie einer umfassenden Dokumentationspflicht der Arbeitszeit; denn nur wenn geleistete Arbeitszeit erfasst und vergütet wird, gibt es einen fairen Wettbewerb. Die vollständige Erfassung der Arbeitszeit wurde nun auch vom Europäischen Gerichtshof angemahnt, was wir sehr begrüßen.
Mit der Nachunternehmerhaftung für die Sozialversicherungsbeiträge stärken wir die Sozialsysteme und verringern die Anzahl der Aufstocker in der Paketbranche.
Ich kann nicht verstehen, warum die schleswig-holsteinische Jamaika-Regierung diesen überzeugenden Argumenten nicht folgen kann. Noch viel weniger Verständnis habe ich für ihren Antrag. Diese Kompromisslösung zwischen drei Parteien ist nur weiße Salbe und ändert gar nichts an den Missständen in der Paketbranche.
Ich bin froh, dass der SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sich des Themas annimmt und dass hier bald gesetzliche Regelungen vorliegen werden.
Ja, das will ich gern tun, Frau Präsidentin. - Ich bin froh, dass die CDU-Fraktion im Bundestag vernünftiger sein will als die hier im Landtag. Der Koalitionsausschuss auf Bundesebene hat hier die richtigen Weichen gestellt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind nicht bereit, durch Wegschauen dazu beizutragen, dass Menschen ausgebeutet oder unwürdig behandelt werden.
Es ist gut, dass man sich in Berlin darauf verständigt hat, dort, wo es nötig ist, in der Paketdienstbranche durchzugreifen und gegebenenfalls die Nachunternehmerhaftung gesetzlich zu regeln.
Wer faktisch Dienstherr und Chef ist, also das Sagen hat, der muss auch die Verantwortung tragen, und zum Arbeitsleben gehört selbstverständlich auch die Würde. Bessere Arbeits- und Lebensbedingungen sind erklärtes EU-Ziel. Die EU hat 2017 mit der Europäischen Säule sozialer Rechte die Grundlagen gelegt. Das, was wir diskutieren, ist auch eine Antwort auf die Frage prekärer atypischer Beschäftigungsverhältnisse, die seit Längerem ein Thema sind.
Genau darum geht es auch hier zum Teil. Wir haben hier eine Branche, die nicht schwach ist. Es gibt dort etwa 500.000 Beschäftigte und 3 Milliarden Pakete. Wenn man sich die konkrete Situation genau anschaut, dann sieht man, dass diejenigen, die die Pakete transportieren, egal ob sie angestellt oder
selbstständig sind, im Regelfall unter großem Druck stehen. Sie müssen schnell abliefern, sie müssen alles genau einhalten. Sie tragen das Risiko für ihr Fahrzeug, sie haben sich mit dichtem Verkehr herumzuschlagen, und sie haben eigentlich bescheidene Verdienstmöglichkeiten.
Wer alles dafür tut, dass er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdient und verdienen kann, der verdient auch, dass wir uns um seine Probleme und um seine Sorgen kümmern. Soziale Standards sind eine Säule der sozialen Marktwirtschaft, und es ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit, dass diejenigen, die sich an die Regeln halten, nicht dadurch geschwächt werden, dass diejenigen, die gegen die Regeln verstoßen, mehr Boden gewinnen. Das ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit.
Man kann ja nicht bestreiten, dass sich in dieser Branche die sogenannte Waffengleichheit der Tarifpartner einseitig entwickelt hat. Gleichwohl sind wir nicht bereit, eine pauschale Verdächtigung gegen Arbeitgeber und gegen eine Branche auszusprechen. Es gibt sicherlich auch eine Reihe an Arbeitgebern, die sich ganz an die Vorschriften halten. Aber wir nehmen uns als Politik das Recht heraus, genau hinzuschauen, weil es Anhaltspunkte gibt, die man nicht bestreiten kann und die auch wir nicht bestreiten. Wer sich an die Regeln hält, der hat nichts zu befürchten. Wer das nicht tut, der muss wie immer im Leben - auch die Folgen in Kauf nehmen.
Wir haben umfassende Arbeitnehmerrechte. Deshalb ist es wichtig, zunächst einmal zu schauen, wie Vollzugsdefizite abgebaut werden können. Es ist der Kernpunkt unseres Antrags, dies in den Mittelpunkt zu stellen. Ich halte es eigentlich für ganz logisch, dass man erst nach der Betrachtung die Analyse vornimmt, die dann die Folgerungen nach sich zieht.
Lassen Sie mich abschließend noch einen Gedanken hinzufügen, der eigentlich zu diesem Thema gehört, nämlich die Frage, ob das Geschäftsmodell, über das wir uns hier unterhalten, eigentlich eine richtige Entwicklung ist. Es wäre doch eigentlich viel besser, wenn wir Arbeit, Wohnen und Freizeit dichter im Umfeld beieinander hätten, statt dass sich unsere Gesellschaft immer mehr dahin entwickelt, dass Dinge über Hunderte von Kilometern transportiert und gefahren werden.