Protocol of the Session on June 19, 2019

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(Vereinzelter Beifall FDP)

Es reicht aber nicht aus, sie nur dafür zu begeistern. Wir müssen sie auch erfolgreich ausbilden - ein Ziel, welches durch die erschreckend hohen Abbrecherquoten an den Universitäten und Hochschulen leider zu einem Gutteil konterkariert wird.

Um bei dem Thema Mathe und MINT erfolgreich zu sein, reicht es nicht, nur an einer Stellschraube zu drehen. Wir müssen sicherstellen, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Ziel vor Augen haben und auch ihre Maßnahmen aufeinander abstimmen. Wir brauchen einen Mix aus früher Förderung von Mathematik in Kita und Schule, Unterrichtsgestaltung, Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte, außerschulischen Projekten und vorbereitenden Maß

(Anita Klahn)

nahmen vor Aufnahme eines MINT-Studiengangs oder einer MINT-Ausbildung.

Aus diesem Grund war es richtig, dass das Ministerium im letzten September mit allen Beteiligten erarbeitet hat, wie Absolventen der Schule zukünftig besser auf ein Studium im MINT-Bereich vorbereitet werden können. Wenn wir es schaffen, all diese Aktivitäten zu bündeln, sind wir für die Zukunft in Schleswig-Holstein gut ausgerüstet.

Ich möchte gerade an unsere Frauen noch einen Appell richten. Technische Berufe sind gut bezahlt. Sie haben eine geringe Arbeitslosenquote. Wenn wir Frauen verstärkt dort hineinbekommen, reduzieren wir auch den Gender-Pay-Gap.

Noch eines: Eine begeisterte Mathelehrerin, eine begeisternde Mathelehrerin oder Physiklehrerin

(Zuruf SPD)

ist die beste Werbung für den eigenen Beruf. Das sollte unser aller Ziel sein. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Frank Brodehl.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Schüler! Lassen Sie mich, gerade weil wir schon viel zur Begabtenförderung bei MINT gehört haben, vor allen Dingen einen Akzent auf den Mathematikunterricht legen.

Vielen Dank von unserer Seite auch für den Bericht zur Weiterentwicklung des Mathematikunterrichts und für den Masterplan Mathematik. Gerade letzterer bietet eine wirklich fundierte Gesamtdarstellung des Unterrichts an unseren Schulen. Der Status quo wird sehr differenziert dargestellt. In den Konsequenzen, also in der Frage, wie Mathematikunterricht mehr Schüler begeistern, anstecken kann, bleibt er eher mager. Im Wesentlichen schlagen Sie zwei Verbesserungen vor: in der Lehreraus- und -weiterbildung und zusätzliche Mathestunden in den Bereichen Grundschule und Gymnasium. Beides findet ohne jeden Abstrich unsere volle Unterstützung. Eine richtige Schwerpunktsetzung, ein Masterplan, sollte allerdings anders aussehen.

Im Antrag der Jamaika-Koalition wird dieser Aspekt aufgenommen. Auch hier ist davon die Rede, bestimmte Schwerpunkte zu berücksichtigen. So

weit, so gut. Inhaltlich zeigt der Antrag aus meiner Sicht allerdings auch unfreiwillig auf, wie weit einige Kollegen dieses Hauses von der tatsächlichen Schulrealität schon entfernt sind. Es beginnt schon mit der Überschrift: „Spaß an Mathematik“.

(Zuruf Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Abgesehen davon, dass das eine anbiedernde, kindische Überschrift ist, ist sie schlicht falsch: In der Schule geht es nicht darum, Spaß an irgendetwas zu haben. Spaß ist eben nicht nachhaltig.

(Zuruf Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn ich aber bereit bin - hören Sie zu, dann können Sie etwas lernen -, Kraft, Zeit und Anstrengung zu investieren, stellt sich in aller Regel auch ein Zufriedenheitsgefühl ein, dann stellt sich im Wiederholungsfall über ein gelöstes Problem sogar so etwas wie Freude oder Begeisterung ein, und das muss unser Ziel sein, Schüler genau damit anzustecken.

