Protokoll der Sitzung vom 10.07.2014

Ein Punkt ist noch einmal besonders wichtig: Die Prävention wird oft bemüht, auch in Ihren Reden, die hier gehalten werden. Beispiele für Prävention oder dringenden Präventionsbedarf werden vor allem immer wieder in der Drogenpolitik zu Recht angeführt. Aber auch hier sehen wir, wie wichtig es ist, weil die Kosten im „Reparaturbetrieb“, bei den Hilfen zur Erziehung, in den vergangenen Jahren massiv angestiegen sind.

In der Stellungnahme der Staatsregierung heißt es, dass die steigenden Kosten auf eine steigende Sensibilisierung im Bereich des Kinderschutzes zurückzuführen sind. Das mag einer der Gründe sein, aber bei Weitem nicht alle. Eine wichtige Ursache, die in der Analyse fehlt, ist, dass die Anstiege bei der Intervention ihre Ursache auch im

Wegbrechen der Präventionsstrukturen in Sachsen haben, die Sie in den letzten fünf Jahren zu verantworten haben.

Die Kürzungspolitik der schwarz-gelben Staatsregierung hat die Situation in Sachsen somit massiv verschärft und die präventive Haltefunktion der Kinder- und Jugendhilfe geschwächt.

Deshalb wollen wir als SPD – und mit uns, denke ich, auch die anderen Oppositionsfraktionen – eine neue, nachhaltige Stärkung der Kinder- und Jugendpolitik. Wir haben zentrale Eckpunkte in unserem Antrag vorgestellt. Wie wichtig eine ordentliche und kontinuierliche Sozialberichterstattung ist, beweist dieser Bericht – bei allen Schwächen. Deshalb möchten wir gern ein wissensbasiertes Kompetenzzentrum einrichten, das uns kontinuierlich ermöglicht zu wissen, wie es den Kindern und Jugendlichen in Sachsen geht.

Wir möchten, dass aus den Ansagen der Stellungnahme auch im Doppelhaushalt konkrete Zahlen werden. Das beginnt natürlich mit der Rücknahme der Kürzungen aus dem Jahr 2010. Wir möchten, dass auch Sachsen endlich dem Vorbild anderer Bundesländer folgt und ein Konzept für eine eigenständige sächsische Jugendpolitik erarbeitet.

Wir brauchen Konzepte für den ländlichen Raum. Hier zeigen die miesen Umfragewerte unter jungen Menschen, dass Handlungsbedarf besteht. Wir brauchen mehr Engagement bei der Schulsozialarbeit und wir möchten gern, dass das Verfahren zur Vergabe des Jugendberichtes deutlich überarbeitet wird. Ich glaube, das Ergebnis aktuell in seiner Systematik zeigt, dass es hier Verbesserungsbedarf gibt.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Für die Linksfraktion Frau Klepsch, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst will ich Danke sagen für die gute Zusammenarbeit mit den Jugendpolitikern und den Bildungspolitikern aller demokratischen Fraktionen in diesem Haus. Ganz besonders Danke sagen möchte ich vor allem Elke Herrmann und Annekathrin Giegengack, weil sie bekanntlich den Landtag verlassen werden. Mir war es immer eine gute Zusammenarbeit mit euch – vielen Dank und alles Gute auch außerhalb des Parlaments!

(Beifall bei den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Nun zum eigentlichen Thema. Was ist von einer Regierung zu halten, die ihre Pflicht zur Berichterstattung nicht um der Erkenntnis willen, sondern nur um der Pflichterfüllung willen wahrnimmt? Was ist von einer Regierung zu halten, die richtige Erkenntnisse zwar in einer Stellungnahme zu Papier bringen lässt, aber den Schlussfolgerungen kaum politisches Handeln folgen lässt?

Kultusministerin Kurth hat heute Vormittag in der Aktuellen Debatte zur Bildung gesagt: „Wir müssen nicht nur wollen, sondern auch mit Augenmaß handeln.“ Darin gebe ich ihr recht.

