Protokoll der Sitzung vom 09.07.2014

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Horte sind Kindertageseinrichtungen, die von schulpflichtigen

Kindern bis zur Vollendung der 4. Klasse besucht werden können. Sie können auch an Grundschulen errichtet und betrieben werden“, heißt es in § 1 des Sächsischen KitaGesetzes.

Was aber so nebensächlich und nach Freiwilligkeit klingt, das sind gegenwärtig fast 130 000 betreute Kinder allein in Sachsen im Hort. Im Jahr 2012 waren es 21,4 % und damit mehr als ein Fünftel der über 2 800 Kitas – ein Schulhort für Kinder an einer Grundschule.

Das Paradoxe daran ist, dass der individuelle Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung in Sachsen mit dem Schuleintritt endet, laut Sächsischem Kita-Gesetz aber der örtliche öffentliche Träger der Jugendhilfe verpflichtet ist, für alle Kinder bis zur Vollendung der 4. Klasse ein bedarfsgerechtes Angebot vorzuhalten.

Diese feine Differenzierung mag verwundern, wird jedoch gerade in den größeren Städten mit vollgestopften Grundschulen wie in Leipzig oder Dresden zum Problem; denn zusätzliche Plätze in Grundschulklassen bedeuten nicht automatisch zusätzliche Plätze in der Hortbetreuung.

Vor einer Woche standen Eltern und Schüler der 68. Grundschule Dresden hier vor dem Landtag, weil ihr Hort gerade nicht mit der Schule mitwachsen kann.

Schauen wir ins Nachbarland Thüringen – ich zitiere: „Für Grundschulkinder besteht ein Rechtsanspruch auf Förderung in Kindertageseinrichtungen von montags bis freitags mit einer täglichen Betreuungszeit von zehn Stunden unter Anrechnung der Unterrichtszeit. Dieser Anspruch gilt mit der Förderung an Horten in Grundschulen als erfüllt.“ – So weit in Thüringen.

Während sich die sächsische Landesregierung gern für ihre Ganztagsschulen lobt, obwohl Sachsen keine Ganztagsschulen hat, sondern nur ausgedünnte Ganztagsangebote im konzeptionellen Wildwuchs, ist der Hort an den Grundschulen seit einigen Jahren das eigentliche Erfolgsmodell – jedoch nicht allein aufgrund der engagierten Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher, sondern auch, weil Eltern berufstätig sein wollen oder ganztätig berufstätig sein müssen, um ihre Existenz zu bestreiten.

Hortbetreuung in Sachsen – das ist der Unterschied zur Ganztagsschule – ist der Tagesabschnitt im sächsischen Schulalltag, den die Eltern mit Gebühren bezahlen, und

der Hort ist bildungspolitisch seit vielen Jahren das fünfte Rad am Wagen. Daran hat weder die Handlungsempfehlung von Minister Steffen Flath und Ministerin Helma Orosz aus dem Jahr 2006 etwas geändert noch die Richtlinie über die Förderung von Ganztagsangeboten, die eine Kooperationsvereinbarung zwischen Grundschule und Hort voraussetzt. Es mutet seltsam an, wenn das Kultusministerium auf die Frage antwortet, man gehe davon aus, dass alle Grundschulen mit einem Hort kooperierten. Das heißt im Umkehrschluss: Man weiß es nicht genau.

Die Sächsische Staatsregierung muss sich aus der Sicht der LINKEN entscheiden: Will man die Ganztagsschule, muss die Rolle des Hortes perspektivisch neu geklärt werden – das ist auch Ergebnis einer Fachtagung, die im vergangenen September stattfand –, um die pädagogische Einheit von Schule und Hort zu erreichen. In Sachsen streiten an vielen Grundschulen immer noch Lehrkräfte und Horterzieher, wer zum Beispiel die Kinder während des Essens beaufsichtigt oder wer die Kinder – in der Pause nach dem Unterricht – betreut, die zwar die GTAAngebote nutzen, nicht jedoch in den Hort gehen.

Politiker aller Parteien und Ebenen verweisen gern auf die notwendige Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Erst der Hort an den Grundschulen ermöglicht diese Vereinbarkeit in Sachsen für berufstätige Eltern jüngerer Schulkinder. Mit 78,7 % besuchen mehr als drei Viertel der Sechs- bis Elfjährigen in Sachsen einen Schulhort. In den drei Großstädten Chemnitz, Dresden und Leipzig sind es sogar 87 bzw. 88 %.

