Protokoll der Sitzung vom 30.10.2020

Eine Opposition muss sich gut überlegen, ob sie so weitreichenden Maßnahmen zustimmt, und Sie können sich sicher sein, das haben wir getan. Wir sind als Opposition bereit, Jamaika die Hand zu reichen, denn jetzt steht die Bewältigung der Krise im Vordergrund. Wir stehen zu unserer Verantwortung für Schleswig-Holstein.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Aber für uns war auch klar: Wir gehen mit eigenen Vorschlägen in die Gespräche, denn angesichts der gewaltigen Kreditaufnahme kann es nicht nur darum gehen, kurzfristig Haushaltslöcher zu stopfen. Schleswig-Holstein muss nach unserer Auffassung von dem Finanzpaket langfristig und nachhaltig profitieren, und diesem Anspruch wurde der Vorschlag der Landesregierung nach unserer Auffassung nicht gerecht.

In den Verhandlungen standen für uns deshalb drei Kriterien im Fokus:

Erstens. Unser Anspruch, dass Schleswig-Holstein durch dieses Programm einen Schritt in eine solidarische Zukunft macht.

Zweitens. Wir wollten für nachhaltiges Wachstum sorgen und dabei die Erkenntnisse aus der aktuellen Krise unmittelbar einbeziehen.

Drittens. Wir nehmen - wie schon seit mehreren Monaten - diejenigen in den Blick, die es besonders schwer hatten oder noch haben.

Wir freuen uns, dass es gelungen ist, sich hier auf wichtige Punkte zu einigen: Durch die Aufstockung der bislang vorgesehenen Hilfen für die Kommunen stehen in den kommenden drei Jahren insgesamt 120 Millionen € für ein schlagkräftiges Schulbauprogramm bereit, denn da gibt es noch viel Nachholbedarf.

(Vereinzelter Beifall SPD und Beifall Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das IMPULS-Schulbauprogramm der Landesregierung war mehrfach überzeichnet, und damals haben wir noch nicht einmal an pandemiebedingte Umbaumaßnahmen gedacht. Wir stellen noch einmal 14 Millionen € zur Verfügung, damit jedes Kind, das es braucht, einen Laptop oder ein Tablet für den Unterricht bekommt. Schade, dass die Koalitionsfraktionen sich immer noch nicht dazu durchringen

(Ole-Christopher Plambeck)

konnten, die Kommunen vom Eigenanteil beim Digitalpakt zu befreien,

(Beifall SPD)

aber, Herr Ministerpräsident, wir helfen Ihnen gern, so Ihr Versprechen zu halten, allen Schülerinnen und Schülern in Schleswig-Holstein bis 2022 ein Gerät zur Verfügung zu stellen. Ihre Koalition hatte leider nicht daran gedacht, aber der Bund und wir unterstützen da gern.

Damit die Innenstädte in unserem Land auch nach der Krise noch attraktive, lebendige Zentren sind, legen wir einen Entwicklungsfonds in Höhe von 10 Millionen € auf. Ab 2021 sollen aus diesem Fonds Fördermittel fließen für Innenstädte und Ortszentren zur Umsetzung des Programms „Neue Perspektive Wohnen“. Ziel ist es, neue Konzepte und Ideen zu entwickeln für Wohnen und Arbeiten im Zentrum, kinder- und familienfreundlich und barrierefrei. Darum wird auch der Fonds für Barrierefreiheit um weitere 5 Millionen € aufgestockt.

Wir konnten uns mit der Regierung über zusätzliche Investitionen in die soziale Infrastruktur verständigen: Die Krankenhäuser haben nach den Verhandlungen insgesamt 128 Millionen € mehr zur Verfügung. Damit sichern wir die Gesundheitsversorgung in der Fläche, coronabedingte Umbauten und auch die Kofinanzierung der Bundesprogramme.

Im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus sowie des studentischen Wohnens werden ab 2021 insgesamt 60 Millionen € in vier Tranchen zu je 15 Millionen € für nicht rückzahlbare Zuschüsse bereitgestellt. Die werden dafür sorgen, dass der Wohnungsbau in Schleswig-Holstein ordentlich in Schwung kommt. Rund 10 Millionen €, darüber haben wir gestern bereits lang und breit diskutiert, stellen wir für den Ausbau von solitären Kurzzeitpflegeplätzen zur Verfügung.

Last but not least war es uns wichtig, Nachbesserungen am bestehenden Landesnothilfeprogramm durchzusetzen. Innerhalb des Mittelstandsicherungsfonds werden 15 Millionen € zugunsten branchenübergreifender Stabilisierungsmaßnahmen umgeschichtet. Zudem werden 5 Millionen € aus dem Darlehensprogramm in den MBG-Härtefallfonds Mittelstand umgeschichtet. Damit können dann zusätzliche Beteiligungen zur Stabilisierung der schleswig-holsteinischen Wirtschaft erworben werden.

