Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Gibt es jetzt noch irgendwelchen Widerspruch

gegen die Tagesordnung? – Das sehe ich nicht. Weitere Änderungsvorschläge gab es auch nicht. Die Tagesordnung der 14. Sitzung ist damit bestätigt.

Meine Damen und Herren! Ich schlage Ihnen vor, da wir jetzt einen neuen Tagesordnungspunkt 1 mit entsprechender Redezeit haben, dass wir die Mittagspause nach dem neuen Tagesordnungspunkt 2 „Aktuelle Stunde“ einordnen. Eine neue, aktuelle Tagesordnung wird Ihnen ausgereicht.

Wir treten jetzt ein in den

Tagesordnungspunkt 1

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß § 54 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen zum Thema: „Untersuchung der Versäumnisse und Fehler der Staatsregierung bei der Konzipierung, Organisation, Planung und Absicherung einer vorrangig auf Abfallvermeidung, Ressourcenrückgewinnung und Nachhaltigkeit ausgerichteten Abfall-Kreislaufwirtschaft sowie einer funktionierenden Verwaltung und Überwachung der umweltverträglichen Verwertung und Beseitigung von Abfällen in Sachsen (Abfall-Missstands-Enquete)“

Drucksache 5/2155, Dringlicher Antrag der Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ich gehe davon aus, dass die Antragsteller ihr Begehren begründen wollen. Das Wort haben die Fraktionen DIE LINKE und GRÜNE. Die weitere Reihenfolge in der Aussprache ist CDU, SPD, FDP, NPD; Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich bitte jetzt die einbringende Fraktion DIE LINKE, Frau Kollegin Roth, das Wort zu ergreifen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einigen schwarzen Schafen ist es gelungen, nicht nur ihre illegalen Müllgeschäfte erfolgreich zu betreiben, sondern damit auch noch die gesamte Abfallbranche – auch in Sachsen – in Verruf zu bringen. Das hat handfeste Ursachen und Gründe.

Die Staatsregierung verneinte bisher in gewohnter Regelmäßigkeit, hierfür auch nur ansatzweise verantwortlich zu sein. Ebenso wenig hat sie Schritte unternommen und Vorkehrungen getroffen, um dem in den Medien öffentlich gemachten Treiben wirksam Einhalt zu gebieten. Wir haben das wiederholt hier in diesem Parlament aus immer wieder aktuellen Anlässen thematisiert. Geändert aber hat sich nichts. Deshalb beantragen die Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute die Einsetzung des Untersuchungsausschusses „AbfallMisstands-Enquete“.

Der Untersuchungsausschuss soll untersuchen, welche Strukturen es in Sachsen ermöglicht oder sogar begünstigt haben, dass Abfälle auf krummen Wegen entsorgt oder „scheinverwertet“ und so den Recycling- und Verwer

tungsunternehmen als wertvolle Ressourcen entzogen wurden und werden.

Der Untersuchungsausschuss mit den im Zuge seiner Untersuchungstätigkeit gewonnenen Erkenntnissen soll helfen, die Weichen für die Förderung und Stärkung der Kreislauf- und Ressourcenwirtschaft neu zu stellen.

Die bislang gemachten Fehler bzw. zugelassenen Versäumnisse und strukturellen Defizite der Staatsregierung bei der Gewährleistung einer vorrangig auf Nachhaltigkeit und Ressourcenrückgewinnung ausgerichteten Abfallkreislaufwirtschaft in Sachsen müssen aufgedeckt und benannt werden. Nur so wird sich die Abfallwirtschaft hin zu einer Ressourcenwirtschaft als einem bedeutenden zukunftsfähigen Wirtschafszweig in Sachsen entwickeln können.

Der Untersuchungsausschuss soll Druck auf die Staatsregierung machen, damit die im europäischen, deutschen und sächsischen Recht verbindlich verankerte Abfallhierarchie und die damit gesetzlich bestimmte Prioritätensetzung in der Abfallwirtschaft endlich auch in Sachsen umgesetzt wird. Das heißt, die Strukturen müssen so verändert werden, dass an erster Stelle die Abfallvermeidung steht. Nicht vermiedener Abfall muss als Ressource Wertschätzung erfahren und – so verlangt es die EUAbfallrahmenrichtlinie vom Dezember 2008 – zur Wiederverwendung vorbereitet, recycelt oder einer sonstigen Verwertung zugeführt werden. Dies ist nicht nur vernünftig, sondern dringend geboten.