Das Geld, das die Eltern für die Hortbetreuung ihrer Kinder aufbringen müssen, weist interessanterweise große Unterschiede auf, obwohl die Betriebskosten annähernd gleich sein müssten. Während man in der Gemeinde Triebel im Vogtlandkreis im Jahr 2012 für eine sechsstündige Betreuung monatlich 39,90 Euro bezahlen musste, waren es in Chemnitz 65,92 Euro und in Dresden sogar 79,32 Euro, also die doppelte Summe wie in der Gemeinde Triebel. Ich frage mich: Wie kommt das zustande?

Paradox, um nicht zu sagen komisch wird es in der Antwort auf Frage 18 zur Betreuung der Schulkinder auf dem Weg zum Hort. Die Eltern sind nach Auffassung des Kultusministeriums für die Aufsicht während des Weges der Kinder von der Schule zum Hort verantwortlich. Dabei nutzen die Eltern in den meisten Fällen die Hortbetreuung gerade deshalb, weil sie am Mittag oder frühen Nachmittag aufgrund von Erwerbstätigkeit eben nicht für ihre Kinder sorgen können.

Ärgerlich ist es deshalb auch, wenn die Staatsregierung keine Kenntnis darüber hat, wie weit insbesondere im

ländlichen Raum die Entfernungen zwischen dem Schulstandort und dem jeweiligen Hort sind. Es gibt Grundschulen, die mit mehreren Horten kooperieren. Aber das Kultusministerium weiß nicht, wie viele und welche das sind. Das Kultusministerium weiß zudem nicht, wie viele Integrationsschüler auch einen Hort besuchen.

Angesichts des politischen Anspruchs, Horte als Teil der Kindertagesbetreuung anzusehen – wegen der viel gepriesenen schulischen Ganztagsbetreuung sind sie auch Bildungseinrichtungen –, macht es sich aus der Sicht der LINKEN die Staatsregierung zu einfach, wenn sie vieles nicht weiß. Weil sie es nicht wissen will!

Der im Juni erschienene Vierte Sächsische Kinder- und Jugendbericht, auf den wir morgen noch zu sprechen kommen werden, enthält auch Aussagen zur Kindertagesbetreuung, da diese und der Hort Angebote der Kinder- und Jugendhilfe darstellen. Leider ist den Autoren des Berichts nicht aufgefallen, dass die größte Zunahme der Zahl betreuter Kinder seit 2006 trotz Krippenausbaus nicht in der Kinderkrippe, sondern – mit mehr als 30 000 Kindern auf 126 000 betreute Kinder – im Hortbereich zu verzeichnen ist.

Die Stellungnahme der Staatsregierung zum Vierten Kinder- und Jugendbericht hält auf 36 Seiten immerhin eine halbe Seite für den Kitabereich bereit. Allein, der Begriff „Hort“ taucht dort nicht auf, erst recht nicht die Fragestellungen, die sich neu ergeben. Angesichts dessen sage ich: Da hat das Kultusministerium seine Hausaufgaben nicht gemacht.

Ich möchte an dieser Stelle aus der Fortschreibung des Fachplanes Kindertageseinrichtungen für die Landeshauptstadt Dresden zitieren, in der der Wunsch nach kontinuierlichem fachlich-inhaltlichem Austausch zwischen der Sächsischen Bildungsagentur und dem Dresdner Eigenbetrieb Kita als öffentlichem Träger der Jugendhilfe zum Ausdruck kommt. Ich zitiere: „Derzeit reagieren Schule und Hort mit unterschiedlichen Strategien und inhaltlichen Ausrichtungen auf Anforderungen, wie große Heterogenität in Gruppen bezüglich Lernstand, hohe Schülerzahlen in Klassen, Verhaltenskreativität von Kindern etc.“

Entgegen der Auffassung der Staatsregierung sehen die Fachleute, die die kritische Stellungnahme der Wissenschaft zum Vierten Kinder- und Jugendbericht verfasst haben, durchaus politischen Handlungsbedarf. Ich darf zitieren: „Der stärkste Zuwachs an betreuten Kindern zwischen den Jahren 2006 und 2012 ist für den Hort zu verzeichnen. Dieser Bereich, der infolge der Strategie für ganztägige schulische Angebote lange am Rande der fachlichen Aufmerksamkeit lag, ist stark gewachsen und bedarf wieder mehr qualitativer Entwicklung.“

Diese Botschaft möchte ich Ihnen, Frau Kurth, heute noch einmal mitgeben. Wenn die Anzahl der betreuten Hortkinder aber in wenigen Jahren um ein Drittel gestiegen ist, stellt das die freien und die öffentlichen Träger der Horte vor neue personelle und auch räumliche Herausforderungen. Die Raumfrage wird zunehmend wichtiger. Konnten

die Horte in früheren Jahren eigene Räume in den Grundschulen beziehen, weil die Schülerzahl zurückging, so hat sich die Situation zumindest in den Großstädten komplett gewandelt. Bis an das Dach vollgestopfte Grundschulen haben insbesondere in den Großstädten keine eigenen Horträume mehr. Unterricht und Nachmittagsbetreuung finden vielmehr in Doppelnutzung statt.

