Protocol of the Session on June 19, 2019

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Die Kollegin Ünsal hat die Chance, darauf zu reagieren. Ich erteile ihr jetzt für die SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Ich muss natürlich schon ein bisschen schmunzeln; ich komme gleich näher dazu.

Wenn wir in Deutschland und EU-weit gucken, sehen wir, dass inzwischen Zehntausende Menschen auf die Straße gehen, um sich der Spekulation mit Wohnraum entgegenzustellen. Bundesweit fühlen sich Mieterinnen und Mieter durch Wohnungsknappheit und starke Mietpreissteigerungen in ihrem Grundrecht des Wohnens bedroht. Das kann man nicht leugnen. Viele von ihnen erfahren die Folgen von Verkauf, Spekulation, Sanierungs- oder Modernisierungsmaßnahmen - das können Sie täglich der Presse entnehmen - bitter am eigenen Leib. Mieten und Immobilienpreise steigen weiter an, Menschen werden immer mehr von Wohnkosten überlastet, aus zentralen Quartieren in die Periphe

rie verdrängt und im schlimmsten Fall sogar wohnungslos.

Unsere Städte sind attraktiv, Grund und Boden aber nur begrenzt vorhanden. Seit den 80er-Jahren haben sich Bund, Länder und Kommunen systematisch aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen und die öffentliche Förderung von Wohnungsbau deutlich zurückgefahren. Darin sind wir uns einig. Aus heutiger Sicht ein gravierender Fehler - übrigens einer, den nicht nur Sozialdemokraten zu verantworten haben, sondern fraktionsübergreifend alle; informell höre ich das durchaus auch von Ihnen - für die Daseinsvorsorge und die betroffenen Menschen. Weder der private Investor noch der Markt allein regelt es. Wohnen ist eben kein ausschließliches Wirtschaftsgut, sondern ein Sozialgut und ein Menschenrecht.

Wohnen trifft die Menschen unmittelbar in ihrer Existenzgrundlage. Wenn dieses Grundrecht nicht mehr sichergestellt wird, dann organisieren sich Bürger. Das erleben wir in Schleswig-Holstein genauso wie in Berlin und anderswo. Der Sozialverband und der Deutsche Mieterbund haben hierzu im vergangenen Jahr - das hat Herr Lehnert ausgeführt - eine landesweite Volksinitiative für die Aufnahme von bezahlbarem Wohnraum in die Landesverfassung gestartet. Wir als schleswig-holsteinische SPD unterstützen seit Anbeginn diese Initiative, zu deren Kernpunkten ich gern kommen möchte.

Kernpunkt ist ein in der Landesverfassung verankertes Recht auf eine angemessene, bezahlbare Wohnung. Es geht um den Bau von geförderten sowie barrierefreien Wohnungen, die Nachbesserung der Mietpreisbremse, die Neugründung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften mit Landesmitteln sowie ein Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum.

Auch einen frühzeitigen Vorstoß in Richtung Gesetzesinitiative haben wir bereits im vergangenen Jahr in den Landtag eingebracht. Neben vielfältigen Instrumenten der Wohnraumförderung brauchen wir diesen wirksamen rechtlichen Rahmen - davon bin ich fest überzeugt -, damit es auf dem Wohnungsmarkt fairer zugeht; das tut es bisher nämlich nicht. Wohnraummangel ist die große soziale Frage unserer Zeit. Wer könnte das noch verhehlen!

An Vorschlägen, wie dem begegnet werden kann, mangelt es uns Sozialdemokraten definitiv nicht, Kollege Lehnert. Wir brauchen nicht nur auf Bundes- und kommunaler Ebene, sondern auch im Land eine proaktive Wohnungsmarktpolitik, die die Betroffenen abholt und nicht verzweifeln lässt.

(Peter Lehnert)

Heute stehen nun endlich die Entscheidung über die Zulässigkeit und die erste Lesung des Gesetzesentwurfs der Volksinitiative für bezahlbaren Wohnraum auf der Tagesordnung. Es sind fast 40.000 um es genau zu sagen: 39.311 - Unterschriften gesammelt und dem Landtagspräsidenten übergeben worden. 32.462 Unterschriften sind nach der Stimmberechtigungsprüfung zulässig. Damit ist das notwendige Quorum von 20.000 Unterschriften deutlich - um mehr als 170 % - übertroffen. Kiel 7.031 Unterschriften, Rendsburg-Eckernförde 3.636, Nordfriesland 3.312, Schleswig-Flensburg 2.785, so setzt sich die Liste kontinuierlich fort.