Die Vermeidung und Verwertung von Abfall substanziell zu steigern stellt einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für den Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutz dar. Das ist der Weg, um auf lange Sicht natürliche Rohstoffquellen zu erhalten.

Einigkeit dürfte bei allen Abgeordneten dieses Hohen Hauses darüber herrschen, dass denjenigen, die nach wie vor in illegaler Weise „Müll“ verschieben, verbuddeln und verbrennen, das Handwerk gelegt werden muss. Auch hierzu soll und muss dieser Untersuchungsausschuss seinen Beitrag leisten.

Der Untersuchungsausschuss soll nicht zuletzt der Staatsregierung verdeutlichen, dass durch deren rigoros durchgezogene Verwaltungs- und Funktionalreformen in den Jahren 2004/05 und im Jahr 2008 die zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden ausgedünnt und deutlich geschwächt wurden. Das wiederum hat die anfangs erwähnten schwarzen Schafe mutig und stark gemacht.

Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen die Ergebnisse der strukturellen Fehlentwicklung in der Abfallwirtschaft in Sachsen an zwei Beispielen aufzeigen. Erstes Beispiel: Siedlungsabfall. Der im Jahr 2008 tatsächlich angefallenen Menge von knapp 536 000 Tonnen Siedlungsabfall stehen 845 000 Tonnen Behandlungskapazität gegenüber. Darunter sind die überdimensionierte Müllverbrennungsanlage Lauta mit 225 000 Tonnen im Jahr, die mechanisch-biologische Abfallbehandlungsanlage Cröbern mit 300 000 Tonnen im Jahr und die mechanischbiologische Abfallbehandlungsanlage im vogtländischen Oelsnitz mit 65 000 Tonnen im Jahr.

Zur Beseitigung des Siedlungsabfalls steht ein Deponievolumen von rund 2,6 Millionen Kubikmetern in Sachsen zur Verfügung. Die Zentraldeponie Gröbern fasst allein noch 1,6 Millionen Kubikmeter. Diese mit Genehmigung und unter Aufsicht der zuständigen Behörden und in Verantwortung der zuständigen Ressorts der Staatsregierung geschaffenen Überkapazitäten der Abfallentsorgung wurden und werden künftig zu neuen Belastungen für die Einwohnerinnen und Einwohner führen. Letztendlich müssen sie die Zeche in Gestalt steigender Abfallgebühren zahlen.

Zweites Beispiel: gefährliche Abfälle. In diesem Bereich ist die Schere zwischen Aufkommen und Behandlungs- bzw. Ablagerungskapazität noch weitaus größer. Im Jahre 2007 fielen in Sachsen 1,11 Millionen Tonnen gefährliche Abfälle an, sogenannte Sonderabfälle. Dem stehen 7,4 Millionen Tonnen Behandlungskapazität im Jahr gegenüber. Das ist das Siebenfache des tatsächlichen Sonderabfallaufkommens in Sachsen! Wo soll dieser Berg von Sondermüll in Zukunft herkommen, damit die ohne Plan und Maß genehmigten Anlagen versorgt und ausgelastet sind?

Der gefährliche Abfall kann aktuell in Sachsen auf fünf Deponien mit einem Volumen von 2,4 Millionen Kubikmetern beseitigt werden. Weitere 6,8 Millionen Kubikmeter sollen mit der neuen Deponie Wetro errichtet werden.

Der Sonderabfallversorgungsnotstand für eine „wirtschaftliche Betriebsführung“ ist damit bereits vorprogrammiert.

Meine Damen und Herren! Es ist eine alte Weisheit: Wer Abfallanlagen sät, wird Abfall ernten, auch Abfall aus anderen Bundesländern und aus dem Ausland. Wenn dann auch noch den zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden sehenden Auges durch unsinnige Reformen Kompetenz, Sachausstattung und Personal geraubt werden, haben nicht nur die schwarzen Schafe der Abfallbranche, sondern auch Wirtschaftskriminelle ein leichtes Spiel in Sachsen.

Dem darf man nicht tatenlos zusehen. Die dafür verantwortlichen strukturellen Fehlentwicklungen und Defizite müssen aufgedeckt, die politisch und persönlich Verantwortlichen dafür benannt werden. Das ist unter anderem der Auftrag dieses Untersuchungsausschusses.

