Protokoll der Sitzung vom 16.03.2006

Sachsen ist ein weltoffenes Land, und die sich gesetzestreu und rechtmäßig hier aufhaltenden Ausländer sind uns herzlich willkommen. Sie sollen sich hier genauso sicher fühlen und friedlich leben können wie die Deutschen und die Chance erhalten, sich hier bestmöglich zu integrieren.

Ich bin Frau de Haas sehr dankbar, dass sie gerade diesen Aspekten und dem Werben für gegenseitiges Verständnis – der Bericht zeigt es – besonderes Augenmerk schenkt. Ich möchte sie ausdrücklich ermutigen, auf diesem Weg fortzufahren.

Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Sachsen hat derzeit einen Ausländeranteil von 2 %. Wenn ich an

manche Urlaubsregion des europäischen Auslands denke, sind zu mancher Zeit wesentlich mehr Deutsche dort anzutreffen, fahren freudig in Urlaub und sind froh, wenn sie dort partnerschaftlich behandelt werden.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Es tut mir Leid, ich gestatte keine Zwischenfrage.

Da ist eine Wechselbeziehung vorhanden. Wir wollen als Gäste unsere Tage im Ausland angenehm verbringen und wir sind froh, wenn Ausländer mit uns dieses Land aufbauen und die wirtschaftlichen Chancen, die da sind, mit uns stärken. Deswegen herzlichen Dank für diesen Bericht. Wir nehmen den Bericht dankend zur Kenntnis.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Die Linksfraktion.PDS, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute habe ich zum ersten Mal Herrn Bandmann Beifall gespendet, stelle ich fest. Auch nicht schlecht!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der CDU)

Die Berichterstattung der Ausländerbeauftragten – –

(Zuruf des Abg. Uwe Leichsenring, NPD)

Das macht Sie nervös!

ist keine Formalität. Als Interessenvertretung, als Lobby, als Mittler zwischen den Kulturen sind Ausländerbeauftragte wirklich unverzichtbar. Oft sind sie Rufer in der Wüste. Das weiß niemand besser als Sie selbst, Frau de Haas, gerade in Zeiten, da die Ellenbogenkämpfe zugenommen haben und die deutsche Leitkultur Konjunktur hält, in Zeiten, da Nazis lieber Rückführungsbeauftragte hätten und die Regierung häufig wenig Mut hat, Integration als höchstnützliche Chance zu erkennen.

Umso mehr geht der Dank unserer Fraktion an Ihre Adresse, Frau de Haas. Das meine ich sehr ehrlich, weil ich weiß, dass Sie sich in der kurzen Zeit ein gutes Image bei Flüchtlingsverbänden und Interessenvertretungen aufgebaut haben. Das ist offen gestanden für mich etwas ganz Wichtiges. Damit führen Sie eine wichtige Tradition von Herrn Sandig weiter.

Ich glaube, dass ich in Ihrem Sinne spreche und im Sinne sehr vieler Ausländerbeauftragter in Sachsen, wenn ich hinzufüge, dass Ausländerbeauftragte nicht allein die Zuständigen für Integration sind. Zuständig sind wir alle, die wir hier sitzen, und darüber hinaus. Das muss deutlich gesagt werden.

Wir haben es begrüßt, dass eine Härtefallkommission entstanden ist, die eine ganze Reihe von vernünftigen

Entscheidungen getroffen hat. Nicht alle passen mir, das ist bekannt. Eine Härtefallkommission kann auch nicht alle Probleme lösen. Wir müssen zwei Dinge unterscheiden: die Härtefälle und die Notwendigkeit von Bleiberechten. Ich hoffe, dass in einem der nächsten Berichte, vielleicht schon im nächsten, auf die Problematik der Notwendigkeit eines Bleiberechtes für lange hier lebende Ausländerinnen und Ausländer eingegangen wird. Meine Fraktion und die Linkspartei.PDS, kann ich sogar sagen, sind für eine großzügige bundesweite Regelung zum Bleiberecht für lange hier lebende Ausländerinnen und Ausländer. Das ist außerordentlich wichtig. Dafür gibt es eine große bundesweite Lobby.

(Uwe Leichsenring, NPD: Für wen ist das wichtig?)