Ferner werden die Stornokosten für alle Klassenfahrten übernommen, die bis zum 13. März 2020 gebucht wurden, und das Unterstützungsprogramm

für die Schaustellerbetriebe wird bis zum 30. Juni 2021 verlängert. Im Rahmen der bereits aufgelegten Corona-Nothilfe haben wir rund 42 Millionen € für neue Maßnahmen umgeschichtet. Meiner Fraktion waren dabei besonders wichtig: 15 Millionen € zur Errichtung eines Fonds für Digitalisierungsmaßnahmen im Bereich der sozialen Infrastruktur, der Kultur und des Sports.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Was nützen die schönen Breitbandanschlüsse, wenn am Anschluss kein Gerät hängt! Und 1,5 Millionen € für die Aufstockung des Programms zur Förderung der dualen Ausbildung, also zur Übernahme von Auszubildenden aus Betrieben, die der Coronapandemie nicht standhalten.

Jetzt liegt also ein gemeinsamer Vorschlag auf dem Tisch, der dafür sorgt, dass unsere Kommunen deutlich besser dastehen als nach dem ersten Vorschlag. Wir haben nicht alles erreicht, was wir uns gewünscht hätten, aber das Ergebnis wird für viele Menschen im Land einen echten Unterschied machen. Dieser gemeinsame Antrag ist auch ein Paradebeispiel dafür, dass wir als Parlament an der Gestaltung der Krisenbewältigung in unserem Land selbstbewusst mitwirken. Darauf können wir alle ein bisschen stolz sein.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir übernehmen gemeinsam Verantwortung, damit unser Land und die Menschen, die hier leben, die Krise gut überstehen. Mit einer Zweidrittelmehrheit einen solchen Haushalt zu beschließen, das gab es in der Geschichte unseres Landes in dieser Form noch nie. Gut, dass unsere Verfassung dieses Verfahren so vorsieht, denn es nimmt uns alle in die Pflicht, Regierung und Opposition. Das ist auch im Ländervergleich etwas ganz Besonderes.

Ein Ziel, auf das wir uns bei den Gesprächen über den Nachtragshaushalt verständigt haben, ist, den unvermeidbaren Einsparpfad durch die pandemiebedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben abzufedern. Nach der letzten Steuerschätzung fehlen dem Land in den nächsten Jahren Einnahmen in Millionenhöhe. Dafür erteilen wir der Landesregierung jetzt eine Kreditermächtigung.

Dass wir in diesem Jahr auf einen Schlag eine derart große Summe einplanen, liegt an der Logik der Schuldenbremse. In diesem Jahr dürfen wir vorsorgen, im kommenden Jahr dürften wir es vielleicht auch noch, wenn ich die Pressemitteilung des Stabilitätsrats richtig interpretiere - seit gestern wissen

(Beate Raudies)

wir, dass wir das vielleicht dürfen -, aber ab 2022 wohl nicht mehr. Natürlich wissen wir heute noch nicht, ob wir die gesamte Summe tatsächlich benötigen oder ob sie vielleicht zu gering ist. Über die Konstruktion der Schuldenbremse wird zu sprechen sein, wenn die Krise bewältigt ist.

Für uns ist aber auch klar: Gegen die enormen Einnahmeausfälle - 2021 fehlen laut Steuerschätzung vom September mehr als 750 Millionen €, dazu hat Herr Koch gestern viel gesagt - kann man nicht ansparen, schon gar nicht von heute auf morgen. Forderungen nach Einstellungsstopps oder Haushaltssperre erteilen wir eine klare Absage.

(Beifall SPD, Ole-Christopher Plambeck [CDU] und Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir müssen die Wirtschaft stützen, Investitionen finanzieren und besonders Betroffenen Unterstützung geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 5,5 Milliarden € sind eine enorm große Summe, die uns noch lange begleiten wird. Die Verschuldung des Landes erhöht sich signifikant. Die Menschen in SchleswigHolstein müssen diese Schulden über 40 Jahre zurückzahlen. Die Tilgung wird unsere künftigen Haushalte belasten und unsere Möglichkeiten einschränken. Über Zinsen reden wir im Moment zum Glück nicht, aber auch das wird sich innerhalb der nächsten 40 Jahre vermutlich ändern.

Unseren mit großer Sorgfalt erarbeiteten Schuldentilgungsplan können wir - ich bitte um Nachsicht für die rüde Formulierung - in die Tonne treten. Dennoch, in der ausführlichen Anhörung zum Schuldentilgungsplan haben wir alle viel gelernt. Irgendwie haben wir jetzt auch einen neuen Plan, zumindest für die Kreditaufnahme, die wir heute beschließen.