Bei der Umsetzung des vorhergehenden Dritten Sächsischen Kinder- und Jugendberichtes und bei der Erarbeitung des Vierten Berichtes hat die Staatsregierung weder wirklich gewollt noch mit Augenmaß gehandelt. Warum? Im Sozialgesetzbuch VIII können wir lesen: „Die oberste Landesjugendbehörde hat die Tätigkeit der Träger der öffentlichen und der freien Jugendhilfe und die Weiterentwicklung der Jugendhilfe anzuregen und zu fördern. Die Länder“ – damit sind wir bei der Staatsregierung – „haben auf einen gleichmäßigen Ausbau der Einrichtungen und Angebote hinzuwirken und die Jugendämter bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen.“

Das Land Sachsen hat sich selbst richtigerweise im Landesjugendhilfegesetz die Verpflichtung auferlegt, den Landtag in jeder Legislaturperiode – also einmal in fünf Jahren – über Entwicklungen in der Jugendhilfe und die daraus resultierenden Folgerungen zu unterrichten.

Als ich vor fünf Jahren als junge Abgeordnete im Sächsischen Landtag neu war, war der Dritte Sächsische Kinder- und Jugendbericht gerade ein halbes Jahr alt. Ich habe ihn gern und oft für unsere Fachdebatten als Quelle genutzt, weil er gut war, und ich war gespannt, wie die benannten Ziele und Herausforderungen umgesetzt werden würden.

Ich glaube, heute, fünf Jahre später, können wir konstatieren: Vieles aus dem Dritten Bericht ist offengeblieben oder wurde in der Umsetzung aus Kostengründen eingedampft – siehe Schulsozialarbeit, siehe Medienbildung.

Seit einem Monat nun liegt der Vierte Kinder- und Jugendbericht für Sachsen vor, und ich sage in aller Deutlichkeit: Erstens, er ist eine Enttäuschung; zweitens, das war leider zu erwarten und drittens, er kommt zum Teil auch noch mit alten Zahlen von 2008/2009.

Warum ist das so? Der Bericht ist bereits mit einem Geburtsfehler gestartet worden. Trotz der konstruktiven Arbeit der Expertenkommissionen zur Erarbeitung der Vorgängerberichte war das Sozialministerium der Meinung, diese Expertenkommission sei verzichtbar. Es wurde lediglich ein Beirat aus Jugendhilfefachleuten bestellt, die bestenfalls größere Schnitzer verhindert und empirica beraten haben. Die Mitglieder des Beirates haben aus meiner Sicht das ihnen Mögliche getan. Was sie jedoch nicht ausbügeln konnten, das war, die mangelnde Fachlichkeit und das Erfahrungswissen des beauftragten Institutes empirica in der Kinder- und Jugendhilfe auszugleichen.

Liest man den Bericht und die Stellungnahme der Staatsregierung, so merkt man jedoch deutlich, von welch hoher Fachlichkeit und auch sprachlichen Versiertheit die Stellungnahme geprägt ist. Ich schließe mich meinem Vorredner an: Vielen Dank an das Landesjugendamt und das Referat Kinder- und Jugendhilfe!

Man merkt, wie mühevoll, um die richtigen fachlichen Formulierungen ringend, demgegenüber der eigentliche Jugendbericht verfasst worden ist. Die mangelhafte Kenntnis der Kinder- und Jugendhilfelandschaft in Sachsen wurde bereits bei der Vorstellung des Untersuchungsdesigns durch empirica vor zwei Jahren im Landesjugendhilfeausschuss deutlich. Die Ergebnisse sprechen für sich: Es reicht eben nicht aus, eine Onlinebefragung von Mitarbeitern und Jugendlichen zu starten, weil deren Repräsentativität schlicht an den ungleichen Zugängen zum Internet und an sozial differenziertem Nutzerverhalten scheitert.

Im Befragungszeitraum lebten etwa 490 000 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren in Sachsen; 430 000 von ihnen waren Schülerinnen und Schüler. Doch lediglich 2 509 füllten diesen Onlinefragebogen aus. Von diesen Fragebögen wiederum gingen nur 1 952 in die Auswertung ein.