(Beifall AfD)

Nur einmal in Klammern: Jedes Kokettieren damit, dass man schließlich in Mathe vielleicht auch selber seine Schwierigkeiten hatte oder vielleicht Dinge lernen müsse, die man im Leben weniger braucht, ist absolut fehl am Platz. So etwas mag witzig gemeint sein, ist aber kein Vorbild - Klammer zu.

Jetzt komme ich inhaltlich auf den Antrag zu sprechen: Die Antragsteller fordern die Entwicklung spielerischer Konzepte zur Frühförderung. Frau Röttger, Frau Strehlau und Frau Klahn, Sie sprechen etwas wirklich Entscheidendes an, einen wichtigen Aspekt, und zwar den, dass das Begreifen von Zahlen, von Mengen, von Aufgaben in der Tat etwas mit Greifen zu tun hat. Kinder, die nicht viele hundert Mal mittels Wasserbechern in der Badewanne ungleich und gleich hergestellt haben, werden später immer Schwierigkeiten haben, eine Gleichung aufzustellen. Kinder, die nicht rückwärts laufen können - das ist bekannt -, haben Schwierigkeiten beim Subtrahieren. Kinder, die Zahlen nicht mühelos zerlegen können, werden keine Zahlenprodukte in einem Bruch erkennen können. Wenn diese grundlegenden Erfahrungen nicht nachgeholt werden, dann ist eben das Resultat laut TIMSS-Studie, dass 23 % aller Viertklässler den Anschluss im Fach Mathematik verloren haben.

Das wäre vermeidbar gewesen, etwa durch Mathematik-Intensivkurse, wie sie von einzelnen Förderzentren für Grundschüler durchgeführt werden.

(Anita Klahn)

Auffällig leistungsschwache Zweitklässler werden hier für eine bestimmte Zeit, meist vier Monate, getrennt von ihrer eigentlichen Klasse in Kleingruppen von maximal acht Schülern in einem Aufbauprogramm gefördert, in dem in der Hauptsache die eben von mir angedeuteten Grundkompetenzen trainiert werden. Man könnte so gesehen auch tatsächlich von einer nachgeholten Vorschulförderung sprechen. Überall da, wo diese Intensivkurse durchgeführt werden, sind sie überaus erfolgreich. Wir benötigen also keine weiteren Konzepte in der Frühförderung.

Das Gleiche gilt auch für das Thema Ausgangsdiagnostik. Beides ist längst vorhanden. Uns sollte jetzt wichtig sein, dass beides in die Fläche kommt. Denn es kann ja nicht vom Wohnort eines Schülers abhängen, der am Anfang massive Mathematikschwierigkeiten hat, ob ihm nun adäquat geholfen wird. Erwähnt worden ist in diesem Zusammenhang das Programm „Niemanden zurücklassen“. Es ist wichtig, ohne jeden Abstrich, aber die Zahlen der TIMSS-Studie zeigen auch: Es ist nicht ausreichend.

Die Jamaika-Antragsteller wünschen sich außerdem die Berücksichtigung des Transfers aus Wissenschaft und Forschung in die Praxis. Auch hier gilt: Dieser findet doch statt, solange man ihn eben nur zulässt. Professor Köller vom Kieler IPN, der seinerzeit die Hamburger Expertenkommission geleitet hat und den man auch explizit um seine Lagebeurteilung des Mathematikunterrichts gebeten hat, bringt eine ganz entscheidende Sache auf den Punkt. Er verweist auf die enormen Leistungsunterschiede zwischen Gemeinschaftsschülern und Gymnasiasten am Ende der zehnten Klasse. Auf grundlegendem Niveau entspricht der Rückstand von Gemeinschaftsschülern etwa drei Jahre, auf erhöhtem Anforderungsniveau noch immer einem halben Jahr. Das sind Zahlen, die uns bewegen müssen, die wir so nicht hinnehmen können. Die Unterschiede sind da, und sie sind erheblich, und zwar klar zum Nachteil der Gemeinschaftsschüler. Meine Damen und Herren aus Jamaika, der Transfer bestünde nun darin, endlich wieder leistungshomogene Klassen an Gemeinschaftsschulen zuzulassen, auch deshalb und gerade, um leistungsstärkere Jugendliche besser auf die Berufsschule oder auf die gymnasiale Oberstufe vorzubereiten.