Die hohe Beteiligung der Schleswig-Holsteiner zeigt uns einmal mehr, dass bezahlbares Wohnen auch in Schleswig-Holstein eine der drängendsten Fragen bleibt. Auch die Grünen haben im vergangenen Jahr erklärt, die Volksinitiative von Mieterbund und Sozialverband zu unterstützen. Ich nehme gern noch einmal das Zitat der Grünen auf: Guter und bezahlbarer Wohnraum wächst eben nicht auf Bäumen. Wohnen ist Teil der Daseinsvorsorge und kein Luxus. Wir setzen uns für funktionierende Regelungen zur Begrenzung des Mietanstiegs und die Stärkung des sozialen Wohnungsbaus ein. Deswegen unterstützen wir die Volksinitiative.

So heißt es bei den Grünen, auch wenn wir von diesem Bekenntnis hier im Landtag bisher noch nicht wirklich stringent Anteil nehmen konnten.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir waren ja auch noch gar nicht dran!)

Konsequente Ablehnung aller Initiativen zu unseren Kernforderungen: Gründung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften abgelehnt, Stärkung der Mietpreisbremse und Kappungsgrenzenverordnung abgelehnt, Schaffung inklusiver und innovativer Wohnprojekte abgelehnt, Instrumente zum Wohnraumschutzgesetz für unsere Kommunen abgelehnt. Ein klares Bekenntnis und eine Aufbruchstimmung sehen definitiv anders aus, Herr Lehnert.

Vielleicht kommt ja noch das Bekenntnis und der Gesetzentwurf erhält zumindest in der zweiten Lesung Ihre volle Zustimmung. Sowohl die unterzeichnenden Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner als auch wir erwarten endlich eine klare Aussage dazu, wo Sie stehen. Glauben Sie etwa nach einem Jahr intensiver Debatte und bei fast 40.000 Unterschriften in Schleswig-Holstein immer noch ernsthaft, dass sich allein die Regelungskräfte des freien Marktes durchsetzen und

den Druck entschärfen? Wachen Sie endlich auf! Es ist höchste Zeit zu handeln.

Denken Sie an Ihre Redezeit.

Mein letzter Satz. - Die Landesregierung muss durch eine strategische Wohnungsmarkt- und Förderpolitik endlich dafür Sorge tragen, dass eine soziale Spaltung verhindert wird. Packen wir es gemeinsam an und geben ein klares Signal in Richtung Volksinitiative! - Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD)

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Dr. Andreas Tietze das Wort.

Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Gäste! Liebe Frau Ünsal! Meine Damen und Herren! Es liegt daran, dass ich immer nach Ihnen rede, noch.

(Heiterkeit und Zurufe)

Deshalb können Sie unsere Position zur Volksinitiative erst jetzt zur Kenntnis nehmen. Die Volksinitiative ist mir und meiner Fraktion von Grund auf sympathisch, das Recht auf angemessene Wohnung, auf bezahlbaren Wohnraum, auf Schutz des Mieters vor Räumung. Sie liegt ursächlich - Sie haben es gesagt - in einer zunehmend um sich greifenden Wohnungsnot verbunden mit unangemessenen hohem Mietzins in den großen Städten und steht für den berechtigten Wunsch, auch für die Empörung und klare Forderung: Darum soll sich der Staat kümmern.

Liebe Initiatoren der Volksinitiative, es erfährt von meiner Fraktion große Wertschätzung und Achtung, dass Sie sich darum gekümmert haben, dass Sie sich auf den Weg gemacht haben, von den Menschen Unterschriften zu gewinnen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das aufkommende innerliche Bild ist für mich gut zu verstehen. Ich darf aber auch darauf hinweisen: Ohne verfassungsmäßigen Schutz sind die sozialen Menschenrechte in Deutschland nicht. Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip sind in unse

(Özlem Ünsal)

rem Grundgesetz verankert. Für die Politik von uns Grünen ist das ein Regelungs- und Gestaltungsauftrag.