Wir werden künftig alle gut daran tun, bei jeder Ausgabe sorgfältig zu prüfen, ob sie wirklich erforderlich ist. Der erste Blick in den Haushaltsentwurf 2021 lässt zumindest den Eindruck zu, dass die Landesregierung dieses Prinzip bei der Aufstellung beachtet hat. Viele Titel wurden überrollt, es findet sich neben den auch mithilfe der Notkredite finanzierten Projekten nur wenig Neues.

Bis zur Beschlussfassung im Februar 2021 werden sich diese Zahlen sicher noch mehrfach ändern, und zwar nicht nur durch unsere Entscheidungen, sondern auch durch die Entwicklung der Pandemie. So erfordern die vorgestern beschlossenen Maßnahmen sicherlich neue finanzielle Mittel, zumal wir immer

noch Nachsteuerungsbedarf sehen, etwa in der Kultur- und Veranstaltungsbranche. Wenn es zusätzliche Mittel braucht für eine Kofinanzierung der neuen Bundesprogramme oder gegebenenfalls landeseigene Ergänzungen, werden sie unsere Unterstützung finden.

Ich persönlich bin nach wie vor dafür, im besonders notleidenden Kultur- und Veranstaltungsbereich, vor allem bei Solokünstlerinnen und Solokünstlern, mit Direktzahlungen zu helfen; sie brauchen das dringend.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

- Ich freue mich, dass so viele diese persönliche Einschätzung teilen.

Damit hier kein falscher Eindruck aufkommt: Eine der wichtigsten Herausforderungen der Zukunft wird sein - das macht die Krise deutlich -, die dauerhafte Stärkung der Solidargemeinschaften und der sozialen Systeme zu erreichen. Hier nenne ich an erster Stelle die Bürgerversicherung. Schade, dass sich die Koalition immer noch nicht dazu durchringen kann, in Schleswig-Holstein wenigstens eine pauschale Beihilfe für unsere Beamtinnen und Beamten einzuführen. Aber auch die Idee, die Künstlersozialkasse so weiterzuentwickeln, dass sie künftig Kurzarbeitergeld zahlen kann, finde ich prüfenswert.

Wir begrüßen ausdrücklich die beschlossene Entschädigungsregelung für von den temporären Schließungen betroffene Unternehmen, Betriebe, Selbstständige, Vereine und Einrichtungen. Für sie wird der Bund eine außerordentliche Wirtschaftshilfe gewähren - in Höhe von 75 % des entsprechenden Umsatzes des Vorjahresmonats für Unternehmen bis 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für größere Unternehmen in gestaffelter Weise. 10 Milliarden € sieht Bundesfinanzminister Olaf Scholz dafür vor. Das ist eine Menge Geld.

Wenn man den sozialen Netzwerken glauben darf, gibt es Überlegungen, von der Monatsbemessungsgrundlage möglicherweise woanders hin zu gucken. Dazu hat es gestern offensichtlich Kommunikation über Twitter gegeben. Wir werden sehen; ich warte sehr zügig auf die Gesetze.

Nicht verstehen kann ich allerdings die Bedenken von Gewerbetreibenden und Selbstständigen, die Angst haben, Hilfen zu beantragen, weil sie Kontrollen und Rückforderungen fürchten. Dazu möchte ich sagen: Wir nehmen hohe Kredite auf, wir verschulden uns auf viele Jahrzehnte, um Wirtschafts

(Beate Raudies)

betrieben zu helfen. Das ist gut, und das muss auch sein. Das ist auch eine Frage der Solidarität. Das tun wir aber auch, damit diese Unternehmen irgendwann wieder Gewinn erwirtschaften und mit ihren Steuern zur Finanzierung des Staates und damit zur Rückzahlung der Schulden beitragen.

Für die Rückzahlung nutzen wir aber auch die Steuern derjenigen, die das Land in der Pandemie am Laufen halten. Ihnen allen sind wir es schuldig, dass wir mit dem Geld sorgsam umgehen. Wir kontrollieren sicher nicht hinter jedem Cent hinterher, aber Missbrauch oder gar Betrug dürfen und werden wir nicht dulden.

(Beifall SPD)

Sonst reichen die gewaltigen Summen nämlich nicht für alle, die es brauchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Coronapandemie erleben wir in diesem Land eine Situation, die noch niemand von uns erlebt hat. Gefragt ist nicht nur die Solidarität in unserer Gesellschaft, sondern auch ein starker und handlungsfähiger Staat. Jetzt ist parlamentarisches Handeln gefragt über die Grenzen aller demokratischen Fraktionen hinweg.

Für uns, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, stehen dabei die Interessen der Menschen im Land im Mittelpunkt. Sie dürfen nicht unter den fiskalischen Auswirkungen einer Krise leiden, für die sie selbst nichts können.