Protokoll der Sitzung vom 10.07.2014

Ich glaube, es ist wichtig zu sagen, dass die sächsische Politik Karl Nolle unendlich viel zu verdanken hat.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Er war derjenige, der – als ich noch nicht im Landtag war, 1999 fortfolgende – überhaupt so etwas wie die Anmutung dessen, dass eine Opposition in Sachsen möglich ist, in die sächsische Öffentlichkeit getragen hat. Dafür, lieber Karl, möchte ich dir herzlich danken, und ich hoffe und bin überzeugt, dass dein Wirken auch weiterhin wirken wird. Vielen Dank!

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Wir stehen einem Geraune im Politikraumschiff gegenüber, das sich längst verselbstständigt hat. Die ekligsten Details werden so lange wiedergegeben, bis sie als unumstößliche Wahrheit erscheinen. Wer es in diesem Klima wagt, auf die Unschuldsvermutung hinzuweisen, macht sich fast schon verdächtig, etwas vertuschen zu wollen.

Wir müssen es aber hier tun. Dies gilt bis zum Beweis des Gegenteils auch für Herrn Röger wie für die anderen mehr oder weniger verdeckt Beschuldigten. Aber das Schlimmste sind die ganzen Vorwürfe, die im Raum stehen; denn wir halten sie alle für möglich.

Warum halten wir sie für möglich? „Das sogenannte Leipziger Modell, die große Einigkeit, die für jeden etwas abfallen lässt, damit alle stillhalten, steht seit vielen Jahren immer wieder im Verdacht. Es sind über die Jahre hinweg zu viele seltsame Begebenheiten aufgelaufen, deren Aufklärung sich im Dunkeln verloren hat, als dass man noch an Zufälle glauben mag. Offenbar überwiegt die Anzahl derer, die etwas zu verlieren haben, immer noch die Anzahl derer, die an einer ehrlichen Verwaltung und Aufklärung interessiert sind.“

Ich habe soeben aus meiner Rede vom 5. Juni 2007 zitiert, die ich in der Debatte nach der „Mafia-Rede“ des damaligen Staatsministers Dr. Buttolo gehalten habe, und, meine Damen und Herren, ich denke, nach den Vorreden der Kollegen der Koalition war es wichtig, dies noch einmal zu zitieren. Es war nämlich keineswegs so, wie Sie es darstellen: dass die gesamte Opposition hier in einen Hype verfallen und in sinnlose Beschuldigungen ausgebrochen ist. Das Gegenteil war der Fall.

(Christian Piwarz, CDU: Na, na, na!)

Das Problem ist allerdings: Ich habe zwar nichts zurückzunehmen, wie der Kollege Bartl, aber wir sind heute, sieben Jahre nach diesem Ereignis, aufgrund des Versagens der Staatsregierung, der sächsischen Justiz und auch der sächsischen Medien kaum einen Schritt weiter, und das ist das eigentliche Problem.

Auch wir als Oppositionspolitiker – auch ich – müssen uns die Frage gefallen lassen, ob wir unserer Verantwortung gerecht geworden sind. Wir haben aber jedenfalls eines erlebt, nämlich, wie das System der sächsischen Demokratie funktioniert. Die Oppositionsfraktionen – dies wurde genannt – haben den Begriff der „weißen Korruption“ in die Debatte geworfen, und ich denke, es ist ein hilfreicher Begriff.

Über welche Geschichte sprechen wir heute? Es ist eine Geschichte über die politische Steuerung und Instrumentalisierung der sächsischen Justiz. Es ist eine Geschichte über die Willfährigkeit der Justiz, weil sie sich in ihrer Berufsehre beleidigt fühlt. Es ist eine Geschichte, wie die Justiz Gerechtigkeit verfehlt und den Opfern von Straftaten nicht etwa Genugtuung und Rehabilitierung verschafft, sondern sie erneut zu Opfern macht, und das ist der eigentliche Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist auch eine Geschichte des Versagens der sächsischen Medien, die aus den Routinen ihrer Berichterstattung niemals herausfanden. Ich meine damit nicht allein die Berichterstattung der „Sächsischen Zeitung“, die sich seit 2007 als Laut- und Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Dresden betätigt. Ich meine den anfänglichen Medienhype 2007 und das anschließende fast zwangsläufige mediale Desinteresse, das nur noch von vordergründigen Personality-Geschichten über

angeklagte Journalisten und „Jasmin“-Opfer unterbrochen wurde.