Die Verwunderung der Auftragnehmer, dass mit 53 % Gymnasiasten und 48 % Kindern aus Akademikerhaushalten überwiegend höher gebildete und sozial bessergestellte Jugendliche an der Befragung teilnahmen, illustriert die Fragwürdigkeit dieser Studie.

Die begrenzte Redezeit verbietet es mir, an dieser Stelle auf weitere fachliche Schwächen des Berichts einzugehen.

Kurzum: Es hätte aus der Sicht der LINKEN dieses Berichts nicht bedurft, um die statistischen Daten zu bekommen, die im Vierten Kinder- und Jugendbericht zusammengestellt wurden, und um die Erkenntnisse zu gewinnen, die uns nun vorliegen.

Betrachten wir die Stellungnahme der Staatsregierung: Diese benennt – positiv – überraschenderweise viele Ansätze und Handlungsbedarfe, die aber eher aus den praktischen Erfahrungen des Fachreferats denn aus dem Statistikkonglomerat des Berichts resultieren dürften. Vor allem ist es den Verfassern der Stellungnahme der Staatsregierung zu verdanken, dass die nebulösen Aussagen im Bericht fachlich eingeordnet und bewertet werden, ohne dass man die fachlichen Ableitungen daraus unbedingt teilen muss.

Gleichwohl ist in der Stellungnahme der Staatsregierung zwischen den Zeilen zu lesen, wie groß der fachpolitische Gestaltungsrahmen ist – nämlich eher klein, egal, ob es um die notwendige Fortführung vorsichtig etablierter Modellprojekte geht, zum Beispiel einer landesweiten Kinder- und Jugendbeteiligung, ob es um das dringend nötige Reagieren auf problematische Entwicklungen geht, beispielsweise in der Sucht- und Drogenprävention oder der Jugendsozialarbeit an den Schulen, oder um die Durchsetzung des politischen Willens einzelner Mandatsträger geht, wenn es um investive Mittel.

Konkrete Aussagen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Benachteiligung habe ich vermisst, obwohl nach wie vor mehr als 20 % der Kinder und Jugendlichen in

Sachsen an der Armutsgrenze leben und von Transferleistungsbezug betroffen sind.

So genau und konkret die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme Handlungsbedarfe zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen benennt, so unkonkret bleiben die eigentlichen Maßnahmen; denn offenbar – das ist das eigentliche Problem – darf es möglichst nichts kosten und vor allem kein Personal beanspruchen oder zusätzliche Personalkosten verursachen.

Verehrte Frau Staatsministerin Clauß, das bringt uns aber nicht weiter. Das gilt ebenso für die Darstellung, die beiden obersten Landesjugendbehörden – Sozialministerium und Kultusministerium – würden bei der Schulsozialarbeit gut zusammenarbeiten, um nur ein Beispiel aus der aktuellen Diskussion herauszugreifen. Mein Vorredner ging ebenfalls bereits darauf ein.

Ich komme zum Schluss.

Der nächste Landtag wird viel zu tun haben, die Umsetzung der kinder- und jugendpolitischen Handlungsempfehlungen einzufordern und zu kontrollieren sowie über den Landeshaushalt auch die nötigen finanziellen Mittel bereitzustellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Krauß, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der vorangeschrittenen Zeit werde ich etwas raffen, aber doch einige Ausführungen sehr gern tätigen.

Die Botschaft des Jugendberichts ist hier schon herausgestellt worden: Die Jugend in Sachsen ist optimistisch. Sie schaut positiv in die Zukunft. Das ist ein schönes Zeichen.

Uns liegen eine Jugendstudie und die Stellungnahme der Staatsregierung vor. Wenn diese selbst von der Opposition gelobt wird, dann will ich hinzufügen, dass auch wir als regierungstragende Fraktion sie loben. Es ist eine sehr gute Stellungnahme. Vielen Dank dafür, Frau Staatsministerin! Vielen Dank aber auch für den Bericht.

