Protokoll der Sitzung vom 27.02.2025

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Alleinerziehende steuerlich entlasten

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 20/2939

Alleinerziehende wirksam entlasten

Alternativantrag der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 20/3000

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Annabell Krämer von der FDP.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Sie alle wissen es: Erwerbstüchtige Alleinerziehende tragen eine immense finanzielle Last. Sie haben einen besonderen Druck, Familie und Beruf zu vereinbaren, und das meistens ohne Hilfe eines Partners. Um sie jährlich zu entlasten, wurde 2020 der jährliche Erstattungsbetrag für das erste Kind von 1.908 Euro um 2.100 Euro auf 4.008 Euro angehoben und danach verstetigt. 2023 wurde der Freibetrag noch mal auf insgesamt 4.260 Euro erhöht. Allerdings wurde der Freibetrag für jedes weitere Kind nicht um 240 Euro erhöht, wie es sich anhört, sondern jedes zweite Kind ist dem Gesetzgeber ausschließlich nur einen Alleinerziehendenfreibetrag, einen Entlastungsbetrag, von 240 Euro wert.

In der letzten Plenartagung haben wir uns intensiv darüber ausgetauscht, dass sich die Erbringung von Arbeitsleistung lohnen muss. Es muss einen Unterschied machen, ob jemand von Sozialleistungen lebt oder zumindest teilweise selbst für seinen Unterhalt sorgt.

(Beifall FDP)

Gerade bei Teilzeitbeschäftigung ist dieser Unterschied oft kaum zu spüren. Alleinerziehende haben selten die Möglichkeit, einer Vollbeschäftigung nachzugehen. Die Doppelbelastung brauche ich hier niemandem zu erklären. Es wird umso schwieriger, je mehr Kinder in einem Haushalt leben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss einen finanziellen Unterschied machen, wenn diese Alleinerziehenden die Anstrengung der Berufstätigkeit auf sich nehmen. Wer durch Arbeit den Bezug von Sozialleistungen vermeidet oder reduziert, verdient mehr als nur ein Schulterklopfen. Er braucht konkrete finanzielle Anreize.

(Beifall FDP)

Da ist eine einfache Erhöhung des Mindestlohns nicht die richtige Lösung.

Der steuerliche Entlastungsfreibetrag liegt seit 2023 unverändert bei 4.260 Euro für das erste Kind und bei lediglich 240 Euro für jedes weitere Kind. Wir fordern deshalb zumindest eine inflationsbereinigte Anpassung. Wir haben mal so gerechnet: Das müsste dann für das erste Kind so ungefähr 4.750 Euro betragen, und auch für jedes weitere Kind – das sollte uns gleich viel wert sein – sollte der Entlas

(Minister Tobias Goldschmidt)

tungsfreibetrag genauso hoch sein wie für das erste Kind und nicht nur 240 Euro.

(Beifall FDP)

In Deutschland ist jede fünfte Familie alleinerziehend. Selbst wenn sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen, haben Alleinerziehende immer noch das höchste Armutsrisiko. Dieses Risiko wächst mit jedem weiteren Kind im Haushalt. Es ist also unser aller Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erhöhen: strukturell, aber auch finanziell.

Darüber hinaus werden auch Alleinerziehende gegenüber Ehepaaren mit Kindern, die vom Ehegattensplitting profitieren, steuerlich schlechter gestellt.

(Beate Raudies [SPD]: Ja, abschaffen!)

Die Lebenshaltungskosten für Alleinerziehende sind prozentual zum Einkommen deutlich höher, da Miete und Nebenkosten sowie Kinderbetreuungskosten und Verpflegung oftmals nur von einem Elternteil aus einem Einkommen finanziert werden müssen.

Der bestehende Entlastungsfreibetrag für Alleinerziehende gleicht die steuerliche Mehrbelastung von Alleinerziehenden nicht mal annähernd aus. Die Konsequenz: Je mehr Kinder im Haushalt leben, desto näher rutschen die erwerbstätigen Alleinerziehenden an die Bürgergeldgrenze. Warum sollten sie dann noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen?

Ich möchte Ihnen einmal anhand von ein paar Zahlenbeispielen verdeutlichen, wie sich unsere Änderung finanziell auswirken würde. Beispiel: Wir gehen mal davon aus, dass diese Alleinerziehenden noch nicht ganz so alt sind, somit in der Tarifstruktur noch nicht so hochgerutscht. Sagen wir mal: vollzeitbeschäftigt, Handwerk, 37.000 Euro Bruttojahresgehalt. Ein Kind: elf Euro mehr monatlich verfügbares Einkommen – beziehungsweise: weniger Steuerlast, aber sagen wir mal, mehr netto in der Tasche.