Nachdem die Medien ein Bild der totalen Korruption Sachsens gezeichnet hatten, haben sich zu viele von ihnen – nicht alle, aber zu viele von ihnen – von den Einflussnahmen der Staatsregierung auf ihre Chefredaktionen, durch Unterlassungsbegehren und Strafverfolgung einschüchtern sowie von bestellten Gutachten der Staatsregierung blenden lassen. Dann haben die meisten das Interesse vollständig verloren und so de facto die Version der Staatsregierung gestützt.

Was haben wir über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dresden zum angeblichen Bordellbesuch von Juristen erfahren?

Erstens. Von Anfang an wollten Staatsanwaltschaft und Justizministerium die Verfahren gegen die Juristen einstellen, noch bevor die Ermittlungen überhaupt begonnen hatten; sie haben aber der Öffentlichkeit ernsthafte Ermittlungen vorgegaukelt. Hinter dieser Fassade der ernsthaften Ermittlungen konnte dann die Staatsregierung ihr Werk der Abmoderation abwickeln.

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Zweitens. Es haben nie, zu keinem Zeitpunkt, ernsthafte Ermittlungen stattgefunden, ob die Justizpersonen im „Jasmin“ waren oder nicht.

Drittens. Ermittlungen haben faktisch nur auf die Gegenanzeigen der Justizpersonen und nur gegen Zeugen stattgefunden, die die offizielle Version nicht teilen.

Viertens. Die Gründe für die öffentliche Kommunikation der Staatsanwaltschaft, warum die Justizpersonen nicht im Bordell gewesen sein können, sind widerlegt – und das halte ich für das inhaltliche Hauptergebnis dieses Untersuchungsausschusses.

Die Kollegen haben es angesprochen: Unsere Aufgabe als Untersuchungsausschuss war es nicht, die Arbeit der Ermittlungsbehörden zu ersetzen, deshalb laufen die Vorwürfe, die auch hier vom Kollegen Piwarz in seiner Rede hinlänglich vorgetragen wurden, einfach ins Leere.

Wie liefen die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ab? Ich möchte versuchen, Ihnen einen kurzen Abriss in Phasen zu geben.

Phase 1. Die Ermittler stießen sofort, am Anfang ihrer Ermittlungen, auf einen Abschlussvermerk der Staatsanwaltschaft Leipzig aus dem Jahre 2000. Dieser hält fest, dass die vorgeworfenen Straftaten alle verjährt sind – bis auf eine: den Verdacht des sexuellen Missbrauchs von unter 14-Jährigen. Die Staatsanwaltschaft Dresden entschied trotzdem, weiterzuermitteln – jetzt aber, um die Unschuld der Justizpersonen zu beweisen. Der Öffentlichkeit hat sie diese Änderung der Ermittlungsrichtung aber zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt.

Phase 2. Beginn der Gegenermittlungen schon im Sommer 2007. Es ist schon erstaunlich, dass der Beschuldigte Röger bereits drei Wochen, nachdem er seine Gegenanzeige erstattet hat, am 31. Juli 2007 Akteneinsicht erhält. Das würde man sich als Anwalt – und ich weiß, wovon ich rede – öfter mal wünschen: dass man dermaßen schnell Akteneinsicht erhält. Als Beschuldigter ist Herr Röger zu keinem einzigen Zeitpunkt vernommen worden.

Phase 3. Die Krise der Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft Dresden hatte zu keinem Zeitpunkt die Absicht, die unmittelbaren Wahrnehmungszeugen, die Frauen aus dem „Jasmin“, überhaupt zu vernehmen. Erst als ihnen ein Journalist Ende Oktober 2007 die Adressen anbietet, kommen die Ermittler um die Befragung nicht mehr

herum. Die Frauen werden geladen. Es dauert immer noch drei Monate.

