Protokoll der Sitzung vom 14.03.2007

Das ist die Realität. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Seit dieser Anhörung gehen mir die Sorgen dieser Mütter durch den Kopf. Was wird sein, frage ich die Kollegen der Koalition, wenn die Befürchtungen dieser Verkäuferinnen heute mit der Beschlussfassung zum Gesetz Gewissheit werden?

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Es geht allerdings bei diesem Ladenschlussgesetz um weitaus mehr – dazu komme ich noch, Herr Hähle – als nur um Einzelschicksale. Es ist ganz klar, hier geht es um die Substanz. Es geht um eine politische Auseinandersetzung in der Frage, ob der Markt alle Mittel heiligt.

Kürzlich äußerte sich Gesine Schwan, Professorin für Politikwissenschaft, auf dem SPD-Parteitag in ihrer Dresdner Rede im Februar: „Staatlicher Politik gelingt es immer weniger, gemeinwohlorientierte politische Entscheidungen durchzusetzen, denn die Unterordnung aller gesellschaftlichen Bereiche – ich betone: aller – unter die

Logik des ökonomischen Marktes nimmt ihr die Möglichkeiten freiheitlichen politischen Austausches ebenso wie ehedem die Unterordnung unter eine Obrigkeit staatlicher Bürokratie.“ So weit Frau Gesine Schwan von der SPD.

(Holger Zastrow, FDP: Das ist Blödsinn!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin heute besonders stark im Zitieren – Sie merken es.

(Torsten Herbst, FDP: Weil Sie keine eigenen Formulierungen haben!)

Ich komme noch zu eigenen Formulierungen. Wissen Sie, Zitate sind manchmal ganz gut, um ein wenig deutlich zu machen, was in den Parteien gedacht wird. Das ist ganz gut. Ich bringe noch ein Zitat, vielleicht stimmt Sie das wieder – –

(Staatsminister Thomas Jurk: Linksfraktion Berlin!)

Darauf komme ich auch noch, keine Angst! Linksfraktion Berlin. – In einer Streitschrift, die unter dem Titel steht „Was würde Jesus heute sagen? – Die politische Botschaft des Evangeliums“ – das ist doch mal etwas Gutes, oder?

(Unruhe im Saal)

Die schrieb Heiner Geißler, vormals Generalsekretär der CDU: „Der moderne Kapitalismus kennt keine Werte jenseits von Angebot und Nachfrage. Der Mensch spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.“ So weit dieser Vordenker. Übrigens, dieses Buch kann ich Ihnen nur heiß empfehlen; es liest sich spannender als so mancher Krimi.

(Jürgen Gansel, NPD: Das können Sie Ihrer Berliner Senatorin empfehlen!)

Wie sieht es mit Angebot und Nachfrage im Zusammenhang mit der Verlängerung der Ladenschlusszeiten in Sachsen konkret aus? Wer will sie tatsächlich? Die kleinen Ladenbesitzer? Die Mehrheit der Käufer, die immer weniger Cent in der Tasche haben und diese deshalb immer nachdenklicher umdrehen? Das rechnet sich doch nicht für einen Tante-Emma-Laden, sondern nur für die großen Ketten, die Marktkonzerne, die den kleinen Einzelhändlern damit die Luft abdrücken.

Noch einmal möchte ich Heiner Geißler zitieren. Er sagt in seinem Buch: „Die Interessen der Menschen sind wichtiger als die Interessen des Kapitals. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung widersprecht dem Evangelium.“ Meine sehr geehrten Damen und Herren der CDU, das ist katholische Soziallehre. Gut, kann ich dazu nur sagen. Vielleicht nehmen Sie sich der Sache in dieser Debatte einmal an. Ich bin übrigens gespannt, wie die Familienpolitiker der CDU und die angeblich arbeitnehmerfreundlichen SPD-Kollegen der von mir zitierten Verkäuferin die Notwendigkeit der Verlängerung der Öffnungszeiten begründen. Am Besten gleich von hier, heute und sofort; denn ich weiß, die zitierte Kollegin hört der Debatte zu. Das macht sich ganz gut.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will gleich noch ein zweites Beispiel für die scheinheilige Diskussion um die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten nennen. Im Landkreis Stollberg, in meiner Nachbarstadt Oelsnitz, können Sie die Schieflage im Einzelhandel mit bloßem Auge nachvollziehen, und zwar immer freitags. Auf der einen Straßenseite befindet sich ein ganz normaler Einkaufsmarkt. Normal heißt: Der Parkplatz vor dem Einkaufsmarkt ist kaum belegt, nur wenige Autos stehen davor. Die Anzahl der Kunden ist nur mäßig, es kommen nur die umliegenden Anwohner. Das ist übrigens morgens so, das ist mittags so. Ich bin mir sicher, es sieht abends nach 20 Uhr – so wie Sie es wollen – noch viel dünner aus. Die Beschäftigungssituation auf dem Markt ist auch ganz normal und typisch für Sachsen: nur wenige Festangestellte, fast alle in Teilzeit, der Rest Pauschalkräfte.