Ich finde es spannend, dass in dem Bericht eine andere Herangehensweise gewählt worden ist. Es haben nicht nur die üblichen Verdächtigen, die üblichen Sozialpädagogen, etwas aufgeschrieben. Ich begrüße es, dass die eine oder andere empirische Untersuchung stattfindet und manchmal eine andere Sprache gefunden wird.

Auch ich gehe davon aus, dass es nicht nur in Sachsen, sondern auch außerhalb des Freistaates gute Wissenschaftler gibt, auch wenn es bei uns besonders viele davon gibt. Wir haben gute Wissenschaftler gefunden, die diesen Bericht geschrieben haben. Es ist nicht schlimm, wenn einmal ein Wissenschaftler nicht aus Sachsen kommt.

Ich finde es gut, dass wir eine Regionalbetrachtung vornehmen – diese setzen wir hoffentlich fort – und uns die kreisfreien Städte und die Landkreise einzeln anschauen. Es ist spannend, wie sich die Entwicklung jeweils darstellt; sie verläuft durchaus unterschiedlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Interessant sind auch die finanziellen Aussagen zur Jugendhilfe. Wir hören immer – auch heute wieder – die Mär, dass es in der Jugendarbeit ganz schlecht aussehe und die Mittel gekürzt worden seien. Betrachten wir die Fakten und damit die Realität; Herr Homann hat freundlicherweise die eine oder andere Zahl genannt. Ich freue mich, dass der Bericht zur korrekten Darstellung der Realität beiträgt.

In dem Bericht werden zum Beispiel die Bruttoausgaben der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen dargestellt. Wenn man den Level des Jahres 2006 mit 100 annimmt, stellt man fest, dass im Jahr 2011 die Ausgaben bei über 130 angelangt sind. Das ist eine Zunahme um ungefähr ein Drittel. Unter einer Kürzung verstehe ich etwas anderes, jedenfalls nicht, dass es ein Drittel mehr ist.

Wir haben schon einmal zusammen mit der SPD regiert. Damals haben wir für Kinder- und Jugendhilfe deutlich weniger ausgegeben als heute. Das ist auch die Botschaft des Berichts; das kann man daraus ersehen.

Wir wissen, dass die Zahl der Kinder und Jugendlichen zurückgegangen ist. Deswegen ist es interessant, auf die Entwicklung der Ausgaben pro Kopf zu schauen. Wir stellen fest, dass von 2006 bis 2011 die Ausgaben um sage und schreibe 48 % gestiegen sind. Pro Kopf geben wir ungefähr 50 % mehr für die Kinder- und Jugendhilfe aus.

Ich wünsche mir, dass der eine oder andere Lehren daraus zieht und das nicht als Kürzung bezeichnet, wie Sie von den LINKEN das tagein, tagaus tun. Das ist eine deutliche Mehrung! In Zahlen ausgedrückt: Es ist eine halbe Milliarde Euro pro Jahr mehr.

Dann kann man sich anschauen, wie sich die Bruttoausgaben in den einzelnen Teilbereichen entwickelt haben. In einem Bereich gab es einen deutlichen Ausgabenrückgang: im Bereich der staatlichen Verwaltung, bei den Jugendämtern zum Beispiel; dort sind die Ausgaben vom Level 100 auf das Level 75 gesunken. In anderen Bereichen sind sie deutlich gestiegen: Jugendsozialarbeit – plus 15 %, Hilfen zur Erziehung – plus 28 %, Erzieherischer Kinder- und Jugendschutz, Förderung der Erziehung in der Familie – plus 48 %.

Ich finde den Bericht sehr spannend. Er zeigt, dass wir ganz gut aufgestellt sind. Aber wir wissen auch, dass wir fachlich weiterkommen wollen. Darauf will ich jetzt nicht näher eingehen. Die Debatten haben wir zum Teil schon geführt; wir werden sie auch im nächsten Landtag führen. Wir streben eine fachliche Weiterentwicklung an. Der Bericht ist dafür eine sehr gute Grundlage. Ich füge hinzu: Ausgehend von der fachlich sehr fundierten, positiven Stellungnahme der Staatsregierung werden wir über die Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe mit allen Beteiligten weiter diskutieren.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.