In den Vernehmungen vom 14. Januar 2008 identifizieren zwei Zeuginnen die Beschuldigten, zwei Justizpersonen, als Bordellbesucher. Der ermittelnde Staatsanwalt

Schwürzer ruft noch aus den Vernehmungen heraus, meine Damen und Herren – noch aus den Vernehmungen heraus! –, den Pressesprecher des Justizministers an und fragt: Sind die Ehrenerklärungen schon raus? Das zeigt uns nicht nur den engen Kontakt zwischen den Ermittlern und dem Justizministerium, sodass Ergebnisse, die nicht ins Bild passen, unmittelbar eins zu eins kommuniziert werden, sondern eben auch die langgehegte Absicht, die von Anfang an bestanden hat: den Röger öffentlich zu rehabilitieren.

Aber was geschieht dann? Schon am 16. Januar erklärte der ermittelnde Oberstaatsanwalt Schwürzer dem Pressesprecher, dass die Frauen wohl lügen müssten. Wie kam es zu dieser schnellen Meinungsänderung? Wir wissen nur Folgendes: Der Pressesprecher hat die Hausspitze – das sind Herr Mackenroth und die Staatssekretärin Hauser – von dem Telefonat unterrichtet.

Wir kennen das Ergebnis, nämlich dass Herr Schwürzer und sein Adlatus Kohle danach alle Ermittlungen eingestellt haben.

Dass die Hausspitze von diesen Vorgängen aufs Engste informiert war und sie gutgeheißen hat, zeigt eine Mail des berühmt-berüchtigten wachen Auges, Herrn Eißer, aus einer südwestdeutschen Provinz – ich würde sagen: mein Heimatland Baden-Württemberg, aber sei es drum – an Herrn Staatsminister Mackenroth,

(Christian Piwarz, CDU: Waldshut-Tiengen!)

in dem Herr Eißer ausdrücklich begrüßt, dass die Staatsanwaltschaft Dresden die Frauen jetzt ein zweites Mal vernehmen möchte. Ja, warum wohl? – Um eben genau nachzuweisen, dass die Frauen gelogen haben müssen.

Wir fragen uns – wir sind alle geschulte Tatortbeobachter –: Was würde eine Staatsanwaltschaft in dieser Situation tun? Es gibt eine Beschuldigung. Was macht man dann? Die erste Idee ist, man macht eine Gegenüberstellung. Herr Staatsanwalt Kohle hat eine Gegenüberstellung geplant. Warum kam diese Gegenüberstellung nicht zustande? – Weil sich die Beschuldigten geweigert haben, an einer Gegenüberstellung teilzunehmen.

Ich glaube, nicht nur die Kollegen aus der Opposition waren darüber etwas verwundert, dass in der Staatsanwaltschaft Dresden Gegenüberstellungen deshalb nicht stattfinden, weil sich die beschuldigten Personen dieser Gegenüberstellung verweigern. Ein seltsamer Vorgang objektiver Ermittlungen. Wir haben Herrn Staatsanwalt Kohle gefragt, ob er denn konkrete Alibi-Überprüfungen für die fraglichen Tatzeiten im Januar 1993 gemacht habe. – Nein, hat er nicht. – Frage: Warum? – Antwort: „Keine Ahnung. Wir haben es eben nicht für notwendig befunden.“

Meine Damen und Herren! Das sind nur zwei Hinweise. Es gibt eine Vielzahl solcher Hinweise, die belegen, beweisen und nachweisen, dass die Staatsanwaltschaft Dresden, Herr Schwürzer und Herr Kohle, zu keinem Zeitpunkt ehrliche Ermittlungen geführt haben, sondern die Ermittlungen nur geführt haben, um das gewünschte Ergebnis vermeintlich zu belegen.

Wie ging es dann weiter? Jetzt kommt das übelste Spiel, die übelste Schmierenkomödie. Die Frauen mussten jetzt sozusagen als Lügnerinnen überführt werden. Ich habe gefragt: „Haben Sie denn Erfahrungen mit traumatisierten Opfern sexualisierter Gewalt im Kindes- und Jugendalter?“ Jeder, der sich ein wenig mit dem Sachverhalt beschäftigt, weiß, dass diese Zeuginnen in hohem Maße traumatisiert sind und ein sehr spezifisches Aussageverhalten haben – ein Aussageverhalten, das anders ist als bei Erwachsenen, nämlich ein Aussageverhalten, das örtliche und zeitliche Zuordnungen verwechselt –, sie aber über das Kerngeschehen sehr genau Auskunft geben können.