Auch in Sachsen gibt es zahlreiche ausländische Familien und Einzelpersonen, die über zehn Jahre hier sind. Sie kommen aus Afghanistan, dem Irak, dem Iran, aus den verschiedensten Ländern; die Türkei und der Kosovo nicht zu vergessen. Abschiebungen in diese Länder sind de facto nicht möglich. Das weiß man relativ genau. Deshalb ärgert mich das erpresserische Spiel – wenn ich das einmal so sagen darf – mit Abschiebungen gegenüber denjenigen, die es betrifft. Wir halten das für verantwortungslos. Die gegenwärtig laufende Debatte, man könne a priori Afghanen doch irgendwie abschieben, jedenfalls die Straffälligen, wer auch immer das ist, man könne Minderheiten in den Kosovo zurückführen, man könne durchaus auch Kurden in die Türkei zurückschicken – das ginge ja irgendwie –, halte ich menschenrechtlich für sehr bedenklich, und um Menschenrechte geht es hier.

(Jürgen Gansel, NPD: Reden Sie mal über Kuba!)

Wir reden auch über die Menschenrechte in Kuba.

Warum diese Flüchtlinge keine Aufenthaltserlaubnis erhalten, versteht niemand. Im Übrigen kommt diese Kritik nicht nur von uns; sie geht bis weit hinein in die CDU. Auch in der CDU gibt es erhebliche Kritik an dieser Praxis.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will ganz offen sagen, Asylpolitik muss endlich auf dem Boden der Realität ankommen. Asylpolitik als ideologische Schlacht halte ich für das Schlechteste, was man machen kann, möglicherweise noch im Namen einer Leitkultur. Auch die Debatte, wir müssten die Terrorverdächtigen abschieben, kann man ja führen. Ich habe die Kleine Anfrage gestellt, wer terrorverdächtig ist und wo die großen Straftäter sind. Ich habe auf meine Kleine Anfrage keine Antwort bekommen, weil es da einfach nichts gibt. Ich will nicht bestreiten, dass es kein Problem ist, aber man kann unter dieser Fuchtel nicht Asylrecht etablieren. Das geht einfach nicht. Was momentan läuft, ist ein großer Fehler.

Es kommt noch etwas hinzu. Das Leben mit jahrelanger Duldung, immer im Schwebezustand, immer zwischen Baum und Borke, schafft Integrationsprobleme in Größenordnungen. Das wissen alle, die hier sitzen und sich

damit beschäftigen, auch sehr viele Leute in der CDUFraktion.

Am meisten regt mich bei der Bleiberechtsproblematik der Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen auf. Das sind Kinder, die aus verschiedensten Gründen hierher kommen und, nachdem sie 16 Jahre alt geworden sind, in die Asylbewerberheime abdriften, dort herumhocken und keine Perspektive haben. Wenn ich den Innenminister, der jetzt sehr im Gespräch mit Herrn Hähle ist, um eines bitten darf, dann ist es, sich dieser Sachlage anzunehmen. Minderjährige Flüchtlinge brauchen geregelte Perspektiven und ein Bleiberecht. Darüber muss man ernsthaft diskutieren und ich hoffe, dass es passiert.

Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik kann ihren demokratischen Konsens nur wahren, wenn sie eine offene Gesellschaft ist. Abschottung und einseitiger Selbstbezug führen zu geistiger und kultureller Enge.

(Jürgen Gansel, NPD: Wer nach allen Seiten offen ist, der ist nicht ganz dicht!)

Ja, ja, das ist Ihr Niveau, Herr Gansel. Es ist schon klar. Denken Sie an die Vogelgrippe!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Integration ist eine Chance für uns alle, und weil dem so ist, kann ich nicht verstehen, dass man die gegenwärtige Situation nicht nutzt. Es gibt, wie wir alle wissen, einen gravierenden Rückgang der Asylbewerberzahlen. Warum nutzen wir das nicht für Integration? Warum müssen die Leute immer noch in diesen großen Heimen hocken? Das kann mir keiner erklären. Warum müssen wir noch Magazine haben? Warum müssen wir noch Pakete verteilen? Ja selbst, warum müssen wir in Dresden noch das Chipkartensystem einführen, von dem ganze 200 Leute betroffen sind bzw. im Grunde genommen 66 Asylsuchende, für die von der Stadtverwaltung ein Chipkartensystem eingerichtet wird?