Sehr geehrte Damen und Herren! Nehmen Sie gemeinsam mit den Einreichern dieses Antrags Ihre Verantwortung gegenüber den sächsischen Bürgerinnen und Bürgern, den Reclyclingunternehmen und der Umwelt wahr. Stimmen Sie daher der Einsetzung des Untersuchungsausschusses Abfall-Missstands-Enquete zu.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Für die antragstellende Fraktion DIE LINKE sprach die Abg. Frau Roth. – Ich rufe jetzt die antragstellende Fraktion GRÜNE auf; Herr Kollege Lichdi.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer nochmaligen Begründung für diesen Untersuchungsausschuss bedarf es wirklich nicht mehr. Dieser Untersuchungsausschuss ist viele Jahre lang begründet worden, begründet durch Ihre Politik, Sachsen zu einem der größten Müllimportländer zu machen. Er ist begründet worden durch Ihre offensichtliche Untätigkeit bei der Behebung von Missständen, der illegalen Verschiebung von Müll sowie der Verhinderung und Aufklärung von Bränden. Sie haben die Umweltverwaltung durch Ihre sogenannten Verwaltungsreformen systematisch geschwächt und personell reduziert.

(Unruhe im Saal)

Vier Jahre lang habe ich mir und haben sich meine Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN-Fraktion und der Linksfraktion in diesem Hause den Mund fusselig geredet, aber Sie von der CDU-Fraktion glaubten in Ihrer intellektuellen Behäbigkeit, Machtarroganz und Ihrem womöglich genetisch konditionierten Regierungsvertrauen, Sie müssten nicht zuhören.

(Beifall der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE, und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Ihre wechselnden Landwirtschaftsminister, die sich eh und je nur höchst unwillig um Umweltthemen kümmern, haben ihre Aufgaben und Pflichten nie ernst genommen. Sie glaubten, die Opposition aus GRÜNEN und Linken

mit hohlen Sprüchen beruhigen zu können. Ihre verhängnisvolle Politik infrage gestellt oder gar geändert haben sie nie. 2006 verteidigte der damalige Minister Tillich die Müllimporte nach Sachsen vehement. Kein Umsteuern, ganz im Gegenteil: Damals importierte Sachsen nur die Hälfte der heutigen Menge. 2007 beteuerte KurzzeitLandwirtschaftsminister Prof. Wöller, dass er das Problem der Brände ernst nehme und eine Sonderüberwachung eingeleitet habe. Leider hat die aber nichts gebracht.

Den Gipfel der Unverschämtheit erklomm kürzlich, im Januar 2010, Herr Staatsminister Kupfer, der gleich gänzlich die Aussage vor dem Landtag verweigerte. Meine Damen und Herren, wären wir in einem Strafprozess und ich der Verteidiger von Herrn Kupfer, so würde ich ihm auch zur Aussageverweigerung raten, denn Herr Kupfer ist eindeutig schuldig der Leugnung und Verschleppung der Probleme und schuldig des Unwillens und der Unfähigkeit, Recht und Gesetz durchzusetzen.

(Beifall der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE – Robert Clemen, CDU: Spinner! – Weiterer Widerspruch bei der CDU)

Andrea Roth hat die Hintergründe beschrieben, dass die Politik der Staatsregierung vom Grunde auf verfehlt ist, weil sie eben nicht auf eine Kreislaufwirtschaft gesetzt und bewusst Überkapazitäten geschaffen hat.

(Robert Clemen, CDU: Wahrsager!)

Meine Damen und Herren! Was soll aufgeklärt werden? Sachsen steigerte den Import von Müll seit 2001 um sage und schreibe 800 % und liegt mit der absoluten Menge von circa 800 000 Tonnen an zweiter Stelle hinter Nordrhein-Westfalen. Andrea Roth hat gerade die Zahl von ungefähr 500 000 Tonnen für Siedlungsabfälle, die in Sachsen anfallen, genannt. Und wir importieren noch einmal 800 000 Tonnen. Das ist doch heller Wahnsinn! Der Import gefährlichen Abfalls ist mit Hilfe der CDURegierung zum Geschäftsmodell geworden. Wollen Sie etwa, dass Sachsen weiterhin eines der größten Müllimportländer in Deutschland bleibt? Wollen Sie weiterhin gefährlichen Müll in Größenordnungen und an der Öffentlichkeit vorbei auf dafür nicht genehmigte Deponien leiten? Allein in Cröbern wurden zwischen 2003 und 2006 230 000 Tonnen Abfall der Deponieklasse III aus Italien angeliefert, obwohl Cröbern damals nur auf die Deponieklasse II zugelassen war, und das jeweils mit einer Sondergenehmigung des Regierungspräsidiums Leipzig.