Deshalb steht die berechtigte Frage im Raum: Braucht es dafür eine Verfassungsänderung auf Landesebene? Kann dieses drängende Problem dadurch gelöst werden? Ist das die richtige Adresse? Für uns viel wichtiger: Wird mit der Verfassungsänderung die prekäre Situation, hervorgerufen durch den Wohnraummangel, beseitigt?

Wir haben Sorge, dass Frustrationen entstehen, dass eine Forderung in die Verfassung aufgenommen wird, die als Individualrecht nicht einklagbar ist. Ich weise darauf hin: Das Recht auf Wohnung gibt es als Staatsziel in verschiedenen Landesverfassungen. Nun bin ich kein Verfassungsjurist. In Bayern zum Beispiel steht in der Verfassung:

„Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung.“

Schauen Sie sich einmal den Wohnraummarkt rund um München-Stadt an. Dieser Satz steht zwar in der Verfassung, aber in Bayern haben die Menschen, die bezahlbaren Wohnraum suchen, genau dasselbe Problem wie Menschen in Schleswig-Holstein.

Es gibt auch andere Staatszielbestimmungen in Regelwerken. Juristen sagen, man solle eine Verfassung nicht überladen.

Das Recht auf angemessenen Lebensstandard ist übrigens auch in dem Right to Adequate Housing in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert. Das Thema ist auch in der UNKonvention, also im Bereich des Menschenschutzes, als objektives Ziel vorhanden.

Das fordern Sie. Sie fordern ein objektives Ziel in unserer Landesverfassung. Das subjektive Ziel lässt sich daraus aber eben nicht konkret ableiten, weil es nicht einklagbar ist.

Deshalb setzen wir Grüne auf politische Lösungen wie zum Beispiel Erhöhung des Wohngeldes, Ankauf von Belegrechten, Stärkung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Wir wollen auch Anreize für Programme schaffen, beispielsweise den Dachgeschossausbau hier in Kiel.

Es geht sogar noch weiter: Die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im Deutschen Bundestag einen gemeinsamen Antrag mit der Fraktion DIE LINKE eine Änderung des Grundgesetzes eingereicht. Ich darf den Satz zitieren, den wir auch als individuell einklagbares Recht vor unserem Verfassungsgericht in Karlsruhe im

Grundgesetz haben wollen. Wir haben vorgeschlagen, Folgendes aufzunehmen:

„Jeder Mensch hat das Recht auf eine menschenwürdige und diskriminierungsfrei zugängliche Wohnung und auf Versorgung mit Wasser und Energie.“

Für mich ist es auch ein Skandal, dass heute

(Zuruf Wolfgang Baasch [SPD])

junge Familien oder Alleinerziehende aus einer Wohnung herausgeklagt werden, weil sie Strom oder Wasser nicht bezahlen können.

(Zurufe SPD)

Das ist für mich ein Skandal. Für mich gehört zum Schutz der Wohnung, dass Energie und Wasser Menschenrechte sind.

(Zurufe SPD)

Wir wollen die Forderung gern aufgreifen, denn wir wissen, dass das die Menschen wirklich beschäftigt. Sie haben auch im Bereich der verfassungsmäßigen Unterstützung alle Rechte.

Wir haben hier in diesem Haus im Koalitionsvertrag keine Vereinbarung dazu. Das ist so, das ist eine Realität, der wir Grüne uns stellen. Es ist unterstützenswert, dass meine Partei Bürgerinnen und Bürger zivilgesellschaftlich unterstützt. Das ist Basisdemokratie pur. Wir waren es, die gerade die Quoren für die Volksinitiative gesenkt haben. Deshalb sage ich ausdrücklich: Es wäre ein starkes Signal für Schleswig-Holstein, wenn Bürgerinnen und Bürger endlich einmal so viele Unterschriften sammelten, dass das zu einer Verfassungsänderung führt. Warum eigentlich nicht? Wir haben dieses Recht eingeräumt. Dieses Recht haben Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein. Deshalb mache ich Mut, dass Sie dieses Ansinnen weitertragen. Wir werden mit Ihnen auch noch sprechen. Wir werden möglicherweise Argumente finden, um in der Koalition eine Lösung zu finden.

Schauen Sie einmal auf die Uhr!

Vielen Dank, Herr Präsident! Aber wenn wir sie nicht finden sollten, möchte ich sagen: Werden Sie nicht politikverdrossen! Wir müssen gemeinsam für diese Rechte streiten.