Jetzt komme ich zum Gegenteil, das sich schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite, abspielt. Dort steht vor einem sehr kleinen Laden bereits ab 12 Uhr mittags eine Menschenmenge, wie man sie aus der „BananenmangelDDR“ noch in Erinnerung hat.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Das war nicht der einzige Mangel!)

Wegen der langen Wartezeiten vor dem Laden wechseln sich übrigens auch heute noch die Familienmitglieder ab. Man will ja möglichst weit vorn stehen. Gegen 14 Uhr – meist pünktlich 14 Uhr, sonst wird es vor dem Laden unruhig – macht der Laden auf und das Personal hat Mühe, diesen Ansturm zu bewältigen. Ja, so etwas gibt es bei uns in Sachsen! Jetzt werden Sie fragen, um welchen Laden es sich handelt. Können Sie es erahnen? Ist es Aldi? Vielleicht ist es gar Beate Uhse?

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Ein PDS-Wohlfahrtsverband!)

Ich will Sie nicht länger im Unwissen lassen. Gegenüber diesem fast leeren Einkaufsmarkt befindet sich die Ausgabestelle der Stollberger Tafel.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Das haben wir begriffen!)

Das haben Sie begriffen? Aber haben Sie auch begriffen, dass man die ganze Schieflage der Diskussion um den Ladenschluss gar nicht deutlicher machen kann? Der Satz stimmt: Der Bevölkerung fehlt nicht die Zeit zum Einkaufen, ihr fehlt schlichtweg das Geld. Das ist doch die klare Botschaft! Schauen Sie sich das doch freitags bei uns an!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich sage Ihnen auch: Mit der heute von der Koalition vorgesehenen Verlängerung der Ladenöffnungszeiten ist es eher wahrscheinlich, dass in Oelsnitz einige Verkäuferinnen wohl eher die Straßenseite wechseln, weil ihre Arbeitsverträge unsicher werden oder weil sie Anspruch auf ergänzendes Hartz IV erlangen. Das klingt zwar zynisch, aber leider ist das in Sachsen vielfach Realität.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Linksfraktion habe ich bereits in der Debatte über das Vorschaltgesetz – jetzt komme ich zu Berlin – das Vorpreschen der Regierung von Berlin zum Montag-bisSonnabend-Rundumeinkauf kritisiert. Für mich hat sich deutlich gezeigt, dass meine Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei in Berlin auf dem falschen Weg sind. Aber Sie wissen ja, Irrtümer sind bekanntlich parteiübergreifend.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Heiner Geißler kann auch auf falschem Weg sein!)

Gerade deshalb will ich in dieser Frage kritisch bleiben. Positiv am föderalen Prinzip ist gerade, dass man solche Fehlentscheidungen anderer Bundesländer im eigenen Bundesland verhindern kann. Bayern und das Saarland haben uns das durchaus vorgemacht. Insofern durfte man gespannt sein, wie sich die Sächsische Staatsregierung zum Thema Ladenschluss verhalten wird.

Wirtschaftsminister Jurks Gesetzentwurf drohte jedoch schon vorher wegen gravierender juristischer Fehlleistungen abzustürzen. So kam es, dass die helfende Hand des Juristischen Dienstes des Landtages am 24. November in einem eilig einberufenen Krisengespräch mit CDU, SPD und Wirtschaftsministerium deutlich machte, dass der von der Staatsregierung vorgelegte Entwurf nicht einmal der formaljuristischen Prüfung standhält. Damit stand im Wirtschaftsministerium die Frage: Wie sage ich es meinem Minister, ohne dass er dabei das Gesicht verliert?

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Koalition ist bekanntlich ein festes Bollwerk. Eifrig machte man sich auf und erarbeitete einen eigenen sechsseitigen Änderungsantrag zum vorgelegten Gesetzentwurf des eigenen Wirtschaftsministers, den man dann im Ausschuss ohne Aussprache behandeln wollte. Spannend, nicht? Dieser in weiten Teilen richtige und notwendige Änderungsantrag ist allerdings – das sage ich Ihnen auch – eine Kapitulationsurkunde des Wirtschaftsministers. So liest sich das. Darin können Sie mir recht geben. Herr Jurk, Sie müssten den Änderungsantrag nur noch unterschreiben, dann wären Sie endgültig aus der Sie quälenden Debatte um den Ladenschluss in Sachsen raus.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Aber vielleicht, meine Damen und Herren von der Opposition, haben wir uns auch nur täuschen lassen. Es war ein geschicktes Ablenkungsmanöver der Koalition. Das könnte natürlich auch sein; sie wollte die Opposition von den wirklichen Problemen des Ladenschlusses ablenken. Keine Bange, das wird Ihnen bei der Linksfraktion nicht gelingen.