(Beifall AfD)

Genau das haben wir vor einem Monat hier gefordert, genau das haben alle anderen Parteien abgelehnt, die heute eben mehr Transfer aus der Wissenschaft in die Praxis beantragen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang abschließend noch etwas zu den begabten und leistungsfähigen Schülern sagen: Wir werden dieser Gruppe nicht gerecht, wenn die Bildungsgänge weiterhin auf mehr Gleichheit angelegt sind. Vielmehr muss dem Leistungsprinzip wieder mehr Gewicht eingeräumt werden. Wer auf Krampf oder wegen seines Koalitionspartners beides versucht, wird zwar viele Konzepte entwickeln, die aber in ihrer Umsetzung höchstens Mittelmaß produzieren werden.

(Beifall AfD)

Wenn wir die Mathematikkompetenz unserer Schüler wirklich stärken wollen, müssen wir Schwerpunkte benennen. Für uns sind dies a) ein flächendeckendes Angebot von Intensivförderprogrammen im Grundschulbereich und b) Lernen in leistungsdifferenzierten Klassen und Kursen, besonders für Gemeinschaftsschüler, die bislang eben häufig hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Das Gebot der Stunde lautet also: intensiver am Anfang, differenzierter am Ende.

Wenn Sie sich nicht mit der Entwicklung immer neuer Konzepte zufriedengeben wollen, dann bitte ich um die Überweisung sowohl des Jamaika-Antrags als auch unseres Alternativantrags in den Bildungsausschuss. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Mit Freude und auch viel Spaß kündige ich jetzt die nächste Rednerin an. Das ist die Kollegin Jette Waldinger-Thiering für die Abgeordneten des SSW.

Kære landdagspræsident, tusind tak! Wer keinen Spaß am Unterricht oder am Leben hat, der hat irgendetwas verkehrt gemacht, denn ohne Spaß funktioniert die ganze Welt nicht.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

So lange ist es ja noch gar nicht her, dass ich Lehrerin war. Ich erinnere mich nur zu gut, wie sehr vor allem der Mathematikunterricht bei den Schülerinnen und Schülern für Frust gesorgt hat. Deswegen finde ich den Ansatz des Koalitionsantrags, Spaß am Mathematikunterricht zu schaffen, auch gar nicht so verkehrt. Mit dem Masterplan Mathematik hat Ministerin Prien ja einen dazugehörigen ZehnPunkte-Katalog vorgestellt. Einen starken Fokus

(Dr. Frank Brodehl)

auf Wettkämpfe hätten wir als SSW wohl nicht gesetzt. Das ist für uns doch zu sehr geprägt von Wettbewerbsdenken und Konkurrenzverhalten. Aber dem Programm „Niemanden zurücklassen/Lesen macht stark - Mathe macht stark“ rechnen auch wir einen sehr großen Erfolg bei der Unterstützung mathematikschwacher Schülerinnen und Schüler zu. Dank dem Titellied vom „Schloss Einstein“, einer deutschen Kinderserie, hält sich bei uns ja hartnäckig der Bildungsmythos, Albert Einstein sei schlecht in Mathe gewesen und dann trotzdem ein herausragender Wissenschaftler geworden. Das war nicht so, und wir wissen, wie demotivierend und frustrierend es ist, wenn man erst einmal im Stoff hinterherhinkt. Hier präventiv anzusetzen und Rechenschwächen früh zu erkennen, ist der richtige Weg. „Niemanden zurücklassen“ sollte daher unbedingt gestärkt und auf weitere Schulen, insbesondere die Grundschulen und Sekundarstufe I, ausgeweitet werden.

