Protokoll der Sitzung vom 14.12.2007

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP)

der das viel besser aufrollte, als ich das sagen kann. – Herr Hahn, Sie sprechen von Umbruch, viele sprechen von der Wende. Das sind „nur“ Worte. Mir ist aufgefallen, dass Sie es nicht geschafft haben – Sie hätten Randbedingungen nennen können –, mit einem klaren Ja oder Nein auf die aus meiner Sicht sehr einfache Frage meines Kollegen zu antworten.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Dieses klare Ja oder Nein, was nicht bedeutet, dass alles, was damals passiert ist, richtig war – –

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Die Welt ist nicht so einfach!)

Ja, ich danke Ihnen für diesen philosophischen Erguss.

(Lachen bei der CDU)

Ein klares Ja oder Nein ist das Problem, das Sie haben, Herr Dr. Hahn, zumindest Sie als Redner. Ich weiß nicht, wie es Ihren Fraktionskolleginnen und -kollegen geht, wenn Sie sinngemäß sagen, dass das Mitläufertum heute nicht viel anders ist. Sie haben es mit anderen Worten formuliert, aber die Aussage war so. Sie mögen in einer Weise recht haben, wenn Sie als Mitläufer alle diejenigen bezeichnen, die nicht in der Friedensbewegung organisiert waren. Ich will Ihnen einmal die Zahlen aus Karl-MarxStadt, wie es damals hieß – wir als Erzgebirgler haben Kams dazu gesagt, dann hieß es so ähnlich wie Chemnitz –, nennen: Wir waren im Schnitt 35 bis 40 Leute, die sich aktiv aller 14 Tage oder einmal im Monat getroffen haben. Das waren im Verhältnis zu der damaligen Bevölkerungszahl 0,1 Promille. Das war die Größenordnung. Das ist es aber nicht.

Ich habe mich nie als Bürgerrechtler bezeichnet, obwohl ich seit dem Jahre 1980 in der Friedensbewegung bin, weil ich denke, dass dieses Wort a) von anderen erfunden wurde und b) aus meiner Sicht nicht richtig definiert ist, was es eigentlich bedeutet. Ich habe aber viele Mitläufer erlebt, die Mitglied einer der fünf Parteien in der DDR waren. Das ist schon richtig. Sollten Sie diese gemeint haben, ist es immer noch nicht die Mehrheit. Es ist richtig, dass sich viele Leute einfach unter dem Zwang einer gewissen Ohnmacht ergeben haben.

Jetzt werde ich einmal persönlich: Mein Vater hatte es aus politischen Gründen in der DDR nicht leicht. Er hat nie verstanden, wieso ich in die Friedensbewegung gegangen bin, weil er, nach dem, was er 1953 erlebt hatte – schlimmerweise erlebt hatte –, sich nicht vorstellen konnte, dass das Ganze mal kippt, wie es damals so hieß, solange die Russen noch im Land sind. Mitläufertum – das machen sie jetzt in der heutigen Zeit mit einer gewissen Enttäuschung, wo sich manche zurücklehnen, die es zwei-, drei- oder viermal, wie es Schorlemmer einmal so schön formuliert hat, probiert haben und mit ihren ursprünglichen Zielen nicht weitergekommen sind, dann zu sagen, hat ja doch keinen Sinn. Das sollten Sie bitte nicht vermengen. Das ist etwas ganz anderes,

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

weil die Situation anders ist.

Natürlich gibt es heute irgendwo materielle Reize für die Menschen, bestimmte Richtungen einzuschlagen. Aber dass jemand per politisches Dekret zu irgendetwas gezwungen wird, wie es zu DDR-Zeiten – vergessen wir das bitte nicht – üblich war, das gibt es nicht. Sie müssen es sich heute einmal vorstellen, dass man zu einem Parteisekretär bestellt wurde, in dessen Partei man überhaupt nicht war. Stellen Sie sich vor, Herr Milbradt würde mich vorladen und sagen: Morgen um 9 Uhr tanzen Sie bei mir in der Kanzlei an!

Es ist für uns überhaupt nicht mehr vorstellbar und auch nicht für die jungen Leute. Doch das war das „Normale“.

Wie viele Leute hatten davor einfach Angst, weil sie wussten, dass der Nachbar oder jemand in der Straße nach so einem Treffen abends Besuch bekam von Leuten, die er überhaupt nicht eingeladen hatte.