Das hat Auswirkungen auf die pädagogische Konzeption. Ein Klassenraum, der Sitzplätze für 28 Schülerinnen und Schüler bereithalten muss, ist nur mühsam jeden Tag umzuräumen und in einen gemütlichen Gemeinschaftsraum für den Nachmittag umzuwandeln, in dem sich Kinder auch in der Freizeit wohlfühlen.

Damit sind wir bei den Platzzahlen. Völlig unklar ist mir, wie es sein kann, dass laut Antwort auf Frage 9 der Großen Anfrage im Jahr 2013 130 838 Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren nur 87 062 genehmigte Hortplätze gegenüberstanden. Laut Statistischem Landesamt besuchten aber 108 423 Schulkinder eine Kindertageseinrichtung. Wie kommt die Differenz von 20 000 Hortplätzen zustande?

Was folgt daraus? Wir als LINKE sehen Nachbesserungsbedarf in der Kinder- und Jugendhilfestatistik des Freistaates, wie er auch in der kritischen Stellungnahme zum Vierten Kinder- und Jugendbericht angemahnt wird.

Dennoch möchte ich an dieser Stelle dem Referat Kindertagesbetreuung des Kultusministeriums und dem Landesjugendamt meinen Dank für die mühevolle Beantwortung der Großen Anfrage aussprechen. Ich hoffe, dass die Antwort vor allen Dingen in den Fachreferaten als Grundlage für weitere fachliche Überlegungen genommen wird.

Lassen Sie uns gemeinsam die Große Anfrage zum Anlass nehmen, den Hort in Sachsen zwischen Grund- und Förderschule und Ganztagsangeboten nicht aus dem Blick zu verlieren, sondern auch nach der Landtagswahl weiterzuentwickeln.

Aus der Sicht der LINKEN wäre ein erster wesentlicher Schritt die Verbesserung des Betreuungsschlüssels; denn derzeit steht nicht einmal eine volle Stelle für eine Klasse bzw. Hortgruppe zur Verfügung. Ein weiterer Schritt wäre die Ausweitung des individuellen Rechtsanspruchs der Kindertagesbetreuung auf den Hort. Schließlich dürfen wir die Aus- und Weiterbildung der pädagogischen Fachkräfte nicht vernachlässigen. Wir müssen die Erzieherinnen und Erzieher besser auf die Arbeit mit behinderten Kindern vorbereiten, um der Pflicht zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung zu

Und: Wir müssen für Lehrkräfte und Horterzieher gezielt gemeinsame Fortbildungen anbieten, damit das Verständnis für den anderen wächst und die konzeptionelle Zusammenarbeit besser funktioniert. Hier sind aus meiner Sicht das Landesjugendamt und das Sächsische Bildungsinstitut gemeinsam gefordert. Denn für alle Bildungsorte von Kindern gilt: Auf den Anfang kommt es an. Das gilt auch und gerade in der Grundschule und im Hort.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Für die Einbringerin, die Fraktion DIE LINKE, sprach Frau Kollegin Klepsch.

Jetzt beginnen wir mit der ersten Rederunde. Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schreiber.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich war es so gedacht, dass ich meine Rede ganz schnell beende. Ich wollte mich nämlich bei der Staatsregierung für die sehr umfassende Beantwortung der Großen Anfrage bedanken und es damit bewenden lassen. Dass jede Fraktion für sich aus den Antworten der Staatsregierung auch Schlüsse für die Zukunft zieht, ist sicherlich selbstverständlich.

Frau Klepsch hat aber wieder zum allgemeinen bildungspolitischen Rundumschlag ausgeholt. Erst gestern wieder durften wir gemeinsam an einem Forum der Liga der Freien Wohlfahrtsverbände teilnehmen. Was ich dort erlebt habe, in welche Wahlkampfrhetorik man dort mittlerweile verfallen ist, schlägt schon fast dem Fass den Boden aus.

