Protokoll der Sitzung vom 07.12.2005

Bereits diese Kürzungen haben die Länder und letztlich die Zweckverbände als Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr sowie die Landkreise vor erhebliche Anpassungsschwierigkeiten gestellt. Nun soll es allein im Jahr 2006 um Kürzungen von 350 Millionen Euro gehen. Für Sachsen flössen schon im nächsten Jahr 25 Millionen Euro weniger.

(Staatsminister Thomas Jurk: Woher wissen Sie das?)

Hinzu kommt, dass das alles erst fünf vor zwölf bekannt wird.

(Staatsminister Thomas Jurk: Nein!)

Dabei hieß es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD noch, dass der öffentliche Personennahverkehr mit einem ausreichenden Finanzierungsbetrag auf hohem Niveau gefördert werden soll.

Es ist grotesk. Einerseits werden Menschen von der Politik regelrecht gedrängt, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Andererseits werden dafür die nötigen Zuschüsse massiv gekürzt. Die Bundesregierung ist auf dem besten Weg, den öffentlichen Nahverkehr kaputtzusparen und einen ökologischen Verkehrsmix ad absurdum zu führen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Linksfraktion.PDS hält diese Entwicklung aus prinzipiellen Erwägungen für äußerst gefährlich.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

In Deutschland besteht nicht nur eine zeitweilige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, also zwischen neuer jährlicher Kreditaufnahme und Investitionen, sondern vielmehr eine noch schwerwiegendere Störung: Denn das soziale Gleichgewicht wird weiter zerstört, wenn die Balance im gesellschaftlichen Zusammenleben auf diese Weise nicht aufrechterhalten werden kann.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Ich will das typische Strickmuster benennen, nach dem die Verantwortungsträger in der Politik agieren. Zum Fahrplanwechsel am 11. Dezember 2005 erhöht die Bahn die Regelfahrpreise im Schienenpersonennahverkehr um 2,6 %. Laut Bundesverkehrsministerium war der Tarifvertrag der Bahn rechtmäßig. Die inhaltliche Gestaltung der Tarife gehört zu den rein unternehmerischen Aufgaben der Deutschen Bahn.

Nach seiner gesetzlichen Aufgabenstellung hat der Bund hier keine Möglichkeit einzugreifen. Süffisant hieß es aus dem Bundesverkehrsministerium weiter – ich zitiere aus der Pressemitteilung –: „Im Übrigen haben die Länder ja die Möglichkeit, aus Gründen der Daseinsvorsorge die Tarife abzulehnen und Änderungen zu verlangen, verbunden allerdings mit den sich daraus ergebenden Ausgleichsverpflichtungen. Wohl aus diesem Grunde sind die Länder diesen Weg nicht gegangen, sondern haben die Lösung des Problems auf den Bund zurückgegeben.“

Das ist das Spiel, mit dem bei Kürzungen der Regionalisierungsmittel sofort zu rechnen ist. Bundesregierung und Landesregierung entziehen sich mit fadenscheiniger Begründung ihrer Verantwortung für die verkehrliche Daseinsvorsorge und schieben den schwarzen Peter hin und her.

Viel besser wäre es, wenn sich Bund und Länder von teuren Großprojekten wie der Kanalisierung der Restdonau zwischen Straubing und Vilshofen

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

oder von der Transrapidstrecke verabschieden würden.

Ich komme nun zu Punkt 2 meines Antrages. Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt forderten die Landesverkehrsminister auf ihrem Rostocker Treffen im Oktober einstimmig – auch Sie, Herr Staatsminister Jurk –, im Bundeshaushalt 3,5 Milliarden Euro mehr pro Jahr für Straßenbau einzustellen. Die Einnahmen aus der LkwMaut sollen der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft ohne Umwege zugewiesen und ausschließlich für die Finanzierung von Bundesfernstraßen verwendet werden.

Was steckt dahinter? Diese Gesellschaft erhält 2005 etwa 2,4 Milliarden Euro aus den Einnahmen der Lkw-Maut. Bislang finanziert sie damit nicht nur Bauprojekte auf Bundesfernstraßen, sondern auch den Ausbau der Wasserstraßen sowie des Schienennetzes. Geht es nach den Wünschen der Länderverkehrsminister, würde dem Erhalt und Ausbau der Eisenbahninfrastruktur in Deutschland pro Jahr eine Milliarde Euro an Mitteln entzogen.

Was ist das für eine Verkehrspolitik? Ich frage Sie, Herr Staatsminister Jurk: Wie soll die spürbare Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene gelingen? So doch wohl kaum!

Meine Damen und Herren, Sie werden mir zustimmen: Wer sich von dieser Zielsetzung in Anbetracht der Prognosen zum Verkehrsaufkommen verabschiedet, schlittert sehenden Auges in eine Katastrophe.

Die Verkehrsministerkonferenz hatte noch ein besonders Bonbon parat. Am gleichen Tag unterstützte sie in einem weiteren Beschluss zum Thema Umweltfreundlicher Verkehr grundsätzlich die von der Umweltministerkonferenz vorgeschlagene Strategie der Verkehrsvermeidung und -verlagerung, Verkehrsoptimierung und Emissionsminderung. Da frage ich mich schon, Herr Staatsminister Jurk: Wer hat Sie auf diese Verkehrsministerkonferenz in Rostock vorbereitet? Doch wohl Ihre Abteilung Verkehr.