Bei zwei Kindern wären es bereits 107 Euro, und damit würde sich der Abstand zum Bürgergeld von 435 Euro auf 542 Euro erhöhen. Bei drei Kindern wären es 184 Euro mehr monatlich verfügbares Einkommen, und somit würde sich der Abstand zum Bürgergeld von 241 Euro auf schon 425 Euro erhöhen.

Machen wir jetzt das andere Beispiel auf: alleinerziehend, teilzeitbeschäftigt, 30 Stunden in der Pflege, circa 31.500 Euro Bruttojahresgehalt; wir nehmen mal an, 42.000 Euro bei Vollzeit. Bei ei

nem Kind: zehn Euro monatlich mehr verfügbares Einkommen. Der Abstand zum Bürgergeld erhöht sich von 258 auf 268 Euro. Bei zwei Kindern wären es bereits 95 Euro monatlich mehr verfügbares Einkommen. Der Abstand zum Bürgergeld ist aus meiner Sicht immer noch viel zu gering, aber zumindest etwas: von 162 auf 257 Euro. Bei drei Kindern – da wird es wirklich interessant –: 132 Euro monatlich mehr. Damit erhöht sich der Abstand zum Bürgergeld von minus 33 Euro – also eine Schlechterstellung, es hätte sich eigentlich gar nicht mehr gelohnt, einer Tätigkeit nachzugehen – auf zumindest 100 Euro.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich überfällig, den Entlastungsbetrag insbesondere für Haushalte mit mehr als einem Kind zu erhöhen. Wir sollten da nicht durch die Hintertür ein erweitertes Bürgergeld machen, sondern hier wirklich Leistungsanreize schaffen. Deshalb bitte ich Sie inständig: Stimmen Sie unserem Antrag zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall Dr. Heiner Garg [FDP] und Christian Dirschauer [SSW])

Als nächstes hat Ole Plambeck von der CDU das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Krämer, ich gebe Ihnen recht. Der Abstand zwischen denen, die erwerbstätig sind, und denen, die Bürgergeldempfänger sind, muss da sein. Es muss sich lohnen zu arbeiten, und das müssen wir im Blick haben.

Alleinerziehende sind die am häufigsten von Armut betroffene Familienform. Seit Jahren ist das Niveau unverändert. In Schleswig-Holstein liegt die Quote der armutsgefährdeten Alleinerziehenden bei 39,2 Prozent. Wie hoch die Zahl ist, sieht man daran, dass der Anteil der alleinerziehenden Familien an allen Familien insgesamt bei 20,3 Prozent liegt. Ungefähr 16 Prozent sind Männer, 83 Prozent Frauen. Dabei ist es schlichtweg nicht immer möglich, in Vollzeit berufstätig zu sein, da die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ohne wirksame Hilfe kaum möglich ist. Doch ohne Vollzeittätigkeit lässt sich oft kein auskömmliches Einkommen erwirtschaften, gerade weil man alleine ist. Deswegen nehmen auch um und bei 37 Prozent trotz Erwerbstätigkeit soziale Hilfen in Anspruch.

(Annabell Krämer)

Jetzt gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Unterstützung: Verbesserung der Steuerklasse II, zum Beispiel durch einen höheren Grundfreibetrag, Erhöhung des Kinderfreibetrages für Alleinerziehende, Erhöhung des Kindergeldes für Alleinerziehende, Abzugsmöglichkeit des steuerlichen Existenzminimums für das Kind und jedes weitere Kind, ein Kinderzuschlag, Wohngeldzuschläge, verbesserte steuerliche Abzugsmöglichkeiten oder, was, glaube ich, allen hilft: Betreuungsverlässlichkeit.

Hier im Antrag geht es um den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, § 24 b Einkommensteuergesetz. Dieser soll erhöht werden. Das finden auch wir als CDU erst einmal richtig und unterstützen wir. Zur Wahrheit gehört aber, dass die volle Entlastungswirkung vor allem im Spitzensteuersatz erreicht wird.

(Annabell Krämer [FDP]: Ja, ist logisch!)

Wie eben ausgeführt bewegt sich leider die Mehrheit der Alleinerziehenden nicht in diesem Einkommensbereich. Da sollten wir auch kleine und mittlere Einkommen zusätzlich in den Blick nehmen, und zwar so, dass sich das Arbeiten immer stärker lohnt. Denn wir müssen im Blick haben, dass Alleinerziehende und ihre Kinder in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf besondere Herausforderungen, die eben auch genannt worden sind, zu meistern haben.