Warum hat der damalige Landwirtschaftsminister Wöller dem Umweltausschuss im März 2007 den Import der berüchtigten Lieferung von 150 000 Tonnen unsortierten Siedlungsabfalls aus Italien verschwiegen, der bis heute verschwunden ist? Wie konnten die sächsischen Abfallbehörden darauf vertrauen, dass sie aufbereiteten Hausmüll aus Neapel erhalten, obwohl es in ganz Kampanien keine Aufbereitungsanlage gibt? Wann endlich bequemt sich denn ein zuständiger Minister hier zur Stellungnahme, dass das amtliche Importdokument verfälscht worden ist? Ist es in Sachsen etwa der Normalfall, dass amtliche

Importdokumente nur die Fassade scheinbarer Rechtmäßigkeit bilden, aber sonst nicht ernst genommen werden? Sollte etwa verdeckt werden, dass der Import in jedem Fall durchgeführt werden sollte, obwohl unbehandelter Hausmüll in Cröbern gar nicht abgelagert werden darf?

Meine Damen und Herren! Herr Kupfer stellt sich tot. Er dementiert auch nicht die Rechtswidrigkeit. Er schweigt einfach und hofft, dass sich keiner dafür interessiert. Meine Damen und Herren, wir interessieren uns aber dafür, und jetzt müssen Sie sich auch dafür interessieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Wann endlich erklärt ein sächsischer Landwirtschaftsminister, dass die Verschiebung von mindestens 106 000 Tonnen Italienmüll nach Sachsen schlicht und einfach rechtswidrig war? Ist es reiner Zufall, dass gerade gegen den Betreiber dieser Deponie in Sachsen-Anhalt strafrechtlich ermittelt wird? Aber die CDU hält ja das von ihr regierte Sachsen für eine Insel der Seligen, auf der so etwas überhaupt nicht vorkommen kann. Wie lange eigentlich will die Regierung den Kopf noch in den Sand stecken und die Ermittlungen gegen die Müllmafia in Deutschland und in Italien nicht zur Kenntnis nehmen? Hat sie eigentlich den Bericht des Bundeskriminalamtes zur Kenntnis genommen? Das Bundeskriminalamt spricht davon, dass die Verschiebungen qualitativ und quantitativ herausragend seien, und kritisiert ausdrücklich die unzureichende Überwachung.

Lässt es die Regierung etwa kalt, wenn der „Spiegel“ in einem Artikel über den „Müll der Camorra“ – so der Titel – auch über Sachsen berichtet? Oder nimmt sich die sächsische CDU in ihrer Allmachtsfantasie etwa Altkanzler Kohl zum Vorbild, der den „Spiegel“ angeblich auch nicht gelesen hat?

Meine Damen und Herren! Ich komme zu den zahlreichen Bränden. Meine Kleinen Anfragen brachten es ans Licht. Seit 2003 hat es ungefähr 90-mal auf Recyclinganlagen oder Abfalllagerstätten in Sachsen gebrannt. Wir erinnern uns alle noch lebhaft an den tagelangen Brand Anfang April in einer Abfalllagerhalle, einer Lagerhalle ausgerechnet der Kreiswerke Delitzsch. Die Kundigen ahnen schon, was ich jetzt auch ahne: Das ist durchaus kein Einzelfall.

Im Juli 2007 brannte die Recyclinganlage der CED in Chemnitz. Die schwarze Rauchsäule stieg Hunderte Meter auf. Später kam heraus, dass das Umweltamt Chemnitz die Anlage vier Monate zuvor inspiziert und erhebliche Mängel und Brandgefahren festgestellt hatte. Passiert ist trotzdem nichts; bis es dann brannte. Die Staatsanwaltschaft hat ermittelt. Sie geht von Brandstiftung aus, konnte aber keinen Täter finden. Bisher wurde nach meiner Kenntnis überhaupt kein Täter der zahlreichen Brandstiftungen gefunden, geschweige denn verurteilt.

Sollen wir uns etwa damit zufrieden geben und es CDUergeben und weiter brennen lassen? Minister Wöller hat angeblich 208 Anlagen überprüfen lassen. Außerdem