Mit diesem Repressionsapparat den Leuten vorzuwerfen, dass sie Mitläufer waren, ist aus der heutigen Sicht und, ich glaube, auch aus der damaligen Sicht – –

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion)

Nein, Sie haben gesagt, dass das heute nicht anders ist, und Sie haben das einfach so abgetan, dass die meisten Mitläufer waren.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Den Begriff gab es gar nicht bei mir!)

Natürlich, aber Sie haben einen sehr viel schöneren Begriff. Das ist ja Ihr Schönes. Sie verwenden wunderschöne Begriffe. Sie haben auch nicht geschafft, Ja zu sagen, und dann haben Sie so einen langen Satz gebraucht, um am Ende nichts zu sagen, Herr Dr. Hahn. Das ist das Problem.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Ich nenne das Mitläufer. Über diese Menschen haben Sie gesprochen, und ich möchte diesen Menschen wenigstens noch nachträglich eine Stimme gegeben haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Die Linksfraktion; Frau Dr. Ernst, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Zastrow, ich sage Ihnen ganz offen, dass ich es gern gesehen hätte, wenn die demokratischen Fraktionen dieses Hauses einen solchen Antrag gemeinsam eingebracht hätten. DIE LINKE wäre dazu bereit gewesen. Es wäre gut gewesen, dies gemeinsam zu tun.

Lassen Sie mich noch einiges hinzufügen. Ja, es ist wichtig, in würdiger Form der Ereignisse von 1989 zu gedenken und vor allem derer – deswegen habe ich mich ja auch noch einmal gemeldet –, die sich für eine andere DDR engagierten und sehr wohl Diskriminierungen ausgesetzt waren. Dazu gehören Vertreter von Kirchen, Journalisten, Künstler, ehemalige Sozialdemokraten, Leute mit und ohne großen Namen, die sich für eine demokratische DDR einsetzten, zur Meinungs-, Reise-, Versammlungsfreiheit und gegen die Monopolstellung der SED. Zu ihnen gehörten auch Mitglieder der SED wie Max Fechner, Franz Merker und Robert Havemann, die letztlich wie andere auch Opfer politischer Justiz wurden.

Die Wende 1989 war kein Verdienst der sich selbst zur führenden Partei gekürten SED. Wende, friedliche Revolution – mein Kollege Dr. Hahn sagte es schon. Angesichts der Tatsache, dass Revolutionen sehr häufig in der

Geschichte blutig verliefen, verweist der Begriff „friedliche Revolution“ auf etwas, was Schule machen kann und woran letztlich, wenn auch sehr unfreiwillig, die Führung der DDR, wenn man so will, Anteil hatte. Die Entscheidung, nicht auf das Volk zu schießen, war vielleicht die beste in 40 Jahren DDR.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Das ermöglichte einen friedlichen Verlauf der Wende. Ich sage das dezidiert für meine Partei und zu meiner Partei. Das war auch die Voraussetzung für die demokratische Erneuerung der späteren PDS und der heutigen LINKEN. Im Unterschied zu anderen Parteien, zum Beispiel in Osteuropa, ist die Abkehr vom Stalinismus Gründungskonsens meiner Partei.

Auf dem außerordentlichen Parteitag der SED am 16. Dezember 1989 stellte Prof. Michael Schuhmann in seiner legendären, allerdings schonungslosen Rede – “Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System“ – eines klar: „So blieb unbegriffen, dass der Marxismus vor allem theoretischer Humanismus ist. Aus dieser Position resultiert die Erkenntnis der Notwendigkeit und Möglichkeit, sozialistische Politik als Lebensform des denkbar breitesten Bündnisses aller Kräfte des Volkes zu entwickeln, niemanden auszugrenzen, einen demokratischen Konsens zu finden. Dieses Bündnis, das die sachliche Auseinandersetzung stets einschließt, wurde oft nicht offen und ehrlich gesucht und durch Arroganz und Monopolisierung zerstört.“ Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der Kern des historischen Versagens der SED.

Mit zunehmendem Abstand zu den damaligen Ereignissen wird immer deutlicher, dass es natürlich ein Paradoxum ist, Sozialismus ohne die Freiheit der Andersdenkenden begründen zu wollen. Freiheit ist eben nicht einfach Einsicht in die Notwendigkeit, sondern eine Bedingung für die Entwicklung aller. So wurde, meine sehr geehrten Damen und Herren, der mündige Bürger zum eigentlichen Helden des Jahres 1989.

(Zuruf von der CDU: Zu Ihrem Problem!)