(Uwe Leichsenring, NPD: Verteilen Sie Fahrkarten!)

Ein Irrsinn! Das ist viel zu teuer. Für diese zirka 220 Dresdner Personen sind acht Mitarbeiter zuständig. Stellen Sie sich vor, acht Mitarbeiter müssen sich damit beschäftigen, dass die Leute laufend ihre Marken bekommen usw. Ein solcher Aufwand ist unvertretbar. Ich kann das wirklich nicht nachvollziehen.

Ein Letztes. Asylpolitik muss auch menschlich sein. Ich frage Sie in aller Ruhe: Welche Botschaft wird aus Sachsen gesendet, wenn wir, wie gestern gemeldet, hören, dass ein dreijähriges angolanisches Kind aus einer Kita in Dresden gekidnappt wird – ich kann das nicht anders sagen –, und zwar von niemand anderem als der Polizei, aufs Polizeirevier geschleppt wird; von dort aus ruft man die Mutter an und sagt: „Hallo, kommen Sie hierher, hier ist Ihr Kind, wir wollen Ihre Abschiebung vollziehen!“ Es wurde kolportiert, ich weiß nicht, ob das stimmt, dass der Beamte sogar geäußert hat: „Sonst schicken wir Ihr Kind

allein runter.“ Das sind Verhältnisse, die mit Menschwürde nichts zu tun haben.

(Widerspruch des Abg. Mario Pecher, SPD)

Das sind Verhältnisse, die mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun haben. Ich erwarte, dass hier Aufklärung durch den Innenminister erfolgt und dass er dazu Stellung nimmt. Wenn das wirklich so war, dann muss es Konsequenzen haben, und zwar nicht nur ideelle, sondern auch personelle Konsequenzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Zurück zum Bericht der Ausländerbeauftragten. Wir wünschen uns, dass auch solche Themen eine Rolle spielen, die uns alle bewegen und die etwas mit Ausländerpolitik zu tun haben. Wir sind allerdings optimistisch, dass wir in diesen Fragen aufeinander zugehen. Ich hoffe, dass die Zusammenarbeit, die zwischen Ihnen und uns gut angefangen hat, so weitergeht. – Vielen Dank, Frau de Haas.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich rufe die SPDFraktion auf. Herr Bräunig, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau de Haas, ich habe die Ehre, Ihnen und Ihren Mitarbeitern ganz herzlich im Namen der SPD-Fraktion für die geleistete Arbeit zu danken.

(Beifall bei der SPD)

Es war Ihr erstes Jahr im Amt der Sächsischen Ausländerbeauftragten. Sie haben nach der Übernahme der Amtsgeschäfte von Herrn Sandig nicht nur die Kontinuität der Arbeit gewahrt, sondern sich in überzeugender und engagierter Art und Weise um die Migrations- und Integrationsarbeit im Freistaat Sachsen verdient gemacht, indem Sie eigene Akzente gesetzt haben. Beispielhaft genannt sei Ihr Engagement im Kuratorium für ein weltoffenes Sachsen und in der sächsischen Härtefallkommission, deren Vorsitzende Sie sind.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Wir verbinden unseren Dank zugleich mit dem Wunsch, dass Sie dieses Engagement weiterhin zum Wohle der sächsischen Bürgerinnen und Bürger fortführen mögen, vor allem derer mit Migrationshintergrund.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass unser Verständnis von Migration und Integration insgesamt auf den Prüfstand muss.

Frau de Haas, Sie haben dies im Vorwort zu Ihrem Bericht zutreffend beschrieben: Wir müssen Migration als einen globalen Prozess akzeptieren, der nicht aufgehalten werden kann.

Vorfälle wie an den Grenzanlagen der spanischen Nordafrika-Enklave Ceuta – das ist sicherlich allen noch in

Erinnerung – werfen erneut die Frage auf, ob eine europäische Politik der Abschottung auf Dauer funktionieren kann oder ob stattdessen nicht vielleicht doch eine Verschiebung der Prioritäten hin zu verstärkten Integrationsbemühungen bei Migrantinnen und Migranten langfristig der bessere Weg ist.