In der vergangenen Woche habe ich gemeinsam mit der Kultusministerin sowie mit Frau Stange, Frau Falken, Herrn Bläsner und Frau Hermenau – Frau Giegengack war nicht dabei – an einem Forum der Freien Schulen teilgenommen. Frau Hermenau ließ sich dort zu der Behauptung herab, die Staatsregierung habe in den vergangenen Jahren die Freien Schulen um eine halbe Milliarde Euro beschissen – ich sage das einfach so deutlich –, und es sei ja wohl ganz logisch, dass man in den nächsten Jahren bei der Finanzierung der Freien Schulen von jetzt 240 Millionen Euro auf mindestens 500 Millionen Euro hochgehen müsse. Das gebe letzten Endes das Urteil des Verfassungsgerichtshofes vor. Das wurde logischerweise von Frau Stange und von Frau Falken unterstützt.

Wie gesagt, gestern saßen wir im Kita-Forum der Liga der Freien Wohlfahrtsverbände. Dort ging es wieder einmal um den Betreuungsschlüssel. Ich muss deutlich sagen, das war eine ganz finstere Veranstaltung – und dann auch noch in den Räumen der Dresdner Dreikönigskirche, wo es natürlich auch um Geld ging.

(Zurufe von den LINKEN und der SPD)

Ja, wir reden über den Anfang, und auf den Anfang kommt es an. Wir reden über die Betreuung unserer Kinder im Vorschulbereich, im Schulbereich und in dem Bereich, in dem die Kinder nach dem täglichen Schulalltag sind, nämlich im Hort oder im Ganztagsangebot. Darüber reden wir hier, Frau Klepsch.

Sie wollen nicht akzeptieren, dass ich einmal diesen Bogen spanne aus all diesen Bereichen, die Sie in den letzten Monaten hoch- und runterbeten, wobei Sie jedem dort, wo Sie gerade sitzen, Millionen, teilweise Hunderte

von Millionen in den Mund hineinversprechen und dafür logischerweise Applaus ohne Ende ernten, aber mit keiner Silbe sagen, wie Sie das finanzieren wollen. Frau Stange hat das gestern ansatzweise getan, indem sie sagte, dass man sich, wenn man bei der frühkindlichen Bildung etwas mehr investieren will, dafür entscheiden muss, keine Straßen mehr zu bauen oder keine Wirtschaftsförderung mehr zu betreiben. Das war schon ein Fortschritt.

Fakt ist doch eines: Wenn wir das Kind betrachten, müssen wir es in Gänze betrachten. Ich frage mich, wann wir heute oder morgen noch über das Thema Hochschule reden, denn das gehört dann auch noch dazu.

Jetzt komme ich auf den Hort. Frau Klepsch, Sie stellen sich hier hin und behaupten, man wolle das alles nicht wissen. Sie, Frau Klepsch, haben es mit dem Titel Ihrer Großen Anfrage, nämlich „Entwicklung des Hortes als Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe …“, schon getroffen. Da sind wir beim gleichen Thema wie gestern. Es ist doch so, dass die Betreuung in der Kindertagesstätte und die Betreuung im Hort zuallererst einmal eine kommunale Pflichtaufgabe ist.

(Widerspruch bei den LINKEN und der SPD)

Gut, die „Pflicht“ lasse ich beim Hort weg. Es gibt in Sachsen einen Rechtsanspruch auf den Besuch eines Hortes nicht. Das ist richtig. Wenn Sie diesen Rechtsanspruch auf den Besuch eines Hortes einführen wollen – wir kommen ja dann noch zu Ihrem Entschließungsantrag –, aber selbst vorhin gesagt haben, dass 130 000 Kinder in Sachsen eine Horteinrichtung besuchen – und da sind wir bei einer Abdeckung von mehr als 70 % der Kinder, die in Sachsen einen Hort besuchen könnten, Tendenz steigend –, dann sagen Sie doch bitte auch, wie Sie das Geld für diesen Rechtsanspruch neben dem Geld für die freien Schulen, neben der Absenkung des Kita-Personalschlüssels, neben den 500 zusätzlichen Lehrerstellen aufbringen. Dann sagen Sie doch wenigstens – und da wiederhole ich mich immer wieder, das werden Sie immer wieder hören –, woher Sie das Geld nehmen wollen.

(Zuruf der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Nein, nein, Frau Stange, ich kann noch bis vorgestern denken.

Frau Dr. Stange, da reichen Ihre 275 Millionen Euro, die Sie über die nächsten zehn Jahre aufbringen und in all diese Bereiche von Bildung – die Hochschulen habe ich noch gar nicht genannt – stecken wollen, überhaupt nicht aus.

(Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD – Weitere Zurufe von den LINKEN und der SPD)