Wenn ich mich für ein solches Denkmal in Leipzig auch hier ausspreche, dann deshalb, weil ich ihm und ihr natürlich dieses Denkmal stiften möchte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, wir brauchen Orte, die an das Jahr 1989 erinnern, auch deshalb, weil wir endlich eine sachliche Analyse der Vergangenheit benötigen. Weder nostalgische Schönfärberei noch arrogantes Siegergehabe bringen uns weiter, denn die Geschichte ist so wenig ein Märchenbuch, wie sie ein Schlachtengemälde ist.

(Rolf Seidel, CDU: Aber auch nicht die Lüge eines Dr. Hahn!)

Wir brauchen eine ungeschönte, aber zugleich differenzierte Sicht auf 40 Jahre DDR, auf ihre Chancen und ihr Versagen, ihre Gesellschaft und ihre Menschen. Wir werden 40 Jahre DDR nicht verstehen, ohne zugleich

auch über 40 Jahre BRD und über die Zeit davor reden zu müssen. Deutschland hatte die Welt überfallen, und die Teilung Deutschlands war ein Ergebnis dessen wie auch die Teilung Europas. Hier lag der Ausgangspunkt. Die DDR ist so wenig auf Repression und Stasi reduzierbar wie die Bundesrepublik als verlängerter Arm der USA abzutun wäre. In beiden Staaten haben Menschen gearbeitet, in Verantwortung gestanden. Sie haben es mit Trümmern zu tun gehabt bis hin zu Trümmern in den eigenen Köpfen, die es der inneren Einheit Deutschlands bis heute schwer machen.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen die innere Einheit Deutschlands, schon um der nachfolgenden Generation die Genesis dieses Landes und die Bedeutung des Herbstes 89 erklärbar zu machen. Wir, DIE LINKE, nehmen die Erbschaft des demokratischen Aufbruchs in dieser Weise 1989 an. In diesem Sinne wollen wir eine offensive und differenzierte Auseinandersetzung mit der ganzen Geschichte unseres Landes. Wir brauchen dies in der Bildungsdiskussion, bei der Überarbeitung des Gedenkstättengesetzes, in der Politik. Ich frage Sie: Wie sollen Nachwendegeborene mit uns hier und auch mit sich selbst klarkommen, wenn sie mehr über die Geschichte des Römischen Reiches erfahren als über die Geschichte ihres eigenen Landes?

Meine Damen und Herren! Es mangelt in Deutschland nicht an lauten Siegesdenkmalen, sondern an Orten der Besinnung auf die Grundidee von 1989. Diese Grundidee ist der mündige Bürger. Wir sind das Volk! Dafür gingen Tausende Menschen in Leipzig auf die Straße, und zu Recht. Heute müssen wir uns sehr wohl die Frage gefallen lassen, was daraus geworden ist. Wir sollten es uns hier in diesem Plenum nicht so leicht machen und diese Frage im einfachen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition beantworten wollen, wo jede Seite für sich ja immer so sehr viel recht hat. Aber wenn heute immer mehr Freiheits- und Grundrechte durch sogenannte Erfordernisse der inneren Sicherheit relativiert werden, wenn der sozialen Gemeinschaft die Verarmung immer größerer Teile der Bevölkerung entgegengesetzt

(Zuruf von der CDU: Eine Frechheit!)

und Werte wie Solidarität und Gemeinwohl zur Phrase degradiert werden, dann erlaubt sich doch die Frage, ob die Ereignisse von 1989 möglicherweise falsch verstanden oder sogar vergessen worden sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf Michael Schuhmanns Rede von 1989 zurückkommen. Seine erste und wichtigste Schlussfolgerung war damals übrigens die Offenlegung jeglicher Straftaten gegen die Menschenrechte in der DDR, die Rehabilitierung aller, die Opfer stalinistischer Verfolgung geworden waren, und die Bewahrung bleibenden Gedenkens an die Opfer des Stalinismus. Dazu stehen wir auch heute ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Der Kalte Krieg, meine Damen und Herren, ist vorbei. Doch braucht es immer noch Mut, Zeichen der Versöhnung zu setzen. Diese Zeichen sind überfällig, weniger wegen uns, die wir hier sitzen, sondern wegen der uns Nachfolgenden. Ein Freiheitsdenkmal in Leipzig wäre eine Chance.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Gibt es vonseiten der Fraktionen noch Redebedarf? – Herr Zastrow, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Ernst, es ist kein Versehen gewesen, dass ich mich mit der FDP-Initiative nicht an Ihre Fraktion gewandt habe. Unser Demokratieverständnis unterscheidet sich manchmal eben doch.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Abg. Gunther Hatzsch, SPD)