(Heinz Lehmann, CDU: Die ist fast nicht vertreten im Landtag!)

Herr Lehmann, für uns ist klar: Einer für Sachsen vorgesehenen Erweiterung der Öffnungszeiten, die volkswirtschaftlich falsch, klein- und mittelstandsfeindlich ist und die explizit zum weiteren Abbau von Arbeits

plätzen im Einzelhandel beiträgt, werden wir nicht zustimmen! Es gibt noch weitere Gründe, den Koalitionsentwurf abzulehnen. Ich will Sie heute nicht wieder mit Zahlen langweilen. Das habe ich schon das letzte Mal gemacht.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Sie langweilen uns auch ohne Zahlen! – Heiterkeit bei der CDU und der Staatsregierung)

Hören Sie doch zu, vielleicht können Sie etwas lernen!

Der Einzelhandelsumsatz stagniert seit Jahren trotz der in der Vergangenheit erfolgten Ausweitung der Ladenöffnungszeiten. Demgegenüber steht ein rasanter Absturz der Arbeitnehmeranteile am Volkseinkommen. Betrug die Lohnquote 1993 noch 73 %, so ist sie im Jahre 2005 auf 67 % gesunken. Das können Sie sicherlich nicht widerlegen. Das sind statistisch feste Zahlen, Herr Hähle. Das können Sie politisch nicht diskutieren.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Ich frage Sie, Herr Hähle: Weshalb sollen bei stagnierendem Umsatz und rapide sinkender Kaufkraft die Öffnungszeiten verlängert werden? Können Sie mir einen Grund dafür nennen? Ich vermute, Sie bekommen dabei starke Schwierigkeiten.

Zur Sachverständigenanhörung im Wirtschaftsausschuss hat der Vorsitzende des Werberinges Annaberg eindringlich auf die Konsequenzen hingewiesen und vor einer Ausweitung des Ladenschlussgesetzes gewarnt. Seine Aussage war klar: „Beschließen Sie keine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten bis 22 Uhr“, sagte der Gewerbetreibende von Annaberg.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Die Familienpolitiker der CDU scheinen übrigens in dieser Debatte völlig abgetaucht zu sein. Wo bleibt denn ihr Aufschrei für die Rettung des Familienlebens und des christlichen Verständnisses, dass die im Handel arbeitenden Frauen sich zuerst um die Betreuung ihrer Kinder kümmern sollen? Ich habe davon in dieser ganzen Debatte nichts gehört. Stattdessen baut sich die SPD-Fraktion auf – Kollege Brangs wird das gleich tun – und verkündet mit breiter Brust, dass die SPD-Fraktion diejenige wäre, die dafür gesorgt hat, dass es im Ladenschluss nicht ganz so schlimm kommt. 22 Uhr wäre ein politischer Erfolg. Das ist kein Grund zur Euphorie.

(Stefan Brangs, SPD: Richtig, Kollege!)

Kollege Brangs, das können auch noch so arbeitnehmerfreundliche Presseerklärungen nicht kaschieren.

Eine Presseerklärung bleibt eigentlich nur – das sage ich Ihnen auch hier – eine übliche sozialdemokratische Beruhigungspille für die eigenen Genossen; denn wenn Sie es wirklich ernst meinen, müssten Sie anders handeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD! Man kann es auch anders sagen. Auch wenn man den falschen Weg nur zur Hälfte geht, ist es immer noch der falsche Weg. Das müssten Sie mindestens aus der Debatte zum Ladenschluss gelernt haben. Meine Fraktion wird sich jedenfalls nicht an der Arbeitsplatzvernichtung, noch per Gesetz beschlossen, und an der Verschlechterung der Situation von 80 000 Beschäftigten im sächsischen Handel beteiligen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

In erster Linie wird es wieder viele Frauen treffen, das habe ich eingangs angedeutet. Wer das Wort „sozial“ gebraucht, muss wirklich auch sozial meinen. Das beabsichtigte Ladenschlussgesetz hat weder etwas mit sozial noch mit wirtschaftlich im Sinne der Förderung des Mittelstandes zu tun. Deshalb werden wir einer Ausweitung der Öffnungszeiten nicht zustimmen.

Danke schön.