Wir finden es außerdem besonders wichtig, dass unsere fachfremd unterrichtenden Lehrkräfte weitergebildet werden. Im Bericht der Landesregierung zur Weiterentwicklung des Matheunterrichts steht bei den Weiterbildungsmaßnahmen der abschließende Satz, dass geprüft werde, ob diese Maßnahmen für Lehrkräfte an Gemeinschaftsschulen und Förderzentren ausgeweitet werden müssen. Mit allen uns vorliegenden Konzepten, Berichten und auch Masterplänen und dem unübersehbaren Mangel an Mathematik-Fachlehrkräften würde ich denken: Ja, das wäre richtig und wichtig. Nicht nur für Mathe müssen wir unsere Schülerinnen und Schüler begeistern. Auch in den restlichen MINT-Fächern ist noch Luft nach oben. Denn nach wie vor hören wir aus der Wirtschaft, dass es an Absolventen und besonders Absolventinnen der technischen Studiengänge mangelt. Es ist klar, dass es hier nicht die eine Stellschraube gibt, an der wir drehen können und zuverlässig schnell großes Interesse wecken.

Aber um Mädchen an technische und naturwissenschaftliche Berufe heranzuführen, kann es helfen, Vorbilder besser sichtbar zu machen. Damit wären wir wieder bei Albert Einstein, beziehungsweise bei seiner ersten Frau: Mileva Marić-Einstein, eine der ersten Frauen, die ein Mathematik- und Physikstudium absolvierten, Einsteins Kommilitonin, über deren Anteil an Einsteins Arbeiten aufgrund von Aufzeichnungen und Briefwechseln zwischen den beiden bis heute spekuliert wird. Es gab und gibt enorm erfolgreiche Frauen in den Naturwissenschaften. Denken wir an Marie Curie, die Physikerin und Chemikerin, die die chemischen Elemente Polonium und Radium entdeckt hat, oder, wenn Sie

nur wenige Monate zurückdenken, Dr. Katie Bouman, die 29-jährige Informatikerin, die den Algorithmus entwickelt hat, der das erste Foto eines Schwarzen Lochs möglich gemacht hat.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Katja Rathje-Hoff- mann [CDU])

Im Medizinstudium können wir schon Veränderungen beobachten. Der Frauenanteil hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht: 61 % sind es bundesweit in der Humanmedizin. Genauso brauchen wir aber auch Ingenieurinnen und Programmiererinnen. Stereotype haben immer große Auswirkungen, denn sie entscheiden mit darüber, ob Mädchen sich selbst richtig einschätzen oder generell davon ausgehen, dass sie schlecht in Mathe sind. Sie beeinflussen, ob sie von Lehrkräften und Eltern überhaupt ermutigt werden, ein Studium in diesen Bereichen in Betracht zu ziehen. Vorbilder zeigen uns hingegen, dass wir es schaffen können.

Abschließend möchte ich nur noch festhalten, dass wir das Anliegen von Martin Habersaat absolut berechtigt finden.

(Martin Habersaat [SPD]: Vielen Dank! Sehr vernünftig! Große Freude! - Beifall SPD)

- Große Freude und auch Spaß daran, denn besonders begabte Schülerinnen und Schüler gibt es nicht nur an den Gymnasien. Unsere Gemeinschaftsschulen dürfen hier nicht vernachlässigt werden. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir alle unseren Kinder und Jugendlichen die gleiche Chance geben, eine erfolgreiche Ausbildung und Bildung zu bekommen. Insofern werden wir dem SPD-Antrag natürlich zustimmen.

(Martin Habersaat [SPD]: Mange tak! - Bei- fall SPD)