Herrn Schwürzer und Herrn Kohle ist dies nicht bekannt. Sie haben auch keinerlei Erfahrungen bei der Vernehmung von traumatisierten Opfern sexualisierter Gewalt. Was machen sie? Sie laden die Frauen, verhören sie stundenlang und konfrontieren sie in einer Art und Weise mit Fragen, die ungeheuerlich ist. Sie vernehmen sie als Zeuginnen, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt – das ist meine Überzeugung – überzeugt waren, dass die Frauen lügen. Sie locken sie also bewusst in eine juristische Falle, um sie später anklagen zu können. Das halte ich für einen der größten Skandale, die hier passiert sind.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und den LINKEN)

Aber was macht die Staatsanwaltschaft? – Sie führt der Öffentlichkeit Ende April 2008 eine große Komödie vor: Wir haben ein Dreivierteljahr ermittelt, „bis das Blut spritzt, haben wir ermittelt“, so sinngemäß. Herr Avenarius war da oben auch tätig als Pressesprecher.

Von der Verjährung, von diesen ganzen Details nichts, null, niente. Aber es wird nachgewiesen: Ja, die Frauen müssen lügen, und dann kommt eine ganze Latte von Geschichten, die mittlerweile widerlegt sind. Ich nenne nur eine Geschichte: Ein Protokoll der Frauen aus dem Jahr 2000 musste dazu dienen nachzuweisen, dass die Frauen gelogen haben. Wir haben mittlerweile ein Urteil des Landgerichts Dresden im sogenannten Journalistenprozess, in dem steht, dass die damals gefertigten Protokolle falsch sind. Damit ist ein großer Teil des – ich sage es so hart – Lügengebäudes der Staatsanwaltschaft Dresden zusammengefallen.

Meine Damen und Herren! Ich halte das für einen Skandal allererster Güte. Man hätte als Staatsanwaltschaft Dresden sagen können: Okay, wir glauben euch Frauen nicht. Aber wir müssen Sie deswegen nicht der Verleumdung anklagen. Wir müssen sie nicht vor den Kadi zerren. Warum passierte das? Warum wurden diese Frauen vor den Kadi gezerrt? Nur deshalb, damit sie weiterhin als

unglaubwürdig dastehen. Das ist sozusagen diese Geschichte, wie die eigentlichen Opfer weiter zu Opfern gemacht werden. Das halte ich für einen Skandal erster Güte.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Wir mussten uns viel dummes Zeug seitens der Koalitionsredner anhören. Ich sage es jetzt einmal so hart. Sie haben unseren Bericht natürlich nicht gelesen, sonst hätten Sie gelesen, dass wir dort ausdrücklich feststellen, dass für die beschuldigten Justizpersonen die Unschuldsvermutung gilt. Ich habe deswegen am Anfang das zitiert, was ich im Juni 2007 gesagt habe. Damals bin ich auch von der Unschuldsvermutung der beschuldigten Justizpersonen ausgegangen.

Das hat die Opposition ausdrücklich festgestellt. Ich füge noch eines hinzu: Mein Antrag in den Berichten, die Klarnamen, sowohl der beschuldigten Justizpersonen als auch der anderen Justizopfer, der Frauen aus dem „Jasmin“, aus Gründen des Persönlichkeitsrechtes zu schwärzen, wurde nicht nur von der Koalition, sondern auch von den LINKEN und der SPD abgelehnt. Ich halte das für eine Fehlentscheidung.

Ich füge noch hinzu: Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Frauen, die die Justizpersonen beschuldigt haben, subjektiv die Wahrheit gesprochen haben. Daran habe ich keinen Zweifel. Trotzdem muss die Unschuldsvermutung weiterhin für die Justizpersonen gelten.

(Christian Piwarz, CDU: Richtig!)

Es war ausgerechnet Justizminister Mackenroth – der jetzt leider nicht mehr anwesend ist, ich hatte mich so gefreut –, der sich sozusagen als letzter Mohikaner dem geballten Willen des Justizapparats entgegengestellt hat, Herrn Röger durch die Zuweisung eines neuen, schönen Amtes zufriedenzustellen.