Ich möchte Ihnen einen Rat geben: Berücksichtigen Sie bitte in Zukunft die landesweit bekannte Vorliebe Ihrer Abteilung Verkehr für neue Straßen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die Fraktion der GRÜNEN. Bitte, Herr Lichdi.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die große Koalition in Berlin ist kaum im Amt, da kürzt sie schon dramatisch im öffentlichen Nahverkehr. 3,1 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel – ach, Herr Jurk, jetzt haben wir das alte Spiel, was wir immer machen, wenn ich hier vorn stehe.

Sie sind gleich dran, dann bin ich sehr gespannt, was Sie sagen.

(Staatsminister Thomas Jurk: Also, ich habe gar nichts gesagt!)

Ja, ja; wir kennen uns ja mittlerweile, oder?

3,1 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel des Bundes für die Länder sollen entfallen. – Sie können es ja entkräften.

Die Gewerkschaft Transnet befürchtet den Wegfall von einem Sechstel des Nahverkehrsangebotes. Jeder fünfte Nahverkehrszug müsste abbestellt werden. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen befürchtet Fahrpreiserhöhungen bis zu 10 % und mehr. In Sachsen – Frau Runge hat es gesagt – würden 25 Millionen Euro schon 2006 fehlen.

Ich nehme an, dass viele von Ihnen vielleicht gar nicht wissen, was das im Alltag bedeutet. In bestimmten Bereichen, etwa im Personenschienenverkehr, haben wir jetzt schon die Situation, dass das Servicepersonal in den Zügen bis an die Schmerzgrenze ausgedünnt ist. Man kann auch nicht alles durch Automaten ersetzen. Es ist in diesem Bereich aufgrund des hohen Anteils gar nicht beeinflussbarer Fixkosten so, dass 10 % weniger Mittel zu einer weit höheren Angebotsreduzierung führen.

Ich spreche auch von den ökologischen Folgen. Die Wege in der Stadt werden zunehmend durch Autoverkehr ersetzt werden mit den negativen Folgen für Luftreinheit und von Verkehrslärm. Die klimaschädliche CO2-Treibhausgasemission des Straßenverkehrs wird ansteigen, obwohl sie heute schon bald ein Viertel der sächsischen Gesamtemission beträgt.

Der zuständige Minister Tillich hat sich in seinem letzten Klimaschutzbericht ja offensiv dazu bekannt, hier weiter untätig bleiben zu wollen.

(Staatsminister Stanislaw Tillich: Nein!)

Doch, doch!

Der Kürzungsplan entspricht den Vorschlägen der Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück, CDU und SPD, vom Sommer 2003 zum Abbau von Subventionen.

Meine Damen und Herren! Es ist mir eine besondere Freude, Sie aus Ihrem nachmittäglichen Schlaf zu erwecken und darauf hinzuweisen, dass man hier wirklich erkennen kann, was Grüne in der Regierung bringen. Diese große Koalition in den Ländern, die wir jetzt leider auch in Berlin haben, konnten wir Grünen dank unserer Regierungsbeteiligung im Bund noch stoppen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Die Kürzungen wurden von dauerhaft 12 % auf einmalig 2 % im Jahr 2004 reduziert. Wir haben es in Berlin trotz eines schwierigen finanziellen Umfelds geschafft, die Regionalisierungsmittel von 1998 bis 2007 um 10 % anzuheben und durch eine verlässliche Formel für die

jährliche Anpassung an den Preisauftrieb Planungssicherheit hergestellt.

Eine Kürzung der Nahverkehrszuschüsse hätte dramatische Folgen für das Land Sachsen. Die drei absehbaren Reaktionen – höhere Fahrpreise, weniger Zugfahrten, Stopp der Investitionen – würden die bisherigen Erfolge des ÖPNV im Lande abrupt beenden. Besonders Leid tragend wären die Kommunen. In den Städten würden die Verkehrsprobleme dramatisch wachsen. Kommunale Verkehrsunternehmen würden in große finanzielle Probleme geraten, würden Mitarbeiter entlassen und Angebote einschränken müssen. Notwendige und lange geplante Investitionen müssten gestrichen werden.

Deshalb beantragen wir auch – weitergehend als die Linksfraktion.PDS – einen Bericht der Staatsregierung, welche Konsequenzen sich im Detail für Sachsen ergäben, wenn es trotz aller Interventionen zu den angekündigten Kürzungen käme, zu denen Sie ja offensichtlich bereit sind, Herr Minister Jurk.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich dennoch den einen oder anderen Punkt noch einmal betonen, der uns Grünen in diesem Zusammenhang wichtig ist:

Der Begriff der Mobilität. Der geschätzte Kollege Lehmann, leider jetzt nicht anwesend – –

(Volker Bandmann, CDU: Stimmt doch gar nicht!)

Wo ist er?

(Zuruf: Bei der SPD!)

Ach, Entschuldigung, er sitzt bei der SPD. Da schaue ich nicht hin. Okay!

(Heiterkeit)

Sie, lieber Herr Kollege Lehmann, haben in der letzten Debatte, als es um den grenzüberschreitenden Verkehr ging, angemerkt, ich hätte – Zitat – „ein Einsehen, dass die Menschen in den Grenzregionen zu ihrer Arbeit kommen, damit sie ihr bisschen Auskommen, ihr bisschen Wohlstand sichern könnten“.