Mit Einführung des Ehegattensplittings in den 50erJahren wurde ein besonderer Freibetrag für nicht verheiratete Eltern und Alleinerziehende zur Kompensation eingeführt, weil die kein Splitting haben. 2004 wurde dieser Freibetrag zum Alleinerziehenden-Entlastungsbetrag weiterentwickelt, um höheren Lebenshaltungskosten für Alleinerziehende Rechnung zu tragen. 2015 wurde der Betrag von 1.308 auf 1.908 Euro angehoben und für jedes weitere Kind seitdem unverändert um 240 Euro. 2020 und 2021 wurde der Betrag dann auf 4.008 Euro verdoppelt. Seit 2023 liegt er bei 4.260 Euro. Die Erhöhung als solches gibt einen Nettoeffekt zwischen 300 und 900 Euro pro Jahr.

Die derzeitigen steuerlichen Regelungen führen dazu, dass Alleinerziehende bei identischem Haushaltseinkommen mehr Einkommensteuer zahlen als verheiratete Paare mit der gleichen Anzahl an Kindern. Denn ein verheiratetes Paar kann zweimal den Grundfreibetrag ansetzen. Darüber hinaus kann das Splittingverfahren je nach Verteilung der Einkünfte den zusätzlichen Spareffekt verstärken.

Das ist grundsätzlich richtig und gewollt, denn es geht um die Besteuerung der persönlichen Leistungsfähigkeit, und da kommt es natürlich darauf an, wie viele Personen im Haushalt sind. Je mehr Personen im Haushalt sind, desto geringer ist das Einkommen, und desto geringer muss entsprechend die Steuerlast ausfallen. Aus der Vorgabe, das Existenzminimum pro Person steuerfrei zu stellen, folgt, dass Haushalte mit mehr Personen bei gleichem Bruttoeinkommen ein höheres Nettoeinkommen erhalten müssen. Das heißt, die Schere zwischen Brutto und Netto muss verringert werden. Hier kann eine Steuergutschrift durchaus diese fehlende Splittingmöglichkeit kompensieren.

Alleinerziehende gegenüber AlleinverdienenderEhepaaren könnten dort höher entlastet werden. Die Steuergutschrift könnte so ausgestaltet werden, dass der Unterschied zwischen Splittingtarif und Grundtarif verglichen wird. Bei circa 2.000 Euro Monatsbrutto liegt der Splittingeffekt bei rund 900 Euro pro Jahr, und der könnte darüber entsprechend eingestellt werden. Aber klar ist auch, dass diese Steuergutschrift nicht zu einer Negativsteuer führen soll.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wo ist jetzt die zen- trale Botschaft?)

Wir müssen wissen, dass diese Maßnahme insgesamt Geld kostet. Man rechnet, auch bei dem Vorschlag der FDP, mit um und bei 1 Milliarde Euro Steuermindereinnahmen, und das muss gegenfinanziert werden. Deswegen ist unser Vorschlag, beide Anträge in den Finanzausschuss zu überweisen, um das fachlich zu diskutieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN – Zuruf Beate Raudies [SPD] – Weitere Zurufe)

Das Wort hat jetzt der Kollege Oliver Brandt von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alleinerziehende stehen im Alltag unter einem besonderen Druck. Das ist von den Vorredner_innen bereits angesprochen worden. Sie müssen Beruf, Kinderbetreuung und private Haushaltsführung unter einen Hut bekommen. Dabei sind sie besonders armutsgefährdet. Laut Familienreport 2024 des Bundesfamilienministeriums liegt das Einkommen Alleinerziehender deutlich unter dem von Paarfamilien, und das bezieht sich auf das

(Ole-Christopher Plambeck)

Äquivalenzeinkommen, also das Einkommen, das schon berücksichtigt, dass natürlich ein Erwachsener weniger im Haushalt ist.

Daher halte auch ich es für besonders richtig und wichtig, die Familienform der Alleinerziehenden zu unterstützen. Die letzte Bundesregierung hatte erfreulicherweise eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt, die insbesondere Alleinerziehenden helfen. Abgesehen von den einmaligen krisenbedingten Entlastungsmaßnahmen wie dem Kinderbonus gab es unter anderem Erhöhungen bei Kindergeld, Kinderzuschlag, Kinderfreibetrag, Kindesunterhalt und Unterhaltsvorschuss sowie die Einführung eines Sofortzuschlags für bedürftige Kinder. Und – auch das ist bereits angesprochen worden – die Ampelregierung hat auch den steuerlichen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende noch einmal erhöht, nachdem er 2020 mehr als verdoppelt wurde.

Allerdings sorgt ein Steuerfreibetrag generell immer dafür, dass sich die tatsächliche Entlastung natürlich am Einkommen orientiert. Die sehr große Gruppe Alleinerziehender mit kleinen oder mittleren Einkommen hat davon naturgemäß viel weniger als Besserverdienende. Das vorrangige Ziel sollte aus meiner Sicht aber sein, die Armutsgefährdung für Familien mit Alleinerziehenden zu reduzieren. Es ist fraglich, ob die Erhöhung von Steuerfreibeträgen hierfür das gerechteste Instrument ist.

Herr Brandt, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Krämer zulassen?